Arbeitsrecht

Auch der Diebstahl geringwertiger Wirtschaftsgüter ist grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

Aktenzeichen  4 Ca 65/20

Datum:
7.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43104
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 626 Abs. 1
KSchG § 1, § 4, § 13, § 23

 

Leitsatz

1. Der Diebstahl auch geringwertiger Wirtschaftsgüter ist grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Er taugt auch als verhaltensbedingter Kündigungsgrund für eine ordentliche Kündigung. Darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass der Arbeitnehmer tatsächlich einen Diebstahl begangen hat, bzw. für die Tatsachen, die evtl. eine Verdachtskündigung rechtfertigen, ist der Arbeitgeber. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit dem Vorwurf des Diebstahls, so dieser inhaltlich unberechtigt ist, wird gravierend in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und Ehre des Arbeitnehmers eingegriffen. Daher bedarf es schon einer deutlichen Überzeugungsbildung des Gerichts, dass es tatsächlich so gewesen ist, um dem Arbeitgeber einen außerordentlichen Kündigungsgrund zubilligen zu können. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Verdachtskündigung ist als außerordentliche Kündigung möglich, wenn es gerade der Verdacht ist, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Es liegt im Wesen der Verdachtskündigung, dass dem „Täter“ der Vorwurf nicht nachweisbar ist, allerdings die Verdachtsmomente dermaßen intensiv sind, dass dem Arbeitgeber schlechterdings sämtliches Vertrauen in die Redlichkeit seines Gegenübers verloren gegangen ist.  (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 04.01.2020 nicht aufgelöst ist. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 13.01.2020 nicht aufgelöst ist. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Der Streitwert wird auf 12.092,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig.
Der Rechtsweg zum Arbeitsgericht im Urteilsverfahren folgt aus § 2 Abs. 1 Ziffer 3 b mit Abs. 5 ArbGG. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Arbeitsgerichts ergibt sich aus §§ 12 mit 17 ZPO.
Auch in der Sache ist die Klage begründet. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB bzw. ein die Kündigung sozial rechtfertigender Grunde im Sinne des § 1 S. 2 KSchG ist von der Beklagten zur Überzeugung des Gerichts nicht ausreichend nachgewiesen worden.
Im Einzelnen:
Das Arbeitsverhältnis des Klägers unterfällt nach § 1 mit § 23 KSchG dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes. Der Kläger hat gegen die beiden ausgesprochenen Kündigungen fristgerecht sowohl im Sinne von § 13 KSchG, was die außerordentliche Kündigung angeht, als auch im Sinne von § 4 KSchG, was die ordentliche Kündigung angeht, Klage erhoben. In der Folge waren die Kündigungen auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes bzw. auf ihre soziale Rechtfertigung zu überprüfen.
Die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung bemisst sich an § 626 Abs. 1 BGB. Demnach kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist … nicht zugemutet werden kann.
Eine ordentliche Kündigung des unter das KSchG fallenden Arbeitsverhältnisses wäre hier gegebenenfalls aus verhaltensbedingten Gründen möglich.
Sowohl die außerordentliche wie auch die ordentliche Kündigung fußt auf dem Vorwurf des Diebstahls der beiden Jägermeisterflaschen, bzw. dem Verdacht eines solchen Diebstahls.
Der Diebstahl auch geringwertiger Wirtschaftsgüter ist grundsätzlich geeignet eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Er taugt auch als verhaltensbedingter Kündigungsgrund für eine ordentliche Kündigung.
Darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass der Kläger tatsächlich einen Diebstahl begangen hat, bzw. für die Tatsachen, die evtl. eine Verdachtskündigung rechtfertigen, ist die Beklagte.
Diese Beweislast hat die Beklagte allerdings nicht schultern können.
Unstreitig ist es zum Verlust von zwei Jägermeisterflaschen á 0,04 l bzw. zur Beschädigung des entsprechenden Kollis gekommen. Ebenso unstreitig, war der Kläger vor der Aufdeckung dieses Schadens im Bereich des Trockensortimentes, obwohl er zu dieser Zeit eigentlich dort nichts zu suchen hatte. Dass der Kläger aber tatsächlich derjenige gewesen ist, der den Kolli beschädigt und die Jägermeisterflaschen entnommen hat, hat die Beklagte nicht nachweisen können. Der Kläger war im Bereich Frischesortiment tätig und hatte an sich im Bereich des Trockensortiments nicht zu suchen. Er war dort auch außerhalb seiner Pausenzeit mit einem Kollegen unterwegs. Der Kläger hat weiterhin seine Ameise im Teil in einen Gang des Bereichs Trockensortiment hineingefahren. In diesem Gang befand sich auch der Kolli mit den Jägermeisterflaschen. Daneben hat sich der Kläger von seiner Ameise weg in Richtung auf die Getränkepakete hinbewegt.
Daraus ergibt sich für das Gericht aber noch nicht zu seiner Überzeugung, dass der Kläger auch das Paket aufgerissen und die beiden Jägermeisterflaschen entwendet hat. Der Beklagten ist zuzugeben, dass der Kläger sich im Laufe des Verfahrens nicht einheitlich zum Sachverhalt eingelassen hat. So hat er bei der Befragung vom 27.12.2019 nicht erwähnt, dass der Frischeautomat leer ist. Im Übrigen ist der Vortrag des Klägers dazu, warum er die Kantine aufgesucht hat, wenn er denn nur ein Getränk kaufen will, auch nicht widerspruchsfrei. Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass sich an der Treppe zur Kantine, also 136 m näher, ein Getränkeautomat befunden hat, der nicht leer gewesen ist.
Dazu vernommen hat der Kläger erklärt, er habe den Kollegen in die Kantine begleiten wollen, da der Kollege dort ein Brötchen kaufen wollte. Dort angekommen habe er sein Getränk gezogen, dann auch ein Brötchen kaufen wollen, aber erfahren, dass man an diesem Tag nichts kaufen kann.
Beklagtenseits ist dies in Abrede gestellt worden.
Auch die Art und Weise der Abstellung der Ameise, sprich die Abstände, die die Ameisen des Klägers und des Zeugen … voneinander gehabt haben, ist etwas widersprüchlich geblieben. Den Vorgang, sich zu den Getränkepaketen hin bewegt zu haben, hat der Kläger jedoch sehr nachvollziehbar erläutert. Er will sich vom Arbeitskollegen … ein Zwei-EuroStück geliehen haben für den Automaten. Beim Abstellen der Ameise sei ihm dieses ZweiEuro-Stück aus der Hand gefallen. In der Befragung vom 23.12.2019 soll es ihm noch aus der Hose gefallen sein. Er habe sich dann bücken und dieses Zwei-Euro-Stück suchen müssen, da dieses bei den Getränkepaketen niedergefallen sei.
Selbst wenn man zugunsten der Beklagten und zu Lasten des Klägers davon ausgeht, dass die Geschichte in und um die Getränke- bzw. Brötchenbesorgung etwas schwammig und widersprüchlich geblieben ist, ist doch damit noch nicht der Beweis geführt, dass es der Kläger war, der den Kolli aufgerissen und den Jägermeister an sich genommen hat. Der Einwand, sich nach einem Geldstück gebückt zu haben und sich deswegen auf die Getränkepakete zu bewegt zu haben, ist örtlich nachvollziehbar und keineswegs lebensfremd. Es wird jedem selbst schon einmal passiert sein, dass ihm ein Geldstück entglitten ist und er sich dann auf machen musste, um dieses Geldstück wieder aufzuheben. Dass dies auf einem gegebenenfalls von hinten gefilmten Video so aussehen mag als mache sich der Kläger an dem Getränkekolli zu schaffen ist ebenfalls nachvollziehbar. Dass er dies tatsächlich getan hat in der Form, den Getränkekolli aufzureißen und die Jägermeisterflaschen zu entnehmen, ergibt sich daraus für das Gericht aber nicht.
Die Beklagte hat es leider unterlassen, dieses Video oder aber Bilder dieses Videos in den Prozess einzuführen, sodass auch nicht zu erkennen ist, wie nah bzw. wie fern der Kläger der Getränkeverpackung gekommen ist oder aber erkennbar ist, dass die Einlassung des Klägers sich nur nach einer Münze gebückt zu haben, offensichtlich fehlerhaft sein muss, weil z.B. der Kläger längere Zeit an diesem Getränkepaket verweilt hat um es aufzureißen und die Flaschen zu entnehmen. Die Zeit die man benötigt eine Münze aufzuheben ist sicherlich deutlich kürzer als die Zeit, die man benötigt, einen Verpackungskarton aufzureißen und diesem zwei Flaschen zu entnehmen.
Das Gericht kann daher nur die Aussage des Klägers als Partei verwerten, wonach dieser sich zugegebenermaßen in Richtung auf die Getränkekartons zu bewegt habe, dort seine Münze aufgehoben hat und dann mit dem Kollegen … die Kantine aufsuchte.
Mit dem Vorwurf des Diebstahls, so dieser inhaltlich unberechtigt ist, wird gravierend in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und Ehre des Arbeitnehmers eingegriffen. Aus Sicht des Gerichtes muss hier schon eine deutliche Überzeugungsbildung des Gerichts erfolgen, dass es tatsächlich so gewesen ist, um der Beklagten einen außerordentlichen Kündigungsgrund zubilligen zu können. Im Streitfall bestehen aber eingehende Zweifel. So ist schon nicht erkennbar, wann der Kolli mit den Jägermeistern vor dem maßgeblichen Vorfall das letzte Mal kontrolliert und für unversehrt erkannt worden ist. Es kann durchaus gewesen sein, dass es vor 17.20 Uhr ein anderer Arbeitnehmer im Bereich des an diesem Tag nicht bearbeiteten Trockensortiments den Kolli aufgerissen und sich die Jägermeisterflaschen entnommen hat. Allein der Umstand, dass der Kläger hier in der Nähe war, obwohl er dort nichts zu suchen hatte, reicht nicht aus um diesen als Täter abzustempeln.
Soweit beklagtenseits die Einräumung einer Schriftsatzfrist verlangt worden ist, war dem auch aus zum Standpunkt rechtlichen Gehörs heraus aus Sicht des Gerichtes nicht zu entsprechen. Der Beklagtenvertreter hat die Schriftsatzfrist dahingehend begründet, er bitte um Einräumung einer Schriftsatzfrist um prüfen zu können, ob tatsächlich am genannten Tag bereits gegen 17.00 Uhr ein Verkauf von Brötchen erfolgt ist.
Aus Sicht des Gerichtes ist es völlig unbehelflich, ob an diesem Tag bereits um 17.00 Uhr ein Verkauf von Brötchen erfolgt ist. Die „Rahmenerzählung“ des Klägers, warum er sich in diesem Bereich befunden hat, mag unzutreffend sein, dies ändert aber nichts daran, dass selbst bei einer unzutreffenden Rahmenerzählung für das Gericht noch nicht die Überzeugung des Diebstahls begründet worden ist. Dies bereits deswegen, weil hier auch andere Sachverhalte vorliegen können, die mit der Person des Klägers nichts zu tun haben (siehe oben). Es ist daher völlig egal, ob bereits um 17.00 Uhr Brötchen verkauft worden sind. Dies umso mehr, weil der Kläger ja im Nachgang sogar behauptet hat, gar kein Brötchen gekauft zu haben.
Einer diesbezügliche Stellungnahmefrist bedurfte es daher nicht. Der Beklagte hat im Laufe des Verfahrens ausreichend Gelegenheit gehabt, ihre Beweismittel vorzubringen. Sie hat sich prozesstaktisch dazu entschieden, den Kläger als Partei zum streitigen Sachverhalt anzubieten. Das Gericht ist dem nachgekommen. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte insbesondere das behauptete Video oder aber Bildauszüge dieses Videos nicht vorgelegt. Es konnte dieses auch daher bei der Entscheidung nicht berücksichtigt werden.
Soweit die Beklagte hilfsweise die Kündigungen aus dem Gesichtspunkt einer Verdachtskündigung als berechtigt ansieht, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg. Eine Verdachtskündigung ist als außerordentliche Kündigung möglich, wenn es gerade der Verdacht ist, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Es liegt im Wesen der Verdachtskündigung, dass dem „Täter“ der Vorwurf nicht nachweisbar ist, allerdings die Verdachtsmomente dermaßen intensiv sind, dass dem Beklagten schlechterdings sämtliches Vertrauen in die Redlichkeit seines Gegenübers verloren gegangen ist. Da die Verdachtskündigung auch Unschuldige treffen kann, hat die Beklagte vor Ausspruch einer Verdachtskündigung zunächst einmal sämtliche Umstände, die gegen den Verdacht sprechen, aufzuklären und auszuschließen.
Einer Verdachtskündigung scheitert aus Sicht des erkennenden Gerichtes aus zwei Gründen.
Zum einen darf vom Tatsächlichen her auf das bereits oben Ausgeführte verwiesen werden. Es ist unklar, wann der Kolli mit den Jägermeisterflaschen das letzte Mal unbeschädigt vorgefunden worden ist. Damit auch nicht auszuschließen, dass andere als der Kläger sich hieran bedient haben.
Im Übrigen wäre bei einer Verdachtskündigung nach § 102 BetrVG der Betriebsrat auch zu einer Verdachtskündigung anzuhören. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Verdachtskündigung ist unwirksam. Der Vortrag der Beklagten lässt nicht erkennen, dass diese den Betriebsrat auch zu einer Verdachtskündigung angehört hat.
Nach alledem war die vorliegende Entscheidung zu treffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die über den Streitwert auf § 61 ArbGG mit § 42 GKG.


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