Arbeitsrecht

Auslegung von Gebührenordnungspositionen

Aktenzeichen  S 38 KA 1012/15, S 38 KA 1013/15

Datum:
19.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V SGB V § 75 Abs. 1, § 106a Abs. 2
BMV-Ä BMV-Ä § 46
A-EKV § 42
Gesamtvertrag-Primärkassen § 7 Abs. 1
Gesamtvertrag-Ersatzkassen § 8

 

Leitsatz

1. Die Auslegung einer Gebührenordnungsposition orientiert sich in erster Linie an dem Wortlaut der Leistungslegende, jedoch bei bestimmten Konstellationen nicht ausschließlich. Dann können auch andere Auslegungsregelungen wie die systematische Auslegung und die historische Auslegung zur Anwendung gelangen. (Rn. 16)
2. Die systematische und die historische Auslegung legen es zwingend nahe, dass für den Ansatz der GOP 30702 eine Dauer von mindestens 60 Minuten vorauszusetzen und in diesem Zeitraum nicht zusätzlich die GOP 30708 abrechnungsfähig ist. (Rn. 16)

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten der Verfahren.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegten Klagen sind zulässig, erweisen sich jedoch als unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind als rechtmäßig anzusehen.
Gemäß §§ 75 Abs. 1, 106a Abs. 2 SGB V i.V.m. § 46 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä), § 42 Arzt-Ersatzkassenvertrag (A-EKV), § 7 Abs. 1 Gesamtvertrag-Primärkassen bzw. § 8 Gesamtvertrag-Ersatzkassen war die Beklagte befugt, aber auch verpflichtet, Plausibilitätsprüfungen durchzuführen. Dabei steht der Beklagten kein Ermessen zu, so dass der ihr kein Ermessensfehler vorzuwerfen ist (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 10.11.2009, L 4 KA 70/09 B ER). Die Richtigkeit der Berechnung der Kürzung wurde seitens der Klägerin nicht in Zweifel gezogen. Strittig ist dagegen die Nebeneinanderberechnung der GOP 30702 und der GOP 30708.
Die GOP 30702 lautet wie folgt:
„Zusatzpauschale für die schmerztherapeutische Versorgung gemäß der Qualitätssicherungsvereinbarung zur schmerztherapeutischen Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten nach § 135 Abs. 2 SGB V Obligater Leistungsinhalt
– …
– Differenzialdiagnostische Abklärung der Schmerzkrankheit
– Eingehende Beratung des Patienten einschließlich Festlegung der Therapieziele …“
Die GOP 30708 lautet wie folgt:
„Beratung und Erörterung und/oder Abklärung im Rahmen der Schmerztherapie, Dauer mindestens 10 Minuten je vollendete 10 Minuten Anmerkung Bei der Nebeneinanderberechnung der Gebührenordnungsposition 30708 neben der 30702 ist ein Arzt-Patienten-Kontaktzeit von mindestens 70 Minuten Voraussetzung für die Berechnung der Gebührenordnungsposition 30708…“
Während somit bei der GOP 30708 Zeitangaben enthalten sind, einmal für die GOP 30708 allein mindestens 10 Minuten, zum anderen bei Nebeneinanderberechnung der GOP 30702 und der GOP 30708 mindestens 70 Minuten, enthält die GOP 30702 keine Zeitangabe. Deshalb stellt sich die Frage, ob eventuell von der GOP 30708 auf die GOP 30702 geschlossen werden kann.
Nach den Allgemeinen Bestimmungen 2.1.3 des EBM ist eine Nebeneinanderabrechnung von Gebührenordnungspositionen dann nicht zulässig, wenn sich deren Leistungsinhalt überschneidet. Die Teilleistung ist dann nicht berechnungsfähig, sondern Bestandteil der Komplexleistung. Übertragen auf das streitgegenständliche Verfahren wäre daraus zu folgern, dass die GOP 30708 nicht neben der GOP 30702 berechnungsfähig ist, da sich deren Leistungsinhalte überschneiden. Bei beiden Gebührenordnungsziffern gehört zum obligatorischen Leistungsinhalt, dass eine Beratung und Abklärung stattfindet. Insofern wäre die GOP 30702 als Komplexleistung anzusehen, so dass die GOP 30708 Bestandteil der GOP 30702 wäre.
Allerdings ist nach der Anmerkung zur GOP 30708 eine Nebeneinanderabrechnung der GOP 30702 und der GOP 30708 zulässig, aber nur mit der Maßgabe, dass die Arzt-Patienten-Kontaktzeit mindestens 70 Minuten beträgt. Es handelt sich somit um eine Ausnahme von den Allgemeinen Bestimmungen. Die Regelungen im Zusammenhang mit der GOP 30708 gehen als speziellere Regelungen den Allgemeinen Regelungen vor. Da von den mind. 70 Minuten bei Nebeneinanderabrechnung bereits mind. 10 Minuten auf die GOP 30708 entfallen, bleiben für die GOP 30702 EBM 60 Minuten übrig.
In Anwendung der systematischen Auslegung bei Gesamtbetrachtung kann das nur bedeuten, dass die ersten 60 Minuten ausschließlich von der GOP 30702 abgedeckt werden, ohne dass gleichzeitig von der ersten Minute an mehrfach die GOP 30708 in Ansatz gebracht werden kann. Für dieses Ergebnis spricht auch die historische Auslegung. Wie die Beklagte im angefochtenen Widerspruchsbescheid vorgetragen hat, habe es Vorgänger- Gebührenordnungspositionen gegeben, nämlich die GOP 30700 EBM, die nach der Leistungslegende eine Dauer von mindestens 60 Minuten voraussetzte und die GOP 30701, zu deren obligatorischen Leistungsinhalt eine Dauer von 35 Minuten gehörte. Diese beiden Gebührenordnungspositionen seien zur GOP 30702 zusammengefasst worden. Daraus ist ebenfalls zu schließen, dass bei der Kombination der GOPs 30702 und 30708 zumindest die ersten 60 Minuten (ehemalige GOP 30700) durch die GOP 30702 abgegolten und nicht separat mit der GOP 30708 berechnungsfähig sind.
Dagegen kann nicht eingewandt werden, es komme nur auf den Wortlaut der entsprechenden Leistungslegende an. Die Auslegung einer Gebührenordnungsposition orientiert sich in erster Linie an dem Wortlaut der Leistungslegende, jedoch bei bestimmten Konstellationen nicht ausschließlich. Dann können auch andere Auslegungsregelungen wie die systematische Auslegung und die historische Auslegung zur Anwendung gelangen. Dies hat das Bundessozialgericht bei Unklarheiten der Leistungslegende mehrfach hervorgehoben (vgl. BSG, Urteil vom 18.08.2010, Az. B 6 KA 23/09 R; BSG, Urteil vom 15.08.2012, Az. B 6 KA 34/11 R), was im Zusammenhang mit der Auslegung der GOP 30708 und der GOP 30702 der Fall ist. Die systematische und die historische Auslegung legen es zwingend nahe, dass für den Ansatz der GOP 30702 eine Dauer von mindestens 60 Minuten vorauszusetzen und in diesem Zeitraum nicht zusätzlich die GOP 30708 abrechnungsfähig ist.
Soweit die Klägerseite auf Entscheidungen des Sozialgerichts Marburg (Urteil vom 08.12.2010, Az. S 12 KA 250/10; Urteil vom 30.01.2013, A.z S 12 KA 170/11) hinweist, wonach es bei zeitlichen Vorgaben keinen Auslegungs- und Interpreta-tionsspielraum gebe, lassen sich die dort streitgegenständlichen Sachverhalte (dort: Tagesprofile im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung) nicht auf die streitgegenständlichen Sachverhalte übertragen.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


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