Arbeitsrecht

außerordentliche Kündigung – Finanzverwaltung – Abfragen von Steuerdaten

Aktenzeichen  3 Sa 265/20

Datum:
13.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 8478
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 626
KSchG § 1

 

Leitsatz

1. Auch wenn der Arbeitnehmer durch sein Verhalten das Vertrauen seines Arbeitgebers massiv zerstört hat, kann es diesem unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles trotz Vorliegens eines wichtigen Grundes “an sich” die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar sein.  (Rn. 24) (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Abmahnung kann bei einer Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen, die den Vertrauensbereich betreffen, bei schweren Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers entbehrlich sein. Insofern ist dem Arbeitnehmer regelmäßig die Rechtswidrigkeit seines Handelns ohne weiteres genauso erkennbar, wie der Umstand, dass eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist.(Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 Ca 6838/19 2020-06-03 Endurteil ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 03.06.2020, Az.: 4 Ca 6838/19, wird zurückgewiesen.
Die Anschlussberufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2 c) ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.
II.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 19.12.2019 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 31.03.2020 aufgelöst.
Das Berufungsgericht folgt in vollem Umfang der ausführlich und sorgfältig begründeten Entscheidung des Erstgerichts und schließt sich ihr nach eigener Prüfung vorbehaltlos an. Von einer bloß wiederholenden Darstellung der Gründe wird abgesehen. Lediglich in Bezug auf das Berufungsvorbringen sind folgende Anmerkungen angebracht:
Das Erstgericht hat vorbildlich entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Wirksamkeit der außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung des Beklagten geprüft. Entgegen der Ansicht der Berufung sieht das Berufungsgericht keinen Widerspruch in den Ausführungen des Erstgerichtes. Es hat unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zutreffend das Vorliegen eines außerordentlichen Kündigungsgrundes „an sich“ bejaht. Diesen Ausführungen ist nichts hinzuzufügen, auf sie wird verwiesen. Das Arbeitsgericht hat dann in einer sorgfältig durchgeführten Interessenabwägung das Interesse der beklagten Partei an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses als weniger schwerwiegend als das Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses eingeordnet (dazu später im Rahmen der Anschlussberufung).
Bei der anschließenden Prüfung der Voraussetzungen der ordentlichen Kündigung hat das Erstgericht völlig zutreffend und folgerichtig den verhaltensbedingten Kündigungsgrund „an sich“ für eine ordentliche Kündigung bejaht. Wegen dieses schwerwiegenden Grundes, der an sich für eine außerordentliche Kündigung ausreicht, hat das Erstgericht zu Recht den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung auch ohne vorherigen Ausspruch einer Abmahnung als verhältnismäßig angesehen.
Zwar ist in der Regel auch bei verhaltensbedingten Gründen, die den Vertrauensbereich betreffen, nach der Rechtsprechung des BAG vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich. Allerdings kann eine Abmahnung bei schweren Pflichtverletzungen entbehrlich sein. Insofern ist dem Arbeitnehmer regelmäßig die Rechtswidrigkeit seines Handelns ohne weiteres genauso erkennbar, wie der Umstand, dass eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist. Eine Abmahnung muss aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers geeignet sein, die künftig für den Fall des Nichtausspruchs einer Kündigung befürchteten Störungen zu vermeiden. Diese Eignung kann nur angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten ist nicht vertragswidrig oder wird vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen. Nur in diesem Fall kann davon ausgegangen werden, dass eine Abmahnung den Arbeitnehmer dazu bringt, sein Verhalten zu ändern. Ist die Pflichtwidrigkeit so schwer, dass der Arbeitnehmer nicht mit einer Billigung seines Verhaltens durch den Arbeitgeber rechnen konnte, kann im Gegenzug nicht davon ausgegangen werden, dass eine Abmahnung den Arbeitnehmer zur Änderung seines Verhaltens veranlasst, denn er hat durch seine vergangenen Vertragsverletzungen gezeigt, dass er in Kenntnis möglicher kündigungsrechtlicher Folgen vor der Begehung von erheblichen Pflichtverletzungen nicht zurückschreckt. In einem solchen Fall ist eine Abmahnung entbehrlich und eine ausgesprochene Kündigung jedenfalls nicht wegen einer fehlenden Abmahnung unverhältnismäßig (Arbeitsgericht Nürnberg unter Hinweis auf BAG vom 23.06.2009 – Az.: 2 AZR 283/08 – Rn. 18).
Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch darauf hingewiesen, dass aufgrund der erfolgten Belehrung und der wiederholten Thematisierung der Zulässigkeit von Datenabrufen der Kläger erkennen musste, dass der Beklagte unzulässig durchgeführte Abrufe nicht dulden werde, sondern als eine Verletzung der Dienstpflichten ansieht. Unmissverständlich ist in den Verwaltungsanweisungen, deren Kenntnis der Kläger schriftlich bestätigt hat, darauf hingewiesen, dass der unbefugte Datenabruf geschützter Daten den Tatbestand einer Verletzung des Steuergeheimnisses erfüllt und bereits der Versuch eine Verletzung der Dienstpflichten darstellt. Eine negative Prognose hinsichtlich einer an sich möglichen Verhaltensänderung des Arbeitnehmers in der Zukunft ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer die Vertragswidrigkeit eines Verhaltens sowie die damit verbundene Gefährdung seines Arbeitsverhältnisses kannte oder kennen musste, z.B. aus entsprechenden Hinweisen bei früheren Anlässen, im Arbeitsvertrag, in Rundschreiben oder Betriebsaushängen und aus einer „vorweggenommenen Abmahnung“ vor einer konkret befürchteten Pflichtverletzung (KR-Fischermeier, 12. Aufl., § 626 BGB, Rn. 280 m.w.N.). Damit musste dem Kläger klar sein, dass es der Beklagte nicht dulden werde, wenn gegen diese grundlegenden Vorschriften betreffend das Steuergeheimnis verstoßen werde.
Der Kläger kann sich auch nicht damit entschuldigen, er habe auf Anweisung von Kollegen die Steuernummernsuche üben müssen. Zum einen ist unstreitig, dass der vom Kläger benannte Kollege W… kein Vorgesetzter des Klägers gewesen ist. Der Kläger konnte damit nicht von einer Weisung eines Vorgesetzten ausgehen, unabhängig davon, dass diese offensichtlich mit der gerade vorgenommenen Belehrung durch die Behördenleitung kollidiert hätte. Zum anderen würde dies nicht erklären, weshalb der Kläger nach einer – unterstellten – Aufforderung durch den Kollegen W… etwa anderthalb Wochen nach Beginn des Arbeitsverhältnisses (Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung) über ein Jahr lang bis zur Entdeckung durch den Datenschutzbeauftragten weitere Aufrufe vorgenommen hat. Er hat auch nach dem Wechsel in die Meldestelle und sogar nach dem Wechsel in der Hardware-Betreuung, wo er keine Steuernummern nachschauen musste, dies weiterhin getan. Auf Frage des Vorsitzenden, warum der Kläger dennoch weiterhin Steuernummern nachgeschaut habe, hat der Kläger erklärt: „Wir hatten keine Arbeit“. Dies zeigt deutlich, dass das angeblich angewiesene „Erlernen der Steuernummernsuche“ nur eine Schutzbehauptung ist. Der Kläger hat klar zu erkennen gegeben, dass diese Abrufe aus Langeweile geschehen sind. Soweit er schriftsätzlich hat vortragen lassen, dass die über die Steuernummernsuche erkennbaren Daten nicht allzu sensibel seien, steht damit seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung in Widerspruch, nach der man erkennen konnte, dass Pfändungen vorlägen oder so und so viel Autos und Motorräder vorhanden seien.
Deshalb war auch nach Ansicht des Berufungsgerichts eine Beweisaufnahme über die „Anweisung“ des Klägers durch Kollegen nicht erforderlich. Aufgrund der vom Erstgericht aufgeführten und vom Kläger in seiner Einlassung bestätigten Umstände liegt eine Schutzbehauptung vor. Der Beklagte war nicht verpflichtet, zusätzlich zu den im Vorfeld erteilen eindringlichen Belehrungen über die Strafbarkeit solcher Abrufe noch eine Abmahnung zu erteilen.
Schließlich ist auch die vom Erstgericht vorgenommene Interessenabwägung zutreffend. Dem Beklagten war es nicht zumutbar, den Kläger über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus weiter zu beschäftigen. Auch das Berufungsgericht würdigt die häufigen und über einen sehr langen Zeitraum durchgeführten schwerwiegenden Vertragsverletzungen zu Lasten des Klägers. Während der gesamten (relativ kurzen) Beschäftigungszeit des Klägers hat dieser immer wieder Verstöße begangen. Demgegenüber wiegt das Alter des Klägers und die daraus möglicherweise erwachsenden Probleme bei der Arbeitssuche weniger schwer. Zu Recht weist das Erstgericht darauf hin, dass es nicht möglich wäre, den Kläger ständig zu kontrollieren, da gerade im Bereich der Steuerverwaltung in allen Einsatzgebieten eine erhöhte Sensibilität der Mitarbeiter hinsichtlich der personenbezogenen Daten der Steuerpflichtigen erwartet werden kann. Die Ansicht des Prozessbevollmächtigten des Klägers, der Beklagte müsse Vorkehrungen gegen unberechtigten Datenabruf schaffen, ist wenig verständlich. Denn es gehörte ja gerade zu den Aufgaben des Klägers, Steuernummernsuchen durchzuführen. Soll nun der Beklagte durch Umprogrammieren seiner Software oder durch Abstellen von Mitarbeitern zur Überwachung versuchen, Steuernummernsuchen des Klägers ohne dienstlichen Bezug herauszufinden und zu unterbinden?
Dem Arbeitsgericht folgend ist auch das Berufungsgericht nach eigener Prüfung davon überzeugt, dass die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt ist und das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.03.2020 beendet hat. Den allgemeinen Feststellungsantrag hat der Kläger zurückgenommen. Eine Weiterbeschäftigung aufgrund des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs besteht aufgrund des beendeten Arbeitsverhältnisses nicht. Soweit das Erstgericht wegen des beendeten Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf ein Zwischenzeugnis verneint hat, hat sich der Kläger hiergegen in seinen Berufungsanträgen nicht gewendet. Ein Anspruch auf ein Zwischenzeugnis besteht nach Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mehr.
Die Berufung des Klägers war deshalb in vollem Umfang zurückzuweisen.
III.
Die Anschlussberufung ist statthaft gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 c ArbGG und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 519, 520, 524 Abs. 1, Abs. 2 ZPO.
Auch die Anschlussberufung der beklagten Partei war zurückzuweisen. Mit dem Erstgericht geht auch das Berufungsgericht davon aus, dass ein Kündigungsgrund „an sich“ für eine außerordentliche Kündigung vorliegt, aber die Interessenabwägung im Falle der außerordentlichen Kündigung zugunsten des Klägers ausgeht. Der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung beeinträchtigt die Chancen des Klägers auf einen neuen Arbeitsplatz stark. Angesichts seines fortgeschrittenen Lebensalters ist es geboten, das Interesse des Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses im vorliegenden Einzelfall zurückzustellen. Für einen begrenzten Zeitraum wäre dem Beklagten die Beschäftigung des Klägers noch zumutbar gewesen, selbst wenn dies bis zum Ablauf der Kündigungsfrist eine erhöhte Überwachung des Klägers bedeutet hätte. Daher war die Anschlussberufung des Beklagten zurückzuweisen.
IV.
1. Aufgrund des Ausmaßes des jeweiligen Obsiegens bzw. Unterliegens waren die Kosten des Berufungsverfahrens gegeneinander aufzuheben, §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 525 Satz 1, 92 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. ZPO.
2. Für die Zulassung der Revision besteht weder für die Berufung noch für die Anschlussberufung ein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Abs. 1 und 2 ArbGG, denn die Beurteilung des Kündigungsgrundes und die Interessenabwägung orientierten sich ausschließlich an den konkreten Umständen des Einzelfalls.


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