Arbeitsrecht

Außerordentliche Kündigung wegen beharrlicher Weigerung des Arbeitnehmers, Weisungen des Arbeitgebers zu befolgen

Aktenzeichen  11 Ca 9344/14

Datum:
28.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 126083
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 626 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine vom Arbeitgeber ausgesprochene außerordentliche Kündigung kann sich im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung als unwirksam erweisen, wenn hinsichtlich des ihr zugrunde liegenden Verstoßes des Arbeitnehmers gegen Weisungen des Arbeitgebers eine erhebliche Unklarheit betreffend die den Arbeitnehmer tatsächlich rechtlich verbindlich treffenden Verpflichtungen besteht. (Rn. 24) (red. LS Alke Kayser)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 08.08.2014 aufgelöst worden ist.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf EURO 13.861,89 festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage war in der Sache begründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gem. §§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 46, 48 ArbGG i.V.m. §§ 17 ff. GVG eröffnet. Das Arbeitsgericht München ist zur Entscheidung des Rechtsstreits gem. §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 12, 17 ZPO zuständig.
Für die außerordentliche Kündigung der Beklagten liegt kein wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB vor, ebenso wenig liegt ein Grund für die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vor, weswegen der Antrag als unbegründet abzuweisen war.
1. Gegen die Kündigung vom 08.08.2014 wurde innerhalb der gem. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG auch auf die außerordentliche Kündigung anzuwendende Frist des § 4 Satz 1 KSchG fristgemäß am 14.08.2014 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht München eingereicht. Wie sich aus dem Nachfolgenden ergibt, hat die außerordentliche Kündigung das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht fristlos aufgelöst.
a. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegenden, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der wichtige Grund in zwei systematisch zu trennenden Abschnitten zu prüfen. Bei der Prüfung, ob eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist, muss demnach zunächst in der ersten Stufe geprüft werden, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne besondere Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden. Sodann sind in der zweiten Stufe die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, die gegenseitigen Interessen abzuwägen und alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände vollständig und widerspruchsfrei zu berücksichtigen (siehe hierzu: BAG AP-Nr. 42 zu § 626 BGB). Die außerordentliche Kündigung ist also nur zulässig, wenn sie die unausweichlich letzte Maßnahme (ultima ratio) für den Kündigungsberechtigten ist. Bei der Interessenabwägung ist Maßstab, ob unter Berücksichtigung der im konkreten Fall schutzwürdigen personenbezogenen Interessen des Gekündigten eine so starke Beeinträchtigung betrieblicher oder vertraglicher Interessen des Kündigenden vorliegt, dass das Kündigungsinteresse gegenüber dem Bestandsschutzinteresse des Gekündigten überwiegt. Im vorliegenden Fall zieht die Beklagte insbesondere Vertragsverletzung bzw. Arbeitspflichtverstöße, die von ihr vorgetragen werden heran, um darzulegen, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für sie unzumutbar ist. Vertragsverletzungen im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes sind dann relevant, wenn der Arbeitgeber daraus schließen kann, der Vertrag werde auch in Zukunft gestört. Auch bei einer verhaltensbedingten Kündigung zählt daher zur sozialen Rechtfertigung eine negative Prognose. Für diese ist die bereits erfolgte Störung der maßgebende Anknüpfungspunkt. Der Arbeitnehmer soll durch die Kündigung nicht „bestraft werden“. Vielmehr macht der Arbeitgeber von seinem Recht gebrauch, seine Ziele nur mit solchen Mitarbeitern erreichen zu wollen, die keine Vertragsbrüche erwarten lassen (Oetker in: ErfK. zum AR, 16. Auflage 2016, § 1 KSchG, Rn 196 m.w.N.). Die Anforderungen an eine Prognose bei der verhaltensbedingten Kündigung sind nicht so zu verstehen, dass ohne Tatsachengrundlage ins Blaue hinein Überlegungen hinsichtlich einer zukünftigen Entwicklung der Vertragsbeziehungen anzustellen wären. Die negative Prognose liegt vor, wenn die Vertragsstörung so geartet ist, dass daraus geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig seine Vertragspflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen (a.a.O., Rn 187 m.w.N.). Liegt kein gravierender Verstoß vor, ist die negative Prognose in der Regel gegeben, wenn der Arbeitnehmer nach einer Abmahnung den Vertrag in gleicher oder ähnlicher Weise erneut verletzt hat. Hat eine Störung allein den an sich zu fordernden Vertragsbindungswillen des Arbeitgebers für die Dauer der ordentlichen Bindungszeit noch nicht zerstört, und lässt sich aus der Art einer Störung noch nicht schließen, dass in Zukunft weitere Störungen erfolgen werden, kann ein Schluss auf eine negative Entwicklung des Arbeitsverhältnisses aus wiederholten Verletzungen hergeleitet werden. Die Abmahnung hat deshalb im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes gerade bei verhaltensbedingten Gründen, insbesondere Vertragspflichtverletzungen, erhebliche Bedeutung. Einem Arbeitnehmer, dem nach einer Störungshandlung eine Kündigung nicht angedroht worden ist, nimmt aus seiner Sicht vielleicht an, der Arbeitgeber lege auf eine genaue Einhaltung des Vertrages keinen so großen Wert. Die Abmahnung dient der Objektivierung der negativen Prognose. Ist eine Kündigungsandrohung ordnungsgemäß erfolgt und wiederholt der Arbeitnehmer das beanstandete Verhalten, ist in der Regel davon auszugehen, dass künftig mit weiteren Störungen zu rechnen sein wird (a.a.O., Rn 198 f. m.w.N.).
b. Gemessen an diesen Maßstäben ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass vorliegend jedenfalls im Rahmen der Interessenabwägung die überwiegenden Argumente dafür sprechen, dass im Ergebnis und mit Blick auf diese stets vorzunehmende Interessenabwägung kein hinreichender Kündigungsgrund vorliegt.
Vorliegend ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass nach Auffassung der Kammer zwar letztendlich dahinstehen kann, ob ein Kündigungsgrund an sich gegeben ist, von einem solchen aber durchaus ausgegangen werden könnte, dies insbesondere mit Blick auf die Weisungen und das Verhalten der Klägerin betreffend die An- und Abmeldung am Arbeitsplatz. Zum einen dürfte die Regelung in der Betriebsvereinbarung Raum lassen für konkrete Weisungen des Arbeitgebers. Zum anderen sind entsprechende Verstöße gegen diese Weisungen mit Abmahnungen versehen worden und darauf hingewiesen worden, dass eine weitere Pflichtverletzung die Kündigung zur Folge haben könne.
Dennoch ist die Kammer im Ergebnis zu der Überzeugung gelangt, dass im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung nicht Hinreichendes vorliegt, um das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Berücksichtigt wurde hier insbesondere der Umstand, dass eine negative Prognose dann angenommen werden kann, wenn die Vertragsstörung so geartet war, dass daraus geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig seine Vertragspflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen. Vorliegend besteht erheblicher Streit zwischen den Parteien betreffend die Einrichtung des Arbeitsplatzes als solchen und damit auch und gerade betreffend die Ursache für den Streit hinsichtlich An- und Abmeldepflichten sowie der gesonderten Berichtspflichten. Darüber hinaus ist die Klägerin nach ihrem Vortrag der Ansicht, dass die Weisungen der Beklagten letztlich gegen die geltenden Vereinbarungen bei der Beklagten verstoßen und letztlich eine ungerechtfertigte Sonderbehandlung der Klägerin darstellten. Nimmt man das in die Abwägung mit auf, so zeigt der Vortrag der Klägerin jedenfalls eine erhebliche Unklarheit betreffend die sie tatsächlich rechtlich verbindlich treffenden Verpflichtungen auf. Letztlich liegt in der Zusammenschau in dem Verstoß gegen die An- und Abmeldevorgaben der Beklagten auch kein über die Maßen gravierender Arbeitspflichtenverstoß. Gleiches gilt wenn man die von der Beklagten vorgetragenen Verstoße gegen die Berichtspflichten als zutreffend unterstellte. Vielmehr ist die Kammer nach umfassender Abwägung zu der Überzeugung gelangt, dass die der Klägerin zum Vorwurf gemachten Verstöße letztlich im Kern nicht die Prognose erlauben, dass die Klägerin auch künftig ihre Arbeitspflichten nicht erfüllen wolle und werde. Letztlich kann hier der Hintergrund der Auseinandersetzung, die wie die Beklagte selbst vorträgt, seit mehreren Jahren andauern, nicht außer Acht gelassen werden. Im Rahmen der stets anzustellenden Prognoseentscheidung ist daher zu berücksichtigen, dass die im Raume stehenden Vertragspflichtverletzungen in einem inneren Zusammenhang mit der Zuweisung des Arbeitsplatzes und der dieser vorausgehenden Konflikte stehen. Das lässt ganz ausdrücklich nicht den Schluss zu, dass vor dem Hintergrund bestehender Konfliktsituationen Arbeitsanweisungen des Arbeitgebers nicht zu befolgen wären. Dennoch ist aber im Rahmen der negativen Zukunftsprognose, die auch im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung anzustellen ist, zu Fragen, ob der streitgegenständliche Pflichtverstoß tatsächlich eine Zukunftsprognose zulässt, die den Schluss nahelegt, die jeweilige Klagepartei werde auch in Zukunft in gravierendem Maße bzw. beharrlich Arbeitspflichtverstöße begehen. Dies ist vorliegend in hohem Maße fraglich, wenn man den zugrundeliegenden Konflikt hinwegdenkt bzw. eine Lösung desselben hinzudenkt. Hinzutritt, dass im vorliegenden Fall der Klägerin mehrere Abmahnungen in einem sehr kurzen Zeitraum erteilt wurden, wohingegen – nachdem Vortrag der Beklagten selbst – der zugrundeliegende Konflikt und auch damit im Zusammenhang stehenden Pflichtverstöße aus Sicht der Beklagten seit längerer Zeit andauerten. Mit Blick auf die Warnfunktion der Abmahnung und dem Umstand, dass Abmahnungen der Objektivierung der zukünftigen negativen Prognose dienen, ist dies ein weiterer Gesichtspunkt der nach Auffassung der Kammer keine für die Kündigung erforderliche hinreichende negative Prognose zulässt. Demgegenüber greifen die von der Beklagten vorgetragenen – für sich genommen sicherlich gewichtigen Argumente – nicht durch. Dies insbesondere mit Blick auf die Häufigkeit der Verletzungen und den Umstand, dass nach Auffassung der Beklagten diese noch nicht über eine lange Betriebszugehörigkeit verfüge. Was die Häufigkeit der Vertragsverletzungen angeht, ist der Beklagten zuzugeben, dass dies durchaus im Rahmen der Interessensabwägung eine gewichtige Rolle spielen kann. Vorliegend ist dies aber insbesondere im Zusammenhang mit der Häufung der Abmahnungen in einem durchaus kurzen Zeitraum nur beschränkt möglich.
2. Auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Die oben im Rahmen der Interessensabwägung aufgeführten Gesichtspunkte greifen hier in vergleichbarer Weise durch. Zwar ist Maßstab der Prüfung nicht die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist, aber die Überlegungen, die im Zusammenhang mit der negativen Zukunftsprognose und der stets anzustellenden Interessensabwägung oben dargetan wurden, sind auf die ordentliche Kündigung zu übertragen.
III.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits, da sie unterlegen ist, § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 ZPO.
IV.
Die Festsetzung des Streitwerts findet ihre Grundlage in § 61 Abs. 1 ArbGG, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.
V.
Gegen diese Entscheidung steht der Klägerin kein Rechtsmittel zu, da sie nicht beschwert ist. Die Beklagte kann gegen dieses Urteil Berufung einlegen. Auf anliegende Rechtsmittelbelehrungwird verwiesen.


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