Arbeitsrecht

Außerordentlichen Kündigung eines Kurierfahrers aufgrund sog. “Offboardings” des Arbeitnehmers durch den einzigen Auftraggeber des Arbeitgebers

Aktenzeichen  2 Sa 323/20

Datum:
3.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7049
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB §§ 293 ff., §§ 387 ff., § 615, § 626

 

Leitsatz

Das Einsatzverbot eines Kurierfahrers einer Spedition (“Offboarding”) durch deren einzigen Kunden (“Offboarding”) stellt für sich genommen keinen wichtigen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar. Es führt auch nicht zur Leistungsunfähigkeit des Kurierfahrers im Sinne von § 297 BGB , wenn es auf einem vertraglichen Mitspracherecht des Kunden bei der Auswahl der Kurierfahrer beruht. (Rn. 19 – 30 und 32 – 42)

Verfahrensgang

14 Ca 146/20 2020-06-23 Urt ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 23.06.2020, Az. 14 Ca 146/20, abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.12.2019, zugegangen am 20.12.2019, nicht aufgelöst worden ist.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 333,33 € brutto sowie 132,- € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 464,33 € seit 25.02.2020 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
5. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
6. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.
B.
Die Berufung ist zum größten Teil auch begründet. Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis nicht mit deren Zugang am 20.12.2019 beendet, sondern erst zum 03.01.2020. Ein wichtiger Grund für die Kündigung liegt nicht vor. Die Beklagte ist in Annahmeverzug geraten und schuldet dem Kläger das noch offene Entgelt bis 03.01.2020. Eine Überzahlung des Entgelts liegt daher nicht vor. Der Urlaubsabgeltungsanspruch für zwei Tage steht dem Kläger zu. Er ist weder verfallen, noch durch Aufrechnung erloschen. Der Verpflegungszuschuss steht dem Kläger nicht für 13 Tage, sondern nur für 11 Tage zu. Insoweit war die Berufung zurückzuweisen.
I.
Die außerordentliche Kündigung vom 16.12.2019 hat das Arbeitsverhältnis nicht mit deren Zugang am 20.12.2019 beendet. Diese Kündigung ist unwirksam. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB liegt nicht vor.
1. Der Kläger kann jeden Unwirksamkeitsgrund geltend machen, da er innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage gegen die außerordentliche Kündigung vom 16.12.2020 erhoben hat (§§ 4 Satz 1, 7, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG).
2. Die Kündigung ist unwirksam, da ein wichtiger Grund, der die außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnte, nicht vorliegt (§ 626 BGB).
a. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (st. Rspr. z.B. BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn 15, juris). Die Darlegungs- und Beweislast für alle Tatsachen, die die außerordentliche Kündigung begründen, trägt im Kündigungsschutzprozess der Arbeitgeber.
b. Ein „an sich“ wichtiger Grund für die Kündigung liegt bereits nicht vor.
aa. Das Offboarding durch A. stellt für sich genommen keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar.
(1) Die Beklagte beruft sich insbesondere im Berufungsverfahren nicht darauf, dass die Beschwerden von Kunden gegenüber ihrem Auftraggeber A. berechtigt gewesen wären, er also Vertragsverstöße begangen habe. Vielmehr sei Kündigungsgrund der Umstand, dass massive Beschwerden von A.-Kunden über den Kläger eingegangen seien, insgesamt 21 Beschwerden im Zeitraum vom 01.12.2019 – 18.12.2019. Aufgrund dieser Beschwerden sei der Kläger dann von A. mit E-Mail vom 16.12.2019 als Fahrer gesperrt worden („Offboarding“). Andere Einsatzmöglichkeiten für den Kläger habe es nicht gegeben, da A. der einzige Kunde der Beklagten sei. Damit macht die Beklagte geltend, dass dem Kläger die Fähigkeit zur Leistungserbringung auf Grund der Sperrung durch A. fehle. Damit macht sie einen personenbedingten Kündigungsgrund geltend.
(2) Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB kann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer auf Grund von Umständen, die in seiner Sphäre liegen, zu der nach dem Arbeitsvertrag vorausgesetzten Leistung auf unabsehbare Dauer nicht mehr in der Lage ist. Darin liegt regelmäßig eine schwere und dauerhafte Störung des vertraglichen Austauschverhältnisses, der der Arbeitgeber, wenn keine andere Beschäftigungsmöglichkeit besteht, mit einer außerordentlichen Kündigung begegnen kann. Dies gilt allerdings nur ausnahmsweise, insbesondere wenn eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen ist (APS-Vossen, 6. Aufl., § 626 BGB Rn 83 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung), da eine personenbedingte Kündigung verschuldensunabhängig ist.
(3) Im vorliegenden Fall steht schon nicht fest, ob das sog. „Offboarding“ ein Beschäftigungsverbot auf unabsehbare Zeit bei A. bedeutet. Die Beklagte war sich in der mündlichen Verhandlung auf Rückfrage des Gerichts nicht sicher, wie lange dieses „Offboarding“ zu einem Beschäftigungsverbot bei A. führt, nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, mittlerweile wieder für einen anderen Arbeitgeber im Auftrag von A. als Kurierfahrer tätig zu sein. Damit steht gerade nicht fest, ob der Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung auf unabsehbare Dauer an der Arbeitsleistung verhindert war.
(4) Hinzukommt, dass der Arbeitgeber grundsätzlich das Wirtschaftsrisiko trägt. Zu diesem gehört auch die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist. Zwar handelt es sich beim Offboarding des Klägers durch A. nicht um einen betriebsbedingten Kündigungsgrund, sondern um einen personenbedingten. Im vorliegenden Fall ist der Kläger jedoch allgemein als Kurierfahrer eingestellt. Dass dies bei A. erfolgen muss, ist arbeitsvertraglich nicht vereinbart. Im Gegenteil: § 3 des Arbeitsvertrags enthält sogar eine Versetzungsklausel dahin, auch andere Arbeiten an einem anderen Ort auszuführen. Das Risiko, dass die Beklagte ausschließlich für A. tätig ist und daher andere Arbeitsplätze für den Kläger aufgrund des „Offboardings“ nicht zur Verfügung stehen, liegt daher für die Dauer der Kündigungsfrist jedenfalls nicht vollständig beim Kläger. Auch deshalb ist der Beklagten das Festhalten am Arbeitsvertrag bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zuzumuten.
(5) Selbst wenn zum Zeitpunkt der Kündigung von einem dauerhaften Leistungshindernis auszugehen wäre, wäre der Ausspruch einer ordentlichen Kündigung ausreichend gewesen, um hierauf im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu reagieren. Die Beklagte beruft sich auf einen personenbedingten Kündigungsgrund. Gerade in Fällen des dauernden Leistungshindernisses lässt das BAG eine außerordentliche Kündigung grundsätzlich nur dann zu, wenn die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist und eine der ordentlichen Kündigung entsprechende soziale Auslauffrist eingehalten wird. Die ordentliche Kündigung ist hier aber nicht ausgeschlossen. Der Beklagten ist daher die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der zweiwöchigen Kündigungsfrist zuzumuten.
bb. Auf einen verhaltensbedingten Grund für die außerordentliche Kündigung kann sich die Beklagte nicht stützen. Erstinstanzlich hat die Beklagte dem Kläger noch vorgeworfen, Unterschriften der Nachbarn von Zustellungsempfängern gefälscht zu haben, um eine Zustellung vorzutäuschen. Sie hat dazu u.a. 7 Ausdrucke sog. Notes (Blatt 58 ff = Anlage B6) vorgelegt. Dies würde, unterstellt die Vorwürfe träfen zu, an sich einen wichtigen verhaltensbedingten Grund zur Kündigung darstellen. Der Kläger hat allerdings bestritten, Unterschriften gefälscht zu haben. Es sei bekannt, dass A. aus Kundenfreundlichkeit nicht prüfe, ob Pakete angekommen seien. Bei Reklamation werde noch mal ausgeliefert. Einen Beweis dafür, dass der Kläger tatsächlich Unterschriften gefälscht habe, hat die Beklagte nicht angetreten. Im Berufungsverfahren hat sie ihre diesbezüglichen Behauptungen nicht wiederholt, sondern nur die Praktizierung des sog. Phasenmodells durch A. und die Information der Beklagten über die „Concessions“ unter Beweis gestellt. Auf den erstinstanzlichen Vortrag ist auch nicht Bezug genommen.
cc. Auf den Verdacht einer schweren Pflichtverletzung hat die Beklagte ihre Kündigung ohnehin nicht gestützt. Dies wäre aber Voraussetzung, da es sich insoweit um einen von der Tatbegehung abzugrenzenden eigenständigen Kündigungsgrund handelt, der wiederum einen Eignungsmangel als personenbedingten Kündigungsgrund darstellen würde (BAG 31.01.2019 – 2 AZR 426/18 Rn 20).
dd. Das Arbeitsverhältnis hat daher auf Grund der gleichzeitig ausgesprochenen und vom Kläger nicht angegriffenen ordentlichen Kündigung zum 03.01.2020 geendet.
II.
Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von Entgelt für die Zeit vom 01.01. – 03.01.2020 in Höhe von 200,- € brutto. Dies folgt für den 02. und 03.01.2020 aus §§ 611a Abs. 2, 615 BGB, für den 01.01.2020 aus § 2 EFZG. Die Beklagte hat sich während der Kündigungsfrist in Annahmeverzug befunden.
1. Ob sich der Arbeitgeber im Verzug mit der Annahme der Arbeitsleistung befunden hat mit der Folge Arbeitsentgelt auch ohne Arbeitsleistung fortzahlen zu müssen, richtet sich nach §§ 293 ff BGB. Danach kommt der Arbeitgeber nach Ausspruch einer unwirksamen Kündigung in Annahmeverzug, ohne dass es eines tatsächlichen oder wörtlichen Angebots der Arbeitsleistung bedarf (BAG 11.01.2006 – 5 AZR 98/05 Rn 11 mwN).
2. Der Kläger war auch leistungsfähig im Sinne von § 297 BGB.
a. Unbeschadet der sonstigen Voraussetzungen kommt der Arbeitgeber nach § 297 BGB nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außer Stande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die Leistungsfähigkeit ist – neben dem Leistungswillen – eine vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen muss. Unerheblich ist dabei die Ursache für die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Das Unvermögen kann auf tatsächlichen Umständen (wie z.B. Arbeitsunfähigkeit) beruhen oder ihre Ursache im Rechtlichen haben, etwa wenn ein gesetzliches Beschäftigungsverbot besteht (z.B. fehlende Arbeitserlaubnis) oder eine erforderliche Erlaubnis für das Ausüben der geschuldeten Tätigkeit (Fahrerlaubnis, Fluglizenz, Einsatzgenehmigung bei den US-Streitkräften) fehlt (st. Rspr., vgl. nur BAG 28.09.2016 – 5 AZR 224/16 Rn 23 mwN; ErfK-Preis 21. Aufl., § 615 BGB, Rn 43 mwN). Die geschuldete Leistung ist dabei diejenige, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wirksam auf Grund seines Direktionsrechts zuletzt zugewiesen hat (BAG 19.10.2010 – 5 AZR 162/09 – Rn 16). Dem gleichgestellt hat das BAG auch den Fall, dass der Kunde, bei dem der Arbeitnehmer eingesetzt wird, dem Arbeitnehmer ein Hausverbot erteilt (BAG 28.09.2016 – 5 AZR 224/16 Rn 25).
Kann dagegen der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nur deshalb nicht einsetzen, weil er dem Kunden vertraglich ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Arbeitnehmer eingeräumt hat, und widersetzt sich der Kunde dem Einsatz eines bestimmten Arbeitnehmers, begründet das grundsätzlich kein Unvermögen dieses Arbeitnehmers, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Bei einem solchen „Einsatzverbot“ scheidet Annahmeverzug des Arbeitgebers erst aus, wenn ihm nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des Arbeitslebens die Annahme der Arbeitsleistung unzumutbar ist (BAG 21.10.2015 – 5 AZR 843/14 – Rn 33 f).
Die Darlegungs- und Beweislast für die Leistungsunfähigkeit trägt der Arbeitgeber (BAG 22.08.2018 – 5 AZR 592/17 Rn 25).
b. A. hat mit dem „Offboarding“ des Klägers offensichtlich nicht vom eigenen Hausrecht, sondern von einem vertraglichen Mitspracherecht bei der Auswahl der Mitarbeiter Gebrauch gemacht.
Hierfür spricht zunächst die E-Mail vom 16.09.2019 von A. an die Beklagte, in der es heißt: „Folgende Actions werden für die Fahrer getroffen“. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass A. das Offboarding in Ausübung des Hausrechts selbst gegenüber den Fahrern verfügt hat. Sonst müsste es heißen: „Actions sind getroffen worden“.
Weiterhin hat der Kläger ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Stundenzettels vom Dezember 2019 (Blatt 65 der Akten) noch bis einschließlich 18.12.2019 als Kurierfahrer gearbeitet, also noch zwei Tage über das Offboarding hinaus. Hieraus folgt unzweideutig, dass A. nicht unmittelbar gegenüber dem Kläger vom Hausrecht Gebrauch gemacht hat, sonst wäre dem Kläger die Arbeit als Kurierfahrer für A. bereits seit 16.12.2019 nicht möglich gewesen. Dies deckt sich mit der Behauptung des Klägers, dass erst am 18.12.2019 hinsichtlich der vermeintlich verloren gegangenen Pakete eine Besprechung mit dem Schichtleiter stattgefunden habe (Klageschrift Seite 3, Blatt 4 der Akte). Auch aus der E-Mail von A. vom 21.12.2019 (Blatt 56 der Akten) folgt nichts Anderes. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte die außerordentliche Kündigung ausgesprochen und diese war dem Kläger zugegangen. Die Mitteilung an die Beklagte, dass der Kläger „von der Anmeldung ausgeschlossen“ wurde, ist daher nur folgerichtig, heißt aber nicht, dass A. unabhängig von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen Kläger und Beklagter vom eigenen Hausrecht Gebrauch gemacht hat.
Darüber hinaus beruft sich die Beklagte auch nicht darauf, dass sie den Kläger wegen eines Hausverbots auch nicht mit anderen Arbeiten beschäftigen durfte. Gegen die vom Kläger vorgeschlagene Tätigkeit des ausschließlichen Be- und Entladens wendet die Beklagte nur ein, dass Be- und Entladetätigkeiten in einem eng getakteten System von den jeweiligen Fahrern selbst durchgeführt würden, nicht etwa, dass der Kläger das Lager nicht mehr betreten durfte.
Letztlich ist nicht einmal klar, wer Inhaber des Hausrechts des vom Kläger für das Be- und Entladen der Fahrzeuge anzufahrenden Lagers ist.
3. Der Beklagten war die Annahme der Arbeitsleistung des Klägers nicht unzumutbar. Unzumutbarkeit in diesem Sinne ist nur anzunehmen, wenn der Grund schwerer wiegt als der für die fristlose Kündigung, da ansonsten die sonstigen Unwirksamkeitsgründe des § 13 Abs. 3 KSchG weitgehend sanktionslos blieben. So reichte etwa ein schwerer Diebstahl durch den Betriebsleiter nicht aus, die Unzumutbarkeit zu begründen (BAG 29.10.1987, NZA 1988, 456; eingehend ErfK-Preis, 21. Aufl., § 615 BGB, Rn 63). Die Behauptung der Unterschriftenfälschung und das Verschwinden von Paketen ist in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht ausreichend, unabhängig davon, dass dies vom Kläger bestritten ist. Hinzukommt, dass die Beklagte die vertraglichen Grundlagen, auf die sich das „Einsatzverbot“ stützt, nicht offengelegt hat, so dass nicht überprüft werden kann, ob sie überhaupt in der von ihr reklamierten Weise gebunden war. Dagegen spricht, dass der Kläger noch zwei Tage nach dem „Offboarding“ vom 16.12.2019 weitergearbeitet hat. Die Beklagte hat auch nicht dargelegt, welche Folgen sie befürchten musste, hätte sie sich dem Verlangen von A. widersetzt.
4. Die Höhe des Entgelts ist zwischen den Parteien unstreitig. Danach ist ein Tag mit 66,66 € brutto zu bewerten.
5. Der Entgeltanspruch ist nicht verfallen. Er wurde innerhalb der dreimonatigen Verfallfrist des § 12 Arbeitsvertrag mit Klageerweiterung vom 19.02.2020 geltend gemacht.
6. Der Entgeltanspruch ist nicht durch Aufrechnung erloschen.
a. Die Beklagte hat die Aufrechnung mit Schriftsatz vom 17.04.2020 (Blatt 45 der Akten) erklärt (§ 398 BGB).
b. Die Aufrechnung mit dem (vermeintlich) überzahlten Entgelt ist bereits unzulässig.
Will der Arbeitgeber gegen Entgeltforderungen aufrechnen, kann er grundsätzlich nur gegen den Nettolohnanspruch aufrechnen, er bleibt zur Abführung der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet. Im Fall der Entgeltüberzahlung ebenso wie bei Rückforderungen von Einmalzahlungen kann der Arbeitgeber nur die Nettozuvielzahlung zurückfordern und diese gegen den Nettolohnanspruch des Arbeitnehmers aufrechnen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass eine Klage auf Rückzahlung der Bruttovergütung einschließlich der Arbeitnehmer-Anteile zur Sozialversicherung unzulässig ist; der Arbeitgeber kann vielmehr nur den Nettobetrag einklagen und muss hinsichtlich der zu beziffernden Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung die Abtretung des Erstattungsanspruchs gegen den Sozialversicherungsträger beantragen (BAG 21.01.2015 – 10 AZR 84/14; Küttner/Griese, Personalbuch 2020, Aufrechnung Rn 5). Soweit in der Literatur teilweise vertreten wird, eine Aufrechnung brutto gegen brutto sei ausnahmsweise zulässig, weil dann die sich gegenüberstehenden Forderungen im wirtschaftlichen Ergebnis gleich seien, kann dem nicht gefolgt werden. Zum einen kann von einer wirtschaftlichen Gleichwertigkeit nur ausgegangen werden, wenn die Beitragsbemessungsgrenzen nicht tangiert und diese Sozialversicherungsbeiträge auch im Übrigen unverändert geblieben sind. Die Klärung derartiger Vorfragen obliegt aber nicht den Arbeitsgerichten, sondern ist den Sozialgerichten vorbehalten. Zum anderen ist bei einer Aufrechnung brutto gegen brutto nicht sichergestellt, dass dem Arbeitnehmer tatsächlich der pfändungsfreie Beitrag verbleibt, weil sich dieser nur aus dem Nettobetrag bestimmen lässt (LAG Schleswig-Holstein 24.09.2019 – 1 Sa 108/19 – Rn 76, juris; LAG Berlin-Brandenburg 20.11.2018 – 21 Sa 866/13 – Rn 128 ff, juris). Rechnet ein Arbeitgeber gegen Bruttoeinkommen auf, obliegt es ihm jedenfalls vorzutragen, dass die Sozialversicherungsbeiträge der sich gegenüberstehenden Forderungen unverändert geblieben sind und Beitragsbemessungsgrenzen nicht berührt wurden. Ferner muss er zur Einhaltung der Pfändungsschutzvorschriften vortragen (Schaub/Linck, Arbeitsrechtshandbuch, 18. Aufl., § 73, Rn 9).
c. Die Aufrechnung wäre aber auch unbegründet.
aa. Zum einen ist ein Entgeltrückzahlungsanspruch für die Zeit zwischen Zugang der Kündigung am 20.12.2019 und dem 31.12.2019 nicht entstanden (s.o.).
bb. Zum anderen wäre ein solcher Anspruch auf Grund der arbeitsvertraglichen Verfallklausel erloschen. Nach § 12 des Arbeitsvertrags (Blatt 8 der Akten) verfallen alle Ansprüche, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit gegenüber dem Vertragspartner schriftlich geltend gemacht werden. Der Rückzahlungsanspruch wäre am 01.01.2020 entstanden und am 02.01.2020 fällig gewesen. Die dreimonatige Verfallfrist hätte daher am 02.04.2020 geendet. Geltend gemacht hatte die Beklagte den Rückzahlungsanspruch erst mit Schriftsatz vom 17.04.2020. Hierauf wurde die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom Gericht auch hingewiesen.
III.
Der Kläger hat Anspruch auf Urlaubsabgeltung für zwei Tage in Höhe von 133,33 € brutto gem. § 7 Abs. 4 BUrlG.
1. Das Arbeitsverhältnis bestand vom 12.11.2019 – 03.01.2020. Der jährliche Urlaubsanspruch betrug 20 Arbeitstage ausgehend von einer Fünf-Tage-Woche. Hieraus ergibt sich für 2019 ein Urlaubsanspruch von rechnerisch 1,66 Tagen nach § 5 Abs. 1 lit. a BUrlG, aufgerundet nach § 5 Abs. 2 BUrlG also zwei Tage. Der Urlaub wurde nicht in Natur genommen. Der Urlaubsanspruch des Klägers ist am Jahresende 2019 auch nicht verfallen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte den Kläger zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt hat und der Kläger den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat (EuGH 06.11.2018, NZA 2018, 1474; BAG 19.02.2019, NZA 2019, 977; BAG 22.10.2019, NZA 2020, 307; ErfK-Gallner, 21. Aufl., § 1 BUrlG, Rn 12a mwN). Mit Ende des Arbeitsverhältnisses wandelte sich der Urlaubsanspruch in einen Geldanspruch auf Abgeltung des Urlaubs um (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Die Höhe des Abgeltungsanspruchs für zwei Tage von 133,33 € brutto ist zwischen den Parteien nicht streitig.
2. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist nicht verfallen und nicht gem. §§ 387, 389 BGB durch Aufrechnung erloschen. Die Verfallfrist ist eingehalten. Die Aufrechnung ist unzulässig und wäre auch unbegründet. Auf die Ausführungen zum Entgeltanspruch für 01.01.2020 – 03.01.2020 wird Bezug genommen (s.o. unter B. II. 5. und 6.).
IV.
Dem Kläger steht auch der Verpflegungszuschuss für zuletzt noch geltend gemachte 11 Tage im Dezember 2019 in Höhe von täglich 12,- € netto zu (= 132,- € netto). Dass der Kläger im Dezember an 11 Tagen mehr als 8 Stunden gearbeitet hat, nicht aber an 13 Tagen, ist zwischen den Parteien nicht mehr streitig. In Höhe von 24,- € war die Berufung daher zurückzuweisen.
1. Zwar konnte der Kläger keinen Beweis für eine ausdrückliche Vereinbarung mit der Beklagten erbringen. Allerdings ergibt sich aus der von der Beklagten vorgelegten Stundenaufstellung vom Dezember 2019 (Anlage B 7, Blatt 65 der Akten), dass der Kläger im Dezember 2019 an 11 Tagen unstreitig mehr als 8 Stunden gearbeitet hat, wobei hier jeweils Spesen von 12,- € vermerkt sind. Unstreitig wurde ihm der entsprechende Verpflegungszuschuss auch im November bezahlt. Dass es sich hierbei um eine freiwillige Leistung handelte, ist zwar behauptet, ein Vorbehalt aber nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht ist daher der Ansicht, dass dem Kläger mit der Auszahlung des Zuschusses von 12,- € pro Arbeitstag mit mehr als 8 Stunden im November konkludent eine entsprechende Zusage erteilt wurde, die dem Kläger nicht rückwirkend nach Erbringung der Arbeitsleistung wieder entzogen werden konnte.
2. Unabhängig davon hat der Kläger mit der Berufungsbegründung geltend gemacht, dass auch die anderen Fahrer einen solchen Zuschuss erhalten hätten. Nach Hinweis des Gerichts auf diesen Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte zwar bestritten, dass grundsätzlich ein Verpflegungszuschuss gezahlt worden sei. Damit hat sie aber nicht bestritten, dass andere Fahrer – wenn eben auch nicht alle – einen solchen Zuschuss auch im Dezember erhalten haben. Es hätte dann ihr oblegen darzulegen, nach welchen Kriterien welche Fahrer einen Verpflegungszuschuss erhalten haben, um dem Gericht die Möglichkeit zu geben zu prüfen, ob eine am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messende sachwidrige Gruppenbildung erfolgt ist oder nicht. Denn der Kläger hat hierauf erwidert, nähere Angaben zu anderen Fahrern, die einen Verpflegungszuschuss erhalten haben, nicht machen zu können. Dies ist auch nachvollziehbar. Immerhin wurde dem Kläger nach gut einem Monat bereits die (fristlose) Kündigung ausgesprochen. Eine Schriftsatzfrist wurde von keiner Seite beantragt.
3. Zurecht ist die Zahlung auf einen Nettobetrag gerichtet. Die Verpflegungspauschale war nach § 3 Abs. 4a EStG im Jahre 2019 bis zu 12,- € täglich bei Abwesenheit von mehr als 8 Stunden steuerfrei. Die Pauschale wurde ab 01.01.2020 auf 14,- € erhöht. Nach § 3 EStG steuerfreie Einnahmen unterliegen nicht der Sozialversicherungspflicht, § 1 Abs. 1 Nr. 1 SvEV.
V.
Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Zinslauf beginnt antragsgemäß am 25.02.2020, dem Tag nach Rechtshängigkeit der Zustellung der Klageerweiterung §§ 187 Abs. 1 BGB, 261 Abs. 2 iVm 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Zustellung des Schriftsatzes vom 19.02.2020 ist im Laufe des 24.02.2020 erfolgt.
VI.
Nach alledem war die Berufung weitestgehend erfolgreich und der Klage im zuletzt geltend gemachten Umfang bis auf einen Betrag von 24,- € stattzugeben.
C.
I.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Zurücknahme des Berufungsantrags zu III (Abrechnung: Streitwert 24,45 €) und die Zurückweisung der Berufung für zwei Tage Verpflegungszuschuss ist verhältnismäßig geringfügig und fällt kostenmäßig allenfalls geringfügig ins Gewicht.
II.
Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, vgl. § 72 Abs. 2 ArbGG.


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