Arbeitsrecht

Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung per WhatsApp, treuwidriges Berufen auf Formmangel

Aktenzeichen  3 Sa 362/21

Datum:
28.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MDR – 2022, 377
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 125, § 126, § 242, § 611 a, § 615, § 623
BUrlG § 4, § 5, § 7 Abs. 4, § 11 Abs. 1 Satz 1

 

Leitsatz

Eine per WhatsApp übermittelte außerordentliche Kündigung erfüllt nicht das Schriftformer-fordernis und ist nichtig.

Verfahrensgang

5 Ca 2353/20 2021-04-26 Urt ARBGAUGSBURG ArbG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 26.04.2021 – 5 Ca 2353/20 – teilweise zu Ziff. 3 abgeändert und diese Ziffer wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 134,95 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.02.2021 zu zahlen.
II. Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
III. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber überwiegend unbegründet.
I.
Die nach § 66 Abs. 1 lit. b) und c) ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO, und damit zulässig.
II.
Die Berufung ist jedoch überwiegend unbegründet.
1. Die Kündigung vom 02.09.2020, zugestellt per WhatsApp am 22.09.2020, ist wegen Verstoßes gegen die Schriftform, §§ 623, 126 Abs. 1 BGB, nichtig, § 125 Satz 1 BGB.
a) Gemäß § 623 BGB bedarf die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündi gung zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Dies soll Rechtssicherheit für die Vertragsparteien und eine Beweiserleichterung im Rechtsstreit bewirken. Die Schriftform wird nach § 126 Abs. 1 BGB dadurch erfüllt, dass die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet wird. Durch die Unterzeichnung wird der Aussteller der Urkunde erkennbar. Sie stellt eine unzweideutige Verbindung zwischen der Urkunde und dem Aussteller her (Identifikationsfunktion). Außerdem wird durch die Verbindung zwischen Unterschrift und Erklärungstext gewährleistet, dass die Erklärung inhaltlich vom Unterzeichner herrührt (Echtheitsfunktion). Schließlich erhält der Empfänger der Erklärung die Möglichkeit zu überprüfen, wer die Erklärung abgegeben hat und ob die Erklärung echt ist (Verifikationsfunktion). Die Schriftform des § 623 i.V.m. § 126 BGB schützt damit vor allem den Kündigungsempfänger. Darüber hinaus entfaltet das Schriftformerfordernis für den Erklärenden eine Warnfunktion (vgl. BAG, Urteil vom 17.12.2015 – 6 AZR 709/14 – Rn. 27 m.w.N.).
b) Die per WhatsApp übermittelte Kündigungserklärung vom 02.09.2020 genügt dem Schriftformerfordernis des § 126 Abs. 1 BGB nicht. Die dem Kläger übersandte WhatsAppNachricht gibt lediglich die Ablichtung der Originalunterschrift des Beklagten wieder (für den vergleichbaren Fall des Telefaxes vgl. BAG, Urteil vom 17.12.2015 – 6 AZR 709/14 – Rn. 47). Ist aber die Schriftform für eine Erklärung unter Abwesenden vorgesehen, wird die Erklärung erst in dem Zeitpunkt wirksam (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB), in dem sie dem anderen Teil in der gesetzlich vorgeschriebenen Form zugeht. Es reicht nicht aus, dass der Empfänger die Erklärung unterzeichnet und den anderen Teil hierüber in anderer Form, die die Voraussetzungen nach § 126 BGB nicht wahrt, in Kenntnis setzt (vgl. BAG, Urteil vom 17.12.2015 – 6 AZR 709/14 – Rn. 47 und Urteil vom 07.07.2010 – 4 AZR 1023/08 – unter II. 1. der Gründe).
c) Dem Kläger ist die Berufung auf den Formmangel nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt.
aa) Ein Berufen auf einen Formmangel kann nur ausnahmsweise das Gebot von Treu und Glauben verletzen. Die Formvorschrift des § 623 BGB darf im Hinblick auf ihren Sinn und Zweck nicht ausgehöhlt werden. Ein Formmangel kann deshalb nach § 242 BGB nur ganz ausnahmsweise als unbeachtlich qualifiziert werden. Das Ergebnis muss für einen Vertragsteil schlechthin untragbar sein. Hierfür reicht die Erfüllung der Voraussetzungen der Verwirkung nicht aus. Es müssen vielmehr Umstände hinzukommen, die das Verhalten des Berechtigten in hohem Maße als widersprüchlich erscheinen lassen (vgl. BAG, Urteil vom 17.12.2015 – 6 AZR 709/14 – Rn. 51 m.w.N.).
bb) Diese strengen Kriterien für die Annahme eines Verstoßes gegen Treu und Glauben sind im vorliegenden Fall nicht hinreichend dargelegt worden.
Der Beklagte hat schon nicht vorgetragen, dass ihm eine Zustellung einer schriftlichen Kündigung am 02.09.2020 an den Kläger persönlich oder an dessen neue Anschrift etwa im Wege der Postnachsendung nicht möglich war. Er hat sich insoweit darauf beschränkt zu behaupten, dass der Kläger am 02.09.2020 seinen Einsatzort verlassen und seine aktuelle Anschrift nicht mitgeteilt habe. Der Beklagte hat darüber hinaus nicht dargelegt, wann der Kläger durch wen auf welche Art und Weise erfolglos um Mitteilung seiner neuen Anschrift aufgefordert worden ist. Er hat insbesondere nicht dargelegt, dass er den Kläger via WhatsApp vergeblich nach seiner neuen Anschrift gefragt habe, obwohl er über dieses Medium mit dem Kläger kommunizierte.
Der Formmangel der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 02.09.2020 aufgrund der Übersendung per WhatsApp ist für den Beklagten auch nicht schlechthin untragbar. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde jedenfalls unstreitig zum 15.02.2021 beendet. Eine frühere Beendigung unter Wahrung jedenfalls der ordentlichen Kündigungsfrist wäre möglich gewesen, wenn der Beklagte nach Zugang der Kündigungsschutzklage am 15.10.2019 versucht hätte, die Kündigung unter der ihm mit der Klageschrift bekannt gewordenen neuen Anschrift des Klägers per Post, Boten oder Gerichtsvollzieher zuzustellen. In diesem Zusammenhang kann sich der Beklagte nicht darauf berufen, diese Möglichkeiten nicht gekannt zu haben. Wenn sich der Beklagte am Markt als Unternehmer und Arbeitgeber betätigt, kann und muss er sich ggf. Rechtsrat einholen. Schließlich wäre eine Übersendung an den Prozessbevollmächtigten des Klägers, der die Vertretung mit Telefax vom 27.11.2020 angezeigt hatte, möglich gewesen. Er war zur Entgegennahme von Kündigung bevollmächtigt.
2. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von 500,00 € netto als Teil seiner Augustver gütung gemäß § 611 a Abs. 2 BGB i.V.m. seinem Arbeitsvertrag.
Zum einen scheidet § 12 des Arbeitsvertrags, wonach bei selbstverschuldeten Schäden am Fahrzeug ein Eigenanteil von 500,00 € erhoben wird, als Rechtsgrundlage aus. Diese arbeitsvertragliche Norm ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung des Klägers unwirksam. § 12 des Arbeitsvertrags erlegt dem Kläger auch bei leichtester Fahrlässigkeit eine Haftung von 500,00 € auf, obwohl er nach den Grundsätzen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung bei diesem Verschuldensmaßstab nicht haften würde. Von den aus der entsprechenden Anwendung von § 254 BGB folgenden Regeln über die Haftung im Arbeitsverhältnis kann einzelvertraglich nicht zu Lasten des Arbeitnehmers abgewichen werden (vgl. BAG, Urteil vom 05.02.2004 – 8 AZR 91/03 – unter II. 2. c) der Gründe; krit. ErfK/Preis, 21. Aufl. 2021, § 619 a BGB Rn. 11 und §§ 305 bis 310 BGB Rn. 85).
Zum anderen hat der Beklagte trotz Bestreitens durch den Kläger nicht konkret vorgetragen, dass an dem vom Kläger genutzten Transportfahrzeug ein Schaden in Höhe von mehreren tausend Euro verursacht worden und ein Selbstbehalt von 1.000,00 € erhoben worden sei. Ebenso fehlt jeder Beweisantritt.
3. Der Kläger hat Anspruch auf Vergütung für den 01.09. und 03.09.2020 in Höhe von 134,59 € brutto, §§ 611a Abs. 2, 615 BGB.
Dass der 01.09.2020 zu vergüten ist, hat der Beklagte nicht substantiiert bestritten. Er räumt vielmehr ein, dass dieser Tag „allenfalls“ zu vergüten sei. Für den 03.09.2020 fehlt es an einem Vortrag des Beklagten überhaupt. Allerdings will er gegenüber dem Kläger am 02.09.2020 mündlich die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen haben. Der Beklagte hat sich deshalb am 03.09.2020 in Annahmeverzug befunden, weil der Arbeitgeber durch Ausspruch einer rechtsunwirksamen Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist grundsätzlich in Annahmeverzug kommt, ohne dass es eines – auch nur wörtlichen – Arbeitsangebots des Arbeitnehmers bedarf, §§ 295, 296 BGB. In der Kündigung liegt nämlich zugleich die Erklärung, die Arbeitsleistung – nach Ablauf der Kündigungsfrist – nicht mehr anzunehmen (vgl. BAG, Urteil vom 14.12.2017 – 2 AZR 86/17 – Rn. 32). Die mündlich am 02.09.2020 ausgesprochene Kündigung war gem. § 623 BGB unwirksam, weil sie die Schriftform nicht wahrte.
Die Berufung ist hingegen erfolgreich, soweit der Beklagte in seiner Berufungsbegründung vorgetragen hat, dass der Kläger am 02.09.2020 wegen Alkoholisierung und/oder anderer berauschender Mittel keine Arbeitsleistung erbracht hat. Diesen Vortrag hat der Kläger nicht bestritten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Kläger an diesem Tag keine Arbeitsleistung erbracht und deshalb auch keinen Anspruch auf Vergütung hat, §§ 611 Abs. 1, 611 a Abs. 2 BGB.
Die Höhe der Vergütung berechnet sich entsprechend dem Klageantrag (§ 308 Abs. 1 ZPO) mit 2/30 aus 2.024,27 € brutto.
4. Der Beklagte schuldet dem Kläger Urlaubsabgeltung in Höhe von beantragten 1.868,40 € brutto gemäß §§ 7 Abs. 4, 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG.
Nachdem im Anschluss an die vorstehenden Ausführungen feststeht, dass die per WhatsApp am 22.09.2020 zugegangene außerordentliche fristlose Kündigung vom 02.09.2020 das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat, steht nach den nicht angegriffenen weiteren Feststellungen des Arbeitsgerichts fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 15.02.2021 endete. Folglich liegen die Voraussetzungen für einen Teilurlaub nach § 5 Abs. 1 BUrlG nicht vor. Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem 01. Juli begonnen hat, entsteht kein Teilurlaubsanspruch, sondern nach Ablauf von sechs Monaten ein Vollurlaubsanspruch nach § 4 BUrlG (vgl. ErfK/Gallner, 21. Aufl. 2021, § 5 BUrlG, Rn. 6; Linck in Schaub, ArbRHdb, 19. Aufl. 2021, § 104, Rn. 25 und 63). Das am 02.06.2020 begonnene Arbeitsverhältnis hat länger als sechs Monate bestanden; es endete am 15.02.2021.
Im Übrigen wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe Bezug genommen, die der Beklagte mit seiner Berufungsbegründung auch nicht in Zweifel gezogen hat.
5. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
IV.
Es bestand kein Grund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG, die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben