Arbeitsrecht

Berufliche Grundausbildung in der DDR

Aktenzeichen  L 19 R 263/16

Datum:
22.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 136013
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 124 Abs. 2, § 143, § 144, § 151

 

Leitsatz

Die berufliche Grundausbildung der Klassen 9 und 10 der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule in der DDR ist nicht als fiktive Beitragszeit im Sinne des § 247 Abs. 2a SGB VI anzuerkennen.

Verfahrensgang

S 3 R 311/13 2016-03-16 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 16.03.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).
Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht eine Berücksichtigung der vom Kläger geltend gemachten Zeit vom 01.09.1964 bis 31.08.1966 abgelehnt. Für diesen Zeitraum können für den Kläger weder Pflichtbeitragszeiten, noch fiktive Pflichtbeitragszeiten nach § 247a SGB VI noch weitere Anrechnungszeiten berücksichtigt werden. Der Kläger hat infolge dessen auch keinen Anspruch auf eine höhere Altersrente.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger in dem hier streitigen Zeitraum die 9. und 10. Klasse der polytechnischen Oberschule in der ehemaligen DDR absolviert hat und sich dem Schulbesuch unterziehen musste. Parallel dazu lief aufgrund des Vorvertrages eine betriebliche Grundausbildung beim VEB Bau- und Montagekombinat Kohle und Energie. Diesen sogenannten Vorvertrag haben nicht nur der Kläger (zusammen mit seinem gesetzlichen Vertreter) und der Vertreter des Kombinats unterschrieben, wie dies bei einem Lehrvertrag ansonsten üblich gewesen wäre, sondern auch ein Vertreter der Oberschule, woraus bereits ersichtlich wird, dass die Zeit vom 01.09.1964 bis 31.08.1966 keine Zeit der beruflichen Ausbildung darstellt, sondern eine Zeitphase, in der in den üblichen schulischen Ablauf Elemente einer betrieblichen Grundausbildung integriert wurden, um anschließend die Zeitdauer einer beruflichen Ausbildung zu verkürzen. Aus dem Vorvertrag ergibt sich unter Ziffer 3, dass die spezielle Berufsausbildung im Anschluss an die berufliche Grundausbildung als Lehrling im Betrieb ab dem 01.09.1966 beginnt. Dementsprechend sind im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung auch erst die Zeiten ab dem 01.09.1966 als versicherungspflichtige Tätigkeit mit Entgelt ausgewiesen.
Nach § 248 Abs. 3 S. 1 SGB VI stehen den Beitragszeiten nach Bundesrecht Zeiten nach dem 8.5.1945 gleich, für die Beiträge zu einem System der gesetzlichen Rentenversicherung nach vor dem Inkrafttreten von Bundesrecht geltenden Rechtsvorschriften gezahlt worden sind. Beiträge zur Sozialversicherung der DDR sind aber in dem hier streitigen Zeitraum für den Kläger unstreitig nicht gezahlt worden, so dass insoweit Beitragszeiten nicht anerkannt werden können. § 248 Abs. 3 S. 2 SGB VI stellt darüber hinaus auch klar, dass Zeiten der Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung keine Beitragszeiten im Beitrittsgebiet sind.
Eine Berücksichtigung von Pflichtbeitragszeiten könnte deshalb allenfalls nach § 247 Abs. 2a SGB VI erfolgen, d.h. als fiktive Pflichtbeitragszeiten. Gemäß § 247 Abs. 2a SGB VI gelten als Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung auch Zeiten, in denen in der Zeit vom 01.06.1945 bis 30.06.1965 Personen als Lehrling oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt waren und grundsätzlich Versicherungspflicht bestand, eine Zahlung von Pflichtbeiträgen für diese Zeiten jedoch nicht erfolgte (Zeiten einer beruflichen Ausbildung). Diese Regelung wollte dem Umstand Rechnung tragen, dass Fälle denkbar waren, bei denen kraft Gesetzes Versicherungspflicht zur Sozialversicherung (auch der DDR) bestanden hat, Pflichtbeiträge aber für die Versicherten tatsächlich nicht entrichtet wurden (z. B. sog. „Meistersöhne“). Eine Berücksichtigung solcher fiktiven Pflichtbeitragszeiten nach § 247 Abs. 2a SGB VI ist aber nur dann möglich, wenn tatsächlich bereits mit Aufnahme der betrieblichen Grundausbildung ab dem 01.09.1964 eine Versicherungspflicht des Klägers als Lehrling bestanden hätte.
Die Beklagte hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass die Versicherungspflicht einer Tätigkeit als Lehrling nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts voraussetzt, dass der Lehrling als Auszubildender in einen Ausbildungsbetrieb eingegliedert ist, dort einem ständigen Weisungsrecht eines Arbeitgebers unterliegt und er im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses auch für den Beruf entsprechend qualifiziert wird. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger gerade nicht. Er hat in der fraglichen Zeit die 9. und 10. Klasse der polytechnischen Oberschule absolviert und diese auch erfolgreich bestanden. Kurse und Inhalte der betrieblichen Grundausbildung waren in den normalen Schulalltag der 9. und 10. Klassen der polytechnischen Oberschulen integriert, waren zeitlich dem übrigen Unterricht aber nicht übergeordnet. Eine betriebliche Einweisung im Rahmen von Praktikumsabschnitten in den Ferienzeiten ist ebenfalls nicht vergleichbar mit einer dauerhaften arbeitsrechtlichen Einordnung eines Lehrlings in einen Ausbildungsbetrieb und vermag den prägenden Charakter der Schulausbildung nicht zu ändern. Im übrigen bestand aufgrund eines solchen Vorvertrages, wie ihn der Kläger abgeschlossen hatte, durchaus auch die Möglichkeit, die qualifizierte Berufsausbildung als Maurerlehrling nicht durchzuführen; Sozialversicherungspflicht trat deshalb erst mit Aufnahme der eigentlichen Lehrlingsausbildung ab 01.09.1966 ein (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg für die Erweiterte Oberschule [EOS = Abiturjahrgänge], Urteil vom 22.11.2012, Az L 22 R 1188/10, veröffentlicht bei juris).
Das SG hat bereits zutreffend auf das Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 05.07.2001 (Az. L 3 RJ 221/00) hingewiesen, das sich mit der Frage der Versicherungspflicht von Schülern in der beruflichen Grundausbildung beschäftigt hat. Das LSG hat in seinem Urteil ausgeführt, dass mit Wirkung vom 01.01.1963 für Schüler der erweiterten Oberschulen neben dem Schulunterricht eine praktische Berufsausbildung eingeführt worden sei. Nach der ab 01.01.1965 geltenden „Verordnung über Entgelt und Versicherungsschutz für Oberschüler während der beruflichen Ausbildung“ vom 03.11.1964 hätten u.a. Oberschüler der Klassen 9 und 10 der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule eine berufliche Grundausbildung erhalten, die nach dem Schulabschluss fortgesetzt werden konnte. Im Rahmen der beruflichen Grundausbildung sei dem Schüler durch den Betrieb, mit dem der Lehrvertrag abgeschlossen gewesen sei, ein monatliches Entgelt von 40,00 MDN in der Klasse 9 und 50,00 MDN in Klasse 10 gewährt worden. Nach § 1 Abs. 3 der Verordnung hätten aber die Oberschüler während der beruflichen Ausbildung nicht der Versicherungspflicht zur Sozialversicherung unterlegen. Etwas anderes habe jedoch dann gegolten, wenn die berufliche Ausbildung nach dem Schulabschluss fortgesetzt worden sei. Dann sei mit Ablauf der Schulausbildung Versicherungspflicht als Lehrling nach den allgemeinen Vorschriften der Sozialpflichtversicherung eingetreten (unter Bezugnahme auf Weber, Versicherungs- und Beitragsrecht der Sozialversicherung der DDR, Stand 01.06.1979, Seite 71; vgl. LSG Sachsen-Anhalt, a.a.O., veröffentlicht bei juris, Rn. 22).
Die Beklagte hat zutreffend in den hier streitgegenständlichen Bescheiden für den Kläger Anrechnungszeiten wegen Schulbesuchs nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI anerkannt. Eine weitere Anerkennung von Anrechnungszeiten ist nicht möglich, weil die Anerkennung von Anrechnungszeiten wegen Schulbesuchs an die Vollendung des 17. Lebensjahres anknüpft. Eine allgemeine, aus Billigkeitsgründen anzuerkennende Anrechnungszeit wegen Schulbesuchs für ein weiteres Jahr ist gesetzlich ebenso wenig vorgesehen wie eine Anrechnungszeit für eine „fiktive“ Lehrlingsausbildung.
Nach alledem war die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 16.03.2016 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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