Arbeitsrecht

Betriebliche Altersversorgung – Gesamtversorgung – Anpassung – Auslegung einer Aufhebungsvereinbarung

Aktenzeichen  3 AZR 83/18

Datum:
19.11.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2019:191119.U.3AZR83.18.0
Normen:
§ 16 BetrAVG
Spruchkörper:
3. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Bonn, 8. November 2016, Az: 7 Ca 1551/16, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln, 8. September 2017, Az: 10 Sa 35/17, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird – unter Zurückweisung der Revision im Übrigen – das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 8. September 2017 – 10 Sa 35/17 – teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten wird – unter Zurückweisung der Berufungen im Übrigen – das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 8. November 2016 – 7 Ca 1551/16 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger beginnend mit dem 1. April 2017 über den Betrag von 1.237,68 Euro brutto hinaus jeweils zum Ersten eines Monats einen Betrag iHv. 42,69 Euro brutto zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag iHv. 150,72 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 12,56 Euro ab dem jeweiligen Zweiten eines Monats beginnend mit dem 2. Juli 2015 und endend mit dem 2. Juni 2016 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag iHv. 384,21 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 42,69 Euro ab dem jeweiligen Zweiten eines Monats beginnend mit dem 2. Juli 2016 und endend mit dem 2. März 2017 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 2/5 und die Beklagte zu 3/5 zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Höhe der Anpassung einer dem Kläger von der Beklagten gewährten Betriebsrente.
2
Der Kläger war vom 1. März 1980 bis zum 31. Dezember 1998 bei der Beklagten – ein in den deutschen G-Konzern eingebundenes Lebensversicherungsunternehmen – tätig. Ihm wurden zunächst Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach den „Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes“ (im Folgenden BVW) zugesagt. Diese lauten auszugsweise:
        

Ausführungsbestimmungen des betrieblichen Versorgungswerkes
         
        
…       
        
        
§ 6     
Anpassung der betrieblichen Versorgungsbezüge an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse
           
        
1.    
Die Gesamtversorgungsbezüge werden jeweils entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepaßt.
        
        
(Der § 49 AVG ist durch Artikel 1 §§ 65 und 68 SGB (VI) neu gefaßt worden. Die Änderung ist am 01.01.92 in Kraft getreten).
        
2.    
Die Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge erfolgt zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert werden.
        
3.    
Hält der Vorstand die Veränderung der Gesamtversorgungsbezüge nach Ziffer 1 nicht für vertretbar, so schlägt er nach Anhören der Betriebsräte/des Gesamtbetriebsrates dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlußfassung vor, was nach seiner Auffassung geschehen soll.
        
        
Der Beschluß ersetzt die Anpassung gemäß Ziffer 1.
        
4.    
Eine Erhöhung der Pensionsergänzungszahlung kann im Einzelfall nicht durchgeführt werden, soweit und solange die nach § 5 der Ausführungsbestimmungen anzurechnenden Bezüge und die nach § 4 der Ausführungsbestimmungen vorgesehenen Gesamtversorgungsbezüge, erreichen oder überschreiten.
        
        
Betriebsangehörige, die eine Pensionsergänzung zu den Leistungen der Versorgungskasse zunächst nicht bekommen haben, weil ihre anzurechnenden Bezüge die vorgesehenen Gesamtversorgungsbezüge erreichen oder überschreiten, erhalten gegebenenfalls bei Veränderungen nach der Ziffer 1 oder 3 später eine Pensionsergänzung allein durch das in der Ziffer 1 oder 3 dargestellte Verfahren.“
3
Der Kläger schied auf der Grundlage einer Aufhebungsvereinbarung vom 3. November 1998 aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zum 31. Dezember 1998 aus. Diese bestimmt auszugsweise:
        
„8.    
        
Die Volksfürsorge Deutsche Lebensversicherung AG gewährt Herrn M, unabhängig von der Höhe außerbetrieblicher Leistungen oder Leistungen der Versorgungskasse der Volksfürsorge VVaG., mit Beginn des Kalendermonats, von dem ab erstmals der Bezug einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung – ggf. auch mit Abschlägen – möglich ist, eine monatliche Rente von 1.215,93 DM brutto. Diese Rente wird nach den betrieblichen Bestimmungen angepaßt.“
4
Der Kläger trat zum 1. Januar 2000 in den Altersruhestand und erhielt – neben seiner Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung – von der Beklagten nach der Regelung in Nr. 8 Satz 1 Aufhebungsvereinbarung eine Betriebsrente, die sich bis zum 30. Juni 2015 auf 786,29 Euro brutto belief. Des Weiteren bezog er eine Rente der Versorgungskasse iHv. 441,26 Euro brutto.
5
Zum 1. Juli 2015 wurden die Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung um 2,09717 vH erhöht.
6
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 16. Oktober 2015 mit, dass die Geschäftsführung der Beklagten beschlossen hatte, die „Gesamtversorgungsbezüge bzw. Renten unter Anwendung der in § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes normierten Regelung zum 01.07.2015 für diesen Stichtag um 0,5 % zu erhöhen“.
7
Nach der Entscheidung der Beklagten sollten im Geltungsbereich des BVW entweder die Gesamtversorgungsbezüge um 0,5 vH erhöht und sodann die erhöhte gesetzliche Rente sowie die Versorgungskassenrente abgezogen werden oder, wenn dies für den Versorgungsempfänger günstiger war, lediglich die Pensionsergänzung um 0,5 vH erhöht werden. Demgemäß gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 1. Juli 2015 eine Pensionsergänzung iHv. 790,22 Euro brutto. Zudem erhielt er weiterhin die Rente der Versorgungskasse unverändert iHv. 441,26 Euro brutto.
8
Zum 1. Juli 2016 stiegen die Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung um 4,2451 vH.
9
Der Vorstand der Beklagten beschloss nach Anhörung der Betriebsräte und des Gesamtbetriebsrats am 20. Juni 2016, die Gesamtversorgungsbezüge bzw. Renten zum 1. Juli 2016 um 0,5 vH zu erhöhen; sofern eine Anpassung der Pensionsergänzung um 0,5 vH für den Versorgungsempfänger günstiger sein sollte, sollte diese vorgenommen werden. Der Aufsichtsrat der Beklagten fasste am 22. Juni 2016 einen entsprechenden Beschluss. Hierüber wurde der Kläger mit einem Schreiben aus August 2016 informiert. Ab dem 1. Juli 2016 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Pensionsergänzung iHv. 794,17 Euro brutto. Von der Versorgungskasse erhielt der Kläger ab dem 1. Juli 2016 eine Rente iHv. 443,51 Euro brutto.
10
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse ihm ab dem 1. Juli 2015 eine höhere Betriebsrente zahlen. Nach § 6 Ziff. 1 der Ausführungsbestimmungen (im Folgenden AB) BVW hätte seine Versorgungsleistung zu diesem Zeitpunkt um 2,09717 vH angehoben werden und die Beklagte ihm monatlich weitere 21,81 Euro brutto und ab dem 1. Juli 2016 monatlich weitere 68,81 Euro brutto zahlen müssen. Die Regelung in AB § 6 Ziff. 3 BVW sei mangels Bestimmtheit unwirksam. Jedenfalls seien ihre Voraussetzungen nicht erfüllt.
11
Die Aufhebungsvereinbarung habe das Gesamtversorgungssystem nicht abgeändert. Die Zahlung der Pensionsergänzung habe innerhalb des Systems der Versorgungsordnung erfolgen sollen. Andernfalls würde dies einen unzulässigen Verzicht auf Rechte aus einer Betriebsvereinbarung darstellen. Er würde durch eine derartige Regelung schlechter gestellt, da die Rente aus der Versorgungskasse nicht gesteigert werde. In der Aufhebungsvereinbarung sei nach seiner Kenntnis nur der Betrag genannt, der auch ohne die Vereinbarung hätte gezahlt werden müssen. Es sollte keine Unsicherheit bzgl. der Höhe durch die vorzeitige Inanspruchnahme der Rente bestehen. Im Übrigen sei der von der Beklagten berechnete Betrag nicht identisch mit dem, der in der Aufhebungsvereinbarung festgeschrieben worden sei. Zudem sei die Klausel unklar iSd. § 305c Abs. 2 BGB. Zumindest sei aber die Pensionsergänzung zu steigern. Der Kläger hat sich zudem auf eine betriebliche Übung berufen.
12
Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn beginnend mit dem 1. April 2017 über den Betrag von 1.237,68 Euro brutto hinaus jeweils zum Ersten eines Monats einen Betrag iHv. 68,81 Euro brutto zu zahlen;
        
2.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag iHv. 261,72 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 21,81 Euro ab dem jeweiligen Zweiten eines Monats beginnend mit dem 2. Juli 2015 und endend mit dem 2. Juni 2016 zu zahlen;
        
3.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag iHv. 619,29 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 68,81 Euro ab dem jeweiligen Zweiten eines Monats beginnend mit dem 2. Juli 2016 und endend mit dem 2. März 2017 zu zahlen.
13
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die Anpassungen zum 1. Juli 2015 und zum 1. Juli 2016 seien auf der Grundlage von AB § 6 Ziff. 3 BVW erfolgt. Die Regelung sei ausreichend bestimmt. Eine Anpassung nach AB § 6 Ziff. 1 BVW sei aufgrund der veränderten rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht vertretbar.
14
Die Aufhebungsvereinbarung habe die Systematik der Gesamtversorgung nach den Regelungen des BVW beendet. Die Leistungen der gesetzlichen Rente sowie der Versorgungskasse würden nicht mehr angerechnet. Durch die Festlegung eines bestimmten Betrags der Pensionsergänzung sei der Kläger nicht ungünstiger gestellt als Betriebsrentner, die nach dem BVW anspruchsberechtigt seien. Die Aufhebungsvereinbarung sei wirksam. Die Regelung der AB § 6 BVW fände allerdings auch auf den Kläger Anwendung, da sich die Anpassung gemäß Nr. 8 Satz 2 Aufhebungsvereinbarung nach den Regelungen des BVW richte.
15
Das Arbeitsgericht hat der Klage lediglich bezüglich der Pensionsergänzung stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers – unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten – der Klage vollständig stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter. Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Revision.


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