Arbeitsrecht

Betriebliche Altersversorgung: Kein Eingriff in erdiente Anwartschaftsdynamik durch ablösende Betriebsvereinbarung

Aktenzeichen  5 Sa 434/15

Datum:
17.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 120927
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BetrAVG § 16 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 30c

 

Leitsatz

1. Einzelfallentscheidung. Die Beklagte hat eine Versorgungsordnung zweimal durch Betriebsvereinbarungen abgelöst. Die Ablösungen erweisen sich als wirksam, da sie nicht in die erdiente Anwartschaftsdynamik eingegriffen haben. Dies führt zur Abweisung der Klageansprüche.
2. Der Verstoß der in einer ablösenden Betriebsvereinbarung enthaltenen Anpassungsregelung gegen § 30c BetrAVG iVm § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG führt nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Betriebsvereinbarung. An die Stelle der unwirksamen Anpassungsregelung tritt vielmehr die gesetzliche Anpassungsvorschrift (vgl. auch LAG Hamm BeckRS 2009, 52316). (Rn. 31) (red. LS Alke Kayser)

Verfahrensgang

10 Ca 1105/14 2015-09-01 Endurteil ARBGWUERZBURG ArbG Würzburg

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 01.09.2015, Aktenzeichen: 10 Ca 1105/14, wird auf Kosten des Berufungsführers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§§ 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG) und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung ist sachlich nicht begründet. Das Erstgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da dem Kläger kein ergänzender Anspruch aus einer Betriebsrente für den streitgegenständlichen Zeitraum zusteht.
Es kann insoweit vollumfänglich auf die sehr sorgfältigen und umfangreichen Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Ersturteils verwiesen werden und von einer rein wiederholenden Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sind lediglich noch folgende ergänzende Ausführungen veranlasst:
1. Nach Auffassung der erkennenden Kammer sind die jeweiligen Ablösungen der Versorgungsbestimmungen im Kalenderjahr 2002 sowie 2004 bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit jeweils getrennt zu betrachten.
a) Ausgehend von den Berechnungen der Beklagtenpartei betrug der Besitzstand aus der A… Versorgungsordnung im Zeitpunkt der Ablösung 2002 bei einer statischen Betrachtung 8.785,39 € und bei einer in dieser Versorgungsordnung vorgesehenen Dynamisierung nach VPI zum 01.01.2014 10.650,68 € p.a.. Dabei ist der Berechnung zu folgen, wie sie die Beklagte nochmals in ihrem Schriftsatz vom 03.11.2016 dargestellt hat. Für die vom Kläger begehrte Anpassung der Grund- und Steigerungsbeträge ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich. Zu vergleichen ist zunächst der dynamische Besitzstand aus der A… Versorgungsordnung mit der ab 01.02.2002 geltenden Versorgungsleistung, die sich zusammensetzt aus statischem Besitzstand der Versorgungsordnung A… und der nunmehr hinzutretenden BV 2002. Diese Versorgungsleistung beträgt 11.826,50 € p.a. (Anlage BK 4 Bl. 116 d. A.). Der dynamische Besitzstand aus der A… Versorgungsordnung liegt demzufolge unter den Gesamtansprüchen die sich aus der nunmehr geänderten Versorgungsordnung ergeben. Dies gilt auch, wenn man mit dem Kläger von einem dynamischen Besitzstand in Höhe von 10.843,55 € p.a. ausgeht.
b) Bei dem anzustellenden Vergleich zwischen der Versorgungsordnung A… und der ab dem 01.02.2002 geltenden Versorgungsregelung kann bei der Betrachtung dahingestellt bleiben, inwieweit die Regelung des § 19 in der BV 2002 gegen § 30 c i. V. m. § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG verstößt. Die Unwirksamkeit dieser Regelung führt nicht insgesamt zu einer Unwirksamkeit der gesamten Betriebsvereinbarung. § 19 stellt lediglich eine Regelung zur Anpassung dar und ist nur eine von vielen Regelungen in der Betriebsvereinbarung. Der wesentliche Inhalt der Betriebsvereinbarung ist die Definition der Höhe, der Leistungsarten und Leistungsvoraussetzungen des Betriebsrentenanspruchs. Die Betriebsvereinbarung 2002 wäre auch wirksam, wenn die Anpassungsregelung in § 19 unwirksam wäre. An diese Stelle tritt dann die gesetzlich vorgesehene Anpassungsregel, in diesem Fall würde sich jedoch auch ergeben, dass der statische Besitzstand des Klägers zum Stichtag 31.12.2001 und der sich aus der BV 2002 ergebenden Versorgungsleistung höher wäre als der dynamisierte Besitzstand des Klägers aus der A… VO.
c) Hinsichtlich der Problematik der Fortschreibung der Gehalts- und Einkommensbänder wird auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts hingewiesen.
d) Der Eingriff war insgesamt auch verhältnismäßig. Die Ablösung der A… VO führte zu einer Reduktion der Versorgungslasten und zu einer besseren Planbarkeit der Kosten. Der Eingriff war eingebettet in ein Gesamtkonzept. Bei der Verteilung der Sanierungslasten haben die Betriebspartner einen Beurteilungsspielraum. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser unverhältnismäßig angewendet wurde.
Die erkennende Kammer teilt daher sowohl die Auffassung des Erstgerichts als auch die Auffassung der Beklagten, dass im Ergebnis die Leistungen aus der Betriebsvereinbarung 2002 und dem statischen Besitzstand aus der VO A… über dem dynamischen Besitzstand der VO A… liegen und daher mit der BV 2002 nicht in die 2. Besitzstandsstufe des Klägers eingegriffen wurde.
2. Zutreffend hat das Erstgericht weiter ausgeführt, dass die GBV 2004 nicht in die 2. Besitzstandsstufe der BV 2002 eingegriffen hat. Bei der BV 2002 handelt es sich um ein sogenanntes Bausteinsystem, bei dem gemäß § 7 Abs. 1 der BV 2002 Jahresbausteine festgelegt werden, die sodann addiert werden. Die Systematik der Versorgungszusage sieht keine Dynamisierung der bereits erdienten Bausteine vor. Die in der Besitzstandsregelung des Nachtrages 1 der GBV 2004 vorgenommene Festschreibung des Besitzstandes der BV 2002 auf den Stand 31.12.2003 hat nicht zu einem Eingriff in eine von der weiteren Dienstzeit unabhängige, gehaltsabhängige erdiente Dynamik geführt. Das Erstgericht hat zutreffend ausgeführt, dass in der BV 2002 und der dort vorgesehenen Systematik keine Dynamisierung bereits erdienter endgehaltsabhängiger Anwartschaften enthalten ist.
3. Zutreffend ist insbesondere auch die Auffassung der Beklagten, dass es für die Frage der Tiefe des Eingriffs auch nicht darauf ankommt, dass zunächst die A… VO und dann die BV 2002 abgelöst wurden. Maßstab für den Eingriff ist die jeweils abgelöste Versorgungszusage und nicht eine vorhergehende. Grenze mag hier treuwidriges Verhalten der Beklagten sein. Ein solches ist jedoch im streitgegenständlichen Fall nicht ersichtlich.
Die Entscheidung des Erstgerichts erweist sich als richtig. Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.
III.
1. Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
2. In Bezug auf die in diesem Verfahren mehrfach vorliegende Ablösung und der zu erfolgenden Vergleichsbetrachtung der einzelnen Rentenansprüche des Klägers wird im vorliegenden Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen (§ 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG).


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