Arbeitsrecht

Betriebliche Altersversorgung – Zusage aus Anlass eines Arbeitsverhältnisses oder arbeitnehmerähnlichen Beschäftigungsverhältnisses

Aktenzeichen  3 AZR 42/08

Datum:
19.1.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 1 Abs 1 S 1 BetrAVG
§ 17 Abs 1 S 1 BetrAVG
§ 17 Abs 1 S 2 BetrAVG
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

1. Eine Versorgungszusage ist nur dann “aus Anlass” eines Arbeitsverhältnisses oder Beschäftigungsverhältnisses iSd. § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG erteilt, wenn zwischen ihr und dem Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Erforderlich ist eine Kausalitätsprüfung, die alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigt.
2. Sagt ein Unternehmen allen Gesellschaftern und nur ihnen eine Versorgung zu, ist das ein Indiz dafür, dass dies nicht “aus Anlass” des Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses geschah.

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Köln, 26. Oktober 2006, Az: 8 Ca 10286/05, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln, 15. August 2007, Az: 7 (10) Sa 1412/06, Urteil

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 15. August 2007 – 7 (10) Sa 1412/06 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 26. Oktober 2006 – 8 Ca 10286/05 – wird zurückgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung für Versorgungsansprüche der Klägerin einzustehen hat.

2

Die am 8. April 1940 geborene Klägerin war seit dem 1. Januar 1982 für die Produktionsgenossenschaft des Handwerks G
(im Folgenden: PGH)
zunächst als Sachbearbeiterin für die Lohn- und Finanzbuchhaltung und seit dem 1. April 1985 als Buchhalterin tätig. Sie hielt einen Genossenschaftsanteil von 1.480,00 Mark der DDR. Die PGH hatte 25 bis 30 Mitglieder.

3

Am 17. Dezember 1990 wurde die PGH in die „G GmbH“
(im Folgenden: GmbH)
umgewandelt. Das Stammkapital der GmbH belief sich auf 55.000,00 DM. Die Klägerin und drei weitere Gesellschafter hielten eine Stammeinlage von 10.000,00 DM, ein weiterer geschäftsführender Gesellschafter eine Stammeinlage von 15.000,00 DM.

4

Nach der Umwandlung war die Klägerin für die GmbH weiter vollschichtig als Buchhalterin tätig, ohne dass ein neuer Vertrag geschlossen wurde. Von dem „Gehalt“, das die Klägerin bei der GmbH erzielte, wurden Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und die üblichen Sozialversicherungsbeiträge einbehalten.

5
In einem Protokoll über eine Gesellschafterversammlung vom 25. Mai 1992 heißt es unter TOP 4:
        
„Die Gesellschafter beauftragen den Geschäftsführer, Angebote für eine Direktversicherung von mindestens 5 Versicherungsgesellschaften einzuholen. Diese sollen dann in einer Gesellschafterberatung geprüft werden. Weiterhin ist zu diesem Zeitpunkt der Personenkreis festzulegen, für den diese Versicherung abgeschlossen werden soll.“
6
Am 1. Oktober 1992 erteilte die GmbH, bei der durchschnittlich insgesamt 25 und zuletzt noch 18 Arbeitnehmer beschäftigt waren, nur ihren Gesellschaftern – so auch der Klägerin – eine Versorgungszusage in Form einer Direktversicherung. Der zugunsten der Klägerin aufzubringende Beitrag für die Versicherung betrug ausweislich des Versicherungsscheins vom 23. Dezember 1992 3.430,00 DM jährlich. Als Beginn der Versicherung ist der 1. Oktober 1992, als Ablauf der Beitrags- und Beginn der Rentenzahlung der 1. Oktober 2005 und als Ablauf der Rentengarantiezeit der 1. Oktober 2020 angegeben. Weiter heißt es in dem Versicherungsschein auszugsweise:
        
„…   
        
Bezugsberechtigung
        
Der Versicherte ist sowohl für den Todes- als auch für den Erlebensfall unter den nachstehenden Vorbehalten unwiderruflich bezugsberechtigt. Die Abtretung oder Beleihung des unwiderruflichen Bezugsrechts wird ausgeschlossen.
        
Dem Arbeitgeber bleibt das Recht vorbehalten, alle Versicherungsleistungen für sich in Anspruch zu nehmen, wenn
        
–       
das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles endet, es sei denn, der Versicherte hat das 35. Lebensjahr vollendet und entweder die Versicherung hat 10 Jahre oder das Arbeitsverhältnis 12 und die Versicherung 3 Jahre bestanden.
        
…       
        
        
Dem Arbeitgeber bleibt das Recht vorbehalten, während der Dauer des Arbeitsverhältnisses mit Zustimmung des Versicherten nach Maßgabe der Allgemeinen Versicherungsbedingungen eine Vorauszahlung auf die Versicherungsleistung in Anspruch zu nehmen, wobei der Arbeitgeber den Bezugsberechtigten bei Eintritt des Versorgungsfalles so stellt, als ob die Vorauszahlung nicht erfolgt wäre.
        
Beim Tode des Versicherten ist die Versicherungsleistung zu zahlen an 1. den überlebenden Ehegatten, …, 2. die ehelichen und die ihnen gesetzlich gleichgestellten Kinder zu gleichen Teilen, 3. die Eltern, 4. die Erben (in der Reihenfolge der Ziffern unter Ausschluß der jeweils nachfolgenden Berechtigten).
        
…“   
7
In einem Protokoll über eine Gesellschafterversammlung vom 18. Dezember 1996 heißt es unter TOP 1:
        
„… Die Direktversicherungen für die Gesellschafter werden in der vorliegenden Form bestätigt. …“
8

Unter TOP 4 geht es um Einmalzahlungen iHv. 100,00 DM bzw. jeweils 200,00 DM für ein 10-jähriges Betriebsjubiläum und drei 20-jährige Betriebsjubiläen.

9

Zum 31. Dezember 2000 wiesen die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung der GmbH einen Gewinn iHv. 135.223,87 DM aus.

10

Am 16. Januar 2001 stimmte die Klägerin einer Abtretung und Verpfändung ihrer Ansprüche aus der Direktversicherung zu, um der GmbH die Aufnahme eines Kredits zu ermöglichen, für den die Bank eine entsprechende Sicherung verlangte. Der Kredit sollte zur Vorfinanzierung von Materialeinkäufen dienen.

11

Mit Schreiben vom 25. Mai 2001 meldete die GmbH die Direktversicherungen für ihre Gesellschafter bei dem Beklagten an.

12
In einem Protokoll über eine Gesellschafterversammlung vom 21. Juni 2001 heißt es unter TOP 4:
        
„Die Bestandsaufnahme der Arbeitsverträge mit den Gesellschaftern hat ergeben, daß diese in bestehender Form beibehalten werden sollen.“
13

Zum Jahreswechsel 2001/2002 trat eine akute Liquiditätsunterdeckung auf, die zur Zahlungsunfähigkeit und – aufgrund Eigenantrags vom 18. Januar 2002 – am 14. März 2002 zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH führte. In dem Bericht des Insolvenzverwalters gemäß § 156 InsO wurde als ausschlaggebend für die negative wirtschaftliche Entwicklung der Schuldnerin angeführt, dass im Laufe des Jahres 2001 Umsatzrückgänge iHv. 14 % im Vergleich zum Vorjahr mit Kostensteigerungen beim Material um 14 % und beim Personal um 11 % zusammentrafen.

14

Die Bank verwertete die abgetretene Direktversicherung iHd. Rückkaufswertes von 24.418,67 Euro.

15

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe aus der Versorgungszusage der GmbH eine gesetzlich unverfallbare Anwartschaft erworben. Bei der nach § 30f Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Nr. 2 BetrAVG erforderlichen mindestens zwölfjährigen Betriebszugehörigkeit sei auch die Zeit ihrer Tätigkeit für die PGH zu berücksichtigen. Ein Versicherungsmissbrauch liege nicht vor.

16
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
        
festzustellen, dass der Beklagte ihr aufgrund der von der G GmbH erteilten Versorgungszusage in Gestalt der Direktversicherung Nr. mit der S Versicherung ab dem 1. Mai 2005 zur Leistung verpflichtet ist.
17

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Klägerin habe bei Insolvenzeröffnung keine gesetzlich unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben. Diese habe weder ihre Tätigkeit für die PGH noch ihre Tätigkeit für die GmbH aufgrund eines Arbeits- oder arbeitnehmerähnlichen Verhältnisses erbracht. Die GmbH habe die Versorgungszusage nur ihren Gesellschaftern zukommen lassen, so dass diese nicht „aus Anlass“ eines Arbeitsverhältnisses oder einer sonstigen Tätigkeit für die GmbH iSv. § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG erteilt worden sei. Schließlich liege ein Versicherungsmissbrauch vor.

18
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.


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