Arbeitsrecht

Betriebliches Eingliederungsmanagement – klagbarer Anspruch

Aktenzeichen  5 Sa 117/20

Datum:
8.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
AuR – 2021, 42
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IX § 167 Abs. 2
BGB § 241 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ein ausdrücklicher Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Demgegenüber ist Mitarbeitervertretungen in § 167 Abs. 2 Satz 6 SGB IX ein durchsetzbares Initiativrecht ausdrücklich zugebilligt worden. Denn diese haben nach § 167 Abs. 2 Satz 7 SGB IX eine Überwachungsfunktion. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2.. Hätte der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer einen klagbaren Anspruch auf Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements zuerkennen wollen, hätte es nahegelegen, einen solchen in § 167 SGB IX ausdrücklich zu formulieren. So wie zum Beispiel in § 164 SGB IX, in dem dort dem Schwerbehinderten ein Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz zugebilligt wird. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Vielmehr richtet sich das Gesetz an dieser Stelle an den Arbeitgeber und verpflichtet diesen, mit den zuständigen Interessenvertretungen und der betroffenen Person ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Dem § 167 SGB IX ist zwar zu entnehmen, dass eine Rechtsverpflichtung des Arbeitgebers vorhanden ist, allerdings sind in der Norm selbst keine Rechtsfolgen vorgesehen, wenn der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nicht nachkommt.   (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 Ca 1068/19 2020-01-28 Endurteil ARBGWUERZBURG ArbG Würzburg

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Aschaffenburg – vom 28.01.2020 – Az.: 2 Ca 1068/19 – abgeändert. 
2. Die Klage wird abgewiesen. 
3. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. 
4. Die Revision wird zugelassen. 

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2b ArbGG) und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung der Beklagten erweist sich als begründet. Die Verpflichtung des Arbeitgebers bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, stellt keinen klagbaren Anspruch dar, der durch den Arbeitnehmer verfolgt werden kann.
1. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Klage sind nur teilweise gegeben. Der vom Kläger begehrte Klageantrag ist teilweise zu unbestimmt. Er genügt den Bestimmtheitsanforderungen von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nur insoweit, soweit der Kläger die Einleitung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements begehrt. Soweit er die Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements beantragt ist der Klageantrag zu unbestimmt und damit unzulässig.
a. Die Klagepartei muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung sie begehrt. Dazu hat sie den Streitgegenstand so genau zu bezeichnen, dass dieser im Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 Abs. 1 ZPO) keinem Zweifel unterliegt und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann (§ 322 ZPO). Sowohl bei einer der Klage stattgebenden als auch bei einer sie abweisenden Sachentscheidung muss zuverlässig feststellbar sein, worüber das Gericht entschieden hat. Unklarheiten über den Inhalt der Verpflichtung dürfen nicht aus dem Erkenntnisverfahren in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden. Dessen Aufgabe ist es zu klären, ob der Schuldner einer festgelegten Verpflichtung nachgekommen ist, nicht aber worin diese besteht (BAG vom 15.04.2009 – 3 AZB 93/08). Bei einem auf eine Handlung gerichteten Klageantrag muss einerseits für den Prozessgegner aus rechtsstreitlichen Gründen erkennbar sein, in welchen Fällen er bei Nichterfüllung der ausgeurteilten Verpflichtung mit einem Zwangsmittel zu rechnen hat. Anderseits erfordern zwar das Rechtsstaatsprinzip und das daraus folgende Gebot effektiven Rechtsschutzes, dass materiell-rechtliche Ansprüche effektiv durchgesetzt werden können. Um diesen beiden Gesichtspunkten gerecht zu werden, muss zumindest die Art der begehrten Handlung erkennbar sein. Die Klagepartei hat im streitgegenständlichen Fall jedoch lediglich in ihrem Klageantrag die Vorschrift des § 167 Abs. 2 SGB IX abgeschrieben. Dies ist nach Ansicht der erkennenden Kammer nicht ausreichend. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist durch den Gesetzgeber nicht vorgegeben worden. Das Bundesarbeitsgericht hat in mehreren Entscheidungen formuliert, dass das Betriebliche Eingliederungsmanagement ein formalisiertes Verfahren ist, das den Beteiligten Spielraum lässt. Es geht um die Etablierung eines unverstellten, verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozesses (so z. B. BAG vom 10.12.2009 – 2 AZR 198/09). Der konkrete Verlauf und die damit verbundenen Mindeststandards für ein Betriebliches Eingliederungsmanagement ergeben sich daher erst im Rahmen der tatsächlichen Umsetzung. Der in dieser Form gestellte Antrag ist zu unbestimmt.
b. Anders verhält es sich, soweit der Kläger seinen Antrag aufgrund eines gerichtlichen Hinweises insoweit ergänzt hat, als dass die Beklagte verpflichtet wird, ein Betriebliches Eingliederungsmanagement einzuleiten. Diesen Teil des Antrages hält die erkennende Kammer für zulässig. Zwar ist insoweit offengelassen, wie eine solche Einleitung aussehen kann. Jedoch ist für die Beklagte hinreichend erkennbar, was von ihr verlangt wird, nämlich die konkrete Einleitung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements. Hierfür mögen mehrere Wege denkbar sein, jedoch ist klar erkennbar, welche Verpflichtung die Beklagte insoweit trifft.
2. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch ergibt sich nicht direkt aus § 167 Abs. 2 SGB IX. Ein solcher Anspruch ist für den Arbeitnehmer dort nicht formuliert. Vielmehr richtet sich das Gesetz an dieser Stelle an den Arbeitgeber und verpflichtet diesen mit den zuständigen Interessenvertretungen und der betroffenen Person ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Dem § 167 SGB IX ist zwar zu entnehmen, dass eine Rechtsverpflichtung des Arbeitgebers vorhanden ist, allerdings sind in der Norm selbst keine Rechtsfolgen vorgesehen, wenn der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nicht nachkommt. Bei den Regelungen des § 167 Abs. 1, Abs. 2 SGB IX handelt es sich nicht lediglich um eine Ordnungsvorschrift mit bloßen Appellcharakter, dessen Missachtung in jedem Fall folgenlos bliebt, sondern es handelt sich um eine Verfahrensverpflichtung des Arbeitgebers, die Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist. Insoweit besteht auch überwiegend Einigkeit, dass eine Missachtung durch den Arbeitgeber nicht in jedem Fall folgenlos bleibt. Die Beschäftigten können eine Pflichtverletzung oder ein Unterlassen des Arbeitgebers im Rahmen von Kündigungsschutzverfahren oder beim Streit über den Inhalt des Weisungsrechts des Arbeitgebers erfolgreich thematisieren (so BAG 10.12.2009 – 2 AZR 400/08. Aber auch Schadensersatzansprüche nach § 280 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB können in Betracht kommen (Kommentar zum Sozialrecht Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, 6. Aufl. § 167 SGB IX Rn. 37, Neumann in Kommentar zum SGB IX, Beck-Verlag 13. Aufl., Rn. 16 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen).
Ein ausdrücklicher Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Anders verhält es sich für die Mitarbeitervertretungen. Diesen ist in § 167 Abs. 2 Satz 6 SGB IX ein durchsetzbares Initiativrecht ausdrücklich zugebilligt worden. Darüber hinaus haben diese auch eine Überwachungsfunktion nach § 167 Abs. 2 Satz 7 SGB IX. Hätte der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer einen klagbaren Anspruch zuerkennen wollen, hätte es nahegelegen einen solchen in § 167 SGB IX ausdrücklich zu formulieren. So wie zum Beispiel in § 164 SGB IX in dem dort dem Schwerbehinderten ein Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz zugebilligt wird.
Nach Ansicht der erkennenden Kammer kann dabei dahingestellt bleiben, inwieweit sich für den Arbeitgeber aus § 167 Abs. 2 SGB IX eine konkrete Nebenverpflichtung oder nur eine Obliegenheit (so Neumann, § 167 SGB IX Rn. 16) ergibt. Jedenfalls ergibt sich bei entsprechender Wertung, dass bei Verletzung einer solchen Nebenpflicht bzw. Obliegenheit kein klagbarer Anspruch für den Arbeitnehmer bestehen soll.
3. Ein klagbarer Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung eines BEM ergibt sich auch nicht aus der Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB.
a. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Vertragspartei zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Dies dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks (BAG vom 10.09.2009 – 2 AZR 257/08). Im Arbeitsverhältnis können die Vertragsparteien zu leistungssichernden Maßnahmen verpflichtet sein.
b. Auch im Rahmen der Anwendbarkeit des § 241 Abs. 2 BGB ist jedoch der Wille des Gesetzgebers, demnach kein klagbares Recht auf Durchführung eines BEM für den Arbeitnehmer vorgesehen ist, zu respektieren. Der Arbeitnehmer ist bei Annahme einer Verfahrensverpflichtung des Arbeitgebers bei dessen Untätigkeit unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Kündigungen und Direktionsentscheidungen ausreichend geschützt. Darüber hinaus kommen zugunsten des Arbeitnehmers zahlreiche Schutzgesetze zur Anwendung (z.B. § 618 BGB, 3 EFZG, 164 SGB IX), die ausdrückliche Rechte des Arbeitnehmers regeln. Das Nichtvorsehen eines entsprechenden klagbaren Anspruchs des Arbeitnehmers entspricht damit dem kundgetanen Willen des Gesetzgebers und es besteht keine Notwendigkeit einen solchen Anspruch aus § 241 Abs. 2 BGB abzuleiten.
Die Berufung der Beklagten erweist sich als begründet und die Klage war entsprechend abzuweisen.
III.
1. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 ZPO).
2. Die Revision war im Hinblick auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13.11.2014 – 15 Sa 979/14 – zuzulassen (§ 71 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG).


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