Arbeitsrecht

Betriebsrat, Betriebsvereinbarung, Arbeitszeit, Einigungsstelle, Beschlussverfahren, Beisitzer, Arbeitgeberin, Rechtsschutzinteresse, Bestellung, Verfahren, Zeitpunkt, Versuch, Stellungnahme, Anforderungen, gerichtliche Bestellung

Aktenzeichen  31 BV 210/21

Datum:
13.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44243
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle über die zwischen den Beteiligten streitige BetriebsvereinbarungArbeitszeit“ wird Herr D. aus W-Stadt bestellt.
2. Die Zahl der von jedem Beteiligten zu benennenden Beisitzer der Einigungsstelle wird auf zwei festgesetzt.
3. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten um die Bildung einer Einigungsstelle.
Die Beteiligte zu 2. (im Folgenden Arbeitgeberin) hat mehrere Niederlassungen, wobei Geschäftsführung und Personalleitung ihren Sitz in I-Stadt bei M-Stadt haben. Der Beteiligte zu 1. (im Folgenden Betriebsrat) ist der bei der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat. Das Büro des Betriebsrats befindet sich in H-Stadt.
Die bei der Arbeitgeberin bestehende BetriebsvereinbarungArbeitszeit Innendienst und Vertrieb“ vom 17.07.2009 wurde von dem Betriebsrat mit Beschluss vom 09.02.2021 zum 30.06.2021 gekündigt (vgl. Bl. 20 d. A.).
Mit Schreiben vom 15.03.2021 stellte der Betriebsrat bezüglich des Abschlusses einer neuen Betriebsvereinbarung mehrere Forderungen auf und bat die Arbeitgeberin um Stellungnahme bis 29.03.2021 (vgl. Bl. 22 f. d. A.). Mit E-Mail vom 29.03.2021 teilte die Arbeitgeberin mit, dass arbeitgeberseitig ein Entwurf für eine Neuregelung erstellt werde und der Betriebsrat diesen bis zum 16.04.2021 erhalte. Nach Prüfung des Entwurfs durch den Betriebsrat sollten entsprechende Verhandlungstermine stattfinden, in deren Rahmen man auch auf die vom Betriebsrat genannten Forderungen näher zu sprechen kommen werde (vgl. Bl. 24 d. A.). Als Reaktion auf den Entwurf einer Betriebsvereinbarung der Arbeitgeberin vom 16.04.2021 legte auch der Betriebsrat am 10.05.2021 einen ausformulierten Entwurf einer Betriebsvereinbarung vor (vgl. Bl. 27 ff. d. A.). Mit E-Mail vom 28.05.2021 übersandte die Arbeitgeberin eine Gegenüberstellung der beiden Entwürfe und teilte mit, dass noch einige Fragen aufgekommen seien. Aus diesem Grund solle im ersten Schritt ein gemeinsames Verständnis der Positionen erhalten werden, um im Anschluss Lösungsvorschläge erörtern zu können. Als mögliche Termine wurden der 01.06.2021, 13 bis 14 Uhr oder der 11.06.2021 im Rahmen des Monatsgesprächs angeboten (vgl. Bl. 56 ff. d. A.). Daraufhin stellte der Prozessbevollmächtigte des Betriebsrats in dessen Auftrag mit Schreiben vom 02.06.2021 das Scheitern der Verhandlungen zur Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit Innendienst und Vertrieb“ fest und erklärte, dass nunmehr die Einigungsstelle angerufen werde (vgl. Bl. 33 f. d. A.). Als Vorsitzender der Einigungsstelle wurde Herr D. vorgeschlagen und es wurden drei Beisitzer benannt. Diesbezügliche Einwände brachte die Arbeitgeberin insbesondere mit E-Mail vom 08.06.2021 vor (vgl. Bl. 69 f. d. A.).
Mit Beschluss vom 24.06.2021 entschied der Betriebsrat, die streitgegenständliche Einigungsstelle anzurufen und seinen Verfahrensbevollmächtigten in dieser Angelegenheit zu beauftragen (vgl. Bl. 15 d. A.).
Der Betriebsrat ist der Auffassung, dass die Anträge begründet seien. Insbesondere seien die Verhandlungen gescheitert. Die Arbeitgeberin habe es vermieden, auf die substantiellen Forderungen des Betriebsrats einzugehen. Um in der Sache voranzukommen, sei es nicht notwendig gewesen, dass beide Parteien „Normenwerke“ erarbeiteten, um diese dann synoptisch gegenüberzustellen, sondern es sei spätestens ab dem 15.03.2021 erforderlich gewesen, in der Sache Stellung zu nehmen. Bekanntlich dürften die Anforderungen an den Versuch einer gütlichen Einigung zwischen den Beteiligten nicht überspannt werden. Die substanzlosen Reaktionen der Arbeitgeberin auf die klaren Forderungen des Betriebsrats seien nichts anderes als ein beharrliches Schweigen. Selbst wenn man die E-Mail-Korrespondenz zwischen den Betriebsparteien nicht als förmliche Aufnahme von Verhandlungen betrachte, sei es dem Betriebsrat nicht verwehrt, aufgrund des bisherigen Verhaltens der Arbeitgeberin weitere Verhandlungen mit der Gegenseite für aussichtslos zu halten und das Arbeitsgericht anzurufen.
Gegen den vom Betriebsrat vorgeschlagenen Einigungsstellenvorsitzenden seien keinerlei sachlichen Einwände zu erheben. Auch der Einwand, Herr D. komme aus WStadt, sei unbeachtlich. Der Betriebsrat habe seinen Sitz in H-Stadt, die Geschäftsleitung habe ihren Sitz in M-Stadt, so dass sich W-Stadt in der Mitte befinde. Im Übrigen führe Herr D. regelmäßig Vorlesungen in K-Stadt durch und befinde sich somit noch näher an M-Stadt. Herr D. habe sich zudem auch bereit erklärt, den Vorsitz der Einigungsstelle zu übernehmen.
Die vorgeschlagene Zahl der Beisitzer mit drei sei akzeptabel und verständlich. Neben dem Prozessbevollmächtigten des Betriebsrats als externer Beisitzer sollten noch zwei Mitglieder des Betriebsrats als Beisitzer tätig werden. Dies sei ein übliches Verfahren. Die Problematik sei auch derart kompliziert und umfangreich, dass die Hinzuziehung von drei Beisitzern erforderlich sei.
Der Betriebsrat beantragt,
1.zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle über die zwischen den Beteiligten streitige „Betriebsvereinbarung Arbeitszeit“ Herrn D. zu bestellen,
2.die Zahl der von jedem Beteiligten zu benennenden Beisitzer der Einigungsstelle auf Drei festzusetzen.
Die Arbeitgeberin beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberin führt aus, dass es an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die Arbeitgeberin habe Verhandlungen zu keinem Zeitpunkt verweigert. Vielmehr fordere sie den Betriebsrat seit mehreren Monaten auf, in solche Verhandlungen mit ihr einzutreten. Der Betriebsrat habe sich Gesprächen zu einer Neuregelung der Arbeitszeit aber vollständig verweigert und habe mit der Arbeitgeberin nicht einmal darüber sprechen wollen. Der zwischen den Beteiligten geführte Schriftverkehr zeige, dass der Betriebsrat nicht bereit sei, außerhalb einer Einigungsstelle mit der Arbeitgeberseite zu sprechen. Anscheinend erwarte er, dass die Arbeitgeberin den Regelungsvorschlag des Betriebsrats ungeprüft unterschreibe. Es widerspreche dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit, dem Verhandlungspartner den eigenen Standpunkt nicht einmal erläutern zu wollen und sich auch selbst die Vorstellungen der anderen Seite nicht anhören zu wollen, sodann aber eine Einigungsstelle anzurufen.
Vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass Herr D. zwar als Vorsitzender einer Einigungsstelle per se geeignet sein möge. Es sei aber nicht nachvollziehbar, weshalb ein in I-Stadt/M-Stadt angesiedelter Betrieb einen Vorsitzenden aus W-Stadt auswählen solle. Zur Schonung der Ressourcen der Arbeitgeberin wäre es klar vorzugswürdig, einen Vorsitzenden mit einem geringeren Anfahrtsweg auszuwählen. Des weiteren seien zwei Beisitzer je Seite vorliegend ausreichend. Der vom Betriebsrat u.a. als Beisitzer vorgeschlagene Rechtsbeistand müsse nicht selbst Beisitzer sein, sondern könne auch als Verfahrensbevollmächtigter auftreten. Ferner handele es sich bei einer Arbeitszeitregelung auch nicht um eine „komplexe“ Angelegenheit.
Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist überwiegend begründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Eine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats gem. § 33 Abs. 1 und 2 BetrVG liegt vor und wurde von der Arbeitgeberin nicht bestritten. Mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist davon auszugehen, dass ein ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss Zulässigkeitsvoraussetzung für das Beschlussverfahren ist (BAG v. 18.02.2003 – 1 ABR 17/02) und auch für die ordnungsgemäße Beauftragung eines Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats erforderlich ist (BAG v. 06.12.2006 – 7 ABR 62/05).
b) Darüber hinaus fehlt es dem Antrag auch nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.
aa) Für die Bildung einer Einigungsstelle fehlt das Rechtsschutzinteresse, wenn die Betriebsparteien in einer beteiligungspflichtigen Angelegenheit nicht den nach § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorgesehenen Versuch einer gütlichen Einigung unternommen, sondern sofort die Einigungsstelle angerufen haben. Ein Rechtsschutzinteresse besteht in diesem Fall nur, wenn der Antragssteller geltend macht, dass entweder die Gegenseite Verhandlungen über das Regelungsverlangen ausdrücklich oder konkludent verweigert hat oder mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen gescheitert sind (BAG v. 18.03.2015 – 7 ABR 4/13).
Ob die Gegenseite Verhandlungen verweigert hat oder mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen gescheitert sind, bleibt der subjektiven Einschätzung jedes Betriebspartners überlassen, die nicht offensichtlich unbegründet sein darf. Anderenfalls würde der in § 100 ArbGG zugrundeliegende Beschleunigungszweck konterkariert werden, nach dem beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung gestellt werden soll. Zudem hätte es die verhandlungsunwillige Partei durch geschicktes Taktieren in der Hand, die Einsetzung einer Einigungsstelle längere Zeit zu blockieren (LAG München v. 25.03.2021 – 3 TaBV 3/21 m.w.N.).
bb) Vorliegend ist unter Zugrundelegung dieser Grundsätze von einem Scheitern der Verhandlungen auszugehen.
Der Betriebsrat hat einen ausreichenden Versuch zu einer Verhandlungslösung unternommen. Er hat der Arbeitgeberin nach der Kündigung der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit am 15.03.2021 zunächst seine wesentlichen Forderungen für eine neue Betriebsvereinbarung übermittelt und diese Forderungen zudem in einem Entwurf für eine neue Betriebsvereinbarung vom 10.05.2021 nochmals bekräftigt. Auf die von dem Betriebsrat geäußerten wesentlichen Forderungen ging die Arbeitgeberin zu keinem Zeitpunkt konkret ein, sondern verfasste vielmehr einen eigenen Entwurf für eine Betriebsvereinbarung, der in maßgeblichen Punkten aus Sicht des Betriebsrats sogar eine Verschlechterung gegenüber der bisherigen Betriebsvereinbarung darstellte. Im Zeitpunkt der Antragsstellung nach § 100 ArbGG durfte der Betriebsrat aufgrund des bisherigen Verhaltens der Arbeitgeberin daher annehmen, dass eine Konfliktlösung in angemessener Zeit nicht mehr erreichbar sein würde. Die Arbeitgeberin hatte dem Betriebsrat zwar mehrfach Verhandlungstermine angeboten. Da sich die Arbeitgeberin zu keinem Zeitpunkt zu den vom Betriebsrat aufgestellten wesentlichen Forderungen geäußert hatte, konnte der Betriebsrat jedoch nach seiner subjektiven Einschätzung davon ausgehen, dass diese wesentlichen Punkte auch im Rahmen von weiteren Verhandlungsterminen nicht geklärt werden könnten. Es mag sein, dass derartige Verhandlungstermine zur Klärung einzelner Fragen hätten führen können. Die Einschätzung des Betriebsrats, dass jedenfalls keine Konfliktlösung insgesamt erzielt werden könnte, erweist sich jedoch nicht als offensichtlich unbegründet.
2. Der Antrag ist überwiegend begründet.
a) Die von dem Betriebsrat begehrte Einigungsstelle ist einzurichten, da sie nicht offensichtlich unzuständig ist (§ 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG). Diesbezügliche Einwände wurden auch von der Arbeitgeberin nicht geltend gemacht.
b) Die Einigungsstelle ist – wie beantragt – unter dem Vorsitz von Herrn D. einzurichten. Die Arbeitgeberin hat letztlich keine maßgeblichen Umstände vorgetragen, die gegen eine Bestellung von Herrn D. zum Einigungsstellenvorsitzenden sprechen. Maßgebend für die gerichtliche Bestellung des Einigungsstellenvorsitzenden ist, dass er die Gewähr für eine neutrale Verhandlungsführung und aufgrund seiner Sach- und Rechtskunde auch die Gewähr für eine zügige Durchführung des Einigungsstellenverfahrens bietet (LAG Köln v. 04.06.2018 – 9 TaBV 25/18). Hieran bestehen auch nach dem Vortrag der Arbeitgeberin keine Zweifel. Entsprechend dem unwidersprochenen Vortrag des Betriebsrats kann zudem davon ausgegangen werden, dass Herr D. sich auch bereit erklärt hat, den Einigungsstellenvorsitz zu übernehmen. Soweit sich die Arbeitgeberin darauf beruft, dass eine Bestellung von Herrn D. zum Einigungsstellenvorsitzenden aufgrund dessen Wohnort in WStadt mit erhöhten Fahrtkosten verbunden ist, spielen derartige Gesichtspunkte bei der Beurteilung der notwendigen Sach- und Rechtskunde sowie der erforderlichen Überparteilichkeit des Einigungsstellenvorsitzenden keine Rolle. Zudem ist eine entsprechende Berücksichtigung im Rahmen der abzuschließenden Honorarvereinbarung möglich (vgl. auch LAG Nürnberg v. 02.07.2004 – 7 TaBV 19/04).
c) Hinsichtlich der Festlegung der Anzahl der Beisitzer ist der Antrag nur insoweit begründet, als die Anzahl der Beisitzer der einzusetzenden Einigungsstelle pro Betriebspartei auf zwei festzusetzen ist. Im Übrigen war der Antrag zurückzuweisen.
Nach ganz überwiegender Auffassung ist eine Bestellung von zwei Beisitzern pro Seite im Regelfall angemessen. Eine solche Besetzung gewährleistet einerseits die Präsenz sowohl betriebsexternen juristischen als auch betriebsinternen Sachverstands in der Einigungsstelle. Andererseits vermeidet sie eine Verkomplizierung der Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse in der Einigungsstelle sowie unverhältnismäßige Kosten durch die Heranziehung mehrerer externer Beisitzer (Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl., § 100 ArbGG Rn. 6). Hinreichende Umstände, die im vorliegenden Verfahren ein Abweichen vom Regelfall rechtfertigen könnten, sind nicht gegeben. Entgegen dem Vortrag des Betriebsrats entspricht die Festlegung von drei Beisitzern keinesfalls dem Üblichen. Dem Betriebsrat kann auch nicht darin gefolgt werden, dass die Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit derart schwierig sind, dass sie eine über das Übliche hinausgehende Besetzung erfordern.
III.
Die Entscheidung konnte durch die Vorsitzende allein erfolgen, § 100 Abs. 1 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG, und ergeht gerichtskostenfrei, § 2 Abs. 2 GKG.


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