Arbeitsrecht

Betriebsratsmitglied – Zugang zum Betriebsratsbüro – Zurverfügungstellung von Schlüsseln – Zugang zu E-Mail-Postfach

Aktenzeichen  1 TaBVGa 1/21

Datum:
29.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Landesarbeitsgericht 1. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:LAGTH:2021:0629.1TABVGA1.21.00
Normen:
§ 34 Abs 3 BetrVG
§ 8 BetrVG
§ 24 Nr 4 BetrVG
§ 25 Abs 1 S 2 BetrVG
Spruchkörper:
undefined

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Suhl, 14. April 2021, 6 BVGa 2/21, Beschluss

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Suhl vom 14.4.2021 – 6 BVGa 2/21 – abgeändert.
2. Der Antragsgegner wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Verfahren Arbeitsgericht Suhl 6 BV 14/20 verpflichtet, der Antragstellerin Zugang zu dem dem Antragsgegner zur Verfügung gestellten Raum (Betriebsratsbüro) im Betrieb der weiteren Beteiligten mittels Zurverfügungstellung eines Zugangsschlüssels zu gewähren.
3. Der Antragsgegner wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Verfahren Arbeitsgericht Suhl 6 BV 14/20 verpflichtet, der Antragstellerin Zugang zu den zwei in dem dem Antragsgegner zur Verfügung gestellten Raum (Betriebsratsbüro) im Betrieb der weiteren Beteiligten befindlichen Schränken zu gewähren.
4. Der Antragsgegner wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Verfahren Arbeitsgericht Suhl 6 BV 14/20 verpflichtet, der Antragstellerin Zugang zu dem abgeschlossenen Fach des in dem dem Antragsgegner zur Verfügung gestellten Raum (Betriebsratsbüro) im Betrieb der weiteren Beteiligten befindlichen Schreibtisch zu gewähren.
5. Der Antragsgegner wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Verfahren Arbeitsgericht Suhl 6 BV 14/20 verpflichtet, der Antragstellerin Zugang zu dem vom Antragsgegner genutzten E-Mail-Postfach zur E-Mail-Adresse … mittels Zurverfügungstellung der entsprechenden Zugangsdaten (Login, Passwort) zu gewähren.
6. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Antragsgegners, der Antragstellerin mittels Zurverfügungstellung von Schlüsseln Zugang zum Betriebsratsbüro sowie auch Zugang zu dem vom Antragsgegner genutzten E-Mail-Postfach zu gewähren.
Die Beteiligte zu 3) ist ein Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels mit unter anderem einer Filiale in …, bei der im Jahr 2020 eine Betriebsratswahl stattgefunden hat, aus der der Antragsgegner hervorgegangen ist. Die Antragstellerin ist seit dem 01.02.2014 bei der Beteiligten zu 3) beschäftigt und war vor der Neuwahl 2020 im vorherigen Betriebsrat Betriebsratsvorsitzende. Für die Neuwahl kandidierte sie für die Liste „Die Alten“ auf Listenplatz 2 nach dem Bewerber … auf Listenplatz 1. Nach dem Ergebnis der am 08.07.2020 durchgeführten Wahl des Antragsgegners entfiel auf die Liste „Die Alten“ ein Wahlmandat. Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, dass Herr … mittlerweile aus den Diensten der Beteiligten zu 3) ausgeschieden ist.
Die Antragstellerin ist befristet bis zum 30.06.2021 voll erwerbsgemindert mit der Erlaubnis, in geringem Umfang Tätigkeiten auszuüben. Aufgrund dieser befristeten Erwerbsminderung war die Antragstellerin jedenfalls bis zum Zeitpunkt der mündlichen Anhörung am 29. Juni 2021 nicht für die Beteiligte zu 3) tätig.
Die Antragstellerin bat den Antragsgegner mit Schreiben vom 07.01.2021 (Bl. 12 d.A.), ihr einen Schlüssel zur Bürotür des Betriebsratsbüros und je einen Schlüssel zu den sich im Betriebsratsbüro befindlichen zwei Schränken und dem dort befindlichen Schreibtisch auszuhändigen. Ebenfalls bat sie um die Zugangsdaten zu dem vom Betriebsrat genutzten E-Mail-Postfach.
Das Betriebsratsbüro im Betrieb der Beteiligten zu 3) ist durch eine verschließbare Zugangstür gesichert. Nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten im Anhörungstermin vor der Kammer gibt es grundsätzlich je einen Schlüssel pro Betriebsratsmitglied. Einen solchen Schlüssel hatte die Antragstellerin zuvor in ihrer Eigenschaft als Betriebsratsvorsitzende im Besitz gehabt, diesen aber nach Aufforderung an den Antragsgegner zurückgegeben. Der Antragsgegner führt die Betriebsratskommunikation über das Postfach der E-Mail-Adresse …. Dieses Postfach ist gesichert mit einem Login und einem Passwort.
Mit ihrem am 17.01.2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat die Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Zugang zu den Unterlagen des Betriebsrats durch Zurverfügungstellung entsprechender Schlüssel zu dem verschlossenen Betriebsratsbüro, zu dem verschlossenen Schreibtisch und den Aktenschränken sowie auch Zugang zu dem vom Antragsgegner genutzten E-Mail-Postfach begehrt.
Sie hat die Auffassung vertreten, ihr Anspruch ergebe sich aus § 34 Abs. 3 BetrVG. Hiernach sei allen Betriebsratsmitgliedern jederzeit das Einsichtsrecht in alle Unterlagen zu gewähren. Entsprechendes gelte für den Zugang zu einem vom Betriebsrat genutzten E-Mail Postfach. Ohne Schlüssel und Zugangsdaten sei es der Antragstellerin nicht möglich, die Unterlagen
einzusehen. Der Verfügungsgrund für die begehrte einstweilige Anordnung folge daraus, dass sie durch das Vorgehen des Betriebsrats an der Ausübung ihrer Betriebsratstätigkeit und an der Wahrnehmung ihrer Amtspflichten gehindert sei. Die vorläufige Regelung bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren sei zur Abwendung wesentlicher Nachteile der Antragstellerin notwendig.
Die Antragstellerin hat bereits erstinstanzlich die wirksame Beschlussfassung des Antragsgegners zur Beauftragung seines Verfahrensbevollmächtigten mit Nichtwissen bestritten.
Die Antragstellerin hat erstinstanzlich beantragt,
1. Der Antragsgegner wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Verfahren ArbG Suhl 6 BV 14/20 verpflichtet, der Antragstellerin Zugang zu dem dem Antragsgegner zur Verfügung gestellten Raum (Betriebsratsbüro) im Betrieb der weiteren Beteiligten mittels Zurverfügungstellung eines Zugangsschlüssels zu gewähren.
2. Hilfsweise für den Fall der Zurückweisung des Antrags zu 1. wird festgestellt, dass der Antragsteller bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Verfahren ArbG Suhl 6 BV 14/20 verpflichtet ist, der Antragstellerin Zugang zu dem dem Antragsgegner zur Verfügung gestellten Raum (Betriebsratsbüro) im Betrieb der weiteren Beteiligten mittels Zurverfügungstellung eines Zugangsschlüssels zu gewähren.
3. Der Antragsgegner wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Verfahren ArbG Suhl 6 BV 14/20 verpflichtet, der Antragstellerin Zugang zu den zwei in den dem Antragsgegner zur Verfügung gestellten Raum (Betriebsratsbüro) im Betrieb der weiteren Beteiligten befindlichen Schränken mittels Zurverfügungstellung je eines entsprechenden Zugangsschlüssels zu gewähren.
4. Hilfsweise für den Fall der Zurückweisung des Antrags zu 3. wird festgestellt, dass der Antragsgegner bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Verfahren ArbG Suhl 6 BV 14/20 verpflichtet ist, der Antragstellerin Zugang zu den zwei in dem dem Antragsgegner zur Verfügung gestellten Raum (Betriebsratsbüro) im Betrieb der weiteren Beteiligten befindlichen Schränken mittels Zurverfügungstellung je eines entsprechenden Zugangsschlüssel zu gewähren.
5. Der Antragsgegner wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Verfahren ArbG Suhl 6 BV 14/20 verpflichtet, der Antragstellerin Zugang zu dem abgeschlossenen Fach des in dem dem Antragsgegner zur Führung gestellten Raum (Betriebsratsbüro) im Betrieb der weiteren Beteiligten befindlichen Schreibtisch mittels Zurverfügungstellung des Zugangsschlüssels zu gewähren.
6. Hilfsweise für den Fall der Zurückweisung des Antrags zu 5. wird festgestellt, dass der Antragsgegner bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Verfahren ArbG Suhl 6 BV 14/20 verpflichtet ist, der Antragstellerin Zugang zu dem abgeschlossenen Fach in dem dem Antragsgegner zur Verfügung gestellten Raum (Betriebsratsbüro) im Betrieb der weiteren Beteiligten befindlichen Schreibtisch mittels Zurverfügungstellung des Zugangsschlüssels zu gewähren.
7. Der Antragsgegner wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Verfahren ArbG Suhl 6 BV 14/20 verpflichtet, der Antragstellerin Zugang zu dem vom Antragsgegner genutzten E-Mail-Postfach zur E-Mail-Adresse … mittels Zurverfügungstellung der entsprechenden Zugangsdaten (Login, Password) zu gewähren.
8. Hilfsweise für den Fall der Zurückweisung des Antrags zu 7. wird festgestellt, dass der Antragsgegner bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Verfahren ArbG Suhl 6 BV 14/20 verpflichtet ist, der Antragstellerin Zugang zu dem vom Antragsgegner genutzten E-Mail-Postfach zur E-Mail-Adresse … mittels Zurverfügungstellung der entsprechenden Zugangsdaten (Login, Password) zu gewähren.
Der Antragsgegner hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Er hat sich zur Begründung auf seinen Vortrag im Hauptsacheverfahren 6 BV 14/20 vor dem Arbeitsgericht Suhl bezogen.
In diesem Hauptsacheverfahren, welches zur Akte beigezogen wurde, streiten die Parteien unter anderem um die Wirksamkeit der Wahl der Betriebsratsvorsitzenden zur Vorsitzenden des Antragsgegners, um die Unwirksamkeit verschiedener vom Antragsgegner gefasster Beschlüsse sowie um die im hiesigen einstweiligen Verfügungsverfahren gegenständlichen Antragsbegehren auf Zugänglichmachung der Betriebsratsunterlagen. Die Hauptsache ist nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten auf den 14.07.2021 terminiert.
Aufgrund mündlicher Anhörung der Beteiligten am 17.03.2021 hat das Arbeitsgericht Suhl am 14.04.2021 einen Beschluss verkündet (Bl. 64 bis 68 d. A.), mit welchem die Anträge abgewiesen wurden. Im Wesentlichen wird die Ablehnung des klägerischen Begehrens damit begründet, dass zwar dem Grunde nach ein Anspruch auf Einsichtnahme in die vom Betriebsrat geführten Unterlagen nach Maßgabe von § 34 Abs. 3 BetrVG bestünde. Dieser Anspruch gebiete allerdings nicht den von der Antragstellerin offenbar angestrebten Selbstbedienungsbetrieb. Wie der Betriebsrat das Einsichtsrechts organisiere, bleibe im gesetzlichen Rahmen seinem Organisationsermessen vorbehalten. Auf den weiteren Inhalt des gefassten Beschlusses wird verwiesen.
Gegen diesen ihr am 14.05.2021 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit bei Gericht am 15.05.2021 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese mit weiterem Schriftsatz vom 18.05.2021, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, begründet.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Sie führt an, insbesondere sei ihre Wählbarkeit durch die befristete Erwerbsminderung unangetastet geblieben. Da sie stets ihre Bereitschaft beteuert habe, ihrem Betriebsratsmandat nachzukommen, sei auch keine tatsächliche Verhinderung gegeben. Ihre Rückkehr in den Betrieb stünde nunmehr bevor. Sie stehe bereits mit der Beteiligten zu 3) in Kontakt, um unter Hinzuziehung des Integrationsamts Einsatzmöglichkeiten ab Juli 2021 zu besprechen.
Auf eine etwa nur begrenzt vorliegende Anzahl von Schlüsseln zum Aktenschrank und zum Schreibtisch könne sich der Antragsgegner bereits deshalb nicht berufen, weil es unschwer sei, entsprechende Nachschlüssel anfertigen zu lassen.
Die Antragstellerin stellt die ordnungsgemäße Verfahrensbevollmächtigung des Antragsgegnervertreters in Abrede. Den vom Antragsgegner zur Akte gereichten Beschlüssen über die Beauftragung des Verfahrensbevollmächtigten vom 26.02.2021 und 02.06.2021 (Bl. 182 und 184 d. A.) sei nicht zu entnehmen, ob zu diesen Betriebsratssitzungen ordnungsgemäß eingeladen worden sei. Dies sei bereits deshalb zweifelhaft, da die Antragstellerin als Betriebsratsmitglied hätte geladen werden müssen bzw. im Falle ihrer rechtlichen Verhinderung wegen Betroffenheit das entsprechende Ersatzmitglied.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiter und beantragt auf Hinweis durch die Kammer im Anhörungstermin zusätzlich zu den bereits erstinstanzlich gestellten Anträgen,
3a. hilfsweise den Antragsgegner bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Verfahren Arbeitsgericht Suhl 6 BV 14/20 zu verpflichten, der Antragstellerin Zugang zu den zwei in dem dem Antragsgegner zur Verfügung gestellten Raum (Betriebsratsbüro) im Betrieb der weiteren Beteiligten befindlichen Schränken zu gewähren.
5a. hilfsweise den Antragsgegner bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache im Verfahren Arbeitsgericht Suhl 6 BV 14/20 zu verpflichten, der Antragstellerin Zugang zu dem abgeschlossenen Fach des in dem dem Antragsgegner zur Verfügung gestellten Raum (Betriebsratsbüro) im Betrieb der weiteren Beteiligten befindlichen Schreibtisch zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beteiligte zu 3) hat im Anhörungstermin keinen Antrag gestellt.
Der Antragsgegner verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Das Arbeitsgericht habe das Begehren der Antragstellerin zu Recht abgelehnt. Es sei zumutbar, sich an die Betriebsratsvorsitzende oder an deren Stellvertreterin zu wenden, wenn die Antragstellerin Zugang zu den Unterlagen des Betriebsrats begehre. Hierzu verweist der Antragsgegner auf einen von ihm gefassten Beschluss vom 19.08.2020 (Bl. 183 d. A.), wonach das Arbeiten und Betreten des Betriebsratsbüros nur in Absprache mit mindestens noch einem Betriebsratsmitglied gestattet sei.
Wegen der Erwerbsminderungsrente der Antragstellerin sei diese bereits zum Zeitpunkt der Wahl nicht wählbar gewesen. Seit mittlerweile drei Jahren nehme die Antragstellerin nicht mehr am Geschehen teil. Ihre Rückkehr sei unwahrscheinlich. Dies belegten bereits Statistiken über die Rückkehrwahrscheinlichkeit bei voller Erwerbsminderungsrente. Mangels Wählbarkeit sei die Antragstellerin schon nicht Ersatzmitglied geworden und auch nicht für den mittlerweile ausgeschiedenen Herrn … nachgerückt.
Im Anhörungstermin vor der erkennenden Kammer hat die persönlich erschienene Betriebsratsvorsitzende zu Protokoll erklärt, dass es zum Aktenschrank nur den einen im Schreibtisch befindlichen Schlüssel gebe und zu diesem verschlossenen Schreibtisch nur zwei Schlüssel. Diese befänden sich in ihrem Besitz sowie im Besitz der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden. Den Versuch, über den Arbeitgeber Schlüssel nachmachen zu lassen, habe der Antragsgegner bislang nicht unternommen. Auf Nachfrage der Kammer hat die Antragstellerin im Anhörungstermin angegeben, diese „Schlüssel-Situation“ entspreche der Situation zu ihrer Zeit als Betriebsratsvorsitzende. Zur aktuellen Situation könne sie nichts sagen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die auszugsweise Beiakte zum Hauptsacheverfahren Arbeitsgericht Suhl 6 BV 14/20, auf den Beschluss im parallelen einstweiligen Verfügungsverfahren Arbeitsgericht Suhl 6 BVGa 1/21 wegen Ladung zu Betriebsratssitzungen (Bl. 199 bis 204 d. A.) sowie auf das Protokoll des Anhörungstermins am 29.06.2021 Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft nach § 87 Abs. 1 ArbGG und wurde form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 und 2 ArbGG.
Die Kammer sieht sich auch nicht wegen etwaiger, von der Antragstellerin gerügter fehlender Verfahrensbevollmächtigung des Antragsgegnervertreters an einer Sachentscheidung gehindert. Dabei kann dahinstehen, ob der Antragsgegner ohne die Antragstellerin bzw. ein für sie eingeladenes Ersatzmitglied Beschlüsse zur Bevollmächtigung seines Verfahrensbevollmächtigten fassen konnte. Denn nach § 89 Abs. 1 ArbGG gilt der Anwaltszwang des § 11 Abs. 4, Abs. 5 ArbGG nur für die Einlegung und Begründung der Beschwerde. Die weiteren Beteiligten können sich nach § 90 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zur Beschwerde äußern, müssen dies aber nicht. Eine Pflicht zur Äußerung besteht nicht. Ebenso wenig besteht ein Vertretungszwang (Düwell/Lipke, ArbGG, 5. Auflage 2019, § 90
Rn. 5). Selbst ein Nichterscheinen des Antragsgegners im Anhörungstermin hätte nach § 90 Abs. 2 i.V.m. § 83 Abs. 4 S. 2 ArbGG einer Sachentscheidung nicht entgegengestanden.
2. Die Beschwerde ist weit überwiegend begründet.
Die Antragstellerin kann im einstweiligen Rechtsschutz bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Zugang zu den Betriebsratsunterlagen mittels Zurverfügungstellung des Schlüssels zur Bürotür sowie auch die Zugangsdaten zum E-Mail-Postfach des Antragsgegners verlangen. Auch hat sie einen Anspruch auf Zugänglichmachung des verschlossenen Schreibtischs sowie der verschlossenen Aktenschränke. Allerdings kann sie hierfür nicht die Aushändigung eines Schlüssels verlangen, so dass diesbezüglich nach den Hilfsanträgen zu 3a) und 5a) zu erkennen war.
a) Nach § 85 Abs. 2 S. 1 ArbGG ist auch in arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren der Erlass einer einstweiligen Verfügung zulässig. Für das Verfahren gelten nach § 85 Abs. 2 S. 2 ArbGG die Vorschriften des 8. Buchs der ZPO, dort insbesondere die §§ 935 ff. entsprechend. In Betracht kommen Sicherungsverfügungen nach § 935 ZPO und Regelungsverfügungen nach § 940 ZPO. Beide haben vorläufigen Charakter. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist stets das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs und eines Verfügungsgrundes. Beide müssen nach §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO vom Antragsteller glaubhaft gemacht werden. Das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs beurteilt sich nach materiellem Recht. In Betracht kommen für den Betriebsrat insbesondere Beteiligungs- und Beratungsrechte. Das von der Antragstellerin geltend gemachte Einsichts- und Zugangsrecht richtet sich gegen den Betriebsrat (Fitting, BetrVG, 30. Auflage 2020, § 34 Rn. 37).
b) Der Verfügungsanspruch der Antragstellerin folgt aus § 34 Abs. 3 BetrVG. Als Betriebsratsmitglied steht ihr das von ihr geltend gemachte Einsichtsrecht in die Unterlagen des Betriebsrats zu.
Der Verfügungsanspruch der Antragstellerin scheitert nicht an ihrer fehlenden Wählbarkeit. Wählbar ist nach § 8 BetrVG nur ein Arbeitnehmer, der dem Betrieb „angehört“. Fällt die Eingliederung in die Betriebsorganisation nachträglich weg, erlischt durch den Verlust der Wählbarkeit auch die Mitgliedschaft im Betriebsrat (§ 24 Nr. 4 BetrVG).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat die befristete volle Erwerbsminderungsrente der Antragstellerin keinen Einfluss auf deren Wählbarkeit und steht damit ihrem Nachrücken in den Betriebsrat und der Ausübung ihres Betriebsratsamts nicht entgegen.
Zu berücksichtigen ist, dass die fehlende Eingliederung in den Betrieb der Beteiligten zu 3) aufgrund der bis Ende Juni 2021 befristeten Erwerbsminderungsrente nur auf Zeit besteht. Anerkannt ist, dass die Mitgliedschaft im Betriebsrat dann fortbesteht, wenn das Arbeitsverhältnis nur ruht, in seinem rechtlichen Bestand aber aufrechterhalten bleibt, wie dies etwa bei Sonderurlaub, Zeiten des Mutterschutzes oder der Elternzeit der Fall ist. Die in dieser Zeit fehlende Eingliederung in den Betrieb ist unschädlich, da eine Rückkehr in den Betrieb vorgesehen ist (BAG 25.02.2005 – 7 ABR 45/05; Fitting, BetrVG, 29. Auflage 2018, § 8 Rn. 16). Steht demgegenüber bereits mit Beginn der Freistellungsphase fest, dass eine Rückkehr nicht vorgesehen ist, verliert der Arbeitnehmer bereits zu diesem Zeitpunkt sein aktives Wahlrecht (so für das Blockmodell der Altersteilzeit BAG 16.04.2003 7 ABR 53/02). Im Falle der Antragstellerin ist ihre Rückkehr in den Betrieb nach Ablauf des 30.06.2021 vorgesehen. Die Antragstellerin hat im Anhörungstermin angegeben, aktuell mit der Beteiligten zu 3) zu ihren Einsatzmöglichkeiten ab Juli 2021 in Kontakt zu stehen. Vor diesem Hintergrund kann nicht die Rede davon sein, dass eine Rückkehr in den Betrieb nicht vorgesehen ist. Etwaige bloß statistische Unwahrscheinlichkeiten einer Rückkehr nach Bezug einer befristeten Erwerbsminderungsrente ändern nichts daran, dass unter Berücksichtigung der derzeitigen Sachlage die Antragstellerin lediglich auf Zeit nicht dem Betrieb der Beteiligten zu 3) angehört.
Die Frage der Wählbarkeit ist von der Frage einer zeitweiligen Verhinderung des vorübergehend nicht betriebsangehörigen Betriebsratsmitglieds im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG zu trennen. Da eine zeitweilige Verhinderung allenfalls eine Stellvertretung durch das Ersatzmitglied nach sich zieht, das Betriebsratsmandat an sich aber unberührt lässt, kann für die vorliegende Entscheidung dahinstehen, ob unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung (BAG 27.09.2012, 2 AZR 955/11) wegen der von der Antragstellerin angezeigten Bereitschaft, trotz ihrer Erwerbsminderungsrente für Betriebsratstätigkeiten zur Verfügung zu stehen, ein Vertretungsfall überhaupt vorliegt. Die vorzitierte Rechtsprechung zeigt allerdings, dass dem aus ihrer Stellung als Betriebsratsmitglied folgenden Recht der Antragstellerin aus § 34 Abs. 3 BetrVG nicht der Einwand entgegengehalten kann, sie könne ihrem Mandat rein tatsächlich wegen Verhinderung nicht nachkommen.
c) Die jederzeitige Zugangsberechtigung zu den Unterlagen des Betriebsrats nach § 34 Abs. 3 BetrVG beschränkt sich nicht nur auf das eigentliche Einsichtsrecht in Unterlagen. Vielmehr kann aus § 34 Abs. 3 BetrVG für ein Betriebsratsmitglied ein Anspruch auf Überlassung auch eines Schlüssels für das Betriebsratsbüro folgen, wenn dem Betriebsrat eine solche Überlassung tatsächlich möglich und zumutbar ist und anderenfalls ein jederzeitiges Einsichtsrecht des Betriebsratsmitglieds nicht gewährleistet werden kann (Hess. LAG, Beschluss vom 09.09.2019,16 TaBV 67/19, Juris Rn. 20; LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.02.2013,13 TaBV 11/12, Juris Rn. 28). Ein solcher Anspruch ergibt sich als mittelbarer Reflex aus dem Einsichtnahmerecht aus § 34 Abs. 3 BetrVG, welches nicht ohne Grund vom Gesetzgeber im Sinne eines Minderheitenschutzes für jedes einzelne Betriebsratsmitglied – und zwar jederzeit – ausgestaltet ist.
aa) Dieses jederzeitige Einsichtsrecht des Betriebsratsmitglieds kann weder durch die Geschäftsordnung noch durch einen Beschluss des Betriebsrats eingeschränkt werden. Auch das Organisationsermessen schränkt dieses jederzeitige Einsichtsrecht entgegen der Auffassung des Erstgerichts nicht ein. Grund hierfür ist der Minderheitenschutz. Denn das Recht auf jederzeitige Information bezweckt auch, dass jedes einzelne Mitglied jederzeit die Aufgabenwahrnehmung der anderen Betriebsratsmitglieder kontrollieren können muss (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 20.02.2013,13 TaBV 11/12, juris Rn. 30). Unzulässig ist es deshalb auch, das Einsichtsrecht von besonderen Voraussetzungen (z. B. durch Geschäftsordnung oder Beschluss des Betriebsrats) abhängig zu machen (BAG 12.08.2009, 7 ABR 15/08, Juris Rn. 23; Fitting, BetrVG, 29. Auflage 2018, § 34 Rn. 33 b).
Eine Einschränkung des Rechts der Antragstellerin, vom Antragsgegner jederzeit im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren Zugang zu den Unterlagen des Betriebsrats zu erlangen, konnte daher durch den vom Antragsgegner ins Feld geführten Beschluss vom 19.08.2020 (Bl. 183 d. A.) nicht dahingehend eingeschränkt werden, dass das Arbeiten und Betreten des Betriebsratsbüros nur in Absprache mit mindestens noch einem Betriebsratsmitglied gestattet ist. Die Frage, ob dieser Betriebsratsbeschluss, was die Antragstellerin in Abrede stellt, wirksam zu Stande gekommen ist, kann daher dahinstehen.
bb) Dies vorausgeschickt kann die Antragstellerin zur Durchsetzung ihres jederzeitigen Einsichtsrechts die Aushändigung eines Schlüssels zur Bürotür des Betriebsratsbüros vom Antragsgegner verlangen. Diese Aushändigung ist für den Antragsgegner ohne weiteres möglich und zumutbar. Einen solchen Schlüssel hatte die Antragstellerin während ihrer vorherigen Amtszeit im Besitz. Und nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten ist für jedes Betriebsratsmitglied ein solcher Schlüssel vorgesehen.
cc) Das Einsichtsrecht der Antragstellerin erstreckt sich ebenso auf sämtliche elektronisch gespeicherten Unterlagen und die elektronische Kommunikation des Betriebsrats. Hierbei ist den Betriebsratsmitgliedern sowohl der Zugang zu dem Server des Betriebsrats zu gewähren (BAG 12.08.2009, 7 ABR 15/08, Juris Rn. 17,18) als auch zu der Korrespondenz des Betriebsrats unter dessen E-Mail-Anschrift (Fitting, BetrVG, 29. Auflage 2018, § 34 Rn. 36). Das Recht der Antragstellerin erfasst daher die von der Betriebsratsvorsitzenden für die Betriebsratsarbeit genutzte E-Mail-Adresse … und bezieht sich auch darauf, durch entsprechende Zugangsdaten ersten Zugriff auf die elektronische Kommunikation des Antragsgegners zu erhalten.
dd) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kann sie indes keine Schlüssel für den Aktenschrank oder den Schreibtisch im Betriebsratsbüro beanspruchen. Wie zuvor dargestellt, beschränkt sich das Recht des Betriebsratsmitglieds, das Einsichtsrecht in Unterlagen auch durch die Zurverfügungstellung entsprechender Schlüssel zu realisieren, auf zumutbare und mögliche Maßnahmen. Für die Kammer ist nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner – ebenso wie für das Betriebsratsbüro – Schlüssel in einer für alle Betriebsratsmitglieder ausreichenden Anzahl vorhält. Wie die Betriebsratsvorsitzende im Anhörungstermin zu Protokoll erklärt hat, gibt es zum Aktenschrank nur einen Schlüssel. Auch für den Schreibtisch sind nur zwei Schlüssel vorhanden, welche auf sie selbst und auf die stellvertretende Vorsitzende verteilt sind. Bei nur zwei vorhandenen Schlüsseln ist es nicht zu beanstanden, diese beiden Schlüssel auf die herausgehobenen Funktionen der Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden zu verteilen. Da der Antragsgegner nach Bekunden seiner Vorsitzenden bislang keinen Versuch unternommen hat, etwaige Schlüssel nachmachen zu lassen, besteht zudem das Risiko, dass das Nachmachen von Schlüsseln unter Umständen gar nicht möglich ist. Die Kammer sieht sich vor diesem Hintergrund nicht in der Lage, den Antragsgegner zu einer Überlassung von Schlüsseln an die Antragstellerin zu verpflichten. Die diesbezüglichen Hauptanträge der Antragstellerin blieben daher erfolglos.
Allerdings war der Antragsgegner nach den Hilfsanträgen zu 3a) und 5a) zu verpflichten, der Antragstellerin Zugang zu Schreibtisch und Aktenschrank zu gewähren. Wie der Antragsgegner dieses jederzeitige Zugangsrecht realisiert, bleibt letztlich ihm überlassen. Das Nachmachen weiterer Schlüssel über den Arbeitgeber ist sicherlich eine sinnvolle Möglichkeit.
d) Der Verfügungsgrund für den Erlass der einstweiligen Verfügung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache ergibt sich daraus, dass die Rechte der Antragstellerin als Betriebsratsmitglied ohne den jederzeitigen Zutritt zu den Betriebsratsunterlagen vereitelt werden. Nur mit Erlass der einstweiligen Verfügung kann verhindert werden, dass der Antragsgegner unter Verletzung von Rechten der Antragstellerin vollendete Tatsachen schafft. Offenbar wird die Antragstellerin mittlerweile in Befolgung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Suhl im parallelen einstweiligen Verfügungsverfahren (6 BVGa 1/21) zu Betriebsratssitzungen eingeladen. Auch aus diesem Grund muss sie die Möglichkeit haben, sich anhand der Betriebsratsunterlagen jederzeit auf diese Sitzungen und die an sie als Betriebsratsmitglied herangetragenen Themen zu informieren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.


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