Arbeitsrecht

Betriebsrentenanpassung – wirtschaftliche Lage des Versorgungsschuldners – konzerninterne Verrechnungspreisabrede

Aktenzeichen  3 AZR 37/14

Datum:
10.2.2015
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2015:100215.U.3AZR37.14.0
Normen:
§ 16 Abs 1 BetrAVG
§ 16 Abs 2 BetrAVG
§ 17 Abs 3 BetrAVG
Spruchkörper:
3. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Lörrach, 8. Mai 2013, Az: 3 Ca 333/12, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 14. Oktober 2013, Az: 9 Sa 33/13, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird – unter Zurückweisung der Revision im Übrigen – das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg – Kammern Freiburg – vom 14. Oktober 2013 – 9 Sa 33/13 – teilweise aufgehoben.
Auf die Berufung wird – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen – das Urteil des Arbeitsgerichts Lörrach vom 8. Mai 2013 – 3 Ca 333/12 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger rückständige Betriebsrente für die Zeit von Januar 2012 bis April 2013 iHv. insgesamt 3.161,92 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. Februar 2015 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger beginnend mit dem Monat Mai 2013 über die von ihr iHv. 4.823,00 Euro brutto gezahlte monatliche Betriebsrente hinaus monatlich weitere 197,62 Euro brutto zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte zu 83 % und der Kläger zu 17 % zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Anpassung der Betriebsrente des Klägers zum 1. Januar 2012.
2
Der Kläger war bis zum 30. September 1991 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der H AG beschäftigt. Er bezieht seit dem 1. Oktober 1991 eine Betriebsrente. Diese betrug bei Rentenbeginn 6.850,00 DM (= 3.502,35 Euro) monatlich. Die Betriebsrente des Klägers wurde letztmalig zum 1. Januar 2009 angepasst und beläuft sich seitdem auf 4.823,00 Euro. Die Beklagte, die die Anpassungsprüfungen zum 1. Januar eines jeden Kalenderjahres gebündelt durchführt, lehnte eine Anpassung der Betriebsrente des Klägers zum 1. Januar 2012 ab.
3
Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen der chemischen Industrie. Sie gehört dem internationalen D-Konzern an, an dessen Spitze die „K D N.V.“ mit Sitz in H (Niederlande) steht. Der Konzern ist in verschiedene „Geschäftseinheiten“ untergliedert. Eine „Geschäftseinheit“ ist die Muttergesellschaft der Beklagten, die D N AG, die ihren Sitz in der Schweiz hat (im Folgenden Muttergesellschaft). Die Muttergesellschaft der Beklagten gliedert sich in verschiedene „Produktionsstätten“. Die Beklagte ist eine dieser „Produktionsstätten“. Die Beklagte stellt verschiedene Vitamine her, die ausschließlich von ihrer Muttergesellschaft abgenommen und sodann an weitere konzernangehörige Unternehmen zur Erstellung des Endprodukts weitergegeben werden. Der Vertrieb der Endprodukte findet auf konsolidierter Ebene statt. Die Muttergesellschaft erstattet der Beklagten die dieser entstandenen (Voll-)Kosten. Zudem zahlt sie auf den Erstattungsbetrag einen Aufschlag, der zunächst 1,0 % betrug und sich seit dem 1. Januar 2011 auf 1,1 % beläuft. Der Aufschlag wurde nach einem internationalen Bilanzierungsstandard errechnet und dient nach einer entsprechenden Absprache mit den Finanzbehörden als Grundlage für die Besteuerung der Beklagten im Inland.
4
Die Beklagte ist zudem als Organgesellschaft im Rahmen einer Organschaft mit der D V-GmbH mit Sitz in D verbunden. Ausweislich der Eintragungen im Handelsregister der Beklagten wurde zwischen dieser und der D V-GmbH am 3./9. September 2004 ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen. Dieser Unternehmensvertrag wurde durch Vertrag vom 14. Oktober/5. November 2010 geändert. Insbesondere wurde die Regelung über die Beherrschung aufgehoben; seitdem besteht zwischen der Beklagten und der D V-GmbH ein reiner Ergebnisabführungsvertrag.
5
Am 30. November 2011 schlossen die Beklagte und der bei ihr bestehende Betriebsrat die Standortsicherungsvereinbarung „ ‚Impuls‘ – Projekt zur Standortsicherung“ (im Folgenden Standortsicherungsvereinbarung) ab, die diverse Maßnahmen zur Kostenreduzierung vorsieht. In der Standortsicherungsvereinbarung heißt es ua.:
        
„1.    
Einleitung
        
Der Beitrag des Standortes G zum DNP-Geschäftsergebnis ist defizitär und das bereits seit Jahren. Die vorherigen Optimierungsprogramme VITAL und PEP sowie andere Anstrengungen, die Fixkosten zu optimieren, haben zwar die Lage verbessert, doch leider nicht auf ein Niveau gebracht, auf dem G als Produktionswerk im Wettbewerbsumfeld der wasserlöslichen Vitamine wettbewerbsfähig und profitabel ist. Dies ist langfristig keine wirtschaftlich nachhaltige Situation.
        
Im Rahmen einer strategischen Analyse haben die Betriebsparteien mögliche Optionen zur Verbesserung der Situation überprüft. Das Impulsprojekt ist das Ergebnis dieser Analyse. Es dient dem gemeinsamen Ziel der Betriebsparteien, den Standort nachhaltig wettbewerbsfähig zu machen und zu halten und umfasst weitreichende Maßnahmen, die teilweise bis in das Jahr 2020 reichen.
        
Die Maßnahmen im Rahmen der Projektumsetzung lassen sich in drei Teilbereiche (Säulen) untergliedern:
        
        
•       
Die strategische Entscheidung, die B6 Produktion abzustellen und zu verlagern.
        
        
•       
Eine weitere Reduktion der Fixkosten im Rahmen des ‚kontinuierlichen Verbesserungs‘-Prozesses.
        
        
•       
Zusätzliche Wertschöpfung durch bessere Auslastung der Kapazität und Infrastruktur.
        
Die Reduktion der Fixkosten als zweiter Teilbereich der Umsetzung des Impulsprojektes lässt sich nur bei gleichzeitigen Investitionsmaßnahmen realisieren: Einerseits ist eine Umsetzung der Einsparungen alleine durch Leistungsverdichtung nicht realisierbar. Als Teil des Gesamtpaketes zur Umsetzung weiterer Fixkostenreduzierung sind deshalb substanzielle und zukunftsorientierte Investitionen geplant. Insgesamt sieht DNP vor, zusätzlich zum normalen ‚Unterhalts-Capex‘ in der Größenordnung von ca. 20 Millionen Euro in den Standort zu investieren, u. a. in eine erhöhte Automatisierung der Produktionsanlagen, eine Zentralisierung der Labors und in neue Produkte. Andererseits müssen auch die Mitarbeiter am Standort in dessen Zukunft investieren. Dies wird in Form von Personalreduktion und Personalkostenkürzungen geschehen.
        
…       
        
        
3.    
Die Maßnahmen im Einzelnen:
        
3. a. 
Säule 1: Schließung bzw. Verlagerung der B6 Produktion
        
…       
        
        
3. b. 
Säule 2: Fixkostenoptimierung
        
…       
        
        
3. b. i.
Effizienzverbesserungen und Kosteneinsparungen
        
Hierbei handelt es sich um Maßnahmen, die keinen Einfluss auf das Personal haben:
        
        
…       
        
3. b. ii.
Effizienzverbesserungen, die zu Stellenabbau führen
        
…       
        
        
3. b. iii.
Reduktion Personalkosten
        
… Die Betriebsparteien haben gemeinsam folgendes, den Interessen der Betriebsparteien weitestgehend Rechnung tragendes Paket zusammengestellt, um das angestrebte Einsparvolumen von mindestens ca. 2,3 Mio Euro pro Jahr zu erreichen:
        
        
…       
        
        
        
•       
Betriebsrentenerhöhung für alle Rentner 1 x nicht durchführen (1 Zyklus, ab 2012). Dann prüfen, ob die Rentenerhöhung noch einmal um 1 Zyklus nicht durchgeführt werden kann
        
        
        
…“    
        
6
Ausweislich der von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft E GmbH geprüften und testierten Jahresabschlüsse stellte sich die wirtschaftliche Lage der Beklagten in den Geschäftsjahren 2009 bis 2011 wie folgt dar:
7
Die Bilanz der Beklagten für das Geschäftsjahr 2009 weist zum Ende der Geschäftsjahre 2008 und 2009 jeweils ein Eigenkapital iHv. 53.860.000,00 Euro aus. Ausweislich der Gewinn- und Verlustrechnung der Beklagten für das Geschäftsjahr 2009 betrug das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit 14.245.000,00 Euro. Zzgl. der Steuern vom Einkommen und vom Ertrag iHv. 449.000,00 Euro sowie abzüglich sonstiger Steuern iHv. (minus) 508.000,00 Euro belief sich das Jahresergebnis auf 14.186.000,00 Euro. Diesen Betrag führte die Beklagte an die D V-GmbH ab.
8
Ausweislich der Bilanz der Beklagten für das Geschäftsjahr 2010 betrug das Eigenkapital der Beklagten zum 31. Dezember 2010 insgesamt 54.143.000,00 Euro. Die Gewinn- und Verlustrechnung der Beklagten für das Geschäftsjahr 2010 weist unter Berücksichtigung außerordentlicher Aufwendungen iHv. (minus) 2.861.000,00 Euro ein Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit iHv. 18.650.000,00 Euro aus. Abzüglich der Steuern vom Einkommen und vom Ertrag iHv. (minus) 333.000,00 Euro sowie abzüglich sonstiger Steuern iHv. (minus) 582.000,00 Euro ergibt sich ein Jahresergebnis iHv. 17.735.000,00 Euro. Dieser Betrag wurde wiederum vollständig an die D V-GmbH abgeführt.
9
Nach der Bilanz der Beklagten für das Geschäftsjahr 2011 betrug ihr Eigenkapital zum 31. Dezember 2011 wiederum 54.143.000,00 Euro. Nach der Gewinn- und Verlustrechnung erzielte die Beklagte im Geschäftsjahr 2011 unter Berücksichtigung außerordentlicher Aufwendungen iHv. (minus) 2.618.000,00 Euro ein Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit iHv. 12.637.000,00 Euro. Abzüglich der Steuern vom Einkommen und vom Ertrag iHv. (minus) 6.000,00 Euro sowie sonstiger Steuern iHv. (minus) 901.000,00 Euro ergab sich ein Jahresergebnis iHv. 11.730.000,00 Euro, das die Beklagte wiederum an die D V-GmbH abführte.
10
In den Jahren 2009 bis 2011 erzielten die öffentlichen Anleihen die folgenden Umlaufrenditen (vgl. Monatsbericht Dezember 2014 der Deutschen Bundesbank, S. 53 – www.bundesbank.de/Veröffentlichungen/Monatsberichte):
        
2009   
3,1     
        
2010   
2,4     
        
2011   
2,4     
11
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, seine Betriebsrente zum Anpassungsstichtag 1. Januar 2012 an den Kaufkraftverlust anzupassen. Dieser habe sich in der Zeit von Januar 2009 bis Januar 2012 auf 4,89 % belaufen. Aus diesem Grund sei seine monatliche Betriebsrente iHv. aktuell 4.823,00 Euro um 235,84 Euro monatlich auf monatlich 5.058,84 Euro anzuheben. Die wirtschaftliche Lage der Beklagten stehe der Anpassung seiner Betriebsrente nicht entgegen.
12
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückständige Betriebsrente für die Zeit von Januar 2012 bis April 2013 iHv. insgesamt 3.773,68 Euro brutto zzgl. Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtskraft des Urteils zu zahlen,
        
2.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn beginnend mit dem Monat Mai 2013 eine weitere monatliche Betriebsrente iHv. 235,84 Euro brutto zu zahlen.
13
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat sich darauf berufen, ihre wirtschaftliche Lage lasse eine Anpassung der Betriebsrente des Klägers zum 1. Januar 2012 nicht zu. Die von ihr vorgelegten Jahresabschlüsse seien zur Beurteilung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht geeignet, da sie die „wahre“ wirtschaftliche Situation nicht wiedergäben. Da sie ihre Umsatzerlöse nahezu ausschließlich aus den von der Muttergesellschaft an sie gezahlten Verrechnungspreisen generiere und diese Verrechnungspreise auf einer mit dem Finanzamt abgestimmten Regelung beruhten, die ausschließlich der Gewinnerzielung zur Besteuerung des Unternehmens im Inland diene, seien ihre Ergebnisse nur „auf dem Papier“ positiv. Tatsächlich sei sie aufgrund der hohen Produktionskosten derzeit nicht mehr wettbewerbsfähig; der Beitrag, den sie zum gesamten Geschäftsergebnis im Konzern leiste, sei seit Jahren defizitär. Dies werde durch eine Profitabilitäts-Aufstellung belegt. Sie habe im Jahr 2009 mit der Produktion der Vitamine B1, B2, B6 und D3 insgesamt einen operativen Verlust iHv. (minus) 19 Mio. Euro erwirtschaftet. Gehe man von einer Eigenständigkeit sowie den damit verbundenen Kosten aus und lege man die von ihr am Markt erzielbaren Preise zugrunde, so ergäben sich für das Geschäftsjahr 2009 ein operatives Ergebnis iHv. minus 27.284.000,00 Euro sowie ein Verlust iHv. (minus) 25.122.000,00 Euro, für das Geschäftsjahr 2010 ein operatives Ergebnis iHv. minus 6.775.000,00 Euro und ein Verlust iHv. (minus) 17.414.000,00 Euro sowie für das Geschäftsjahr 2011 ein operatives Ergebnis iHv. minus 10.115.000,00 Euro sowie ein Verlust iHv. (minus) 19.979.000,00 Euro. Mit diesen Ergebnissen sei sie innerhalb des Konzerns nicht wettbewerbsfähig. Vor diesem Hintergrund hätten der Konzern und ihre Muttergesellschaft Kostenreduktionen in einem Umfang von 35.000.000,00 Euro verlangt, um den Standort zu erhalten. Zu diesem Zweck habe sie am 30. November 2011 mit dem Betriebsrat die Standortsicherungsvereinbarung „Impuls“ geschlossen. Ausweislich des ebenfalls am 30. November 2011 geschlossenen Teil-Interessenausgleichs komme es zu einem Abbau von 71 Stellen. Darüber hinaus sei entschieden worden, sowohl über Effizienzverbesserungen als auch über Kosteneinsparungen die Personalkosten zu reduzieren. Verschiedene übertarifliche Leistungen seien gekürzt worden. Hiervon betroffen seien ua. übertarifliche Zahlungen vor allem im Schichtbereich, auch das 14. Monatsgehalt sei um 50 % gekürzt worden. Die Notwendigkeit, Kosten einzusparen, habe bereits seit dem Jahr 2010 bestanden. Dies werde durch das Gutachten belegt, das Prof. B für den Betriebsrat der Beklagten erstellt habe. Wäre sie verpflichtet, die Betriebsrenten zu den Anpassungsstichtagen 1. Januar 2012, 1. Januar 2013 sowie 1. Januar 2014 anzupassen, würde dies zu zusätzlichen Kosten iHv. über 450.000,00 Euro gerechnet für drei Jahre führen. Dann wäre – so ihr Vortrag – ein weiterer Stellenabbau im Umfang von fünf Stellen unvermeidlich. Jedenfalls dürften zur Beurteilung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit die von ihr vorgelegten Jahresabschlüsse nicht unbesehen übernommen werden. Vielmehr seien entsprechende Korrekturen vorzunehmen.
14
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.


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