Arbeitsrecht

Bewerberverfahrensanspruch – Dokumentation der Auswahlerwägungen

Aktenzeichen  4 SaGa 4/21

Datum:
27.10.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Landesarbeitsgericht 4. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LAGTH:2021:1027.4SAGA4.21.00
Spruchkörper:
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Verfahrensgang

vorgehend ArbG Erfurt, 19. März 2021, 2 Ga 4/21, Urteil

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 19.03.2021 – 2 Ga 4/21 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung die Verhinderung einer endgültigen Stellenbesetzung, bevor nicht rechtsfehlerfrei in einem Auswahlverfahren über ihre Bewerbung entschieden ist.
Der erstinstanzlich unterlegene Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 19.3.2021, 2 Ga 4/21, abzuändern und den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 7.1.2021 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt.
die Berufung zurückzuweisen.
Von der Darstellung eines Tatbestandes und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 4 S. 2 ArbGG i.V.m. § 313 Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist unbegründet.
Wegen der Begründung wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf die ausführlichen und überzeugenden Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (Seiten 5-8 des Entscheidungsabdrucks, Blatt 111-114 d.A.), denen die Kammer folgt und welche sich die Kammer zu eigen macht, Bezug genommen.
Die Ausführungen im Berufungsrechtszug veranlassen folgende Ergänzungen:
Der Ausschluss der Klägerin vom eigentlichen Auswahlverfahren ist schon deshalb eine Verletzung ihres Bewerber*innenverfahrensanspruchs, weil die Dokumentation des Beklagten unzureichend ist.
I.
Soweit der Beklagte in der Berufungsbegründung und im von der Kammer berücksichtigten Schriftsatz vom 19.10.2021 die Entscheidung, die Klägerin von vornherein nicht in das Auswahlverfahren mit einzubeziehen, mit vorgelagerten personalpolitischen Überlegungen begründet, verhilft dies der Berufung nicht zum Erfolg, weil diese Überlegungen nicht hinreichend dokumentiert sind.
Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes hinsichtlich des Bewerber*innenverfahrensanspruchs müssen Auswahlüberlegungen hinreichend dokumentiert sein, damit eine gerichtliche Überprüfung erfolgen kann und nicht zum Nachteil eines*r Bewerbers*in im Nachgang der Auswahlentscheidung die Kriterien geändert werden können (BAG 17.8.2010 – 9 AZR 347/09). Das gilt auch für die vom Beklagten reklamierten personalpolitischen Überlegungen und vorgelagerten Organisationsgrundentscheidungen (Landesarbeitsgericht Köln 08.04.2021 – 6 SaGa 6/20; OVG Magdeburg 16.11.2020 – 1 M 110/20).
An einer entsprechenden Dokumentation fehlt es hier. Weder bei der dokumentierten Erarbeitung des Anforderungsprofils (Blatt 55 ff. der Akte/Blatt 000003 bis 000004 Rs der Verwaltungsakte) noch im Auswahlvermerk (Blatt 73 ff. der Akte/Blatt 000023 bis 000026 der Verwaltungsakte) finden sich auch nur ansatzweise Andeutungen im Hinblick auf diese Überlegungen. Damit kann der Beklagte jedenfalls im einstweiligen Verfügungsverfahren seine Entscheidung, die Klägerin überhaupt nicht ins Auswahlverfahren mit einzubeziehen, nicht rechtfertigen.
Es ist nirgendwo festgehalten, dass überqualifizierte Bewerber*innen unabhängig davon, ob ihre Ausbildung gleichwohl vergleichbar mit den in der Ausschreibung als zwingend ausdrücklich genannten Ausbildungen ist, aus personalpolitischen Gründen und welchen genau nicht ins Auswahlverfahren genommen werden sollen (zu Möglichkeiten vergleiche LAG Köln 8.4.2021 – 6 SaGa 6/20 Rn 38 und 40).
II.
Das gilt ebenso für die Ausführungen des Beklagten zu den Laufbahnvoraussetzungen für eine etwaige Verbeamtung, sodass es nicht darauf ankommt das § 9 Abs. 2 Thüringer Laufbahngesetz dort Mindestanforderungen aufzählt und ausdrücklich Hochschulabschlüsse, die nicht auf Fachhochschulabschlüsse beschränkt sind, erwähnt. Die Option späterer Verbeamtung und die daraus abgeleitete Anforderung, Bewerber*innen müssten die Laufbahnanforderungen erfüllen, hätte auch dokumentiert werden müssen. Es spricht viel dafür, dies auch zwingend in eine Ausschreibung mit zu übernehmen.
III.
Die Entscheidung, die Klägerin vom Auswahlverfahren auszuschließen ist über die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts hinaus auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil sich dem Vorbringen des Beklagten nicht entnehmen lässt, weshalb der Hochschulabschluss der Klägerin im Fach Biologie mit Nebenfach Naturschutz kein der in den Ausschreibungen ausdrücklich genannten Studienabschlüssen vergleichbarer Studienabschluss sein soll. Dazu sind Sachvortrag des Beklagten zu oberflächlich, und auch sein dokumentiertes Verhalten im Auswahlverfahren dazu ist unklar (2). Ferner fehlt es auch diesbezüglich an hinreichender Dokumentation (1).
1.
Der Beklagte hat mit der Aufnahme vergleichbarer Ausbildungen in die zwingenden Voraussetzungen selbst eine Unbestimmtheit in die Ausschreibung genommen, die zu seinen Lasten geht. Er hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, vorab zu dokumentieren, welche Ausbildungen er aus welchem Grund als vergleichbar ansieht oder welche aus welchem Grund nicht. Allein der Umstand einer Höherwertigkeit schließt eine Vergleichbarkeit im Sinne der Ausschreibung nicht aus.
Auch im Auswahlvermerk (ab Blatt 73 der Akte) finden sich hierzu keinerlei Ausführungen. Es ist allein das Ergebnis festgehalten, dass Bewerber*innen, welche die in der Ausschreibung als zwingend genannten Voraussetzungen nicht erfüllen, von vornherein aus dem Auswahlverfahren genommen worden seien. Zur Begründung ist lediglich aufgeführt, diese hätten die nicht die zwingend erforderliche Ausbildung. Dem lässt sich nicht entnehmen, welche Kriterien hier überhaupt angesetzt wurden. Aus diesem Grund ist diesbezüglich die Auswahlentscheidung nicht hinreichend dokumentiert. Die im zweiten Rechtszug überreichte sogenannte Abschichtungstabelle ist diesbezüglich auch nicht aufschlussreich, weil es nur Angaben zu denjenigen Personen enthält, welche ins Auswahlverfahren einbezogen wurden und nicht zu denjenigen Personen, welche von vornherein aussortiert wurden. Die Kammer hätte erwartet, dass die Abschlüsse der 20 nicht ins Auswahlverfahren einbezogenen Bewerber*innen benannt worden wären und festgehalten worden wäre, aus welchen Gründen diese als nicht mit den in der Ausschreibung ausdrücklich genannten Abschlüssen vergleichbar angesehen werden.
Bei der Entwicklung des Anforderungsprofils (Blatt 55 der Akte) finden sich bezüglich der fachlichen Kompetenzen leicht vom Ausschreibungstext abweichende Formulierungen. Zum einen sind dort weitere Fachrichtungen über die im Ausschreibungstext übernommenen hinaus ausdrücklich genannt. Zum anderen ist dort hinter dem Wort „Hochschulabschluss“ im Klammerzusatz zunächst der Begriff „Bachelor“ und danach „Diplom“ mit dem Klammerzusatz „FH“ vermerkt. Die Reihenfolge in der Ausschreibung ist umgekehrt. Aus der Reihenfolge „Diplom (FH)/Bachelor“, wie in der Ausschreibung, könnte eventuell der Schluss gezogen werden, auch der Bachelor sollte der einer FH sein. Der Klammerzusatz FH könnte gleichsam symbolisiert durch den verwendeten Schrägstrich auch auf das danach folgende Wort bezogen sein. Aus der umgekehrten Reihenfolge ergibt sich ein solch ohnehin weitgehender Schluss nicht. Die Auffassung des Beklagten, die Ausschreibung sei auf Fachhochschulabschlüsse beschränkt kann daher letztlich nicht nachvollzogen werden.
2.
a)
Die Abschichtungstabelle ist allerdings insofern aufschlussreich, als dass der Beklagte die im Rechtsstreit vorgetragene Konsequenz tatsächlich bei der Auswahl nicht an den Tag gelegt hat. Es ist jedenfalls nicht aus sich heraus selbsterklärend, ein Studium der Landschaftsarchitektur sei besser mit den ausdrücklich genannten Fachrichtungen vergleichbar als das Hochschulstudium der Biologie mit Nebenfach Naturschutz.
b)
Darüber hinaus sind in der Berufungsbegründung nur die Studieninhalte des in der Ausschreibung ausdrücklich erwähnten Fachhochschulstudiums Naturschutz, Landschaftspflege aufgezählt nicht aber in gleicher Substanz die des Studiums der Klägerin. Damit kann die Kammer nicht feststellen, das Studium der Klägerin sei mit dem in der Ausschreibung ausdrücklich genannten nicht vergleichbar; es ist auch nicht ersichtlich, welche Kriterien der Beklagte diesbezüglich angelegt hat. Auch hier fehlt die Dokumentation.
c)
Aus dem Vorbringen der Klägerin hingegen ergibt sich, dass eine viel höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass ihr Studium mit dem konkret gewählten Nebenfach jedenfalls eine vergleichbare Ausbildung ist. Sie hat unwidersprochen zum Inhalt vorgetragen, dass Bio- und Geowissenschaften, Landschaftsökologie sowie Raum- und Umweltplanung Gegenstand ihres Studiums gewesen sind sowie auch die Vermittlung von Kenntnissen der relevanten Gesetzgebung, Verwaltungspraxis und internationale Abkommen. Das ist hinreichend glaubhaft und im Übrigen der Entscheidung gemäß § 138 Abs. 3 ZPO der Entscheidung zu Grunde zu legen.
Nach alledem erweist sich der Ausschluss der Klägerin vom Auswahlverfahren inhaltlich als rechtsfehlerhaft und außerdem auch diesbezüglich nicht hinreichend dokumentiert.
Der Beklagte trägt die Kosten seiner erfolglosen Berufung (§ 97 Absatz ein ZPO).
Ein Ausspruch über die Zulassung eines Rechtsmittels im Tenor bedurfte es nicht, weil ein solches nicht vorgesehen ist (§ 72 Abs. 4 ArbGG).
Die Entscheidung ist unanfechtbar.


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