Arbeitsrecht

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Aktenzeichen  5 BV 7/20

Datum:
16.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51499
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Die Betriebsratswahl am / bis einschließlich
Freitag, 21.08.2020 wird für unwirksam erklärt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der am bzw. bis einschließlich 21.08.2020 im Betrieb der Antragstellerin und Beteiligten zu 1 durchgeführten Betriebsratswahl.
Aus der Betriebsratswahl ging ein aus 9 Mitgliedern bestehender Betriebsrat, der Beteiligte zu 6, hervor.
Die weiteren Antragsteller/innen und Beteiligten zu 2 – 5 sind Arbeitnehmer im Betrieb der Antragstellerin und Beteiligten zu 1.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 ist eine Tochtergesellschaft der Sozialstiftung CStadt.
Die C. C-Stadt ist eine Stiftung des Öffentlichen Rechts. Sie wurde im Jahr 2004 als Zusammenschluss der bis dahin städtischen Stiftungen im Gesundheits- und Sozialwesen der Stadt C-Stadt gegründet. Sie betreibt u. a. das Klinikum C. in der C-Straße, C-Stadt (vormals Klinikum C-Stadt).
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 wurde im Jahr 2007 gegründet. Sie betreibt ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) in C-Stadt mit Ärztlichen Praxiszentren (ÄPZ) X., in der X. und in der X. in C-Stadt sowie das Neuronetz. Sie beschäftigt insgesamt ca. 360 Mitarbeiter.
Der Betrieb der Antragstellerin und Beteiligten zu 1 war zunächst betriebsratslos.
Gegen Ende des Jahres 2019 wurde im Betrieb der Antragstellerin und Beteiligten zu 1 ein Wahlvorstand gewählt. Vorsitzende des Wahlvorstands war Frau N., weitere Mitglieder waren Herr N. und Frau N. Ersatzmitglied des Wahlvorstands war Herr N.
Der Wahlvorstand – Wahlvorstand X. gGmbH – hatte seine Postanschrift in der I-Straße, C-Stadt.
Der Wahlvorstand erließ am 09.07.2020 das Wahlausschreiben, das am 10.07.2020 ausgehängt wurde (Bl. 15/16).
Das Wahlausschreiben lautet auszugsweise:
„Die Betriebsratswahl findet bis einschließlich Fr, 21.08.2020 per Briefwahl statt.
Die Wahlunterlagen können bis 11 Uhr an der Poststelle im Klinikum X. (neben Rezeption Haupteingang) abgegeben werden.
Auf Grund der unabwägbaren Corona-Situation wurde die schriftliche Stimmabgabe für alle Betriebsteile bzw. Kleinstbetriebe gemäß § 24 Abs. 3 WO beschlossen.
Der Briefwahl-Freiumschlag muss dem Wahlvorstand bis zum Ende der Stimmabgabe (siehe oben) zugegangen sein.
Der Wahlvorstand öffnet in öffentlicher Sitzung die Briefwahl-Freiumschläge (§ 26 Abs. 1 Satz 1 WO). Diese Sitzung findet statt am 21.08.2020, ab 12 Uhr im Raum Residenz, SSB Klinikum X., C-Straße, C-Stadt.
Die öffentliche Stimmauszählung erfolgt am Freitag, 21.08.2020 ab 12 bis 17 Uhr im Raum Residenz, SSB Klinikum X., C-Straße, C-Stadt.“
Auf das Wahlausschreiben wurde zunächst die Vorschlagsliste „ver.di und Kollegen“ (Listenführerin: Frau N.) eingereicht.
Nachfolgend wurde die weitere Vorschlagsliste „Für die Praxen“ (Listenführerin: Frau H.) eingereicht.
Mit Bekanntmachung vom 28.07.2020 machte der Wahlvorstand gemäß § 10 Abs. 2 WO die als gültig anerkannten Vorschlagslisten wie folgt bekannt (Bl. 17):
– Liste 1 Kennwort: „Für die Praxen“
– Liste 2 Kennwort: „ver.di und Kollegen“
Mit E-Mail vom 03.08.2020 teilte der Wahlvorstand, unterzeichnet vom Wahlvorstandsmit glied Herrn N., u. a. Folgendes mit (Bl. 29):
„Liebe Kolleginnen und Kollegen, krankheitsbedingt hat das Versenden der Wahlunterlagen an Sie noch nicht begonnen. Das wird ab Montag, 03.08.2020 der Fall sein.
Noch einige Informationen zur Wahl! Normalerweise tragen sich alle Interessent*innen in einer Vorschlagsliste ein, aus der Sie dann mit 9 Stimmen sich ihre Favoriten auswählen hätten können.
Das ist jetzt durch die Liste von Frau N. in eine Listenwahl geändert worden.
Sie haben nur Eine Stimme.
Sie müssen sich nun für eine Liste entscheiden. Die Reihenfolge der Listen wurde durch Losentscheid festgelegt.
Bedenken Sie bitte:
Der Betriebsrat ist das Sprachrohr der Angestellten.
Er stellt den Vermittler für die Anliegen und Wünsche der Mitarbeiter gegenüber der Geschäftsführung dar, erst an zweiter Stelle ist er für eine konstruktive Zusammenarbeit der ÄPZ mit der Geschäftsführung zuständig.“
Bei der am bzw. bis 21.08.2020 ausschließlich als Briefwahl durchgeführten Betriebsratswahl entfielen auf die Liste 1 „Für die Praxen“ 40 Stimmen, auf die Liste 2 „ver.di und Kollegen“ 113 Stimmen.
Die Liste 1 „Für die Praxen“ entsendet 2 Mitglieder, die Liste 2 „ver.di und Kollegen“ entsendet 7 Mitglieder in den Betriebsrat.
Die ausgehängte Wahlniederschrift vom 31.08.2020 lautet in Auszug (Nr. 6 / Bl. 22):
„Die Namen der in den Betriebsrat gewählten Personen lauten:
1. Liste ver.di und Kollegen, Listenplatz 1, Frau N., medizintechnische Laboratoriumsassistentin
2. Liste ver.di und Kollegen, Listenplatz 2, Frau N., medizintechnische Laboratoriumsassistentin
3. Liste Für die Praxen, Listenplatz 1, Frau H., 0315 Arzthelferin
4. Liste ver.di und Kollegen, Listenplatz 3, Herr N., Medizinphysikexperte
5. Liste ver.di und Kollegen, Listenplatz 4, Frau N., Medizinische Fachangestellte
6. Liste ver.di und Kollegen, Listenplatz 5, Frau N., Medizinische Fachangestellte
7. Liste ver.di und Kollegen, Listenplatz 6, Herr N., Techniker
8. Liste ver.di und Kollegen, Listenplatz 7, Frau N., medizintechnische Laboratori umsassistentin
9. Liste Für die Praxen, Listenplatz 3, Herr E., 0801 Personal der engeren Verwaltung“
Mit Antragsschrift vom 11.09.2020, die am 11.09.2020 beim Arbeitsgericht Bamberg eingegangen ist, beantragt die Antragstellerin und Beteiligte zu 1, die Betriebsratswahl am/bis einschließlich Freitag, 21.08.2020 für unwirksam zu erklären.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 trägt hierzu vor, dass die Wahlniederschrift nach § 16 WO nach ihrer Kenntnis spätestens seit 04.09.2020 aushänge. Der Aushang der Gewählten im Sinne des § 18 Satz 1 WO sei bis zum heutigen Tag nicht erfolgt. Die Frist zur Anfechtung der Wahl habe damit noch nicht begonnen.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 macht grundlegend geltend, dass im Rahmen der Wahl zum einen gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit und das Wahlverfahren verstoßen worden sei. Zum anderen habe der Wahlvorstand, dessen Mitglieder sich ebenfalls zur Wahl gestellt hätten, mehrfach gegen seine Pflicht zur Neutralität verstoßen.
Mit jeweiligem Schreiben vom 14.09.2020, das am 14.09.2020 beim Arbeitsgericht Bamberg eingegangen ist, zeigten sich der Antragsteller und Beteiligte zu 2, Herr E., die Antragstellerin und Beteiligte zu 3, Frau F. und die Antragstellerin und Beteiligte zu 4, Frau Dr. med. G. MHBA, als Beteiligte an und schlossen sich dem Antrag der Antragstellerin und Beteiligten zu 1 „Die Betriebswahl am/bis einschließlich Freitag, 21.08.2020 wird für unwirksam erklärt“ an (Bl. 31 – 33). Die Antragsteller/innen und Beteiligten zu 2, 3 und 4 führten hierzu aus, dass ihnen die Antragsschrift vom 11.09.2020 bekannt sei. Der Begründung schlössen sie sich an. Sie seien Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen.
Mit Schreiben vom 04.02.2021, das am 10.02.2021 beim Arbeitsgericht Bamberg eingegangen ist, zeigte sich die Antragstellerin und Beteiligte zu 5, Frau H., als Beteiligte an und schloss sich dem Antrag „Die Betriebswahl am/bis einschließlich Freitag, 21.08.2020 wird für unwirksam erklärt“ an (Bl. 83). Die Antragstellerin und Beteiligte zu 5 führte hierzu aus, dass ihr die Antragsschrift vom 11.09.2020 bekannt sei. Sie schließe sich der Begründung an. Sie sei Arbeitnehmerin.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 führt zur Begründung des Antrags im Einzelnen aus:
Im Wahlausschreiben sei angeordnet worden, dass die Betriebsratswahl (ausschließlich) per Briefwahl stattfinde. § 24 Abs. 3 WO trage einen solchen Beschluss indes nicht. Nach § 24 Abs. 3 WO könne der Wahlvorstand allenfalls für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt seien, die schriftliche Stimmabgabe beschließen. In keinem Fall berechtige § 24 Abs. 3 WO dazu, die Briefwahl für den gesamten Betrieb anzuordnen. Die generelle Anordnung einer Briefwahl gemäß § 24 Abs. 3 WO sei unzulässig. Es müsse also mindestens ein Wahllokal eingerichtet werden.
Voraussetzung für die schriftliche Stimmabgabe sei gemäß § 24 Abs. 1, Abs. 2 WO vielmehr, dass der einzelne Arbeitnehmer wegen Abwesenheit von dem Betrieb verhindert sei, für den der Betriebsrat zu wählen sei. Weder zum Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens noch zum Zeitpunkt der Wahl seien jedoch sämtliche Arbeitnehmer oder auch nur ein Großteil hiervon an der persönlichen Stimmabgabe verhindert gewesen. Vielmehr sei das Medizinische Versorgungszentrum mit seinen Ärztlichen Praxiszentren und dem Neuronetz durchgängig geöffnet gewesen und habe die medizinische Versorgung sichergestellt. Es wäre jederzeit möglich gewesen, für die persönliche Stimmabgabe ein Wahllokal zu eröffnen, in dem die Stimmabgabe unter Wahrung der Abstandsgebote hätte durchgeführt werden können, ohne dass die Wahlvorstandsmitglieder selbst oder etwaige Wahlhelfer erhöhten Ansteckungsrisiken ausgesetzt gewesen wären.
Der Vorrang der Urnenwahl vor der Briefwahl habe daher nicht zur Disposition des Wahlvorstandes gestanden.
Der Bundesgesetzgeber habe angesichts der in den Bundesbehörden im Jahr 2020 stattfinden Personalratswahlen zugleich eine Änderung der Wahlordnung zum Bundespersonalvertretungsgesetz beschlossen, die eine rechtssichere Umstellung von Präsenzauf die Briefwahl erlauben solle. Eine derartige Änderung der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz sei hingegen nicht erfolgt, wohl im Hinblick darauf, dass die regulären Betriebsratswahlen erst wieder im Jahr 2022 stattfinden würden. Mithin habe der Bundesgesetzgeber ausdrücklich zu erkennen gegeben, dass aus seiner Sicht eine rechtssichere Umstellung auf die Briefwahl auch angesichts der COVID-19-Pandemie nur im Rahmen einer Gesetzesänderung erfolgen könne, die er jedoch alleine im Rahmen des Wahlrechts für die Personalvertretung umgesetzt habe. Die generelle Anordnung der Briefwahl ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 WO habe die Anfechtbarkeit der Wahl zur Folge.
Einen weiteren Anfechtungsgrund habe der Wahlvorstand dadurch gesetzt, dass er die Frist zur Bekanntmachung der Vorschlagslisten gemäß § 10 Abs. 2 WO nicht eingehalten habe. Danach habe der Wahlvorstand die als gültig anerkannten Vorschlagslisten spätestens eine Woche vor Beginn der Stimmabgabe und bis zum Abschluss der Stimmabgabe in gleicher Weise bekannt zu machen wie das Wahlausschreiben. Es seien die Vorschlagslisten mit Bekanntmachung des Wahlvorstands vom 28.07.2020 bekannt gemacht worden. Jedoch sei die Liste 1 „Für die Praxen“ noch am 05.08.2020, mithin zwei Tage vor Versendung der Wahlunterlagen am 07.08.2020 auf Anordnung des Wahlvorstandes abgeändert worden. Dem Wahlvorstand sei offensichtlich erst am 05.08.2020 erstmals aufgefallen, dass Frau N., Wahlbewerberin auf Liste 1, dem Betrieb zum Zeitpunkt der Wahlen noch keine sechs Monate angehören würde. Das Wahlvorstandsmitglied Herr N. habe Herrn E. als Vertreter von Frau H. daraufhin angewiesen, den Namen von Frau N. von der Liste zu streichen. Die Liste sei daher am 05.08.2020 entsprechend abgeändert worden. Da die Briefwahl vorliegend am 07.08.2020 mit dem Versand der Wahlunterlagen begonnen habe, hätten zwischen der Änderung und dem Beginn der Stimmabgabe lediglich zwei Tage gelegen. Mithin sei die Wochenfrist des § 10 Abs. 2 WO nicht eingehalten worden, weil die Zeit für eine erneute Bekanntmachung nicht mehr ausgereicht habe. Dabei sei unerheblich, dass bis zum Ende der Stimmabgabefrist am 21.08.2020 noch mehr als eine Woche Zeit gewesen sei, da es jedenfalls möglich sei, dass manche Wahlberechtigte sofort nach Erhalt der Wahlunterlagen ihre Wahl getroffen hätten. Jedenfalls für diese sei die Frist in unzulässiger Weise verkürzt worden.
Die Einhaltung der Bekanntmachungsfrist für die Vorschlagslisten sei eine wesentliche Verfahrensvorschrift im Sinne des § 19 BetrVG.
Eine Beeinflussung der Stimmabgabe durch einen unzulässigen Namen auf der Liste könne zumindest nicht ausgeschlossen werden. Die Verletzung des § 10 Abs. 2 WO durch den Wahlvorstand führe mithin ebenfalls zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl.
Weiterhin habe der Wahlvorstand seine Pflicht zur sorgfältigen und manipulationssicheren Verwahrung der eingegangenen Freiumschläge mit den abgegebenen Stimmen gröblich verletzt.
Bei der Durchführung einer Briefwahl sei nach § 25 Abs. 1 Nr. 3 WO entscheidend, dass die Wahlumschläge mit den ausgefüllten Stimmzetteln vorab bei Abschluss der Stimmabgabe vorlägen. Der Wahlvorstand habe vor Abschluss der Stimmabgabe eingegangene Freiumschläge bis zum Wahltag unter Verschluss zu nehmen, damit eine Veränderung oder Entwendung der Freiumschläge ausgeschlossen sei. In Betracht komme zum Beispiel eine versiegelte Wahlurne.
Zu diesem Zweck sei dem Wahlvorstand seitens des Betriebsrats der C. mbH ausdrücklich eine Wahlurne angeboten worden, die jedoch zurückgewiesen worden sei. Eingegangene Freiumschläge mit den abgegebenen Stimmen seien bis zum Abschluss der Stimmabgabe hingegen unverschlossen in einer grauen Box in der Poststelle der C. C-Stadt gelagert gewesen.
Die Poststelle der C. C-Stadt könne indes von ca. 100 Berechtigten betreten werden, darunter auch betriebsfremden Personen. Eine Entwendung von Wahlumschlägen wäre daher ohne weiteres möglich gewesen. Diese Pflichtverletzung des Wahlvorstands sei mithin auch geeignet gewesen, das Ergebnis der Wahl zu beeinflussen.
Die Betriebsratswahl unterliege weiterhin der Anfechtung, weil der Wahlvorstand, dessen Mitglieder sämtlich Wahlbewerber der Liste 2 „ver.di und Kollegen“ gewesen seien, seine Neutralitätspflicht gröblich verletzt habe. Damit liege ein Verstoß gegen die wesentliche Wahlvorschrift des § 20 Abs. 2 BetrVG vor.
§ 20 Abs. 2 BetrVG sei Ausprägung des für alle Wahlen geltenden allgemeinen Grundsatzes der freien Wahl und diene der Integrität der Wahl. Der Wahlvorstand habe das Gebot der Chancengleichheit der Wahlbewerber zu beachten und zu sichern und zwar unabhängig davon, ob ihm über die Beachtung der Chancengleichheit hinaus eine erweiterte Loyalitätspflicht obliege. Gemäß § 1 Abs. 1 WO obliege dem Wahlvorstand die Leitung der Wahl. Aus dem Grundsatz der Chancengleichheit folge, dass der Wahlvorstand bei der Ausübung des Amtes alles zu unterlassen habe, was den Ausgang der Wahl und die Chancen möglicher Bewerber im Wettbewerb um Wählerstimmen im Verhältnis zu den Chancen anderer Bewerber beeinflussen könnte. Der Wahlvorstand habe deshalb bei der Ausübung seines Amtes jede Form von Sympathiebekundungen für einzelne Bewerber oder Vorschlagslisten bzw. diese unterstützenden Gewerkschaften zu unterlassen.
Der Wahlvorstand habe gegenüber dieser Neutralitätsverpflichtung im Laufe des Wahlverfahrens mehrfach verstoßen:
Mit E-Mail vom 07.08.2020 habe Herr N., Ersatzmitglied des Wahlvorstandes, eine Wahlwerbung für die Liste 2 „ver.di und Kollegen“ versandt. Der E-Mail sei ein Flyer, der die Liste nebst Wahlbewerbern habe vorstellen sollen, beigefügt gewesen. Auf dem Flyer, welcher auch in ihren Räumen, d. h. in den Räumen der Antragstellerin und der Beteiligten zu 1) ausgehängt worden sei, habe sich auch ein Wahlaufruf zugunsten der Liste 2 „ver.di und Kollegen“ befunden. Unmittelbar darunter sei zu lesen gewesen:
„Wir sind u. a. die Initiatoren der Betriebsratswahl – Euer Wahlvorstand.“
Der Wahlvorstand habe damit nicht bloß eine Sympathiebekundung zugunsten der Liste 2 ausgesprochen. Er habe sich vielmehr mit der Liste 2 gleichgesetzt, weil keine Trennung zwischen dem Wahlvorstand und der Vorschlagsliste bestehe, sondern im Gegenteil die Personeneinheit extra betont werde. Durch die Erwähnung des Wahlvorstands auf dem Flyer könne sogar der Eindruck entstehen, bei der Liste 2 handele es sich um die „offizielle“ Liste.
Der Verstoß des Wahlvorstandes gegen die ihm obliegende Neutralitätspflicht stelle einen Verstoß gegen die wesentliche Wahlvorschrift des § 20 Abs. 2 BetrVG dar. Es sei dieser Wahlrechtsverstoß geeignet gewesen, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
Das Nennen des Wahlvorstands quasi als „Wahlwerbung“ und das Argument, seine Stimme in der Liste 2 zu geben, habe jedenfalls das Potenzial gehabt, das Ergebnis der Wahl zu beeinflussen. Schließlich seien von 9 Sitzen im Betriebsrat 7 an Kandidaten der Liste 2 gegangen, was ohne die unzulässige Äußerung des Wahlvorstands zugunsten dieser Liste möglicherweise nicht der Fall gewesen wäre.
Zugleich liege ein weiterer Verstoß gegen das Neutralitätsgebot des Wahlvorstands darin, dass der Wahlvorstand Sympathie gegenüber einer Gewerkschaft (hier: ver.di) geäußert habe. Zwar dürften Gewerkschaften selbst einzelne Bewerber bei den Listen der Betriebsratswahl unterstützen, der zur Neutralität verpflichtet Wahlvorstand dürfe sich jedoch nicht in Verbindung mit einer Gewerkschaft setzen.
Dadurch, dass auf der Vorderseite des Flyers der Liste 2 die Gewerkschaft ver.di mit Logo genannt worden sei und auf vier von zehn abgedruckten Fotos der Bewerber das ver.diLogo zu sehen gewesen sei, während der Wahlvorstand auf der Rückseite offen seine Sympathie und Angehörigkeit zur Liste 2 bekundet habe, habe sich der Wahlvorstand auch inhaltlich mit dieser Gewerkschaft in Zusammenhang gesetzt und Sympathie gezeigt. Er habe mithin auch in diesen Belangen gegen seine Neutralitätspflicht verstoßen. Es erscheine keineswegs abwegig, dass der hergestellte Zusammenhang zwischen dem Wahlvorstand und der Gewerkschaft ver.di die Entscheidung der Wähler und damit das Wahlergebnis beeinflusst habe.
Der Wahlvorstand habe bereits mit E-Mail vom 03.08.2020 mitgeteilt, dass das Versenden der Wahlunterlagen noch nicht begonnen habe und dies ab Montag, 03.08.2020 der Fall sein werde. Zugleich habe der Wahlvorstand, vertreten durch sein Mitglied N., durch die den Wahlberechtigten gegebenen Informationen uneingeschränkt Stimmung gegen die Liste 1 („Für die Praxen“) gemacht.
Bereits der Hinweis, dass das Wahlverfahren nur mit einer Vorschlagsliste (Personenwahl) den „Normalfall“ darstelle, die Listenwahl mithin die Ausnahme, sei falsch. Entscheidend für die Art des Wahlverfahrens sei vielmehr alleinig, ob eine oder mehrere Vorschlagslisten vorlägen.
Die Hinweise des Wahlvorstands, dass die Stimmenanzahl der Wahlberechtigten sich „durch die Liste von Frau H.“ nunmehr von 9 Stimmen auf eine Stimme verringert habe und nicht mehr die Möglichkeit bestehe, sich den Favoriten aus einer Liste auszusuchen, sondern die Notwendigkeit gegeben sei, sich nunmehr für eine Liste zu entscheiden, seien geeignet, das Ansehen der Liste 1 („Für die Praxen“), angeführt von Frau H., herabzusetzen. Sie seien geeignet, beim Wahlberechtigten den Eindruck zu erwecken, durch das Antreten dieser zweiten Liste sei sein Wahlrecht beschnitten. Mit dem Hinweis des Wahlvorstands, dass der Betriebsrat Sprachrohr der Angestellten sein solle, mithin Vermittler für die Anliegen und Wünsche der Mitarbeiter gegenüber der Geschäftsführung und dass der Betriebsrat erst an zweiter Stelle für eine konstruktive Zusammenarbeit der ÄPZ mit der Geschäftsführung zuständig sei, wiederhole der Wahlvorstand fast wörtlich die Wahlwerbung der Liste 2 („ver.di und Kollegen“), in deren Flyer es u. a. heiße:
„Wir sind das Sprachrohr der Kollegen und nicht der Profitcenter der Praxen!“
Hingegen sei mit der „konstruktiven Zusammenarbeit der ÄPZ mit der Geschäftsführung“ offensichtlich die Liste 1 („Für die Praxen“) gemeint. Deren Anliegen stelle der Wahlvorstand mithin als zweitrangig dar.
Bereits die E-Mail des Wahlvorstands vom 03.08.2020 habe mithin eine eklatante Verletzung der Neutralitätspflicht des Wahlvorstands dargestellt. Es bedürfe keiner näheren Begründung, dass die darin enthaltenen Informationen zur Wahl geeignet gewesen seien, das Wahlergebnis zugunsten der Liste 2 („ver.di und Kollegen“) zu beeinflussen.
Die Beteiligten haben in der mündlichen Anhörung vor der Kammer vom 02.03.2021 beantragt (Sitzungsniederschrift vom 02.03.2021, Seite 4; Bl. 106):
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 hat beantragt,
Die Betriebsratswahl am / bis einschließlich Freitag, 21.08.2020 wird für unwirksam erklärt.
Die Antragsteller und Beteiligten zu 2 – 5
haben sich dem Antrag der Antragstellerin und Beteiligten zu 1 angeschlossen.
Der Antragsgegner und Beteiligte zu 6
hat Zurückweisung des Antrags beantragt.
Der Antragsgegner und Beteiligte zu 6 trägt vor:
Es sei unzutreffend, dass wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren bei der durchgeführten Betriebsratswahl verletzt worden seien.
Soweit vorgetragen werde, der Aushang der Gewählten sei bis zum heutigen Tag nicht erfolgt, sei dies unzutreffend. Der Aushang der Gewählten sei in Punkt 6 der Wahlniederschrift vom 31.08.2020 ausdrücklich mitenthalten gewesen.
Ein Verstoß gegen wesentliche Verfahrensvorschriften aufgrund der generellen Anordnung der Briefwahl liege nicht vor.
Zutreffend sei, dass das MVZ auch während der Pandemie geöffnet gewesen sei und die medizinische Versorgung sichergestellt habe. Dies sei jedoch nicht ausschlaggebend dafür, ob der Wahlvorstand bei seiner Prognose, ob er die durchzuführende Betriebsratswahl sicher für die Beschäftigten gestalten könne, kein Risiko für deren Gesundheit verursachen würde und insbesondere die Möglichkeit hätte, unter Hygiene- und Abstandsvorgaben die Briefwahl durchzuführen, falsch gehandelt habe. Der Wahlvorstand habe sich sehr wohl im Vorfeld ausgiebig Gedanken darüber gemacht, ob er die Briefwahl anordnen könne und solle. Dabei müsse sicherlich berücksichtigt werden, dass sich der Betrieb in Kurzarbeit befunden habe, aufgrund eines gegebenenfalls bevorstehenden Lock-Downs die Anwesenheit der Beschäftigten im Betrieb nicht prognostiziert werden habe können und die Situation in der Pandemie extrem ungewiss gewesen sei. Es sei dem Wahlvorstand nicht bekannt gewesen, welche Mitarbeiter aufgrund möglicher Vorerkrankungen und anderer Risikofaktoren nicht mehr in Präsenz im Betrieb sein würden. Darüber hinaus habe es bei der Arbeitgeberin zwar einen großen Raum gegeben, die Abstands- und Hygienevorgaben hätten hier aber kaum eingehalten werden können. Es wäre schon organisatorisch für den Wahlvorstand gar nicht zu schultern gewesen, an die jeweiligen Desinfektionsmittel zu gelangen. Die zu diesem Zeitpunkt schon seit langem nicht mehr lieferbaren Aufstellwände aus Plexiglas, welche jedenfalls zwischen den anwesenden Wahlvorstandsmitgliedern im Wahlraum hätten aufgestellt werden müssen, seien sicherlich nicht mehr in den vorgegebenen Fristen der durchzuführenden Betriebsratswahl organisierbar gewesen. Abgesehen davon, dass auch von Seiten der Arbeitgeberin dies mitnichten im Vorfeld zur Verfügung gestellt worden sei. Es sei darüber hinaus zu befürchten gewesen, dass sich bei der Durchführung der Betriebsratswahl in Präsenz Schlangen von wartenden Mitarbeitern vor dem genutzten Raum bilden würden. Der Wahlvorstand habe ebenfalls berücksichtigen müssen, dass es im medizinischen Bereich grundsätzlich ein sehr hohes Risiko gebe, Maskenpflicht bestehe und im gesamten Haus ein Versammlungsverbot gegolten habe. Vor diesen Erwägungen habe der Wahlvorstand beschlossen, für die durchzuführende Betriebsratswahl die Briefwahl anzuordnen.
Die Anordnung könne auch nur zutreffend gewesen sein. Zum jetzigem Zeitpunkt handele auch die Bundesregierung nicht anders, indem auf jede Art und Weise versucht werde, Menschenansammlungen zu vermeiden und Kontakte möglichst zu reduzieren, um die pandemische Lage nicht weiter eskalieren zu lassen. Gerade in einem medizinischen Betrieb müssten diese Vorgaben erst recht gelten. Es wäre nicht auszudenken, dass unbemerkte Infektionen hier bei den Patienten für Folgen haben könnten. Vor diesem Hintergrund sei dann mit dem Wahlausschreiben die Briefwahl für die Betriebsratswahl mitgeteilt worden. Ein entsprechender Wahlvorstandsbeschluss habe vorgelegen.
Die Argumentation der Antragstellerin und Beteiligten zu 1, dass eine Anordnung der Briefwahl schon deswegen betriebsverfassungsrechtlich nicht möglich gewesen sei, weil der Gesetzgeber lediglich für die Personalratswahl und die Wahl zur Jugend- und Auszubildendenvertretung entsprechende gesetzliche Regelungen geschaffen habe, könne nicht greifen. Richtig sei nur, dass § 129 BetrVG zunächst pandemiebedingt angepasst worden sei in der Arbeitsweise der Betriebsräte. Dies habe aber nicht daran gelegen, dass der Gesetzgeber für die Betriebsratswahlen keine entsprechende Regelung treffen habe wollen, sondern dass der Gesetzgeber schlichtweg mehr zu tun habe, als höchstvorsorglich für Einzelfälle Regelungen zu treffen. Die Anpassungen im Personalvertretungsgesetz sowie für die Jugend- und Auszubildendenvertretungen hätten daher resultiert, dass der turnusgemäße Wahlzeitraum für diese beiden Gremien genau in die zunächst prognostizierte Pandemiezeit gefallen sei. Der Personalrat werde turnusgemäß im Mai 2021 gewählt, die Jugend- und Auszubildendenvertretung in der Zeit vom 1. Oktober bis 30. November 2020. Der Bundesgesetzgeber habe in § 19a WO zum BPersVG „Sonderregelungen für die Personalratswahl 2020“ schlichtweg die Mitarbeitervertretungen sicherstellen wollen. Dies könne nicht nur für den Personalrat gelten, sondern werde für alle Gremien gelten müssen. Lediglich weil der turnusgemäße Wahlzeitraum des Betriebsrats erst von März bis Mai 2022 liege, habe sich der Gesetzgeber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht veranlasst gesehen, die Änderung durchzuführen.
Vor dem Hintergrund der Fülle der gesetzgeberischen Änderungen durch die Pandemie werde aber sicherlich eine Priorisierung getroffen worden sein. Mit Sinn und Zweck der Regelung werde man aber annehmen müssen, dass auch ein Betriebsrat zum Schutz seiner Beschäftigten und zum Schutz vor einem ansonsten eintretenden mitbestimmungsfreien Zeitraum die Wahlen als Briefwahl anordnen könne, analog den Vorgaben für das Personalvertretungsrecht oder auch die Jugend- und Auszubildendenvertretungen.
Unabhängig davon könne den Ausführungen der Antragsteller und Beteiligten zu 1 bis 5 nicht gefolgt werden, dass die Anordnung einer generellen Briefwahl automatisch die Anfechtbarkeit der Wahl zur Folge habe. Die Anordnung einer generellen Briefwahl sei nicht jeden Fall unzulässig, sondern hänge vielmehr von den Umstanden des Einzelfalles ab. Genau solche Umstände des Einzelfalles seien aber im streitgegenständlichen Fall gegeben gewesen.
Richtig sei, dass die Änderung der Vorschlagsliste 1 „Für die Praxen“ noch am 05.08.2020 erfolgt sei, obwohl ab dem 07.08.2020 die Wahlunterlagen versandt worden seien. Der Mangel auf der Vorschlagsliste 1 sei dem Listenführer erst am 05.08.2020 mitgeteilt worden, da von den drei Wahlvorstandsmitgliedern zwei im Urlaub gewesen seien und das dritte Wahlvorstandsmitglied die jeweilige anfallende Arbeit allein zu bewältigen gehabt habe. Dies führe aber nicht dazu, dass eine Beeinflussung der Stimmabgabe durch die Streichung von Frau N. im Nachgang hätte eintreten können. Der Wahlvorstand habe vielmehr durch ein Schreiben, welches mit den Briefwahlunterlagen versandt worden sei, sämtliche Wähler darauf hingewiesen, dass Frau N. von der Liste 1 gestrichen worden sei. Damit sei für jeden Wähler ganz klar ersichtlich gewesen, dass sich die Zusammensetzung der Liste 1 geändert habe. Insofern könne auch hierin kein wesentlicher Verstoß gegen die Wahlvorschriften erkannt werden, die jedenfalls potentiell zu einer veränderten Stimmabgabe hätte führen können.
Unzutreffend sei, dass der Wahlvorstand seiner Pflicht zur sorgfältigen und manipulationssicheren Verwahrung der eingegangenen Wahlumschläge nicht nachgekommen sei, sondern diese vielmehr „gröblich verletzt“ habe.
Zunächst sei bereits falsch, dass der Wahlvorstand keine Urne gehabt hätte. Er habe sogar zwei Urnen für die Aufbewahrung der Freiumschläge gehabt. Darüber hinaus sei es absolut unzutreffend, dass die Freiumschläge bis zum Abschluss der Stimmabgabe unverschlossen in einer grauen Box in der Poststelle der C. C-Stadt gelagert hätten. Diese seien natürlich in einer gesonderten Urne aufbewahrt und ordnungsgemäß im Wahlvorstandsbüro verschlossen worden. Das einzige, was in der Poststelle passiert sei, sei der Posteingang gewesen. Wenn Post an den Wahlvorstand adressiert eingegangen sei, sei diese automatisch zunächst von der Arbeitgeberin in die Poststelle geleitet worden. In dieser Poststelle habe auch der Wahlvorstand eine entsprechende Verteilungsbox gehabt. Diese Verteilungsbox sei vom Wahlvorstand täglich, teilweise mehrfach täglich geleert worden. Lediglich der Posteingang sei somit über die Poststelle organisiert worden. Es hätte organisatorisch auch gar nicht anders laufen können von Seiten der Arbeitgeberin. Darüber hinaus sei es falsch, dass die Poststelle von ca. 100 Berechtigten, auch betriebsfremden Personen jederzeit betreten werden könne und daher ein Entwenden ohne weiteres möglich gewesen wäre. Der Datenschutzbeauftragte Herr N. habe bestätigt, dass die Poststelle betrieblich ein Raum mit höchster Sicherheitsstufe unter Aufsicht der dortigen Mitarbeiter sei. Es würden dort verschiedenste vertrauliche Daten zusammenlaufen. Ein in irgendwelcher Form geartetes Sicherheitsproblem sei dem Datenschutzbeauftragten, der es betrieblich anderenfalls wissen müsste, jedenfalls nicht bekannt. Die hier offensichtlich stattgefundene Dokumentation der eingegangenen Wahlunterlagen müsse wohl auch als Behinderung des Wahlvorstands gewertet werden.
Es sei deshalb mitnichten ein Verstoß des Wahlvorstands gegen irgendwelche wesentlichen Verfahrensvorschriften zu erkennen. Dass eingehende Post zunächst von einer Poststelle aus an einen Wahlvorstand weitergeleitet werde, sei nicht problematisch. Der Wahlvorstand habe seine Neutralitätspflicht nicht verletzt. Soweit Herr N. am 07.08.2020 eine E-Mail versandt habe, habe er diese E-Mail nicht als Wahlvorstandsmitglied oder Ersatzmitglied des Wahlvorstands, sondern als persönlicher Beschäftigter versandt. Er habe damit Werbung für seine Liste gemacht, was er als Listenbewerber dürfe.
Der Flyer der Liste 2 möge zwar eine deutliche Wahlwerbung sein, beinhalte allerdings noch keine Neutralitätspflichtverletzung. Auf dem Flyer werde lediglich ausgedrückt, dass Mitglieder der Liste sowohl die Initiatoren der Betriebsratswahl wie auch im Wahlvorstand aktiv seien. Es werde gezeigt, dass sich diese Wahlbewerber engagierten. Dies stelle keine Neutralitätspflichtverletzung des Wahlvorstands dar. Der Wahlvorstand selbst habe sich in diesem Flyer überhaupt nicht geäußert.
Auf die E-Mail des Wahlvorstands vom 03.08.2020 stelle keine Verletzung des Neutralitätsgebotes dar. Richtig sei, dass in dieser E-Mail noch einmal betont werde, dass bislang immer nur eine Vorschlagsliste gegeben gewesen sei. Dies sei der „Normalfall“ im Haus gewesen. Durch die weitere Liste von Frau H. sei nunmehr die Personenwahl unmöglich geworden. Nichts anderes werde in der E-Mail vom 03.08.2020 ausgedrückt. Dies sei nicht nur zutreffend gewesen, sondern sei für die Beschäftigten auch richtig zu wissen gewesen, da bislang auch bei den Beschäftigten davon ausgegangen worden sei, sie könnten sich ihren Betriebsrat aus einer Liste „zusammenwählen“. Der Wahlvorstand habe durch diese E-Mail nicht irgendwen herabgewertet. Auch der Appell, dass der Betriebsrat das Sprachrohr der Angestellten sei und einen Vermittler darstelle, könne nicht als Neutralitätspflichtverletzung gewertet werden. Eine negative Beeinflussung sei nicht erkennbar.
Ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften sei nicht erkennbar.
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1) sowie die Antragsteller und Beteiligten zu 2) bis 5) tragen weiter vor:
Entgegen den Darlegungen des Antragsgegners und Beteiligten zu 6 sei der von § 18 Satz 1 WO vorgeschriebene Aushang der Gewählten bis zum heutigen Tage nicht erfolgt.
Die abschließende Zusammensetzung des Betriebsrats ergebe sich erst durch die Bekanntmachung der Gewählten im Sinne des § 18 Satz 1 WO. Denn diese sei erst nach Benachrichtigung der Gewählten (§ 17 WO) zu erstellen, wenn feststehe, ob die Gewählten die Wahl angenommen oder abgelehnt hätten, mithin die Namen der Betriebsratsmitglieder endgültig feststehen würden (§ 18 Satz 1 WO).
Die Notwendigkeit dieser gesonderten Bekanntmachung habe der Antragsgegner jedoch offensichtlich verkannt. Die Frist zur Anfechtung der Betriebsratswahl habe daher bis heute nicht zu laufen begonnen, so dass auch jederzeit ein weiterer Beitritt zum vorliegenden Anfechtungsverfahren möglich sei, wie zuletzt durch die Antragstellerin und Beteiligte zu 5 geschehen.
Der Wahlvorstand sei nicht befugt gewesen, eine (ausschließliche) Briefwahl anzuordnen.
Auch in Zeiten einer Pandemie könne sich ein Wahlvorstand nicht über das Betriebsverfassungsgesetz und dessen Wahlordnung hinwegsetzen. Auch die Tatsache, dass Spezialregelungen zeitlich befristet worden seien, so etwa in § 19a BPersVWO bis zum 31.03.2021, zeige nochmals ihren exzeptionellen Charakter. Es sei grundsätzlich unzulässig, dass ein Wahlvorstand die Durchführung einer Betriebsratswahl als „Briefwahl für alle“ beschließe, sofern nicht sämtliche oder jedenfalls nahezu alle Beschäftigte Briefwähler im Sinne des § 24 Abs. 2 WO seien. Eine Briefwahl für alle komme allenfalls unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht, nämlich wenn der Betrieb vollständig geschlossen sei. Diese Voraussetzungen hätten zum Zeitpunkt des gesamten Wahlverfahrens streitig nicht vorgelegen und seien auch in keiner Weise zu erwarten gewesen. Von den zum Zeitpunkt der Wahl mehr als 360 Beschäftigten seien im Sommer 2020 lediglich ca. 20 in Elternzeit gewesen. Kurzarbeit sei im Sommer 2020 weder angeordnet noch zu erwarten gewesen. Lediglich im April 2020 hätten sich kurzzeitig ca. 40 Mitarbeiter in Kurzarbeit befunden, hiervon lediglich 4 in Kurzarbeit Null, die anderen in Teilzeit. Unstreitig sei das Medizinische Versorgungszentrum auch während der Pandemie geöffnet gewesen und habe die medizinische Versorgung sichergestellt. Selbst bei einer erneuten Verschärfung der Pandemie – mit der im Sommer 2020 nicht zu rechnen gewesen sei – wäre die Anwesenheit der ganz überwiegenden Anzahl Beschäftigten im Betrieb weiterhin zwingend zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung erforderlich gewesen. Im Sommer 2020 seien sogar Veranstaltungen und Treffen – unter Einhaltung der AHA-Regeln – zwischenzeitlich wieder erlaubt gewesen, da die Infektionszahlen in ganz Deutschland sehr niedrig gewesen seien. Folglich sei auch der Betrieb im Medizinischen Versorgungszentrum bereits seit Mai 2020 wieder uneingeschränkt fortgelaufen.
Dem Wahlvorstand wäre es im Sommer 2020 folglich auch ohne weiteres möglich gewesen, für die persönliche Stimmabgabe ein Wahllokal zu eröffnen, in dem die Stimmabgabe unter Wahrung von Abstandsgeboten durchgeführt hätte können. Es hätte ein ausreichend großer Raum für die Einrichtung eines Wahllokals zur Verfügung gestanden. Es hätten auch die pandemiebedingten Abstands- und Hygieneregelungen ohne weiteres eingehalten werden können. Es werde bestritten, dass es dem Wahlvorstand zum Zweck der Einrichtung eines Wahllokals nicht möglich gewesen wäre, an notwendige Desinfektionsmittel oder Aufstellwände aus Plexiglas zu gelangen. Beides sei jedenfalls im Frühjahr/Sommer 2020 bei ihr bzw. der mit ihr verbundenen C. C-Stadt in ausreichendem Maß vorhanden gewesen und wäre dem Betriebsrat zum Zwecke der Einrichtung eines Wahllokals interimsweise auch jederzeit zur Verfügung gestellt worden. Allerdings habe sich der Wahlvorstand zu keinem Zeitpunkt die Mühe gemacht, die Verfügbarkeit dieser Mittel auch nur anzufragen. Auch die weiteren vorgeschützten Gründe gegen die Einrichtung eines Wahllokals seien offensichtlich nicht durchgreifend. Zwar handele es sich bei dem MVZ um einen medizinischen Bereich. Gerade angesichts des Umstands, dass es sich bei den Beschäftigten um geschultes medizinisches Personal handele, welches auch mit den pandemiebedingten Hygiene- und Abstandsregeln längstens vertraut gewesen sei und penibel auf deren Einhaltung geachtet habe, sei nicht annährend ersichtlich, warum die Durchführung einer Präsenzwahl zu einem erhöhten Ansteckungsrisiko hätte führen sollen. Gerade die Maskenpflicht sei dazu bestimmt, mögliche Kontakte, auch am Arbeitsplatz, so risikofrei wie möglich zu gestalten. Es werde im Übrigen bestritten, dass im ganzen Haus ein „Versammlungsverbot“ gegolten habe solle. Ein generelles Versammlungsverbot habe es jedenfalls nicht gegeben. Lediglich die Nutzung von Räumen von betriebsfremden Personen sei eingeschränkt gewesen. Das Recht, einen Betriebsrat zu wählen, sei durch keinerlei Anordnungen der Betriebsleitung – auch nur mittelbar – behindert gewesen.
Mit Nichtwissen werde bestritten, dass der Wahlvorstand die von ihm benannten Gründe für eine Briefwahl bei seiner Entscheidung über das Wahlverfahren berücksichtigt habe und ein entsprechender Wahlvorstandsbeschluss für die Briefwahl vorliege. Selbst wenn dies zutreffen würde, müsse sich der Wahlvorstand der Kritik aussetzen, die Durchführbarkeit einer Präsenzwahl nicht einmal ernsthaft geprüft bzw. in Erwägung gezogen zu haben. Die fehlerhafte Anordnung der (ausschließlichen) Briefwahl begründe daher die Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl. Der Umstand, dass die Umstellung des Wahlverfahrens erheblichen Einfluss auf das Wählerverhalten, insbesondere die Wahlbeteiligung und damit auch auf das Wahlergebnis haben könne, werde der Antragsgegner nicht ernsthaft bestreiten können. Aus diesem Grund sei z. B. auch bei den Parlaments- und Kommunalwahlen im März 2020 am vorgeschriebenen Wahlverfahren festgehalten worden.
Eine ordnungsgemäße Bekanntmachung der zur Wahl stehenden zwei Vorschlaglisten sei nicht erfolgt. Darin liege ein Verstoß gegen § 10 Abs. 2 WO.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners könne nicht ausgeschlossen werden, dass der unstreitige Verstoß zu einer Beeinflussung des Wahlergebnisses geführt habe.
Es verwundere, dass das Schreiben des Wahlvorstands, in dem auf eine Änderung der Liste 1 („Für die Praxen“) hingewiesen worden sei, auf den 04.08.2020 datiert sei, wo die Streichung der Wahlbewerberin N. doch erst am 05.08.2020 erfolgt sei.
Für die Beantwortung der Frage, ob eine Beeinflussung ausgeschlossen werden könne oder nicht, sei im Übrigen entscheidend, ob ohne den Verstoß die Wahl zu demselben Ergebnis geführt hätte. Nur wenn dies konkret festgestellt werden könne, sei der Fehler unbeachtlich. Blieben Zweifel, so sei die Wahl unwirksam.
Vorliegend reiche der Hinweis auf die Änderung der Liste 1, den der Wahlvorstand mit den Wahlunterlagen versandt habe, nicht aus, um eine Beeinflussung auszuschließen. Dies ergebe sich aus dem Zweck des § 10 Abs. 2 WO. Die Wochenfrist solle dazu dienen, dass Wahlberechtigte sich rechtzeitig vor ihrer Stimmabgabe informieren könnten, welcher Kandidat auf welcher Liste stehe. Wenn die Liste jedoch vor der Stimmabgabe geändert werde, werde dem Wahlberechtigten verwehrt, sich umfassend zu informieren.
Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass Wahlberechtigte die ihnen erstmals mit den Briefwahlunterlagen zugegangene Berichtigung der Liste 1 und der Streichung der Kandidatin N. als Schwächung der Liste 1 angesehen hätten, mithin als Malus gegenüber der konkurrierenden Liste 2 und die letztere bei der Wahl bevorzugt hätten. Möglicherweise hätten einzelne sogar gedacht, es sei ein Versäumnis der Listenverantwortlichen H., dass erst jetzt auffalle, dass Frau N. kein passives Wahlrecht besitze.
Damit könne jedenfalls nicht mit Sicherheit festgestellt werden, dass keine Beeinflussung stattgefunden habe, was nach dem Maßstab des § 19 BetrVG zur Unwirksamkeit ausreiche.
Der Wahlvorstand habe offensichtlich nicht die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen ergriffen, damit die abgegebenen Briefwahlstimmen ihn sicher erreichen und diese bis zur Auszählung keiner Manipulation unterliegen könnten. Der Wahlvorstand habe sich nicht darum gekümmert, einen eigenen Briefkasten zu beantragen und einzurichten. Dies habe zur Folge gehabt, dass eine Vielzahl abgegebener Briefwahlstimmen gar nicht erst in der zentralen Poststelle der C. C-Stadt eingegangen sei, sondern teilweise in Praxen der C. bzw. des MVZ, so z. B. in der Z. sowie der Geschäftsstelle der Ärztlichen Praxiszentren. Ob und inwieweit diese Stimmen tatsächlich noch den Weg zum Wahlvorstand gefunden hätten, sei mehr als fraglich.
Mit Nichtwissen werde bestritten, dass der Wahlvorstand ein oder mehrere Urnen für die Aufbewahrung der Freiumschläge gehabt und diese auch genutzt habe. Bestritten werde weiterhin, dass die Verteilungsbox in der Poststelle vom Wahlvorstand täglich, teilweise mehrfach täglich geleert worden sein solle. Nach ihrer Kenntnis hätten sich die Briefwahlunterlagen vielmehr in der Poststelle angesammelt.
Mit Nichtwissen werde weiter bestritten, dass die vom Wahlvorstand in der Poststelle abgeholten Freiumschläge nachfolgend bis zur Stimmauszählung in einer verschlossenen Urne manipulationssicher aufbewahrt worden seien. Jedenfalls im Zeitraum zwischen Eingang der Freiumschläge in der Poststelle bis zur Abholung durch den Wahlvorstand habe eine zumindest theoretische Manipulationsmöglichkeit bestanden, die infolge der Vielzahl der Zutrittsberechtigten zur Poststelle nie vollständig ausgeschlossen werden könne. Mit den diesbezüglichen Darlegungen solle die Sicherheit der Poststelle der C. C-Stadt hingegen nicht generell in Zweifel gezogen werden.
Der Wahlvorstand hätte hingegen durch Beantragung und Einrichtung eines eigenen Briefkastens sicherstellen können, dass ihn alle abgegebenen Stimmen erreichten und diese von Anfang an manipulationssicher verwahrt würden.
Nachdem nicht ausgeschlossen werden könne, dass eine Manipulation erfolgt sei, unterliege der Betriebsratswahl auch diesem Grund der Anfechtung.
Der Wahlvorstand habe seine ihm obliegende Neutralitätspflicht deutlich verletzt. Der Verstoß gegen das Neutralitätsangebot liege in dem Flyer, welcher der E-Mail des Herrn N. vom 07.08.2020 als Anhang beigefügt gewesen sei, welcher aber auch in den Innenräumen als Poster ausgehangen sei. Wenn auf diesem Flyer unter anderem stehe „Euer Wahlvorstand“, so könne dies von einem neutralen Wahlberechtigten nur so verstanden werden, dass der Wahlvorstand sich mit dieser Liste gleichsetze, sie ergo der anderen Liste gegenüber bevorzuge. Insofern könne dem Antragsgegner nicht gefolgt werden, wenn er vortrage, der Wahlvorstand habe sich nicht geäußert. Wenn eine Liste mit dem Wahlvorstand auf ihrem Flyer werbe und dieser das offensichtlich dulde, so könne er sich nicht im Nachhinein darauf berufen, dass er sich nicht geäußert habe.
Gleiches gelte für die Sympathiebekundungen des Wahlvorstands bezüglich der Gewerkschaft ver.di. Hierdurch habe auch eine Beeinflussung der Wähler stattgefunden. Sie sei jedenfalls nicht auszuschließen gewesen.
Auch die E-Mail des Wahlvorstandes selbst vom 03.08.2020 stelle eindeutig eine Verletzung des Neutralitätsgebots dar. In keiner Weise nachvollziehbar sei die Behauptung, die Wahl mit einer Vorschlagsliste seit der „Normalfall“ gewesen. Schließlich sei in ihrem Betrieb erstmalig ein Betriebsrat gewählt worden. Die Wahl von Betriebsräten in anderen Betrieben der C. habe vorliegend gar zur Diskussion gestanden. Mithin habe es objektiv gesehen nicht die geringste Notwendigkeit gegeben, die Wahlberechtigten (zumal fälschlich) darauf hinzuweisen, dass anstelle der normalerweise üblichen Personenwahl nur mehr noch die Möglichkeit bestehe, sich für eine Liste zu entscheiden. Ferner sei – auch für einen juristischen Laien – offensichtlich, dass es positiver klinge, man habe 9 Stimmen zu vergeben als nur eine einzige. Dies genau dies habe der Wahlvorstand vorliegend mit seiner E-Mail vom 03.08.2020 den Wahlberechtigten auch nahegelegt und dadurch, dass er dies als Schuld der Liste 1, namentlich Frau H., ausgemacht habe, diese zu diskreditieren versucht. Er habe der Liste 1 damit unterstellt, sie habe den Wahlberechtigten Einfluss genommen, was bei Wählern wohl nur schlecht ankommen könne. Darin liege sein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot.
Dem Mitglied des Wahlvorstandes Herrn N., der diese E-Mail formuliert habe, sei die Diskreditierung der Liste 1 und der Einfluss auf die Wahlberechtigten sehr wohl bewusst gewesen. Herr N. habe den Antragsteller und Beteiligten zu 2, Herrn E. zwei Tage später, nämlich am 05.08.2020 aufgefordert, noch am gleichen Tag die Änderung der Liste 1 (Streichung der Wahlbewerberin N.) in Vertretung der Listenführerin vorzunehmen, andernfalls müsse er wohl noch nochmals eine solche „böse E-Mail“ versenden.
In einer Zusammenschau der drei genannten Verstöße ergebe sich somit klar das Bild, dass der Wahlvorstand vorliegend der Liste 2 zugeneigt gewesen sei und diese Verbundenheit und Zugehörigkeit auch den Wahlberechtigten gegenüber durch seine Benennung auf Flyern, Plakaten und E-Mails zum Ausdruck gebracht, also Sympathie bekundet habe. Er habe dadurch offensichtlich gegen seine Neutralitätspflicht verstoßen, was das Wahlergebnis zweifelsohne beeinflusst habe. Aus diesem Grund sei die Wahl anfechtbar.
Die Betriebsratswahl sei daher im Ergebnis für unwirksam zu erklären.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf ihre Erklärungen im Termin zur mündlichen Anhörung vor der Kammer vom 02.03.2021 (Sitzungsniederschrift vom 02.03.2021, Seite 2 – 4; Bl. 104 – 106 d. A.) Bezug genommen.
Im Übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
II.
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist nach § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG eröffnet.
Es findet das Beschlussverfahren statt, § 2a Abs. 2 ArbGG, §§ 80 ff. ArbGG.
Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Bamberg ergibt sich aus § 82 Abs. 1 Satz 1 ArbGG.
III.
Die Wahlanfechtung ist begründet. Nach Wertung der erkennenden Kammer ist bei der Betriebsratswahl gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen worden. unwirksam. Die Betriebsratswahl war daher antragsgemäß für unwirksam zu erklären.
Im Einzelnen und Weiteren:
Die Voraussetzungen der Wahlanfechtung nach § 19 BetrVG liegen vor.
1. Die formellen Voraussetzungen der Wahlanfechtung sind erfüllt.
Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl des Betriebsrats beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.
Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG sind zur Anfechtung mindestens drei Wahlberechtigte, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber berechtigt.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 ist anfechtungsberechtigt.
Die Beteiligten zu 2 bis 5 sind ebenfalls zur Anfechtung berechtigt. Auch als gewählt festgestellte Mitglieder des Betriebsrats können als wahlberechtigte Arbeitnehmer die Anfechtung betreiben, vgl. BAG, Beschluss vom 16.09.2020, 7 ABR 30/19, NZA 2020 Seite 1642.
Der Antragsteller und Beteiligte zu 2, Herr E., verliert seine Beteiligtenstellung in dem vorliegenden Verfahren nicht dadurch, dass er nach seiner Erklärung im Termin zur mündlichen Anhörung vom 02.03.2021 am 01.03.2021 von seinem Betriebsratsamt zurückgetreten ist (Sitzungsniederschrift vom 02.03.2021, Seite 3; Bl. 105). Die Amtsniederlegung führt auch nicht zu einem Verlust der Antragsbefugnis. Der Antragsteller und Beteiligte zu 2 ist weiterhin Arbeitnehmer der Antragstellerin und Beteiligten zu 1 und von daher anfechtungsberechtigt.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 5, Frau H., ist antragsbefugt.
Nach Wertung der erkennenden Kammer liegt keine wirksame Bekanntmachung des Wahlergebnisses vor. Der Aushang der Wahlniederschrift vom 31.08.2020 stellt keine genügende Bekanntmachung der gewählten Betriebsratsmitglieder i.S.d. § 18 Satz 1 WO dar. Die Gewählten sind an nachrangiger Stelle auf Seite 5 der Wahlniederschrift aufgeführt. Maßgeblich und vorrangig i.S.d. § 18 Satz 1 WO ist nach Wertung der erkennenden Kammer aber die Bekanntgabe der Gewählten.
Ob der Wahlvorstand neben der zwingend vorgeschriebenen Bekanntmachung der gewählten Betriebsratsmitglieder auch eine Abschrift der Wahlniederschrift aushängt, steht in seinem Ermessen, vgl. Fitting, BetrVG, 29. Aufl. (2018).
Die zweiwöchige Antragsfrist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG hat damit nicht zu laufen begonnen.
Die zweiwöchige Antragsfrist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist ungeachtet dessen hinsichtlich der Anfechtungsanträge der Antragstellerin und Beteiligten zu 1 sowie hinsichtlich der Antragsteller und Beteiligten zu 2 bis 4 gewahrt.
Sollte der Aushang der Wahlniederschrift vom 31.08.2020 noch am 31.08.2020 erfolgt sein, lief die zweiwöchige Anfechtungsfrist am 14.09.2020 ab. Der Anfechtungsantrag der Antragstellerin und Beteiligten zu 1 ging am 11.09.2020 bei Gericht ein. Die Anfechtungsanträge der Antragsteller und Beteiligten zu 4 gingen am 14.09.2020 bei Gericht ein.
Infolge dessen, dass die zweiwöchige Anfechtungsfrist nach Wertung der erkennenden Kammer aber nicht zu laufen begonnen hat, ist auch der Anfechtungsantrag der Antragstellerin und Beteiligten zu 5, Frau H., vom 04.02.2021 fristgerecht.
2. Die materiellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung nach § 19 BetrVG sind ebenfalls erfüllt.
Nach Wertung der erkennenden Kammer wurde bei der Wahl wurde gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen. Hierdurch konnte das Wahlergebnis beeinflusst werden.
Nach Wertung der erkennenden Kammer ist die Anordnung einer ausschließlichen Briefwahl durch den Wahlvorstand ohne Rechtsgrundlage erfolgt. Die Voraussetzungen für eine schriftliche Stimmabgabe liegen weder nach § 24 Abs. 2 WO (aufgrund der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht anwesende Wahlberechtigte) noch nach § 24 Abs. 3 Satz 1 WO (Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind) vor.
Die Corona-Pandemie rechtfertigt kein Abgehen von einem Wahlraum.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 beruft sich zentral zutreffend darauf, dass weder zum Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens noch zum Zeitpunkt der Wahl sämtliche Arbeitnehmer oder auch nur ein Großteil hiervon an der persönlichen Stimmabgabe verhindert gewesen sei. Unstreitig ist das Medizinische Versorgungszentrum mit seinen Ärztlichen Praxiszentren und dem Neuronetz durchgängig geöffnet gewesen und hat die medizinische Versorgung sichergestellt.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 hat unwiderlegt vorgetragen, dass von den zum Zeitpunkt der Wahl mehr als 360 Beschäftigten im Sommer 2020 lediglich ca. 20 in Elternzeit gewesen seien bzw. dass Kurzarbeit im Sommer 2020 weder angeordnet noch zu erwarten gewesen sei.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 hat unwiderlegt vorgetragen, dass selbst bei einer erneuten Verschärfung der Pandemie – mit der im Sommer 2020 nicht zu rechnen gewesen sei – die Anwesenheit der ganz überwiegenden Anzahl Beschäftigten im Betrieb weiterhin zwingend zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung erforderlich gewesen sei. Sie hat sich zutreffend darauf berufen, dass im Sommer 2020 seien sogar Veranstaltungen und Treffen – unter Einhaltung der AHA-Regeln – wieder erlaubt gewesen seien, da die Infektionszahlen in ganz Deutschland sehr niedrig gewesen seien.
Ergänzend ist auszuführen, dass die Wahl im August 2020 und damit in den bayerischen Sommerferien und damit in einer Zeit stattgefunden hat, als wieder Begegnungen – unter Einhaltung der sog. AHA-Regeln – sowie Reisen möglich waren.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 beruft sich zutreffend auch darauf, dass gerade angesichts des Umstands, dass es sich bei den Beschäftigten um geschultes medizinisches Personal handele, welches auch mit den pandemiebedingten Hygiene- und Abstandsregeln längstens vertraut gewesen sei und penibel auf deren Einhaltung geachtet habe, nicht annährend ersichtlich sei, warum die Durchführung einer Präsenzwahl zu einem erhöhten Ansteckungsrisiko hätte führen sollen.
Die Ausführungen des Antragsgegners und Beteiligten zu 6 tragen demgegenüber nicht.
Nach Wertung der erkennenden Kammer hat der Wahlvorstand grundsätzlich nicht die Durchführung einer persönlichen Stimmabgabe in einem Wahlraum erwogen bzw. sich um die Einrichtung eines Wahllokals bemüht.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 beruft sich unwiderlegt darauf, dass es jederzeit möglich gewesen wäre, für die persönliche Stimmabgabe ein Wahllokal zu eröffnen, in dem die Stimmabgabe unter Wahrung der Abstandsgebote hätte durchgeführt werden können, ohne dass die Wahlvorstandsmitglieder selbst oder etwaige Wahlhelfer erhöhten Ansteckungsrisiken ausgesetzt gewesen wären.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 hat sich zudem zutreffend darauf berufen, dass eine Änderung der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz nicht erfolgt sei.
Eine zwingende Ausnahmesituation durch die Corona-Pandemie ist danach im Zeitraum August 2020 nicht gegeben gewesen.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin und Beteiligten zu 1) hat im Termin zur mündlichen Anhörung vom 02.03.2021 Kopie eines Grundrissauszugs der vorhandenen Tagungskapazität zur Abhaltung der Betriebsratswahl bestehend aus Tageskapelle und Mehrzwecksaal sowie dem vorgelagerten Flur in der C. C-Stadt vorgehlegt und hierzu erklärt, dass diese Räumlichkeiten von der Antragstellerin und Beteiligten zu 1) mitbenutzt werden dürften und dem Wahlvorstand auch zur Verfügung gestellt worden wären (Sitzungsniederschrift vom 02.03.2021, Seite 2; Bl. 104).
Soweit die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners und Beteiligten zu 6) im Termin zur mündlichen Anhörung vom 02.03.2021 darauf verwiesen hat, dass auch in diesem Fall die Gefahr eines Personenstaus vor dem Wahllokal gegeben gewesen wäre, so dass auch insoweit aus Infektionsschutzgründen die Zurverfügungstellung eines Raums alleine nicht ausreichend gewesen wäre bzw. dass die Anordnung der Briefwahl nicht aufgrund von Kurzarbeit, sondern aufgrund der Beachtung der Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen erfolgt sei (Sitzungsniederschrift vom 02.03.2021, Seite 3; Bl. 105), trägt dies nicht.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 beruft sich unwiderlegt darauf, dass nicht ausgeschlossen sei, dass das Wahlergebnis bei einer Präsenzwahl anders ausfallen hätte können als bei der durchgeführten Briefwahl.
Die Anfechtung ist nach Wertung der erkennenden Kammer unabhängig davon auch deshalb begründet, dass nicht gesichert ist, dass tatsächlich alle Wahlberechtigten die Briefwahlunterlagen erhalten haben.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 5), Frau H., hat in dem Termin zur mündlichen Anhörung vom 02.03.2021 erklärt, dass bei der Wahlauszählung noch Wählerinnen und Wähler eingetragen worden seien, von denen Wahlbriefe eingegangen seien, die zuvor jedoch noch nicht auf der Liste gestanden seien. Aufgrund des Eingangs der Wahlbriefe seien diese Wählerinnen und Wähler entsprechend abgehakt worden (Sitzungsniederschrift vom 02.03.2021, Seite 4; Bl. 106).
Die Betriebsratsvorsitzende Frau B. hat in dem Termin zur mündlichen Anhörung vom 02.03.2021 erklärt, dass bereits zuvor aufgefallen sei, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine Wahlbriefe bekommen hätten. Diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seien Wahlbriefe zugeleitet worden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien handschriftlich noch auf die Liste gesetzt worden. Eine handschriftliche Ergänzung der Liste am Tag der Auszählung bzw. bei der Auszählung sei nicht erfolgt (Sitzungsniederschrift vom 02.03.2021, Seite 4; Bl. 106).
Die Anfechtung ist nach Wertung der erkennenden Kammer unabhängig davon auch deshalb begründet, dass ein zuverlässiger Rücklauf der Freiumschläge nicht gesichert war.
Für die erkennende Kammer ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Wahlvorstand keinen eigenen Briefkasten organisieren hat können, in den die Freiumschläge eingelegt werden hätten können, sondern der Wahlvorstand nach dem Vortrag des Antragsgegners und Beteiligten zu 6 aus organisatorischen Gründen auf die Zuleitung der Freiumschläge über die Poststelle der C. C-Stadt angewiesen war. Unstreitig sind die Freiumschläge zur Rückleitung der Wahlunterlagen alle an die Adresse I-Straße, C-Stadt adressiert gewesen.
Die erkennende Kammer hat dabei keinen Zweifel an der Zuverlässigkeit der Poststelle.
Der Antragsteller und Beteiligte zu 2), Herr E., hat im Termin zur mündlichen Anhörung vom 02.03.2021 hierzu erklärt, dass man an der Adresse des Wahlvorstands in der IStraße bei zahlreichen leeren Postkästen ohne Weiteres einen Postkasten für den Wahlvorstand einrichten hätte können. Dies sei nicht gemacht worden. Stattdessen seien die rücklaufenden Wahlbriefe teilweise in Praxen gelandet und von dort aus an die Poststelle der Antragstellerin und Beteiligten zu 1) weitergegeben worden oder geholt worden (Sitzungsniederschrift vom 02.03.2021, Seite 3; Bl. 105).
Nachdem nach Wertung der Kammer ein vollständiger Rücklauf der Freiumschläge nicht gesichert war, ist auch von daher nicht ausgeschlossen, dass das Wahlergebnis anders hätte ausfallen können.
Die Anfechtung ist nach Wertung der erkennenden Kammer unabhängig davon auch dadurch begründet, dass ein Verstoß des Wahlvorstands gegen § 10 Abs. 2 WO vorgelegen hat. Der Wahlvorstand hat die Wochenfrist des § 10 Abs. 2 WO zur Bekanntmachung der als gültig anerkannten Vorschlagslisten nicht eingehalten, sondern die Liste 1 „Für die Praxen“ noch am 05.08.2020, d.h. zwei Tage vor Versendung der Wahlunterlagen am 07.08.2020 durch die Streichung der Wahlbewerberin Frau N. abgeändert.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 beruft sich zutreffend darauf, dass nicht ausgeschlossen sei, dass manche Wahlberechtigte sofort nach Erhalt der Wahlunterlagen ihre Wahl getroffen hätten und dass jedenfalls für diese die Frist in unzulässiger Weise verkürzt worden sei.
Die Anfechtung ist nach Wertung der erkennenden Kammer unabhängig davon auch dadurch begründet, dass der Wahlvorstand gegen das Neutralitätsgebot nach § 20 Abs. 2 BetrVG verstoßen hat.
Nach Wertung der erkennenden Kammer ist der Inhalt der E-Mail des Wahlvorstands vom 03.08.2020, wonach im Normalfall eine Personenwahl stattfinde, bereits unzutreffend. Der Hinweis auf die durch die Einreichung der Liste von Frau H. und die damit einhergehende „Verkürzung“ des Stimmrechts von 9 Stimmen auf eine Stimme war geeignet, Vorbehalte gegen die weiter eingereichte Liste zu machen. Ebenso war der Hinweis darauf, dass der Betriebsrat ist das Sprachrohr der Angestellten sei bzw. dass der Betriebsrat den Vermittler für die Anliegen und Wünsche der Mitarbeiter gegenüber der Geschäftsführung darstelle und erst an zweiter Stelle für eine konstruktive Zusammenarbeit der ÄPZ mit der Geschäftsführung zuständig sei, geeignet, Vorbehalte gegen die Liste 1 zu erwecken.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 führt zutreffend aus, dass der Wahlvorstand der Liste 1 damit unterstellt habe, sie habe den Wahlberechtigten Einfluss genommen, was bei Wählern wohl nur schlecht ankommen könne, und dass darin ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot liege.
Die festgestellten Verstöße führen nach Wertung der erkennenden Kammer auch insgesamt zur Unwirksamkeit der Wahl, weil hierdurch das Wahlergebnis beeinflusst werden konnte.
Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerfreie Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Ergebnis erzielt worden wäre. Kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl, BAG, Beschluss vom 21.01.2009, 7 ABR 65/07, Rd.Nr. 29, zitiert nach iuris.
Es ist nicht auszuschließen, dass ohne die jeweiligen Verstöße ein anderes Wahlergebnis am Ende der Betriebsratswahl gestanden hätte.
Die Betriebsratswahl war demgemäß für unwirksam zu erklären.


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