Arbeitsrecht

Dienstliche Anzeige eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit, Besorgnis der Befangenheit wegen Tätigkeit als Landesanwalt im korrespondierenden Eilverfahren

Aktenzeichen  22 ZB 21.496

Datum:
29.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22537
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 54
ZPO § 41 Nr. 4
ZPO § 42 Abs. 2
ZPO § 48

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 4 K 18.613 2020-10-20 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

Die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. M2. ist nicht kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes im Verfahren Az. 22 ZB 21.496 ausgeschlossen.
Die Besorgnis der Befangenheit im Verfahren Az. 22 ZB 21.496 bezüglich der Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. M2. ist begründet.

Gründe

In ihrer dienstlichen Anzeige vom 5. März 2021 teilte die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. M2. mit, dass dem vorliegenden Verfahren (Az. 22 ZB 21.496) ein Eilverfahren (Az. 22 CS 18.2247) zum gleichen Gegenstand vorausgegangen ist. In diesem Eilverfahren hat sie im Rahmen ihrer damaligen Tätigkeit als Oberlandesanwältin bei der Landesanwaltschaft Bayern in Vertretung einer zuständigen, aber verhinderten Oberlandesanwältin unter dem 29. Oktober 2018 einen Schriftsatz erstellt und unterzeichnet, der dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugeleitet worden ist. Die Anzeige wurde den Beteiligten mit der Gelegenheit zur Stellungnahme übermittelt. Der Kläger teilte daraufhin mit Schriftsatz vom 17. März 2021 mit, dass man von einer unvoreingenommenen Entscheidung durch die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. M2. ausgehe. Der Beklagte äußerte mit Schriftsatz vom 23. März 2021, dass er von seinem Ablehnungsrecht keinen Gebrauch machen wolle, da man die damalige Befassung von Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. M2. als sehr geringfügig erachte. Die Beigeladene wies mit Schriftsatz vom 23. März 2021 darauf hin, dass sie insoweit keine Stellungnahme abgeben wolle.
Die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. M2. ist im vorliegenden Verfahren zwar nicht nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 Nr. 4 ZPO bereits kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen; allerdings ist die Besorgnis der Befangenheit, über die gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 48 ZPO zu entscheiden war, nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO begründet.
Ein Ausschluss nach § 41 Nr. 4 ZPO liegt nicht vor. Zwar ist unter das Tatbestandsmerkmal “Prozessbevollmächtigter” i.S.v. § 41 Nr. 4 ZPO auch eine Tätigkeit des Richters für die Vertretungsbehörde des Beklagten zu subsumieren, jedenfalls wenn – wie vorliegend aufgrund des eingetretenen Vertretungsfalls (Verhinderung der zuständigen Landesanwältin) – der Richter von der Landesanwaltschaft konkret bzw. spezifisch beauftragt war, im Verfahren tätig zu werden (vgl. dazu BGH, B.v. 20.9.2016 – AnwZ (Brfg) 61/15 – juris Rn. 12; Kluckert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 54 Rn. 26 f.).
Allerdings behandeln das vorliegende Verfahren und das Eilverfahren Az. 22 CS 18.2247 nicht dieselbe Sache i.S.v. § 41 Nr. 4 ZPO. Die Auslegung des Begriffs der “Sache” i.S.v. § 41 Nr. 4 ZPO ist in Literatur und Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Teilweise wird dafür plädiert, den Begriff weiter, insbesondere in Relation zum Sachbegriff des § 41 Nr. 6 ZPO, zu verstehen (vgl. etwa BayVGH, B.v. 21.11.1980 – 11 CS 80 D. 61 – BayVBl 1981, 368/369; ähnlich auch Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 41 Rn. 11 m.w.N.: Verfahrensgleichheit sei nicht erforderlich; Sachgleichheit in § 41 Nr. 4 ZPO bedeute Identität des Streitgegenstandes). Würde man etwa eine Identität des Streitgegenstandes genügen lassen, so könnte man vorliegend – gerade mit Blick auf die “Hauptsacheakzessorietät” eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 VwGO – bzgl. Haupt- und Eilverfahren durchaus von “derselben Sache” ausgehen. Überzeugender scheint es jedoch, das Tatbestandsmerkmal “Sache” in Nr. 4 des § 41 ZPO gleichlautend zu dessen Nr. 6 und damit “eng” auszulegen (vgl. zur Auslegung von § 41 Nr. 6 VwGO in Bezug auf § 80 Abs. 5 VwGO etwa BVerwG, B.v. 2.10.1997 – 11 B 30.97 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 19.3.2013 – 20 ZB 12.1881 – juris Rn. 13; OVG Berlin-Bbg, B.v. 11.1.2010 – OVG 3 B 5.09 – juris Rn. 3). Zum einen, um unterschiedliche Wortlautauslegungen innerhalb einer Regelung gesetzessystematisch zu vermeiden (von einem solchen “Gleichlauf” von § 41 Nr. 4 und 6 ZPO ausgehend wohl auch BVerfG, B.v. 5.4.1990 – 2 BvR 413/88 – juris Rn. 19, wonach das Tatbestandsmerkmal zudem in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinn zu verstehen sei; in diesem Sinne auch BAG, B.v. 7.11.2012 – 7 AZR 646/10 – juris Rn. 16, wonach eine Tätigkeit in einem “Parallelverfahren” nicht für einen gesetzlichen Ausschluss genüge). Zu anderem, um der Regelungsnatur der gesetzlichen Ausschlusstatbestände zu entsprechen, welche einer erweiternden Auslegung oder analogen Anwendung auch angesichts Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unzugänglich sind (vgl. BVerwG, B.v. 5.1.2010 – 5 B 58.09 – juris Rn. 5). In diesem Sinne verstanden schließt § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m.§ 41 Nr. 4 ZPO VwGO Richterin am Verwaltungsgericht Dr. M2. vorliegend nicht kraft Gesetzes aus.
Aufgrund des vorliegenden Sachverhalts ist jedoch die Besorgnis der Befangenheit begründet, § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO.
Der Anwendbarkeit von § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO steht dabei zunächst nicht entgegen, dass kein gesetzlicher Ausschluss nach § 41 Nr. 4 ZPO i.V.m. § 52 Abs. 1 VwGO vorliegt; insbesondere ergibt sich dies nicht aus der zu § 41 Nr. 6 ZPO entwickelten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
Dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zufolge hat der Gesetzgeber in § 41 Nr. 6 ZPO i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO eine abschließende Regelung darüber getroffen, in welchen Fällen Richter ausnahmsweise aufgrund ihrer früheren Tätigkeit von der Ausübung ihres Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen sind (vgl. BVerwG, B.v. 7.9.1989 – 2 B 110.89 – juris Rn. 2). Mit der gesetzlichen Wertung des abschließenden Charakters dieses Ausschlussgrundes wäre es nämlich im Grundsatz nicht vereinbar, wenn der bloße Umstand der Vorbefassung eines Richters mit der Sache geeignet wäre, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Denn das geltende Verfahrensrecht ist von dem Gedanken geprägt, dass ein Richter grundsätzlich auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er bereits früher mit der Sache befasst war (BVerfG, B.v. 4.7.2001 – 1 BvR 730/01 – juris Rn. 10 m.w.N.). Vielmehr müssen besondere zusätzliche Umstände hinzutreten, um in Fällen der “Vorbefassung” die Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 2 ZPO) zu begründen (BVerwG, B.v. 7.9.1989 – 2 B 110.89 – juris Rn. 2).
Eine solche zu § 41 Nr. 6 ZPO vergleichbare “Sperrwirkung” kann vorliegend aber § 41 Nr. 4 ZPO nicht zukommen; denn insoweit unterscheidet sich § 41 Nr. 4 ZPO in seiner (typisierenden) Regelungswirkung bzw. Zielsetzung von § 41 Nr. 6 ZPO (auch wenn beide zunächst vom selben Begriffe der “Sache” ausgehen, s.o.). Denn anders als § 41 Nr. 6 ZPO erfasst § 41 Nr. 4 ZPO Konstellationen, in welcher ein (jetziger) Richter im Rahmen seiner Vorbefassung im Auftrag einer Partei bzw. deren Interesse agiert hat. Der eben formulierte Grundgedanke, dass ein Richter, der bereits einmal mit einer Sache (vor-)befasst war, weiterhin unvoreingenommen an diese herangeht (“Grundsatz der Neutralität des Richters”), setzt jedenfalls voraus, dass der Richter bereits im Rahmen seiner Vorbefassung – eben weil er zu diesem Zeitpunkt bereits Richter war – unvoreingenommen, objektiv und seinem richterlichen Eid entsprechend geprüft und entschieden hat. Hat sich der jetzige Richter, wie im vorliegenden Fall, dagegen im Rahmen der Vorbefassung in einer anderen Funktion/Rolle und im Auftrag bzw. zugunsten einer Partei einseitig oder mit einer gewissen Tendenz positioniert (und nicht nur objektiv ge-/überprüft), kann dieser (Neutralitäts-)Grundsatz keine Geltung mehr beanspruchen (vgl. in diesem Sinne auch BayVGH, B.v. 21.11.1980 – 11 CS 80 D. 61 – BayVBl 1981, 368/371, der insoweit von einer “typisierenden Behandlung” der gesetzlichen Ausschlusstatbestände ausgeht und § 42 Abs. 2 ZPO quasi als Einzelfallkorrektiv erachtet).
Die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit, nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des betreffenden Richters zu rechtfertigen. Dabei genügt es, wenn vom Standpunkt der Beteiligten aus hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unparteilichkeit zu zweifeln (BVerwG, B.v. 28.5.2009 – 5 PKH 6/09 – juris Rn. 4 m.w.N.); nicht maßgeblich ist, ob der Richter tatsächlich noch von seiner früheren Tätigkeit als Vertreter des Freistaats Bayern beeinflusst ist (vgl. BayVGH, B.v. 21.11.1980 – 11 CS 80 D. 61 – BayVBl 1981, 368/371). Vorliegend hat sich Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. M2. im Rahmen des Schriftsatzes vom 29. Oktober 2018 als damalige Landesanwältin u.a. ausdrücklich den Ausführungen des Rechtsmittelführers (d.h. der erstinstanzlich unterlegenen Beigeladenen) angeschlossen und im Übrigen auf eine ihrer Einschätzung nach nur eingeschränkte rechtliche Betroffenheit des damaligen Antragstellers (Klägers) durch die streitgegenständliche, der Beigeladenen erteilte Genehmigung hingewiesen. Etwas plakativ formuliert hat sie somit den Genehmigungsbescheid des Beklagten verteidigt und sich so sowohl mit der Verfahrensposition des Beklagten wie des Rechtsmittelführers (der Beigeladenen) – auch nach außen hin – identifiziert. Es kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass diese damalige Positionierung noch fortwirkt bzw. dass jedenfalls der entsprechende Anschein (fort-)besteht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 146 Abs. 2 VwGO).


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