Arbeitsrecht

Disziplinarklage, Aberkennung des Ruhegehalts, Schwere Verstöße gegen die Nebentätigkeitsvorschriften im aktiven Dienst, Umfangreiche Nebentätigkeiten trotz Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Zuführung von Tabakwaren an Gefangenen, Nichtbeachtung einer Fesselungsanordnung eines Gefangenen und disziplinarwürdige Nachlässigkeit bei Gefangenenbewachung, Distanzgebot zu Gefangenen

Aktenzeichen  DK 18.2043

Datum:
5.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8973
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtStG § 47
BeamtStG §§ 33 ff.
OWiG § 115
BayBG Art. 81
BayDG Art. 13

 

Leitsatz

Tenor

I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts erkannt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Auf die Disziplinarklage des Klägers hin wird auf die Disziplinarmaßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts des Beklagten gemäß Art. 13 BayDG erkannt.
I. Formelle Mängel des Disziplinarverfahrens sind weder i.S.v. Art. 53 Abs. 1 BayDG geltend gemacht noch liegen solche entscheidungserheblich vor. Insbesondere ist dem Beklagten jeweils Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt worden.
Zwar erfolgte in Bezug auf die Zuführung von Tabakwaren an einen Gefangenen am 24. Januar 2017 vor der abschließenden Anhörung am 31. Januar 2018 keine förmliche Ausdehnung des Disziplinarverfahrens gemäß Art. 21 Abs. 1 BayDG. In der Einleitungsverfügung vom 12. Januar 2017 war vielmehr (nur) ein – später nicht weiter aufrecht erhaltener – Vorwurf des Einbringens eines Mobiltelefons enthalten. Die in der abschließenden Anhörung vom 31. Januar 2018 enthaltende Darstellung des Ergebnisses der Ermittlungen stellt jedoch eine hinreichend aktenkundige Ausdehnung i.S.v. Art. 21 Abs. 1 BayDG dar. In der Darstellung vom 31. Januar 2018 kommt deutlich zum Ausdruck, welche Handlungen dem Beamten nunmehr nach dem Ergebnis der Ermittlungen zur Last gelegt werden. Insofern hat auch die damalige Bevollmächtigte des Beklagten zum Vorwurf Stellung genommen. Dass eine ausdrückliche Formulierung der Ausdehnung des Disziplinarverfahrens fehlt, stellt insoweit keinen Mangel dar (VG München, U.v. 16.11.2021 – M 13L DK 19.4716 – UA Rn. 18 noch nicht veröffentlicht).
Dass gegen den Beklagten zunächst – formal fehlerhaft – mehrere Disziplinarverfahren vom Dienstvorgesetzten eingeleitet wurden, statt ein eingeleitetes Disziplinarverfahren gemäß Art. 21 Abs. 1 BayDG aufgrund des vorherrschenden Grundsatzes der Einheit des Dienstvergehens auszudehnen, führt ebensowenig vorliegend zu einem formalen Mangel der Disziplinarklage, nachdem die Verfahren durch die Disziplinarbehörde verbunden wurden und eine einheitliche Maßnahmebemessung i.S.v. Art. 14 BayDG erfolgte.
II. Dem Beklagten liegt folgender Sachverhalt zur Last:
1. In den Jahren 2015 bis Februar 2017 ging der Beklagte Nebentätigkeiten nach, ohne dass er diese gegenüber seinem Dienstherrn angezeigt und dieser sie genehmigt hätte.
a) Dem Beamten war in der Zeit vom 22. März 2012 bis 31. Dezember 2014 durch den Leiter der JVA am 22. März 2012 bis 31. Dezember 2012, am 29. Januar 2013 bis 31. Dezember 2013 und am 28. Januar 2014 bis 31. Dezember 2014 eine Nebentätigkeit bei der Fa. E. als Sicherheitsmitarbeiter im Umfang von bis zu 8 Stunden wöchentlich auf Basis einer geringfügigen Beschäftigung genehmigt worden.
Einen weiteren Antrag auf Genehmigung stellte der Beamte nicht mehr.
Auf der Grundlage eines unverändert fortgeltenden Arbeitsvertrages mit der Fa. E. vom 28. Februar 2012 führte der Beamte die Nebentätigkeit jedoch weiterhin in folgendem Umfang aus und erzielte dabei die genannten Einkünfte, obwohl er wusste, dass er hierfür keine Genehmigung mehr hatte, ihm die Ausübung einer Nebentätigkeit aber nur mit einer solchen gestattet war:
b) Zudem ging der Beamte im Zeitraum von März 2016 bis Februar 2017 ohne eine entsprechende Anzeige oder Genehmigung einer Nebentätigkeit als Nachtportier beim Hotel A. mit regelmäßig bis zu 8 Stunden wöchentlich und vereinzelt darüber hinaus gemäß nachfolgender Übersicht nach und erzielte dabei die genannten Einkünfte, deren Abrechnung auf der Grundlage der Steuerklasse 6 und nicht als sog. „geringfügige Beschäftigung“ erfolgte:
März 2016 30 Stunden 250,08 € April 2016 30 Stunden 255,00 € Mai 2016 45 Stunden 382,50 € Juni 2016 37,50 Stunden 318,75 € Juli 2016 52,50 Stunden 446,25 € August 2016 37,50 Stunden 318,75 € September 2016 22,50 Stunden 191,25 € Oktober 2016 52,50 Stunden 446,25 € November 2016 37,50 Stunden 318,75 € Dezember 2016 37,50 Stunden 247,59 € Januar 2017 67,50 Stunden 503,69 € Februar 2017 52,50 Stunden 503,69 €
c) Trotz Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Dr. H. vom 30. Januar 2017,
13. Februar 2017 und 24. Februar 2017 über eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit vom 30. Januar 2017 bis 10. März 2017 ging der Beamte in dieser Zeit an folgenden Tagen den – nicht genehmigten (s.o.) – Nebentätigkeiten nach:
30.01.2017 22.45 Uhr bis 6.15 Uhr als Nachtportier im Hotel A.
31.01.2017 22.45 Uhr bis 6.15 Uhr als Nachtportier im Hotel A.
04.02.2017 7.00 Uhr bis 18.00 Uhr als Sicherheitsdienstmitarbeiter
22.45 Uhr bis 6.15 Uhr als Nachtportier im Hotel A.
05.02.2017 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr als Sicherheitsdienstmitarbeiter
22.45 Uhr bis 6.15 Uhr als Nachtportier im Hotel A.
08.2.2017 22.45 Uhr bis 6.15 Uhr als Nachtportier im Hotel A.
10.02.2017 22.45 Uhr bis 6.15 Uhr als Nachtportier im Hotel A.
11.02.2017 7.00 Uhr bis 18.00 Uhr als Sicherheitsdienstmitarbeiter
22.45 Uhr bis 6.15 Uhr als Nachtportier im Hotel A.
12.02.2017 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr als Sicherheitsdienstmitarbeiter
22.45 Uhr bis 6.15 Uhr als Nachportier im Hotel A.
16.02.2017 22.45 Uhr bis 6.15 Uhr als Nachportier im Hotel A.
2. Am 26. August 2016 war der Beamte zur – alleinigen – Bewachung des Gefangenen Z. seit 13:00 Uhr eingesetzt, der sich wegen einer Schnittverletzung an der Hand zur medizinischen Behandlung im Klinikum A. befand. Entgegen der Dienstanweisung für die Krankenhausbewachung von Gefangenen vom … März 2009 und entgegen des Beschlusses des Amtsgericht München vom … August 2016 – Gs … -, den Gefangenen bei der Ausführung zu fesseln, anlässlich des Vollzugs der Untersuchungshaft des Gefangenen, der sich wegen Verdachts der schweren Körperverletzung mit Waffe in Tateinheit mit versuchtem Totschlag in Untersuchungshaft befand, ließ der Beamte den Gefangenen ohne Hand- und Fußfesseln aus dem Krankenbett aufstehen. Der Beamte wollte dadurch auf die erfolgte Hand-Operation Rücksicht nehmen und verhindern, dass der Gefangene stolpern könnte. Er empfand eine Fesselung in dieser Situation entwürdigend. Gegen 20:40 Uhr erlaubte der Beamte dem Gefangenen, sich – ungefesselt – in einem Versorgungsraum einen Tee zuzubereiten, wobei der Beamte am Eingang des Raums stehen blieb und den Gefangenen nicht ununterbrochen aus nächster Nähe im Blick behielt. Dadurch nutzte der Gefangene spontan die Gelegenheit und konnte durch ein geöffnetes Fenster im 2. Stock der Klinik auf das Dach bis ins Ausland entfliehen, womit der Beklagte nicht rechnete.
3. Aus dem Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft München I – 231 Js … – vom 24. Juli 2017 ergibt sich zudem folgender, dem Beklagten zur Last zu legender Sachverhalt:
„Am 24. Januar 2017 gegen 13:00 Uhr stellte der [Beklagte] dem Gefangenen [V.] mindestens 15 Packungen Tabak […] zur Verfügung. Konkret begab sich der [Beklagte], der an diesem Tag in der Station CD1 eingesetzt war, unangemeldet und heimlich in gebückter Haltung und erkennbar etwas unter seiner Dienstjacke versteckend, auf die nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fallende Station EF0 und dort in den Haftraum des Gefangenen, wo er mindestens 15 Packungen Tabak für den Gefangenen versteckte.“
III. Der dem Beklagten – zuvor unter II. 1. bis 3. – zur Last gelegte Sachverhalt steht aufgrund der vorgelegten Akten fest und wurde zudem jeweils vom Beklagten eingeräumt, zuletzt ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung am *. April 2022.
1. Bezüglich der Ausübung der Nebentätigkeiten liegen zudem nähere Angaben der beiden Arbeitgeber vom 28. August 2017 vor, aus denen u.a. sich der zeitliche Einsatz des Beklagten ergibt.
Soweit der Beklagte zunächst am 17. März 2017 erklären ließ, er habe schlicht vergessen, die Nebentätigkeitsgenehmigung zu erneuern, wird dies als Schutzbehauptung gewertet. Vielmehr steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger bewusst war, in dem von ihm beabsichtigten und durchgeführten Umfang keine Nebentätigkeitsgenehmigung erhalten zu können und den Tätigkeiten daher ohne Genehmigung nachging. Schließlich handelte der Beklagte auch nicht dann gegenüber seinem Dienstherrn, als er die zweite Nebentätigkeit aufnahm, von der er wusste, dass er diese bislang weder angezeigt noch eine Genehmigung hierfür erhalten hatte. Dass er sich auch zu diesem Zeitpunkt nicht pflichtgemäß an seinen Dienstherrn wandte, lässt hinreichend darauf schließen, beiden Nebentätigkeiten vielmehr ohne Anzeige und Genehmigung nachgehen zu wollen. Auf die insoweit überzeugenden Ausführungen des Klägers in der Klageschrift wird ergänzend Bezug genommen.
2. Der Sachverhalt unter II. 2. steht aufgrund der eigenen Angaben des Beklagten vom 26. August 2016 in Verbindung mit den Angaben des Gefangenen Z. fest.
3. Hinsichtlich des Sachverhalts unter II. 3. ergeben sich die tatsächlichen Feststellungen aus dem Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft München I – 231 Js … – vom … Juli 2017 im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenverfahrens gemäß Art. 24 Abs. 2 BayDG, zudem aus den vorgelegte Kopien des Strafverfahrens und anschließenden Ordnungswidrigkeitenverfahrens 231 Js … der Staatsanwaltschaft München I.. Zugunsten des Beklagten kann dabei davon ausgegangen werden, dass der Beklagte keine Gegenleistung für den Tabak erwartete.
IV. Der Beklagte hat dadurch ein einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen.
1. a) Der Beklagte ist in einem Umfang zweier Nebentätigkeiten nachgegangen, dass diese nicht mehr genehmigungsfähig gewesen wären.
Gemäß § 40 BeamtStG ist eine Nebentätigkeit grundsätzlich anzeigepflichtig. Das Nähere über die Anzeige- und Genehmigungspflicht regelt Art. 81 ff. Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) i.V.m. der Bayerischen Nebentätigkeitsverordnung (BayNV). Mit der Zustimmungs- und Anzeigepflicht von Nebentätigkeiten soll erreicht werden, dass der Dienstherr vor Aufnahme der Tätigkeit Kenntnis erhält und prüfen kann, ob die Tätigkeit mit dem ausgeübten Amt vereinbar ist. Hierbei sind dienstliche Belange ebenso von Bedeutung wie das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unparteilichkeit und Unbefangenheit des Beamten (VG Trier, U.v. 9.11.2010 – 3 K 569/10.TR – juris Rn. 47 m.w.N.). Nach Art. 81 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) liegt ein Versagungsgrund für eine Nebentätigkeit insbesondere vor, wenn die Nebentätigkeit nach Art und Umfang die Arbeitskraft des Beamten so stark in Anspruch nimmt, dass die ordnungsgemäße Erfüllung der dienstlichen Pflichten behindert werden kann. Diese Voraussetzung gilt in der Regel als erfüllt, wenn die zeitliche Beanspruchung durch eine oder mehrere Nebentätigkeiten in der Woche acht Stunden überschreitet, Art. 81 Abs. 3 Satz 3 BayBG. Dies ist vorliegend offensichtlich angesichts des enormen zeitlichen Umfangs der Fall. Gerade in den Monaten, in denen dem Beklagten die weiteren Dienstpflichtverletzungen unter Nr. 2 und Nr. 3 zur Last gelegt werden, betrug der Umfang sogar weit über 100 Stunden im Monat, im August 2016 117,5 Stunden und im Januar 2017 151,5 Stunden.
Der Beklagte hat somit nicht nur gegen die allgemeine Anzeigepflicht von Nebentätigkeiten nach § 40 BeamtStG i.V.m. § 7 Abs. 2 Satz 1 Bayerische Nebentätigkeitsverordnung (BayNV) verstoßen, sondern ging über einen erheblichen Zeitraum einer nicht genehmigungsfähigen Nebentätigkeit nach. 
Dies stellt einen Verstoß gegen die Pflicht zur Beachtung der Gesetze nach § 33 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 81 BayBG, BayNV dar, zudem auch gegen die Pflicht nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG, sich mit vollem Einsatz dem Beruf zu widmen. Auch ist das Verhalten ansehens- und vertrauensschädigend i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG. Zudem ist die Gesunderhaltungspflicht, die aus § 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG abgeleitet wird, durch den enormen Umfang der Nebentätigkeiten negativ betroffen. 33 Dadurch hat der Beamte im Bereich seiner dienstlichen Kernpflichten versagt, indem er sich massiv über das Verbot der Ausübung ungenehmigter Nebentätigkeiten hinweggesetzt hat. Grundlage für die Einschränkung von Nebentätigkeiten, die der Beamte aufgrund des ihn mit dem Dienstherrn verbindenden besonderen Dienst- und Treueverhältnisses hinzunehmen hat, ist der das Beamtenrecht bestimmende Grundsatz, dass sich der Beamte mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen hat. Dieser Pflicht, sich ganz für den Dienstherrn einzusetzen und diesem seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, steht als Korrelat die Alimentationsverpflichtung des Dienstherrn gegenüber. Das bedeutet einerseits, dass das Interesse des Dienstherrn und der Allgemeinheit an einer vollwertigen, nicht durch anderweitige Verausgabung der Arbeitskraft beeinträchtigten Dienstleistung des Beamten geschützt wird. Auf der anderen Seite wird ebenso das Interesse des Dienstherrn und der Allgemeinheit daran geschützt, dass der Beamte sein Amt pflichtgemäß unparteiisch, unbefangen und in ungeteilter Loyalität gegenüber dem Wohl der Allgemeinheit wahrnimmt und schon den Anschein möglicher Interessen- oder Loyalitätskonflikte vermeidet (BVerwG, U.v. 25.1.1990 – 2 C 10/89 – juris Rn. 14).
Dabei geht das Gericht in Übereinstimmung mit dem Kläger davon, dass der Beklagte vorsätzlich handelte und ihm insbesondere fehlende Genehmigungsfähigkeit bewusst gewesen ist (s.o.). 
Der Verstoß gegen die Nebentätigkeitsbestimmungen ist als innerdienstliche Pflichtverletzung zu werten, da sie mit dem Amt zusammenhängt und Auswirkungen auf die Erfüllung der Dienstpflichten haben kann (OVG Schleswig-Holstein, B.v. 19.12.2017, Az: 14 LA 1/17 – juris).
b) Dass der Beklagte auch noch während seiner Krankheit seinen Nebentätigkeiten nachging, stellt ebenfalls ein ansehens- und vertrauensschädigendes Verhalten i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG dar sowie einen Verstoß gegen die Pflicht nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG zu vollem Einsatz für die Dienst. 
Der Beamte, der in einem besonderen Treueverhältnis zu seinem Dienstherrn steht, ist im Falle krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit gehalten, alles ihm Zumutbare zu tun, um eine rasche Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit herbeizuführen. Dazu gehört, dass er seine Kräfte schont und sie nicht vorzeitig, insbesondere zu Erwerbszwecken, einsetzt (OVG Münster, U.v. 10.5.2017 – 3d A 971/15.O – beck-online Rn. 55; vgl. BVerwG, U.v. 12.2.1992 – 1 D 2.91 – juris Rn. 38). Daher verstößt ein Beamter, der während einer Krankschreibung Nebentätigkeiten ausübt, gegen die Pflicht zum vollen beruflichen Einsatz, wenn die Nebentätigkeit nach Art und Umfang generell geeignet ist, die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit zumindest zu verzögern. Eines konkreten medizinischen Nachweises bedarf es insoweit nicht (OVG Münster a.a.O. m.w.N.). Es genügt, dass die Nebentätigkeit generell geeignet ist, eine alsbaldige Genesung zu verhindern oder zu verzögern (BVerwG, U.v. 1.6.1999 – 1 D 49.97 – juris Rn. 51; Zängl, Bayer. Disziplinarrecht, Stand Aug. 2020, MatR/II Rn. 374).
Soweit der Beklagte vortragen lässt, er sei den Nebentätigkeiten nachgegangen, da sein Arzt ihm Ablenkung geraten habe und er einer Vereinsamung zuhause habe entgehen wollen, lässt dies die Dienstpflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht entfallen. Vielmehr erachtet das Gericht dieses Vorbringen als Schutzbehauptung. Die Arbeit als Nachtportier in einem Hotel einerseits und eine Arbeit in zwei Nebentätigkeiten über einen derart umfangreichen zeitlichen Umfang ist auch bzw. gerade bei einer psychischen Erkrankung aus dem depressiven Formenkreis nicht gesundungsfördernd. Der Beklagte hat nach den vorgelegten ärztlichen Unterlagen an einer Erschöpfungsdepression gelitten. Es ist daher für das Gericht offensichtlich, dass die Ausübung der beiden Nebentätigkeiten in dem vorliegenden Umfang über 10 Stunden nicht zur Genesung beigetragen haben.
2. Dadurch, dass der Beklagte die Hand- und Fußfesseln des Gefangenen Z. löste, handelte er seiner Pflicht nach § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG zuwider, dienstliche Anordnungen, hier die Dienstanweisung für die Krankenhausbewachung und den Beschluss des Amtsgerichts München über den Vollzug der Untersuchungshaft des Gefangenen, zu befolgen. Nr. 4 der Dienstanweisung vom 26. März 2009 regelt für die ambulante oder stationäre Krankenhausbewachung Folgendes:
„Der Gefangene ist auch grundsätzlich ständig gefesselt zu halten (Hand- oder Fußfesseln; dabei darf die Handfessel erst gelöst werden, wenn die Fußfesseln bereits angelegt sind bzw. umgekehrt). In Zweifelsfällen entscheidet der Abteilungsleiter – soweit erforderlich im Benehmen mit dem Anstaltsarzt.“
Der Beschluss des Amtsgerichts München vom … August 2016 – Gs … – im Ermittlungsverfahren des Gefangenen Z. anlässlich dessen Untersuchungshaft ordnet unter Punkt 8 die Fesselung des Beschuldigten bei der Ausführung/Überstellung an.
Die Ausführungen der Bevollmächtigten des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, der Beklagte habe die Situation als würdelos für den Gefangenen gesehen und sei deshalb von der Beachtung der Anordnung befreit gewesen, auch ohne Einhaltung der Remonstrationspflicht nach § 36 Abs. 2 BeamtStG, vermag das Gericht in Übereinstimmung mit der Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung nicht nachzuvollziehen. Unabhängig davon, dass es bereits weit hergeholt ist, die Fesselung eines Gefangenen mit entsprechender Fluchtgefahr bereits als würdelos i.S.v. Art. 1 GG anzusehen, hätte dies den Beklagten nicht davon befreit, sich zunächst an seinen Dienstvorgesetzten i.S.v. § 36 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG zu wenden. Für eine Kontaktaufnahme mit seinem Dienstvorgesetzten hätte der Beklagte genügend Zeit gehabt.
Zudem handelte der Beklagte auch Nr. 3 der Dienstanweisung zur Krankenhausbewachung, der eine ständige und unmittelbare Bewachung der Gefangenen anordnet, zuwider, als er den Gefangenen Z. bei dessen Aufenthalts in der Teeküche nicht ständig im Blick behielt und ihn unmittelbar bewachte. Ansonsten wäre es dem Gefangenen nicht möglich gewesen, sich zu einem freien Fenster im Raum zu begeben und aus diesem zu fliehen.
Dass der Beklagte davon ausging, eine solche Gefahr der Flucht habe in der Situation nicht bestanden, ist dabei nicht von Belang. Die Dienstanweisung ist insoweit eindeutig in Bezug auf Fesselung und Bewachung.
Eine Müdigkeit des Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewachung lässt dabei ebenso wie seine psychische Belastungssituation weder die Schuldhaftigkeit des Verhaltens entfallen oder eine Rechtfertigung erkennen.
3. Der Beklagte handelte durch das ihm unter II./III. 2. zur Last gelegte Verhalten innerdienstlich gegen seine Pflicht zur Beachtung der Gesetze nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG i.V.m. § 115 OWiG.
Zudem verstieß er gegen die Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (DSVollz), die in Nr. 2 Abs. 2 regeln, dass die Bediensteten ohne ausdrückliche Erlaubnis der Anstaltsleitung weder Geld noch andere Sachen entgegennehmen oder an die Gefangenen aushändigen dürfen. Nach Nr. 2 Abs. 1 ist die notwendige Zurückhaltung gegenüber Gefangenen und Entlassenen, deren Angehörigen und Freunden zu wahren. Durch die Übergabe des Tabaks an einen Gefangenen und die damit verbundene fehlende Zurückhaltung im Umgang mit dem Gefangenen handelte der Beklagte somit der Pflicht nach § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG, dienstliche Anordnungen und allgemeine Richtlinien zu befolgen zu wider. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Beamte hierfür eine Gegenleistung erwartet.
Im Übrigen ist es mit der Kernpflicht eines Beamten im Vollzugsdienst nicht zu vereinbaren, die gebotene Distanz zu Gefangenen derart zu unterschreiten. Dabei kann ausdrücklich dahinstehen, ob der Beklagte – wie klägerseits dargestellt – Beziehungen zum Bruder des Gefangenen pflegte.
Das Verhalten des Beklagten stellt sich insoweit auch als Verstoß gegen die Pflicht aus § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG zu ansehens- und vertrauenswürdigem Verhalten dar.
4. Der Beklagte handelte jeweils schuldhaft und ohne Rechtsfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe. Die beklagtenseits vorgetragene gesundheitliche Situation lässt keine Anhaltspunkte erkennen, dass der Beamte i.S.v. § 20 StGB schuldunfähig gewesen wäre.
V. Das Dienstvergehen wiegt insgesamt derart schwer i.S.v. Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG, dass ein endgültiger und vollständiger Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit in den Beklagten eingetreten ist. Unter Berücksichtigung der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten des Beklagten als Gesichtspunkte der Maßnahmebemessung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG kommt keine andere Maßnahme als die Höchstmaßnahme in Betracht, so dass dem Beklagten das Ruhegehalt gemäß Art. 13 BayDG abzuerkennen ist.
1. Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung ist die Schwere des Dienstvergehens. In der Zusammenschau hat der Beklagte ein schweres Dienstvergehen begangen.
Fallen einem Beamten – wie hier – mehrere Dienstpflichtverletzungen zur Last, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in der Regel in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BayVGH, U.v. 11.5.2016 – 16a D 13.1540 – juris Rn. 66). Dabei können weitere Dienstpflichtverletzungen jedoch durchaus derart erschwerend wirken, dass eine nächsthöhere Disziplinarmaßnahme angezeigt sein kann.
Die dem Beklagten zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen im Rahmen seiner beiden Nebentätigkeiten stellen sich als schwerste Verfehlungen dar, wobei das dienstpflichtwidrige Verhalten bei der Krankenhausbewachung bzw. der Übergabe von Tabak an einen Gefangenen von der Schwere her wenig zurückstehen.
a) Schon die Ausübung einer nicht-genehmigten Nebentätigkeit ist von erheblichen disziplinarem Gewicht. Ein Beamter hat grundsätzlich seine volle Arbeitskraft dem Dienstherrn und der Allgemeinheit zu widmen und sein Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes daran auszurichten, dass er der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die sein öffentliches Amt erfordert. Der Dienstherr hat im Gegenzug in Form von Dienstbezügen für den angemessenen Lebensunterhalt des Beamten und seiner Familie zu sorgen. Angesichts dieser korrespondierenden Pflichten liegt das Bedürfnis des Dienstherrn auf der Hand, ihm eine Prüfungs- und Entscheidungsmöglichkeit einzuräumen, wenn der Beamte durch eine nicht dienstlich veranlasste Nebentätigkeit seine geistigen und körperlichen Kräfte außerhalb seiner beruflichen Pflichten nutzbar machen will (VGH Mannheim, U.v. 30.8.2017 – DL 13 S 1854/16 – beck-online Rn. 52 m.w.N.). Dies wird durch die Anzeige- und Genehmigungspflichten des Nebentätigkeitsrechts gewährleistet. Dienstherr und Allgemeinheit sollen zum einen in ihrem Interesse an einer vollwertigen, nicht durch anderweitige Verausgabung der Arbeitskraft beeinträchtigten Dienstleistung des Beamten geschützt werden, zum anderen aber auch in ihrem Interesse daran, dass der Beamte sein Amt pflichtgemäß unparteiisch, unbefangen und in ungeteilter Loyalität gegenüber dem Wohl der Allgemeinheit wahrnimmt und schon der Anschein möglicher Interessen- oder Loyalitätskonflikte vermieden wird (VGH Mannheim, a.a.O., m.w.N.). Anzeigepflichten und Genehmigungsvorbehalte sollen daher sicherstellen, dass der Dienstherr schon vor Aufnahme einer Nebentätigkeit von dieser Kenntnis erhält, damit er sachgerecht prüfen kann, ob sich die Ausübung der beabsichtigten Nebentätigkeit mit dem Amt vereinbaren lässt. Zu prüfen ist hierbei nicht nur, ob der Beamte trotz der die Arbeitskraft in Anspruch nehmenden Nebentätigkeit den dienstlichen Belastungen noch gerecht werden kann, sondern gerade auch, ob sich die Nebentätigkeit auf das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Unbefangenheit des Beamten und allgemein auf dienstliche Interessen auswirken wird (VGH Mannheim, a.a.O. m.w.N.)
Für die disziplinare Ahndung ungenehmigter Nebentätigkeiten steht wegen der Vielfalt möglicher Pflichtverstöße aber grundsätzlich der gesamte disziplinarrechtliche Maßnahmenkatalog zur Verfügung. Es kommt auf Dauer, Häufigkeit und Umfang der Nebentätigkeiten an. Weiter muss berücksichtigt werden, ob der Ausübung der Nebentätigkeit gesetzliche Versagungsgründe entgegenstehen, d.h. ob die Betätigung auch materiell rechtswidrig war und ob sich das Verhalten des Beamten nachteilig auf die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben ausgewirkt hat. Erschwerend wirkt es sich aus, wenn ein Beamter ungenehmigte Nebentätigkeiten in Zeiten der Krankschreibung wahrgenommen hat (BVerwG, B.v. 28.8.2018 – 2 B 4.18 – juris Ls. 1 und Rn. 20). Jedem Beamten muss bewusst sein, dass er sich in Zeiten seiner Erkrankung in seinem äußeren Auftreten größtmögliche Zurückhaltung aufzuerlegen hat und nicht einmal den Eindruck aufkommen lassen darf, er sei entweder gar nicht dienstunfähig oder lasse es an den notwendigen Bemühungen zur Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit fehlen (VG Trier, U.v. 23.6.2016 – 3 K 2202/14.TR – beck-online)
Die schwerste Disziplinarmaßnahme kommt bei der pflichtwidrigen Ausübung einer Nebentätigkeit grundsätzlich (nur dann) in Betracht, wenn die Tätigkeit als solche bereits in hohem Grade pflichtwidrig erscheint oder als Folge der Nebentätigkeit zusätzliche Dienstpflichtverletzungen von erheblichem Gewicht hinzukommen, wie etwa die grobe Vernachlässigung der Dienstleistungspflicht im Hauptamt (Zängl, Bayer. Disziplinarrecht, Stand Aug. 2020, MatR/II Rn. 375). Hingegen hat das Bundesverwaltungsgericht herausgestellt, der bisherigen Rechtsprechung könne nicht entnommen werden, dass die Höchstmaßnahme nur dann verhängt werden darf, wenn die nicht genehmigte Nebentätigkeit sich nachteilig auf die Erfüllung der Dienstpflichten ausgewirkt hat oder wenn sie in Zeiten einer Krankschreibung erfolgte. Letzteres werde in der Rechtsprechung des Senats schon durch die Formulierung deutlich, dass eine Ausübung der ungenehmigten Nebentätigkeit in Zeiten einer Krankschreibung sich (lediglich) „erschwerend auswirkt“ (BVerwG, Besch. V. 28.8.2018 – 2 B 4/18 – beck-online Rn. 22 mit Verweis auf BVerwG, U.v. 11.1.2007 – 1 D 16/05 – BeckRS 2007, 143757, und BVerwG, B.v. 17.7.2013 – 2 B 27/12, DokBer 2014, 39 = BeckRS 2013, 54149 Rn. 7).
Die Dauer der dienstpflichtwidrigen, nicht genehmigungsfähigen Nebentätigkeitsausübung über mehrere Jahre und ihr enormer zeitlicher Umfang einerseits und die massive Nebentätigkeitsausübung während der Krankschreibung im Januar und Februar 2017 andererseits verleihen den Dienstpflichtverletzungen insgesamt gesehen ein schweres Gewicht (vgl. OVG Münster, U.v. 10.5.2017 – 3d A 971/15.O – beck-online Rn. 69 ff., insb. auch Rn. 79) . Eine derartige Nebentätigkeitsausübung steht nicht nur erheblich der Pflicht des Beamten, sich mit vollem Einsatz seinem Dienst zu widmen, sondern insbesondere der Achtung und dem Vertrauen, das die Allgemeinheit einen Beamten entgegenbringt, zuwider. Vielmehr hat sich der Beklagte durch seine Nebentätigkeiten augenscheinlich ein zweites berufliches Standbein aufgebaut bzw. aufbauen wollen (vgl. hierzu auch OVG Münster, U.v. 10.5.2017 – 3d A 971/15.O – beck-online Rn. 73). Dies ist mit den an ihn gestellten Anforderungen in keiner Weise in Übereinstimmung zu bringen. Einem Beamten, der einerseits wegen Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankung seinen Dienst nicht ausüben kann, aber in derartigem Umfang zwei Nebentätigkeiten im Sicherheitsgewerbe und als Hotelportier nachgeht, bringen weder Dienstherr noch Allgemeinheit ein Vertrauen in eine zuverlässige Dienstausübung und Einhaltung der Dienstpflichten entgegen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Dienstpflichtverletzungen zu 2. und 3. sich gerade in Monaten mit erheblichen Nebentätigkeitsstunden bewegten. Die Bevollmächtigte des Beklagten hat sich in der mündlichen Verhandlung gerade auf eine Müdigkeit des Beklagten zum Zeitpunkt der Entweichung des Gefangenen berufen. Im Monat August 2016 ist der Beklagte jedoch über 117 Stunden seinen Nebentätigkeiten nachgegangen. Ein Zusammenhang zwischen den Dienstpflichtverletzungen ist somit nicht ausgeschlossen.
In der konkreten Ausprägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bewegen sich die Dienstpflichtverletzungen im Bereich der Nebentätigkeiten somit im Grenzbereich der Höchstmaßnahme.
b) Die bewusste Nichteinhaltung dienstlicher Vorgaben sowohl bei der Gefangenenbewachung durch Missachtung der Fesselungsanordnung als auch beim Einbringen von Tabak an einen Gefangenen wiegt ebenfalls schwer. Insbesondere handelt es sich nicht um eine Nachlässigkeit. Dass der Beklagte insoweit nicht eigennützig, sondern mit Blick auf die Gefangenen gehandelt haben will, entlastet ihn vorliegend nur geringfügig. Soweit die Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung erklärte, der Übergabe des Tabaks sei daraus entstanden, dass der Gefangene er kürzlich inhaftiert gewesen sei und noch keine Gelegenheit zum Einkaufen gehabt habe, stimmt das Gericht mit der Klägervertreterin überein, dass sich dies mit einer Anzahl von 15 Päckchen Tabak und der enormen Bedeutung von Tabakwaren in einer Justizvollzugsanstalt nicht erklären lassen und vielmehr als Schutzbehauptung zu werten ist. Der Beklagte hat sich – wie die Ausführungen der Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung bekräftigen – über die klaren dienstlichen Vorgaben hinweggesetzt, weil er anderer Meinung war, weil er die Situation für den Gefangenen Z. unwürdig einschätzte. Hierfür hätte ihm die Rücksprache mit dem Dienstvorgesetzten offengestanden, was auch § 36 BeamtStG eröffnet. Aufgrund eigener abweichender Meinung von klaren dienstlichen Vorgaben im Bereich des Justizvollzugsdienstes abzuweichen, ist mit den Anforderungen an Beamte dieses Bereich nicht vereinbar.
Wie der Kläger zutreffend in der Disziplinarklage ausgeführt hat, ist somit – jedenfalls in der Gesamtbetrachtung des Dienstvergehens – von einer die Höchstmaßnahme indizierenden Schwere auszugehen.
2. Dem stehen keine durchgreifenden Milderungsgründe entgegen. Vielmehr bekräftigt das Persönlichkeitsbild die Höchstmaßnahme, während insbesondere die psychischen Probleme keine ausreichende Milderung darstellen.
Über die bislang in der Rechtsprechung anerkannten typisierten Milderungsgründe hinaus bedarf es einer Würdigung der jeweiligen be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls und würde eine allein typisierende Betrachtungsweise zu kurz greifen. Vielmehr dürfen entlastende Gesichtspunkte nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil sie für das Vorliegen eines „anerkannten“ Milderungsgrundes ohne Bedeutung sind oder nicht ausreichen, um dessen Voraussetzungen – im Zusammenwirken mit anderen Umständen – zu erfüllen (BVerwG, B.v. 20.12.2013 – 2 B 35.13 – beck-online Ls.1 sowie Rn. 21). Das Bundesverwaltungsgericht führt insoweit aus, die Verwaltungsgerichte müssten bei der Gesamtwürdigung dafür offen sein, dass mildernden Umständen im Einzelfall auch dann ein beachtliches Gewicht für die Maßnahmebemessung zukommen kann, wenn sie zur Erfüllung eines so genannten anerkannten („klassischen“) Milderungsgrundes nicht ausreichen. Auch solche Umstände dürfen nicht als nebensächlich oder geringfügig zurückgestellt werden, ohne dass sie in Bezug zur Schwere des Dienstvergehens gesetzt werden. Sie dürfen nicht in einer nicht nachvollziehbaren Weise „abgetan“ werden. Nach der Rechtsprechung des 2. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts müssen die Milderungsgründe jedoch umso gewichtiger sein, je schwerer ein Dienstvergehen wiegt, umso gewichtiger (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2018 – 2 WD 10.18 – beck-online Rn. 44 m.w.N.).
a) Das Persönlichkeitsbild des Beklagten lässt das Dienstvergehen führt trotz der beklagtenseits ins Feld geführten Beurteilungen, Leistungsprämien, Überstunden etc. nicht in einem mildernden Licht erscheinen. Vielmehr ist der Beklagte bereits im September 2015 negativ in Erscheinung getreten, als er sich an unerlaubt Brotscheiben für Gefangene bediente. In einer Stellungnahme vom 14. Februar 2018 der Dienstleiterin Südbau wird der Beklagte als unzuverlässig dargestellt. Er habe sich ungern vom Vorgesetzen etwas sagen lassen und sei nicht leicht zu führen gewesen. Er habe stets kontrolliert werden müssen und sei im Tagesablauf eine Belastung gewesen, da man nie gewusst habe, ob er seine ihm übertragenen Dienstaufgaben ordentlich erledige. Zu den Gefangenen habe er eine freundschaftliche, fast kumpelhafte Beziehung gepflegt. Belehrungen von Vorgesetzten und auch seinen Kollegen seien stets ignoriert worden. Das Persönlichkeitsbild vom 8. März 2018 stimmt insoweit im Wesentlichen überein. Durch mehrere erstellte Beurteilungen ziehe sich eine gewisse Ignoranz gegenüber Weisungen und Ratschlägen von Vorgesetzten und Kollegen sowie eine mangelnde Distanz zu den Gefangenen. Anordnungen von Vorgesetzten würde der Beklagte nur ungern befolgen. Auch die Beurteilung im Dezember 2017 enthält diese Aspekte. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass diese Bewertungen auch von dem zur Last gelegten Verhalten geprägt sein mögen, erkennbar jedoch nicht ausschließlich. Bereits im Jahre 2013 wurde in der Beurteilung kritisch bemerkt, der Beklagte lasse sich ungern etwas sagen und sei nicht leicht zu führen, er nehme die Dienstaufgaben aber ordentlich wahr und bei der Arbeit mit Gefangenen seien noch keine Schwierigkeiten aufgetreten.
Die im Persönlichkeitsbild kritisch benannten Aspekte stehen gerade in unmittelbaren Zusammenhang zum vorliegend zu bewertenden Dienstvergehen. Das Verhalten war somit nicht persönlichkeitsfremd und kann zur Überzeugung des Gerichts auch nicht aus einer persönlichen Belastungssituation oder gar psychischen Erkrankung erklärt werden.
b) Beklagtenseits wurde in mehrfacher Hinsicht darauf hingewiesen, dass der Beklagte seit einer eskalierten Ehekrise 2015 psychisch belastet und auch psychisch erkrankt gewesen wäre. Erstmalig 2015 sei der Beamte für sechs Wochen dienstunfähig erkrankt. Die Pflichtverletzungen seien daher zu einem Zeitpunkt erfolgt, als er bereits erheblich psychisch belastet war.
(1) Ein fachärztliches Attest von Dr. H., Facharzt für Allgemeinmedizin vom 8. Juni 2018 diagnostiziert beim Beklagten eine chronische psychovegetative Erschöpfung mit depressiven Episoden ohne psychotische Symptome. Seit Oktober 2015 sei der Beklagte in regelmäßiger Behandlung beim ihm. Nähere Ausführungen zum Grund der Behandlung werden nicht angegeben, ebensowenig bezüglich einer längeren Erkrankung im Oktober 2015. Eine nervenärztliche Stellungnahme vom 28. März 2018 des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. beschreibt ein chronifiziertes depressives Syndrom. Beim Beklagten bestehe seit mehr als einem Jahr eine therapieresistente, gehemmt depressive Störung. Unter dem 30. November 2017 war eine Erschöpfungsdepression diagnostiziert worden. Seit über einem ½ Jahr liege eine schwer ausgeprägte depressive Episode mit einer leichten Besserungstendenz vor. Am 27. März 2017 habe sich der Beklagte erstmalig vorgestellt und berichtet, dass er seit einigen Monaten eine tiefe Erschöpfung fühle, er fühle sich den Aufgaben des Dienstes nicht mehr gewachsen, er könne sich nicht mehr konzentrieren, die Stimmung in der JVA und der Umgang mit den Gefangenen würde ihn massiv überfordern.
(2) Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit des Beklagten bei Begehung der Dienstpflichtverletzungen i.S.v. § 21 StGB sind nicht ersichtlich, insbesondere keine Einschränkungen der im Disziplinarverfahren entscheidenden Einsichtsfähigkeit bezüglich der Dienstpflichtverletzungen. Das beim Beklagten beschriebene Krankheitsbild erklärt nicht, warum der Beklagte sich über dienstliche Anordnungen bzgl. der Fesselung hinweggesetzt hat oder einem Gefangenen Tabak übergab. Allenfalls die Nachlässigkeit bei der Bewachung während der Situation in der Teeküche mag aus einer Müdigkeit und Erschöpfung heraus mildernd zu sehen sein. Hier ist jedoch wiederum ein Kausalzusammenhang zu der massiven Nebentätigkeitsausübung vorhanden. Dass der Beklagte aber in seiner Einsichtsfähigkeit eingeschränkt gewesen wäre zu erkennen, dass die erheblichen Nebentätigkeiten einer Erschöpfungsdepression nicht förderlich gegenüberstehen können, ist nicht ersichtlich. Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass der Beklagte etwaige Vermeidungstendenzen gehabt und seine Erschöpfung nicht erkannt habe.
Soweit beklagtenseits – im Detail variierend – immer wieder betont wird, der Beklagte habe auf ärztlichen Rat sich abzulenken versucht, hat die Klägervertreterin zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Tätigkeit als Nachtportier kaum die geeignete Maßnahme sei, einer Vereinsamung zu begegnen. Im Übrigen ist offensichtlich, dass ein, wie auch immer sprachlich genau gefasster ärztlicher Rat jedenfalls nicht Nebentätigkeiten bis zu mehrfach 18,5 Stunden binnen 24 Stunden Zeitraum umfasst hat.
Da bei einem derart schweren Dienstvergehen für einen Milderungsgrund aufgrund psychischer Erkrankung unterhalb der Schwelle des § 21 StGB jedenfalls ein erhebliches Gewicht und ein Zusammenhang in Bezug auf die Einsichtsfähigkeit zur zur Last gelegten Dienstpflichtverletzung angenommen muss, bestand für das Gericht keine Veranlassung zu einer weiteren Beweisaufnahme bezüglich der psychischen Verfasstheit des Beklagten bei Tatbegehung. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass selbst eine bereits im August 2016 vorliegende psychische Erkrankung ein derartiges Ausmaß und Einfluss auf die (Einsichtsfähigkeit bei der) Begehung der Dienstpflichtverletzungen habt hat. Auf die kritischen Ausführungen des Klägers dazu, welchen Aussagewert die vorgelegten Atteste, insbesondere in zeitlicher Hinsicht bei Begehung der Dienstpflichtverletzungen, haben, wird daher (nur) ergänzend Bezug genommen, da es darauf vorliegend nicht ankommt.
c) Auch unter Berücksichtigung der weitgehenden Geständigkeit und von den Bevollmächtigten des Beklagten benannten Reue sowie seiner Therapie zur Gesundung ist weiterhin von einem vollständigen Vertrauensverlust gegenüber dem Beklagten auszugehen.
d) Dass der Beklagte im Übrigen weder strafrechtlich noch disziplinarisch unvorbelastet ist, fällt nicht ins Gewicht. Diese Umstände stellen ein normales Verhalten zur Erfüllung der Dienstpflichten dar. Sie sind nicht geeignet, die Schwere des Dienstvergehens so abzumildern, dass von einer Höchstmaßnahme abgesehen werden könnte. Die langjährige pflichtgemäße Dienstausübung ist – selbst bei überdurchschnittlichen Leistungen – für sich genommen regelmäßig nicht geeignet, derartige Pflichtverstöße in einem milderen Licht erscheinen zu lassen (BayVGH, U.v. 18.3.2015 – 16a D 09. 3029 – juris Rn. 96).
e) Insofern ist auch die Dauer des Disziplinarverfahrens nicht geeignet, sich durchgreifend mildernd auszuwirken. Der Verbleib im Beamtenverhältnis allein aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer ist nicht mit dem Zweck des Disziplinarrechts vereinbaren, nämlich dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, wenn die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände ergibt, dass wegen eines schwerwiegenden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist. Diese Schutzgüter und der Grundsatz der Gleichbehandlung schließen es aus, dass ein Beamter, der durch gravierendes Fehlverhalten im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist, gleichwohl weiterhin Dienst leisten und als Repräsentant des Dienstherrn hoheitliche Befugnisse ausüben kann, weil das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat (BVerwG, B.v. 12.7.2018 – 2 B 1.18 – juris Rn. 9).
VI. Die Aberkennung des Ruhegehalts des Beklagten ist letztlich auch nicht unverhältnismäßig, sondern zweckmäßig, geeignet, erforderlich und auch angemessen. Angesichts der Schwere der vom Beklagten während seiner aktiven Dienstzeit begangenen Dienstpflichtverletzungen wäre eine weitere Alimentierung für die Allgemeinheit schlicht unverständlich und dem Dienstherrn nicht zuzumuten.
Die Aberkennung des Ruhegehalts wird nicht angesichts der fehlenden weiteren Einnahmequellen des Beklagten und finanziellen Belastungen unverhältnismäßig. Wer durch derart schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen einen vollständigen Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit in seine Dienstausübung und Stellung als Beamten verursacht hat, kann nicht darauf vertrauen, weiterhin alimentiert zu werden. Soweit der Beklagte erhöhte Lebenshaltungskosten durch eine doppelte Lebensführung in Deutschland sowie in Thailand hat, bewegt sich dies im Rahmen seiner persönlichen Lebensführung und Lebensentscheidungen, vermag aber eine Höchstmaßnahme aufgrund vollständigen Vertrauensverlustes nicht unverhältnismäßig werden zu lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.


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