Arbeitsrecht

Disziplinarklage, Kürzung der Dienstbezüge, Gefährliche Körperverletzung im Amt durch Physiklehrer im Realschuldienst aufgrund missglückten Experiments

Aktenzeichen  M 13L DK 18.3715

Datum:
3.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4102
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 9

 

Leitsatz

Tenor

I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge in Höhe von 1/10 für die Dauer von 48 Monaten erkannt. 
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge in Höhe von 1/10 für die Dauer von 48 Monaten erkannt (Art. 9 BayDG).
1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Fehler auf, insbesondere erhielt der Beklagte in allen Verfahrensschritten die Gelegenheit zur Äußerung und wurde die Schwerbehindertenvertretung ordnungsgemäß beteiligt (§ 178 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch – SGB IX).
2. Das Gericht legt dem Beklagten den Sachverhalt aus dem Urteil des Amtsgerichts München vom 16. November 2017 zur Last. Danach hat er am 12. Januar 2017 in der 9. Klasse ein Experiment zur Entstehung von Blitzeis durchgeführt und den Schüler D.L. unter Inaussichtstellung der Note 1 veranlasst, seine Hand in einen Eimer mit Schnee und Kochsalz zu stecken und für acht Minuten dort zu belassen, wodurch der Schüler Schmerzen und Erfrierungen 2. Grades an drei Fingern erlitt. Der Beklagte gesteht den Sachverhalt vollumfänglich ein.
3. Durch die zur Last gelegte Tat hat er innerdienstlich ein Dienstvergehen begangen, weil er die ihm obliegenden Pflichten verletzt hat; betroffen ist sind die Pflicht zur Achtung der Gesetze (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG i.V.m. §§ 340 Abs. 1, Abs. 3, 224 Abs. 1 Nr. 2, 13 StGB) und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG). Der Beklagte handelte dabei vorsätzlich und zwar mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis); er hat die Körperverletzung bei dem betroffenen Schüler nicht beabsichtigt und nicht sicher gewusst, dass es zur Erfüllung des Tatbestandes kommen wird, aber die Gefahr insoweit zumindest erkannt und in Kauf genommen (vgl. Joecks/Kulhanek in Münchener Kommentar, StGB, 4. Aufl. 2020, § 16 Rn. 31 f.).
4. Das festgestellte Dienstvergehen wiegt schwer. Dennoch kommt das Gericht im Hinblick auf die konkreten Umstände der Tat und die zugunsten des Beklagten sprechenden Umstände zu dem Ergebnis, dass nicht die von der Landesanwaltschaft beantragte Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszusprechen ist, sondern eine Kürzung der Dienstbezüge in Höhe von 1/10 für die Dauer von 48 Monaten die angemessene Disziplinarmaßnahme darstellt.
4.1. Die Landesanwaltschaft hat in der Disziplinarklage zutreffend ausgeführt, dass für die disziplinarische Ahndung der vorgeworfenen Tat der Orientierungsrahmen bis zur Höchstmaßnahme eröffnet ist. Auf die entsprechenden Ausführungen wird verwiesen (Art. 3 BayDG i.V.m. § 117 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
4.2. Ungeachtet des Orientierungsrahmens bis zur Höchstmaßnahme führen die konkreten Umstände der Tat und die zugunsten des Beklagten zu berücksichtigenden Milderungsgründe dazu, dass eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nicht angezeigt ist.
4.2.1. Der dem Beklagten vorgeworfene Sachverhalt besteht aus einer Einzeltat als singuläres Ereignis. Über das vorgeworfene Experiment und den defizitären Umgang mit dessen Folgen am Ende der Schulstunde hinaus hat sich der Beklagte nichts zu Schulden kommen lassen. Den Kern der Vorwerfbarkeit bilden damit die vier Minuten, um die er das bereits zuvor zwei Mal für jeweils vier Minuten durchgeführte Experiment auf acht Minuten verlängert hat. Diese sehr kurze Zeitspanne hat letztlich zu einer Körperverletzung bei dem geschädigten Schüler geführt und begründet damit die Dienstpflichtverletzung. Damit ist dem Beklagten der Milderungsgrund des persönlichkeitsfremden Augenblicksversagens zugute zu halten und davon auszugehen, dass sich eine Wiederholung dieser oder einer vergleichbaren Tat in Ansehung seiner Persönlichkeit ausschließen lässt.
4.2.2. Hinzu kommt, dass die vorgeworfene Tat im Hinblick auf ihren Charakter und ihr Erscheinungsbild nicht mit sonstigen Taten zu vergleichen ist, die regelmäßig zu einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen. Üblicherweise stellen schwere Vorsatzstraftaten wie etwa Diebstahl, Betrug, Untreue, Unterschlagung oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung inklusive Verbreitung, Erwerb und Besitz von kinder- und jugendpornographischen Schriften die Anlasstaten für eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis dar. Für diese Taten ist üblicherweise Vorsatz in Form von direktem Vorsatz (dolus directus 2. Grades) erforderlich, bei dem der Täter bei der Tatbegehung sicher weiß, dass sein Verhalten die Merkmale eines Straftatbestandes erfüllen wird (vgl. Joecks/Kulhanek in Münchener Kommentar, StGB, 4. Aufl. 2020, § 16 Rn. 26 ff.). Das dem Beklagten allein vorgeworfene, im Rahmen des Physikunterrichts durchgeführte Experiment, das aufgrund seiner Nachlässigkeit und Pflichtvergessenheit völlig aus dem Ruder gelaufen ist, ist von seinem Charakter und seinem Erscheinungsbild her nicht mit den vorgenannten Taten vergleichbar. Überdies lag der damit begangenen gefährlichen Körperverletzung „lediglich“ dolus eventualis zugrunde, der hinsichtlich der Vorwerfbarkeit als weniger gravierend einzustufen ist als der bei den anderen Taten üblicherweise erforderliche dolus directus mindestens 2. Grades.
4.2.3. Daneben spricht eine Vielzahl weiterer Umstände zugunsten des Beklagten.
Er ist straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet.
Er hat – abgesehen von der kurzen Zeitspanne nach Beendigung des Experiments bis zum Ende der Unterrichtsstunde – ein anerkennenswertes Nachtatverhalten gezeigt. So hat er den geschädigten Schüler im Krankenhaus besucht und sich bei diesem und seiner Mutter entschuldigt. Er hat sich im Strafverfahren geständig gezeigt. Außerdem hat er eine Schmerzensgeldzahlung an den Geschädigten und eine Ausgleichszahlung an einen gemeinnützigen Verein in jeweils beträchtlicher Höhe geleistet. Im Straf- und im Disziplinarverfahren hat er mehrfach sein aufrichtiges Bedauern über den Vorfall zum Ausdruck gebracht.
Der Beklagte ist überdies durch das Strafverfahren und die lange Dauer des Disziplinarverfahrens von mehr als fünf Jahren sehr belastet.
4.3. Da wegen der vorgenannten Umstände eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nicht in Betracht kommt, war gegen den Beklagten auf die nächstniedrigere Disziplinarmaßnahme zu erkennen. Eine Zurückstufung ist hier nicht möglich, weil er sich noch im Eingangsamt befindet (vgl. Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BayDG). Zulässig ist damit die Kürzung der Dienstbezüge, die bei dem Beklagten als Beamten im Eingangsamt nach Art. 9 Abs. 1 Satz 3 BayDG für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren ausgesprochen werden kann. Unter Berücksichtigung der zu seinen Gunsten sprechenden Umstände erachtet das Gericht hier eine Kürzungsdauer für 48 Monate als angemessen.
Der Kürzungsbruchteil in Höhe von 1/10 ergibt sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2001 (1 D 29.00 – juris Ls. und Rn. 20).
5. Der Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge steht nicht die Vorschrift des Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 BayDG entgegen. Danach darf eine Kürzung der Dienstbezüge neben einer Strafe nur dann ausgesprochen werden, wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um den Beamten zur Pflichterfüllung anzuhalten oder das Ansehen des Berufsbeamtentums zu wahren. In Anbetracht der erheblichen negativen Außenwirkung bei Bekanntwerden des durchgeführten Experiments und dessen gesamter Umstände sieht das Gericht hier die zweite Alternative der Vorschrift als erfüllt an.
6. Auch ein Disziplinarmaßnahmeverbot wegen Zeitablaufs besteht nicht. Nach Art. 16 Abs. 2 BayDG darf eine Kürzung der Dienstbezüge nicht mehr ausgesprochen werden, wenn seit der Vollendung des Dienstvergehens (hier am 12.1.2017) mehr als drei Jahre vergangen sind. Dabei ist die Frist jedoch nach Art. 16 Abs. 5 Satz 1 BayDG für die Dauer des gerichtlichen Disziplinarverfahrens gehemmt, so dass die Zeit ab Klageerhebung am 30. Juli 2018 nicht einzurechnen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG. Da gegen den Beklagten im Verfahren der Disziplinarklage auf eine Disziplinarmaßnahme erkannt wurde, trägt er die Kosten des Verfahrens.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben