Arbeitsrecht

Disziplinarverfahren, Nachtragsdisziplinarklage, Misshandlung Schutzbefohlener, Körperverletzungen und Verstoß gegen das Waffengesetz durch Polizeibeamten, Zurückstufung um eine Stufe und Verkürzung der Beförderungssperre, Rechtsmittelverzicht

Aktenzeichen  M 19L DK 20.3394, M 19L DK 20.6276

Datum:
6.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23274
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 10
BayDG Art. 51 Abs. 1
StGB § 223, § 224 und § 225
WaffG § 52 Abs. 3 Nr. 2b

 

Leitsatz

Tenor

I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung um eine Stufe in das Amt eines Polizeiobermeisters (Besoldungsgruppe A8) erkannt.
Der Zeitraum der Beförderungssperre wird auf 3 Jahre verkürzt. 
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Gegen den Beklagten wird die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung um eine Stufe in das Amt eines Polizeiobermeisters (Besoldungsgruppe A8) ausgesprochen (Art. 10 BayDG). Die Beförderungssperre wird auf 3 Jahre verkürzt.
1. Wesentliche Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens (vgl. Art. 53 Abs. 1 BayDG) liegen nicht vor. Insbesondere ist der vom Beklagten gerügte Verstoß gegen das Beteiligungserfordernis des Personalrats nach Art. 76 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 4 Bayerisches Personalvertretungsgesetz (BayPersVG) nicht gegeben. Das Polizeipräsidium M. hat den Personalrat mit Schreiben vom 13. Juni 2019 im Ausgangs-Disziplinarklageverfahren beteiligt. Der Personalrat stimmte mit Schreiben vom 3. Juli 2019 einer Zurückstufung um maximal eine Stufe zu. Eine erneute Beteiligung des Personalrats im Nachtragsdisziplinarklageverfahren ist nicht erforderlich. Dessen Mitwirkungsrecht bezieht sich nur auf die grundlegende disziplinarbehördliche Abschlussentscheidung, ob überhaupt Disziplinarklage erhoben werden soll. Demgegenüber unterliegt der Inhalt der Klageschrift, insbesondere die Antragstellung, nicht der Mitwirkung. Die Einbeziehung weiterer Dienstpflichtverletzungen im Rahmen einer Nachtragsdisziplinarklage begründet kein weiteres Prozessrechtsverhältnis zwischen den Beteiligten und auch kein erneutes Mitwirkungsrecht des Personalrats (BayVGH, U.v. 24.9.2014 – 16a D 13.118 – juris Rn. 65 ff.).
Im Übrigen erhielt der Beklagte während des behördlichen Disziplinarverfahrens mehrfach die Gelegenheit zur Äußerung.
2. Das Gericht legt seiner Entscheidung die im Folgenden dargestellten, in der Disziplinarklage und der Nachtragsdisziplinarklage gegen den Beklagten erhobene Vorwürfen zugrunde. Er gesteht diese Sachverhalte auch ein. Hinsichtlich zweier Vorwürfe wird das Disziplinarverfahren nach Art. 54 BayDG beschränkt.
2.1. Dem Beklagten ist Misshandlung und Beleidigung der beiden Kinder L. und F. von 2008 bis März 2015 vorzuwerfen. Der genaue Sachverhalt ergibt sich aus dem Tatbestand des Urteils des Amtsgerichts Augsburg vom 19. Oktober 2017. Insoweit besteht für das Gericht Bindungswirkung (Art. 25 Abs. 1, Art. 55 Halbs. 1 BayDG), ungeachtet dessen, dass das Strafurteil nach § 267 Abs. 4 StPO lediglich über abgekürzte Gründe verfügt (BayVGH, U.v. 13.7.2011 – 16a D 09.3127 – juris Rn. 92 ff.).
2.2. Weiter hat der Beklagte am 27. Dezember 2014 eine Körperverletzung gegenüber seiner ehemaligen Ehefrau begangen durch einen Faustschlag gegen ihren Kopf und ihren rechten Arm. Auch insoweit lässt sich der genaue Sachverhalt dem Tatbestand des Urteils des Amtsgerichts Augsburg vom 19. Oktober 2017 entnehmen und besteht Bindungswirkung für das Gericht.
2.3. Dem Beklagten ist weiter unerlaubter Munitionsbesitz hinsichtlich 6000 Stück Kleinkalibermunition am 19. September 2019 vorzuwerfen. Der genaue Sachverhalt ergibt sich aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Augsburg vom 2. April 2020, der nach Art. 25 Abs. 2, Art. 55 Halbs. 1 BayDG Indizwirkung entfaltet, die der Beklagte nicht entkräftet hat.
2.4. Das Disziplinarverfahren wird nach Art. 54 BayDG beschränkt hinsichtlich des Vorwurfs des Böllerwurfs in Richtung seiner ehemaligen Ehefrau und Herrn St. am 18. September 2015 und des Vorwurfs einer Körperverletzung zum Nachteil von Frau B. am 19. September 2019. Diese Sachverhalte fallen für die Art und die Höhe der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht maßgeblich ins Gewicht. Die Parteien haben zu der Beschränkung in der mündlichen Verhandlung ihr Einverständnis erklärt.
3. Durch die ihm zur Last gelegten Taten hat der Beklagte außerdienstlich ein Dienstvergehen begangen, weil er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt hat.
Durch sein Verhalten hat er gegen seine Pflicht, die Gesetze zu beachten (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG i.V.m. §§ 223 Abs. 1; 224 Abs. 1, Abs. 2, 23 Abs. 1, Abs. 2; 225 Abs. 1 StGB; 52 Abs. 3 Nr. 2b WaffG) und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG) verstoßen.
Die außerdienstliche Pflichtverletzung stellt auch ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG dar. Maßgeblich ist insoweit, ob der Pflichtenverstoß einen Bezug zum Amt des Beamten aufweist oder welcher Art und Intensität die jeweilige Verfehlung ist. Die außerdienstlich begangenen Verstöße weisen einen hinreichenden Bezug zum Amt eines Polizeibeamten auf. Polizeibeamte haben Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen und genießen daher in der Öffentlichkeit eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung. Dieses berufserforderliche Vertrauen wird in besonderem Maße beeinträchtigt, wenn Polizeibeamte – wie der Beklagte – selbst erhebliche Vorsatzstraftaten begehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 50.13 – juris Rn. 35 f.). Zudem überschreitet das Fehlverhalten des Beklagten ein Mindestmaß an Relevanz, was bei einem gesetzlichen Strafrahmen von einer Freiheitsstrafe von mindestens 2 Jahren angenommen wird (BVerwG, B.v. 18.6.2014 – 2 B 55.13 – juris Rn. 11; BayVGH, U.v. 5.2.2014 – 16a D 12.2494 – juris Rn. 35). Hier liegt der niedrigste Strafrahmen für die Körperverletzung und den unberechtigten Munitionsbesitz bei 5 Jahren und reicht für die Misshandlung Schutzbefohlener bis zu 10 Jahren.
4. Das festgestellte Dienstvergehen wiegt schwer. Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass dennoch nicht die beantragte Zurückstufung um zwei Stufen, sondern lediglich die Zurückstufung um eine Stufe die angemessene Disziplinarmaßnahme darstellt.
4.1. Von den dargestellten Sachverhalten ausgehend ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu bemessen (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayDG). Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, der Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße sowie den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale). Zu berücksichtigen sind auch die unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte (BayVGH, U.v. 25.10.2016 – 16b D 14.2351 – juris Rn. 73).
4.2. Fallen einem Beamten – wie hier – mehrere Dienstpflichtverletzungen zur Last, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in der Regel in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BayVGH, U.v. 11.5.2016 – 16a D 13.1540 – juris Rn. 66). Diese ist hier in der Misshandlung Schutzbefohlener zu sehen.
4.3. Für die disziplinarrechtliche Ahndung von außerdienstlichen Straftaten mit einem Strafrahmen von bis zu 2 Jahren und einem Bezug zum Amt des Beamten ist für die Maßnahmebemessung grundsätzlich auf einen Orientierungsrahmen bis zur Dienstentfernung abzustellen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 18). Hier beträgt der Strafrahmen für die Misshandlung Schutzbefohlener nach § 225 Abs. 1 StGB Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren und weisen die Taten einen Bezug zum Amt des Beklagten als Polizeibeamter auf. Das Amtsgericht Augsburg hat zudem mit Urteil vom 19. Oktober 2017 auf eine Freiheitsstrafe erkannt, so dass ein Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet ist.
4.4. Aufgrund der Vielzahl der für den Beklagten sprechenden Milderungsgründe ist jedoch lediglich die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung um eine Stufe angezeigt.
Die disziplinarrechtliche Rechtsprechung hat umfangreiche Milderungsgründe zu den Zugriffsdelikten entwickelt. Diese anerkannten Milderungsgründe stellen jedoch keinen abschließenden Kanon der bei Dienstvergehen berücksichtigungsfähigen Entlastungsgründe dar. Zur Prognosebasis gehören vielmehr alle für die Entscheidung bedeutsamen be- und entlastenden Ermessensgesichtspunkte, die in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen sind. Selbst wenn keiner der vorrangig zu prüfenden anerkannten Milderungsgründe vorliegt, können entlastende Umstände gegeben sein, deren Gewicht in ihrer Gesamtheit dem Gewicht anerkannter Milderungsgründe vergleichbar ist. Entlastungsmomente können sich dabei aus allen denkbaren Umständen ergeben (BayVGH, U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 44 f.).
Hier sprechen folgende Umstände zugunsten des Beklagten:
4.4.1. Er ist straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet.
4.4.2. Er zeigte – wie sich insbesondere aus den Persönlichkeitsbildern von EPHK S. vom 5. Juni 2018, 21. Mai 2019, 18. Mai 2020 und 16. Juni 2021 ergibt – trotz seiner zeitweise schwierigen persönlichen Situation und des laufenden Disziplinarverfahrens zuletzt kontinuierlich anerkennenswerte dienstliche Leistungen.
4.4.3. Er zeigte sich im Strafverfahren geständig und kooperativ. Das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 19. Oktober 2017 beruht auf einer Verständigung zwischen dem Beklagten und dem Gericht. Das Strafverfahren hinsichtlich des Böllerwurfs konnte letztendlich mit Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 4. Juli 2017 nach Zahlungen des Beklagten an seine ehemalige Ehefrau und Herrn St. gemäß § 153a StPO eingestellt werden.
4.4.4. Zugunsten des Beklagten in Ansatz zu bringen sind weiter seine erheblichen gesundheitlichen, insbesondere psychischen Probleme. Diese sind jedenfalls seit 2016 in der Personalakte dokumentiert.
4.4.5. Entscheidend zugunsten des Beklagten ist zu berücksichtigen, dass die ihm im Schwerpunkt vorgeworfenen und nicht aus dem Disziplinarverfahren ausgeschiedenen Taten der Misshandlung Schutzbefohlener und der Körperverletzung der Ehefrau im engsten Familienkreis begangen wurden. Dabei lagen den dem Beklagten vorgeworfenen Taten jeweils zwischenmenschlich schwierige Konstellationen mit hoher Emotionalität zugrunde, in deren Lichte auch die ihm vorgeworfenen Körperverletzungsdelikte zu sehen sind.
5. Auch wenn zu der schwersten Tat der Misshandlung Schutzbefohlener die weiteren Taten der Körperverletzung gegenüber der ehemaligen Ehefrau und des unerlaubten Munitionsbesitzes hinzukommen und erschwerend zu berücksichtigen sind, ist angesichts der dargestellten Milderungsgründe in der erforderlichen Gesamtschau aller be- und entlastenden Umstände die Zurückstufung um eine Stufe die angemessene und erforderliche Disziplinarmaßnahme. Es ist anzunehmen, dass bereits die Strafverfahren und das Disziplinarverfahren dem Beklagten zur Pflichtenmahnung gereichen werden. Hinzu kommt, dass seine privaten Verhältnisse inzwischen konsolidiert erscheinen, so dass eine konkrete Wiederholungsgefahr nicht besteht.
6. Die Beförderungssperre wird auf 3 Jahre ab Rechtskraft des Urteils verkürzt (Art. 10 Abs. 3 Satz 2 BayDG). Dieser Ausspruch ist im Hinblick auf die Dauer des Disziplinarverfahrens seit Dezember 2017 angezeigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG. Da gegen den Beklagten im Verfahren der Disziplinarklage auf eine Disziplinarmaßnahme erkannt wurde, trägt er die Kosten des Verfahrens
Nach Rechtsmittelverzicht der Parteien in der mündlichen Verhandlung ist das Urteil rechtskräftig.


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