Arbeitsrecht

Eingruppierungsklage eines Molkereiarbeiters – Auslegung des in der Tarifnorm verwendeten Begriffs “Spezialkenntnisse”

Aktenzeichen  6 Sa 347/17

Datum:
24.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 43032
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
ArbGG § 64 Abs. 6 S. 1, § 66 Abs. 1, S. 1, S. 2, § 72 Abs. 2, § 72a

 

Leitsatz

1. Der Erwerb weiteren Wissens bedeutet nicht notwendig, dass es sich dabei um Sonderwissen handelt. Die Vertiefung und Erweiterung von Kenntnissen durch eine Tätigkeit auf einem bestimmten Fachgebiet stellen noch keine Spezialkenntnisse dar. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Kennenlernen, das Eingewiesen werden, das Umsetzen von gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsanweisungen sind kein Spezialwissen, sondern eine Selbstverständlichkeit. Es handelt sich dabei nicht um Spezialkenntnisse im Sinne des Entgeltrahmentarifvertrags für die Beschäftigten in den Betrieben der Milchwirtschaft in Bayern vom 20.05.2005. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 Ca 193/17 2017-08-24 Endurteil ARBGWEIDEN ArbG Weiden

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Weiden – Kammer Schwandorf – vom 24.08.2017, Aktenzeichen 2 Ca 193/17, wird auf Kosten des Berufungsführers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG) und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, Satz 1, 2, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung ist in der nicht begründet. Zutreffend hat das Erstgericht die Klage abgewiesen und festgestellt, dass der Kläger zutreffend eingruppiert ist und keinen Anspruch auf ein Entgelt nach einer höheren Tarifgruppe als derjenigen, in die er bisher eingruppiert ist, hat. Es kann insoweit vollumfänglich auf die überaus umfassenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Ersturteils verwiesen und von einer rein wiederholenden Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sind noch folgende ergänzende Ausführungen veranlasst:
1. Die Auslegung tarifvertraglicher Bestimmungen hat entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Über den reinen Tarifwortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mitberücksichtigt werden muss, weil nur daraus und nicht nur aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur so bei Berücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Erst dann, wenn bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs als den in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel bleiben, kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages zurückgegriffen werden, wobei jedoch keine Bindung an eine bestimmte Reihenfolge bei der Heranziehung der beiden Auslegungsmittel gegeben ist. Maßgeblich sind zunächst die im Wortlaut orientierten Auslegungsmittel des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs (vgl. statt vieler BAG, 12.09.1984 – 4 AZR 336/82, zitiert nach Juris).
2. a) Die im Streit stehenden Tarifnormen nämlich die Eingruppierungsnormen zu den Tarifgruppen VII und VIII des einschlägigen Entgeltrahmentarifvertrages für die Beschäftigten der Milchwirtschaft in Bayern sind im Hinblick des verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffs „Spezialkenntnisse“ auslegungsbedürftig.
b) Ausgehend vom allgemeinen Sprachgebrauch hat das Erstgericht völlig zutreffend ausgeführt, dass das Adjektiv „spezial“ in Zusammensetzung mit einem Substantiv „Einzel-„, „Sonder-„oder „Fach-„(Wahrig, Deutsches Wörterbuch) oder allein „Sonder-„(Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl.) bedeutet. Spezialkenntnisse sind demnach Einzel-, Sonder- oder Fachkenntnisse. Ein „Spezialist“ ist jemand, der auf einem bestimmten (Fach-)Gebiet über besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten verfügt (Duden a. a. O.). Eine „Spezialausbildung“ ist eine Ausbildung, durch die besondere Kenntnisse und Fähigkeiten auf einem bestimmten Gebiet, für eine bestimmte Aufgabe erworben werden. Schon dem Wortlaut nach ist der Begriff Spezialkenntnisse somit dahin zu verstehen, dass auf dem Fachgebiet des Arbeitnehmers besondere Kenntnisse erworben wurden, die für besondere Aufgaben benötigt werden.
Es müssen also Kenntnisse sein, die den Mitarbeiter von den Kenntnissen anderer Facharbeiter abhebt und zwar in solcher Weise abhebt von Kenntnissen, die lediglich aufgrund der Berufserfahrung erworben werden. Nach dem Verständnis der Berufungskammer können diese Spezialkenntnisse auch im berufs-/branchenüblichen Tätigkeitsbereich vorliegen, wie z.B. bei deutlich erkennbarem gesteigertem Fachwissen.
Nach wie vor war durch das Berufungsgericht festzustellen, dass der Sachvortrag darüber, was der Kläger tatsächlich an Tätigkeiten ausübt und worin die theoretischen und praktischen Spezialkenntnisse und Spezialfertigkeiten liegen sollen, nicht nachvollzogen werden können. Hierauf hat die erkennende Kammer mit Beschluss vom 05.03.2018 die Klagepartei nochmals ausdrücklich hingewiesen und ihr Gelegenheit gegeben, ihren Sachvortrag zu ergänzen. Doch auch der hierauf eingereichte Schriftsatz vom 17.04.2018 lässt nicht erkennen, bei welcher der vom Kläger benannten Tätigkeiten Spezialkenntnisse erforderlich sind und in welchem Zusammenhang der Kläger diese Spezialkenntnisse auch erworben hat. Betrachtet man die in dem Schriftsatz vom 17.04.2018 vorgelegte teilweise Übersicht für die Monate Januar bis März 2018 und unterstellt man hierbei, dass der Kläger in gleicher Weise Tätigkeiten erbracht hat, ist darin lediglich die pauschale Behauptung des Klägers zu sehen, dass die meisten Tätigkeiten der Tarifgruppe VIII bzw. Tarifgruppe VII zuzuordnen seien ohne jedoch darzustellen, inwieweit die Tätigkeiten über die Tätigkeiten der Tarifgruppe VI hinausgehen und worin die Spezialkenntnisse zu sehen seien. Der Übersicht kann allerdings entnommen werden, dass der Kläger selbst davon ausgeht, dass die zu erbringenden Tätigkeiten auch von einem Facharbeiter mit keiner langjährigen betrieblichen Erfahrung erledigt werden können und eine derartige Person allerdings dann eben länger arbeiten müsse. Die Aussage zeigt damit deutlich, dass es sich bei den zu erbringenden Tätigkeiten um übliche Tätigkeiten handelt, die der eine schneller erledigen kann als der andere und zwar, weil er eben eine längere betriebliche Erfahrung aufzuweisen hat. Diese längere betriebliche Erfahrung ist jedoch kein Unterscheidungsmerkmal zwischen den Tarifgruppen VI und VII oder zwischen den Tarifgruppen VI und VIII.
Soweit der Kläger wiederholt geltend gemacht hat, er habe im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung bei der Beklagten weiter über das in der Berufsausbildung erlernte Wissen hinaus Kenntnisse erworben, genügt dies nicht. Der Erwerb weiteren Wissens bedeutet nicht notwendig, dass es sich dabei um Sonderwissen handelt. Die Vertiefung und Erweiterung von Kenntnissen durch eine Tätigkeit auf einem bestimmten Fachgebiet stellen noch keine Spezialkenntnisse dar.
Dieses Verständnis der tariflichen Vorschriften wird auch durch den tariflichen Gesamtzusammenhang bestätigt. Fachtätigkeiten, die Kenntnisse und Fertigkeiten verlangen, wie sie in einer abgeschlossenen Berufsausbildung erworben werden, sind in der Tarifgruppe V erfasst. In den Tätigkeitsbeispielen ist u. a. das Ausführen von Fachtätigkeiten technischer Art, die im erlernten Beruf ausgeführt werden, genannt. Durch Berufserfahrung erweiterte Fähigkeiten, also diejenigen, die der Kläger in dem Schriftsatz vom 17.04.2018 in seiner Übersicht aufführt, werden von der Tarifgruppe VI erfasst. Demgegenüber stellt die vom Kläger mindestens beanspruchte Tarifgruppe VII nochmals erhöhte Anforderungen, in dem sie Tätigkeiten beschreibt, für die eben Spezialkenntnisse benötigt werden. Wie das Erstgericht zutreffend ausführt, kann es sich deshalb nicht dabei um Kenntnisse handeln, die dem Kläger die Tätigkeit auf seinem allgemeinen Fachgebiet ermöglichen.
Die vom Kläger vorgebrachten Kenntnisse erfüllen nicht die Tatbestandsvoraussetzungen, für das was man unter Spezialkenntnissen verstehen kann.
Bei den vom Kläger vorgelegten Schulungsprotokollen (Bl. 197 bis Bl. 306 d. A.) fällt auf, dass es sich vorwiegend um Schulungsinhalte gehandelt hat, die in einem zeitlich kurzen Zeitraum vermittelt wurden. Häufig überschreiten sie nicht einmal eine Schulungszeit von einer Stunde. In vielen Schulungsprotokollen ist auch noch festgehalten, dass es sich um eine Einweisung bzw. um eine Bedienungseinweisung gehandelt hat, an der nicht nur der Kläger, sondern regelmäßig mehrere Kollegen des Klägers teilgenommen haben. Teilweise handelt es sich nur um die notwendigerweise vorgeschriebenen Betriebsanweisungen, die aufgrund der §§ 14 Gefahrstoffverordnung für Mitarbeiter vorgeschrieben sind, die Arbeiten mit oder an der Maschine ausführen. Das Kennenlernen, das Eingewiesen werden, das Umsetzen von gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsanweisungen sind jedoch kein Spezialwissen, sondern wie die Beklagte zutreffend ausführt, eine Selbstverständlichkeit und weicht vom Berufsbild eines Industriemechanikers/Metallbauer nicht ab. Es handelt sich somit nicht um Spezialkenntnisse, im Sinne des Tarifwerkes, die den Kläger damit als Spezialisten ausweisen würden.
Im Übrigen kann auf die Ausführungen des Erstgerichts, insbesondere auf die Ausführungen auf den Seiten 11 – 15 im Ersturteil verwiesen werden.
Danach hat das Erstgericht die Klage zutreffend abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist unbegründet und war daher zurückzuweisen.
III.
Der Kläger hat als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
IV.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 72 Abs. 2 ArbGG). Die Entscheidung weicht auch nicht von einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg in einem gleich gelagerten Fall Az. 5 Sa 351/17) ab.


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