Arbeitsrecht

Entgeltgleichheitsklage – Geschlecht – EntgTranspG

Aktenzeichen  8 AZR 488/19

Datum:
21.1.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2021:210121.U.8AZR488.19.0
Normen:
Art 157 AEUV
§ 3 Abs 1 EntgTranspG
§ 7 EntgTranspG
§ 10 EntgTranspG
§ 11 EntgTranspG
§ 22 AGG
§ 3 Abs 2 S 1 EntgTranspG
Art 2 Abs 1 Buchst e EGRL 54/2006
Art 4 Abs 1 EGRL 54/2006
§ 15 Abs 5 EntgTranspG
§ 4 Abs 4 EntgTranspG
Art 4 Abs 2 EGRL 54/2006
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

Klagt eine Frau auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit (Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG), begründet der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das vom Arbeitgeber nach §§ 10 ff. EntgTranspG mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) der männlichen Vergleichsperson(en), regelmäßig die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung, dass die Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts erfolgt ist.

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Göttingen, 29. Januar 2019, Az: 1 Ca 194/18 Ö, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen, 1. August 2019, Az: 5 Sa 196/19, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 1. August 2019 – 5 Sa 196/19 – aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten in der Revision noch darüber, ob die Beklagte wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts verpflichtet ist, an die Klägerin für die Monate August 2018 bis Januar 2019 ein höheres monatliches Arbeitsentgelt zu zahlen.
2
Die Beklagte ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die der V-Versicherungsgruppe angehört. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1998 beschäftigt. Aufgrund Änderungsvertrags vom 12. September 2011 war sie bis einschließlich November 2017 bei der P Lebensversicherung H tätig, die ebenfalls der V-Versicherungsgruppe angehört. Dort nahm die Klägerin ab dem 1. Oktober 2011 die Aufgaben einer Abteilungsleitung wahr und wurde zum 1. April 2012 zur Abteilungsleiterin ernannt. Durch dreiseitigen Änderungsvertrag vom 23. Oktober 2017 vereinbarten die Klägerin, die Beklagte und die P Lebensversicherung H, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin unter Anrechnung der Betriebszugehörigkeit seit dem 15. März 1998 zum 1. Dezember 2017 in vollem Umfang von der P Lebensversicherung H auf die Beklagte übergeht und dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der P Lebensversicherung H mit Ablauf des 30. November 2017 endet. Entsprechend der in og. Änderungsvertrag getroffenen weiteren Abrede wurde die Klägerin ab dem 1. Dezember 2017 zur Abteilungsleiterin der Abteilung Schaden der Regionaldirektion G der Beklagten ernannt.
3
Bis zum 31. März 2013 richtete sich die Vergütung der Klägerin nach dem Gehaltstarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe (im Folgenden Gehaltstarifvertrag). Anlässlich der bevorstehenden Ernennung zur Abteilungsleiterin hatten die Klägerin und ihr damaliger Vorgesetzter bei der P Lebensversicherung H einen Stufenplan vereinbart, wonach die Klägerin, die bislang eine Vergütung nach der Tarifgruppe VI des Gehaltstarifvertrags erhielt, mit ihrer Ernennung zur Abteilungsleiterin am 1. April 2012 nach der Tarifgruppe VIII des Gehaltstarifvertrags vergütet wurde. Zudem wurde eine Verantwortungszulage gezahlt. Seit dem 1. April 2013 wurde die Klägerin außertariflich vergütet, wobei sie neben den allgemeinen Erhöhungen des Tarifentgelts im privaten Versicherungsgewerbe, die auch an die außertariflichen Angestellten weitergegeben wurden, zum 1. April 2013 und zum 1. April 2015 weitere Entgelterhöhungen erhielt. Eine zunächst geplante Anhebung ihrer Vergütung zum 1. April 2017 wurde wegen angeblicher Mängel im Führungsverhalten der Klägerin nicht umgesetzt. Zuletzt erhielt die Klägerin bis zum 31. Januar 2019 ein Grundentgelt iHv. 5.385,40 Euro brutto zuzüglich einer übertariflichen Zulage iHv. 500,00 Euro brutto.
4
Mit Schreiben vom 2. Juli 2018 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Erteilung einer Auskunft nach § 11 EntgTranspG. In ihrer Auskunft vom 24. Juli 2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der „Median der männlichen Abteilungsleiter in der V, die seit 2012 eine Führungsaufgabe übernommen haben“, 5.559,00 Euro brutto monatlich betrage. Den Median der übertariflichen Zulage bei männlichen Beschäftigten dieser Vergleichsgruppe gab die Beklagte mit 550,00 Euro brutto monatlich an. Mit E-Mail vom 13. August 2018 beanstandete die Klägerin diese Auskunft und wies darauf hin, dass eine Vergleichsgruppe bestehend lediglich aus den Abteilungsleitern, die seit 2012 beschäftigt seien, nicht den Vorgaben des EntgTranspG entspreche. In der daraufhin der Klägerin von der Beklagten erteilten Auskunft vom 22. August 2018 heißt es auszugsweise:
        
„Auskunft:
        
Übertarifliches Grundgehalt
        
Sie sind übertariflich eingruppiert und erhalten ein Grundentgelt in Höhe von 5.385,40 Euro brutto monatlich. Eine Führungsaufgabe in der V nehmen Sie seit 2012 wahr.
        
Gem. § 11 Abs. 3 Nr. 1 EntgTranspG ist als Vergleichsentgelt der statistische Median des durchschnittlichen Monatsentgelts der Beschäftigten des jeweiligen anderen Geschlechts anzugeben, die der gleichen Vergleichsgruppe angehören.
        
Der Median der männlichen Abteilungsleiter in der V (Direktion und alle Regionaldirektionen) beträgt 6.292,- Euro, wobei der ‚Mediona-AL‘ die Führungstätigkeit seit 1999 wahrnimmt.
        
        
        
Übertarifliche Zulage
        
Sie erhalten eine übertarifliche Zulage in Höhe von 500,- Euro brutto monatlich.
        
Der Median der übertariflichen Zulage bei männlichen Beschäftigten der Vergleichsgruppe beträgt 600,- Euro brutto monatlich.“
5
Ab dem 1. Februar 2019 wurden das Grundentgelt der Klägerin um 303,50 Euro brutto auf 5.688,90 Euro brutto monatlich und die Zulage um 50,00 Euro auf 550,00 Euro erhöht.
6
Die Abteilungsleiter und -leiterinnen bei der Beklagten, die eine unterschiedliche Dauer der Betriebszugehörigkeit und der Beschäftigung in der Funktion der Abteilungsleitung aufweisen, waren teilweise – wie die Klägerin – zuvor bereits als Tarifbeschäftigte bei der Beklagten tätig, wobei die Beförderung zur Abteilungsleitung aus unterschiedlichen Tarifgruppen heraus erfolgte; teilweise handelt es sich bei den Abteilungsleitern und -leiterinnen um Seiteneinsteiger/innen, die zuvor bei anderen Arbeitgebern tätig waren.
7
Bei der Beklagten liegt das Durchschnittsgehalt der vergleichbar beschäftigten männlichen Abteilungsleitungen um acht Prozent höher als das der weiblichen Abteilungsleitungen. In der Gruppe der Abteilungsleitungen ist die Person mit der höchsten Vergütung eine Frau.
8
Die Klägerin hat die Beklagte mit ihrer Klage – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – auf Zahlung der Differenz zwischen dem ihr gezahlten Grundentgelt sowie der ihr gezahlten Zulage und den beiden ihr mitgeteilten höheren Median-Entgelten für die Zeit von August 2018 bis Januar 2019 in Anspruch genommen und die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie ab Februar 2019 ein höheres Bruttoentgelt und eine höhere monatliche Zulage zu zahlen.
9
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Auskunft der Beklagten vom 22. August 2018 begründe die Vermutung iSv. § 22 AGG, dass die Beklagte ihr entgegen § 7 EntgTranspG für die gleiche Arbeit als Abteilungsleiterin wegen ihres Geschlechts weniger Entgelt zahle als dem männlichen Abteilungsleiter, der das mitgeteilte Vergleichsentgelt erhalte. Die Beklagte habe demgegenüber nicht dargetan und bewiesen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt sei. Sie habe nicht aufgezeigt, dass das Entgelt der außertariflich beschäftigten Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter sich ausschließlich nach geschlechtsneutralen Kriterien richte und diese auch geschlechtsneutral angewendet würden. Soweit die Beklagte sich insoweit auf die Dauer der Führungstätigkeit berufe, wende sie dieses Kriterium nicht geschlechtsneutral an. Die Entgeltdifferenzierung der Beklagten im außertariflichen Bereich der Abteilungsleitungen sei vielmehr undurchsichtig, in das subjektive Ermessen der jeweiligen Führungskraft gestellt und könne letztlich nur auf das Geschlecht zurückgeführt werden. Deshalb habe sie, die Klägerin, Anspruch auf die Entgeltdifferenz zwischen dem ihr gezahlten Entgelt (Grundentgelt und Zulage) und den ihr nach §§ 10 ff. EntgTranspG mitgeteilten höheren Median-Entgelten (Grundentgelt und Zulage) der bei der Beklagten beschäftigten männlichen Abteilungsleiter. Danach stehe ihr ab dem Monat August 2018 ein monatliches Bruttoentgelt iHv. 6.292,00 Euro zuzüglich einer monatlichen Zulage iHv. 600,00 Euro zu.
10
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.039,60 Euro brutto als Vergütungsdifferenz für den Zeitraum August 2018 bis Januar 2019 zu zahlen;
        
2.    
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr ab Februar 2019 ein monatliches Bruttoentgelt iHv. 6.292,00 Euro zuzüglich einer monatlichen Zulage iHv. 600,00 Euro zu zahlen.
11
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat behauptet, bei ihr richte sich die Vergütung der außertariflich beschäftigten Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter ausschließlich nach geschlechtsneutralen Kriterien. Die Unterschiede beim Entgelt seien einerseits darauf zurückzuführen, dass bereits das Einstiegsentgelt – abhängig etwa von dem letzten Tarifentgelt und ggf. abhängig von den Gehaltsverhandlungen beim Wechsel von einem anderen Arbeitgeber zu ihr – sehr unterschiedlich sei. Zum anderen wirke sich die unterschiedliche Dauer der Tätigkeit in der Abteilungsleitungsfunktion aus, die mit regelmäßigen Entgelterhöhungsrunden honoriert werde. Darüber hinaus bestimmten in diesem Bereich der Führungspositionen auch weiche und damit nicht messbare Faktoren die Entgelthöhe. Im Übrigen gebe es in der Personalabteilung für die Bemessung der Entgelte eine interne Richtlinie, deren Vorgaben eingehalten würden. Im Fall der Klägerin beruhe die Entgeltdifferenz zum Median-Entgelt auf der sehr unterschiedlichen Dauer der Tätigkeit in der Funktion der Abteilungsleitung und auf dem Umstand, dass die Klägerin aus geschlechtsunabhängigen Gründen im Jahr 2017 von einer Entgelterhöhungsrunde ausgenommen worden sei.
12
Das Arbeitsgericht hat dem auf Zahlung gerichteten Antrag zu 1. stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dagegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts – unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin – abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Klägerin verfolgt mit der Revision ihren auf Zahlung von 6.039,60 Euro brutto gerichteten Klageantrag zu 1. weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.


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