Arbeitsrecht

Erfolglose Klage gegen eine Ausweisung wegen bestehender Wiederholungsgefahr

Aktenzeichen  M 10 K 18.6036

Datum:
23.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21824
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1, 2
VwGO § 117 Abs. 3 S. 2, Abs. 5

 

Leitsatz

Dass es in den letzten Jahren während der Haft zu keinen Auseinandersetzungen mit anderen Mithäftlingen gekommen ist, stellt noch kein tragfähiges Indiz für eine nicht mehr bestehende Wiederholungsgefahr dar. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

A.
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, war das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
B.
Im Übrigen bleibt die zulässige Klage in der Sache ohne Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten vom 22. November 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Das Gericht sieht weitgehend von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da es der Begründung des angefochtenen Bescheids folgt und zudem Bezug auf die Ausführungen im Prozesskostenhilfebeschluss vom 27. April 2020 nimmt (§ 117 Abs. 5 VwGO). Auch der Vortrag des Klägers nach Erlass des Prozesskostenhilfebeschlusses führt nicht zu einer anderen Einschätzung des Gerichts.
1. Der Kläger stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. § 53 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) dar.
Das Gericht geht auch nach der mündlichen Verhandlung und insbesondere nach Durchsicht des dort vorgelegten forensisch-psychiatrischen Gutachtens von einer bestehenden Wiederholungsgefahr aus.
So erkennt das Gericht zwar an, dass der Kläger während der Haft und gerade während der bisher erfolgten Therapie beträchtliche Fortschritte im Hinblick auf seine Selbstkontrolle und den Umgang mit Konflikten gemacht hat. Gleichwohl ist die Therapie des Klägers noch nicht abgeschlossen. Dass die Diplom-Psychologin … … in ihrem Abschlussbericht vom 21. Juni 2020 geäußert hat, dass die Therapieziele erreicht seien und die Therapie vorzeitig beendet werden habe können, versteht das Gericht auch aufgrund der mündlichen Verhandlung dahingehend, dass ein Abschnitt einer längeren Therapie beendet wurde, die Therapie jedoch nicht vollständig abgeschlossen ist. Gerade aus dem vorliegenden forensisch-psychiatrischen Gutachten vom 24. Juni 2020 ergibt sich, dass der Kläger auch weiterhin von einem Therapeuten betreut werden muss. So geht auch Frau Dr. … davon aus, dass der Kläger bei zukünftigen Konflikten Kontakt zu seiner Therapeutin suchen werde und so gemeinsam mit dieser Strategien zum Umgang mit der jeweiligen Situation entwickelt werden können. Daraus folgt jedoch im Umkehrschluss auch, dass bisher nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger in der Lage ist, alle Konflikte selbständig gewaltfrei zu lösen.
Der Verweis auf eine auch in Zukunft stattfindende Betreuung durch seine Therapeutin führt ebenfalls nicht zu der Annahme, dass vom Kläger keine Gefahr hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten mehr ausgeht. Voraussetzung für die Bewältigung von Konflikten zusammen mit seiner Therapeutin ist nämlich, dass der Kläger den Kontakt zu seiner Therapeutin auch nach der Haftentlassung aufrechterhält und mit dieser sowohl generell, als auch im Einzelfall tatsächlich wirksame Strategien zur Gewaltvermeidung findet. Damit hängt der Erfolg dieses Mechanismus von mehreren Faktoren ab, was eine enorme Ungewissheit mit sich bringt.
Gegen ein Entfallen der Wiederholungsgefahr spricht auch, dass Frau Dr. … ein Rückfallrisiko hinsichtlich weiterer Straftaten nur dann als gering ansieht, wenn es dem Kläger gelingt, alle potentiellen Risikofaktoren auszuschließen. Das Gericht sieht es jedoch als unrealistisch an, dass sich die Vorstellungen des Klägers hinsichtlich seiner Zukunft nach der Haftentlassung vollständig erfüllen werden. So ist schon ungewiss, ob sich ein Wegzug der Familie aus … realisieren lässt. Es ist damit zu rechnen, dass der Kläger nicht auf Anhieb eine neue Arbeitsstelle außerhalb … finden wird, da sich seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch seine Vorstrafe verschlechtert haben und sich das Angebot an offenen Stellen aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen weiter verringern dürfte. Weil ein Umzug mit zusätzlichen Kosten verbunden ist, ließe sich ein solcher jedoch nur mit einer neuen Beschäftigung des Klägers realisierten. Frau Dr. … stellt selbst klar, dass der Aufenthalt in … innerhalb eines halben Jahres beendet werden sollte. Weil das Gericht einen Umzug der Familie innerhalb dieser Zeit aufgrund der genannten Umstände als nicht wahrscheinlich erachtet, besteht insoweit ein beträchtliches Risiko für zukünftige Gewalttaten.
Gegen die Annahme eines Entfallens der Wiederholungsgefahr spricht zudem, dass sich der Kläger bisher nicht außerhalb der Haft im Alltag bewähren musste. Mit denjenigen Konflikten, auf die er in der Vergangenheit mit der Begehung von Gewaltdelikten reagiert hat, wurde er bisher nicht in Freiheit konfrontiert. Dass es jedenfalls in den letzten Jahren während der Haft zu keinen Auseinandersetzungen mit anderen Mithäftlingen gekommen ist, stellt noch kein tragfähiges Indiz für eine nicht mehr bestehende Wiederholungsgefahr dar. Immerhin droht bei Auseinandersetzungen dort immer das Eingreifen von Justizbeamten sowie die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen.
Damit hält das Gericht auch aufgrund der nach der Entscheidung im Prozesskostenhilfeverfahren gewonnenen Erkenntnisse an seiner Einschätzung fest und geht nach wie vor von einer bestehenden Wiederholungsgefahr hinsichtlich weiterer Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit aus.
2. Auch die Voraussetzung des § 53 Abs. 3a AufenthG ist erfüllt.
Anders als bei der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag steht nun fest, dass das Klageverfahren des Klägers gegen den Widerruf seiner Asylberechtigung derzeit noch anhängig ist. Da das Gericht bereits in seinem Beschluss vom 27. April 2020 zu Gunsten des Klägers von einer fehlenden Bestandskraft des Widerrufsbescheids ausging und das Vorliegen der Voraussetzung des § 53 Abs. 3a AufenthG feststellte, kann auch insoweit auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden.
3. Die nach § 53 Abs. 1, 2 AufenthG vorzunehmende Interessenabwägung fällt nach wie vor zu Lasten des Klägers aus.
Auch insoweit ändern die seit Erlass des Prozesskostenhilfebeschlusses erlangten Erkenntnisse nichts am Ergebnis der Abwägung. Da auch nach derzeitigem Sach- und Streitstand von einer Wiederholungsgefahr auszugehen ist, bestehen unverändert besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen des Beklagten nach § 54 Abs. 1 Nrn. 1 und 1a AufenthG. Auch am Vorliegen der besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen des Klägers nach § 55 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG hat sich seit der Entscheidung vom 27. April 2020 nichts geändert, wobei aufgrund der Angaben des Klägers über die Staatsangehörigkeit seiner Kinder in der mündlichen Verhandlung davon auszugehen ist, dass § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nur im Hinblick auf seine beiden jüngsten Kinder erfüllt ist. Aus Sicht des Gerichts überwiegt das Ausweisungsinteresse des Beklagten trotz der positiven Entwicklung des Klägers. Bisher hat der Kläger nicht im Alltag bewiesen, dass er seine Einstellung gegenüber Gewaltanwendung und Ehrgefühl tatsächlich und nachhaltig geändert hat. Dem steht nach wie vor gegenüber, dass das Leben und die körperliche Unversehrtheit Schutzgüter von besonderem Verfassungsrang darstellen und ihr Schutz oberstes Interesse der Gesellschaft ist. Das Gericht hält daher an seinen Erwägungen im Beschluss vom 27. April 2020 fest und verweist erneut auf die dortigen Ausführungen.
C.
Die Kostenentscheidung hinsichtlich des abgewiesenen Teils der Klage folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kosten hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage sind dem Kläger gem. § 155 Abs. 2 VwGO aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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