Arbeitsrecht

Erfolglose Klage gegen Entziehung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  M 26 K 17.1126

Datum:
10.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 119605
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 7 Abs. 1
FeV § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Zwar setzt die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes nicht zwangsläufig voraus, dass die 185-Tage-Frist bereits verstrichen ist (Anschluss BayVGH BeckRS 2013, 49640). Ist aber der Fahrerlaubnisinhaber dauerhaft in Deutschland gemeldet gewesen und zudem seine Darstellung, er habe im Rahmen eines berufsbedingten Aufenthalts in Polen die Fahrerlaubnis dort erworben, durch das Zeugnis seines Arbeitgebers widerlegt, ist von einem Scheinwohnsitz auszugehen.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.
1. Soweit sie sich gegen die Zwangsgeldandrohung richtet, ist die Klage bereits unzulässig. Denn der Führerschein des Klägers lag der Fahrerlaubnisbehörde bereits zur Eintragung des Sperrvermerks vor. Damit ist die Verpflichtung aus Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids erfüllt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass das Landratsamt das in Nr. 4 des Bescheids angedrohte Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 BayVwZVG gleichwohl noch beitreiben wird. Daher fehlt es dem Kläger für eine Anfechtungsklage insoweit am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis (BayVGH, B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris).
Im Übrigen ist die Klage zulässig, auch wenn sie nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids erhoben wurde. Da dem Bescheid eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung:beigefügt war, galt die Jahresfrist (§ 58 Abs. 2 VwGO), welche eingehalten wurde.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid des Landratsamts vom 28. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung zum Führen von Kraftfahr-zeugen im Inland nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten. Die Behörde kann einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen (§ 28 Abs. 4 Satz 2 FeV). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei feh-lenden beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Diese Bestimmung steht mit Art. 2 Abs. 1, Art. 7 und Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung, ABl. EG Nr. L 403 S.18) in Einklang. Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie werden die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt. Allerdings darf ein Führerschein nur an Bewerber ausgestellt werden, die im Hoheitsgebiet des den Führerschein ausstellenden Mitgliedstaats ihren ordentlichen Wohnsitz haben oder nachweisen können, dass sie während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten dort studiert haben (Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie). Als ordentlicher Wohnsitz gilt gemäß Art. 12 der Richtlinie der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – im Fall eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr wohnt. Als ordentlicher Wohnsitz eines Führerscheininhabers, dessen berufliche Bindungen an einem anderen Ort als dem seiner persönlichen Bindungen liegen und der sich daher abwechselnd an verschiedenen Orten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten aufhalten muss, gilt jedoch der Ort seiner persönlichen Bindungen, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt. Diese Voraussetzung muss nicht erfüllt sein, wenn sich der Führerscheininhaber in einem Mitgliedstaat zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer aufhält. Nach Art. 7 Abs. 5 Unterabsatz 2 der Richtlinie achten die Mitgliedstaaten bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis sorgfältig darauf, dass eine Person die Anforderungen des Absatzes 1 – und somit auch die Wohnsitzvoraussetzung – erfüllt.
Die Prüfung, ob Informationen über den Wohnsitz des Fahrerlaubnisinhabers zum Zeitpunkt der Erteilung als vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührend und unbestreitbar eingestuft werden können, obliegt den Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 – Akyüz, C-467/10 – NJW 2012, 1341 Rn. 73 und 74). Dabei muss die Begründung eines Scheinwohnsitzes aufgrund der vom Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen nicht bereits abschließend erwiesen sein. Vielmehr reicht es aus, wenn diese Informationen darauf „hinweisen“, dass der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 a.a.O. Rn. 75). Soweit derartige Hinweise aus dem Ausstellungsmitgliedstaat vorliegen, sind zur endgültigen Beurteilung des Vorliegens eines rein fiktiven Wohnsitzes die Umstände des gesamten Falles heranzuziehen, also ergänzend auch die „inländischen Umstände“ (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 11 CS 16.2562 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Fahrerlaubnisbehörde zutreffend festgestellt, dass die aus dem Ausstellungsmitgliedstaat Polen stammenden Informationen auf die Nichterfüllung der Wohnsitzvoraussetzung bei der Erteilung der Fahrerlaubnis hinweisen und die Zusammenschau mit den übrigen bekannten Umständen, insbesondere der durchgehenden Meldung des Klägers in Deutschland, auf einen Wohnsitzverstoß schließen lässt.
Zwar setzt die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes nicht zwangsläufig voraus, dass die 185-Tage-Frist bereits verstrichen ist (BayVGH, B.v. 19.3.2013 – 11 CS 13.407 – juris Rn. 41; B.v. 22.2.2010 – 11 CS 09.1934 – juris Rn. 29-36; offen gelassen von BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 3 C 18.12 – BVerwGE 146, 377 Rn. 23). Lässt sich eine Person an einem Ort, an dem sie über persönliche (sowie ggf. zusätzlich über berufliche) Bindungen verfügt, in einer Weise nieder, die es als gesichert erscheinen lässt, dass sie dort während des Kalenderjahres an 185 Tagen wohnen wird, spricht viel für die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes ab dem Beginn des Aufenthalts. Dies kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn der Betreffende über keine weitere Wohnung verfügt oder wenn die Art und die Einrichtung dieser Wohnung bzw. die Art und Intensität der bestehenden persönlichen oder beruflichen Bindung eine Beendigung des Aufenthalts bereits vor dem Ablauf eines halben Jahres als praktisch ausgeschlossen erscheinen lassen. Ansonsten bildet jedoch der Umstand, dass der Betreffende erst kurz vor der Ausstellung des Führerscheins unter der angegebenen Adresse Wohnung im Ausstellungsmitgliedstaat genommen hat, ein sehr gewichtiges Indiz dafür, dass er sich nur zum Zweck des Erwerbs einer Fahrerlaubnis dort angemeldet hat, ohne einen ordentlichen Wohnsitz zu begründen (BayVGH, B.v. 22.5.2017 – 11 CE 17.718 – juris Rn. 17; B.v. 22.2.2010 a.a.O. Rn. 29). So liegt es auch im Fall des Klägers, der sich unter Zugrundelegung der von den polnischen Behörden übersandten Aufenthaltsanmeldung vor dem Erwerb der Fahrerlaubnis lediglich 54 Tage in Polen aufgehalten und von vornherein nur einen vorübergehenden Aufenthalt in Polen für die Dauer von 198 Tagen beabsichtigt hat. Es sind keine Umstände ersichtlich, die die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes in Polen bereits im Zeitpunkt der Anmeldung oder der Erteilung der Fahrerlaubnis als plausibel oder gar gesichert erscheinen ließen. Vielmehr lässt die Auskunft der Stadtverwaltung C* … erkennen, dass die Wohnsitzvoraussetzung allein auf der Grundlage der melderechtlichen Daten und des vom Kläger beabsichtigten vorübergehenden Aufenthalts von 198 Tagen bejaht wurde (vgl. auch OVG RhPf, B.v. 15.1.2016 – 10 B 11099/15).
Entgegen der Auffassung der Bevollmächtigten des Klägers ist dabei ohne Belang, dass Ausgangspunkt der Ermittlungen der Umstand war, dass der Kläger durchgehend und damit auch zum Zeitpunkt des Erwerbs der Fahrerlaubnis mit Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet war. Auch wenn das Bestehen des inländischen Wohnsitzes keine vom Ausstellermitgliedstaat herrührende Information ist, setzt der „Hinweis“ auf einen Wohnsitzverstoß im Sinne von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV denklogisch voraus, dass ein anderweitiger (nämlich inländischer) Wohnsitz bestanden hat. Davon geht § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV aus, wenn die Norm darauf abstellt, dass der Betroffene seinen „ordentlichen Wohnsitz im Inland“ hatte. Einen Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip kann der Aufnahmemitgliedstaat auf Grundlage lediglich melderechtlicher Informationen des Ausstellermitgliedstaats nämlich regelmäßig in erster Linie nur dann in Betracht ziehen, wenn der Führerscheininhaber in der maßgeblichen Zeit (auch) einen inländischen Wohnsitz gehabt hat. Ansonsten wäre ein Wohnsitzverstoß vielfach nur dann überhaupt erkennbar, wenn der Ausstellermitgliedstaat diesen und damit eine fehlerhafte Erteilung einer Fahrerlaubnis – ggf. auf Anfrage – positiv bestätigen würde. Die alleinige melderechtliche Information eines nur vorübergehenden Aufenthalts über eine Dauer von nur wenig mehr als 185 Tagen und ohne Kenntnisse über tatsächliche Umstände des polnischen Wohnsitzes ist damit bei gleichzeitig beibehaltenem Wohnsitz in Deutschland ein „Hinweis“ darauf, dass sich der Erwerber einer Fahrerlaubnis nur für ganz kurze Zeit in Polen aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins in Deutschland zu umgehen. Dies bedeutet – entgegen der Ansicht des Klägers – keine „Beweislastumkehr“ zu Lasten des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen. Hierbei geht es vielmehr allein um die Bestimmung des „Ausgangspunkts“ der Prüfung des Wohnsitzverstoßes, nämlich der Informationen des Ausstellermitgliedstaats, die sodann unter Einbeziehung aller Umstände des Falles vom Aufnahmemitgliedstaat zu bewerten sind (OVG RhPf, B.v. 15.1.2016, a.a.O.).
Als gewichtiger inländischer Umstand für einen Scheinwohnsitz des Klägers in Polen lediglich zur Erlangung einer Fahrerlaubnis ist – neben der Tatsache, dass er dauerhaft, also auch im Zeitpunkt der Erteilung, mit Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet war -, vor allem der Umstand anzuführen, dass sich die Aussage des Klägers, er habe die polnische Fahrerlaubnis während eines beruflichen Aufenthalts in Polen erworben, ausweislich der entgegenstehenden Auskunft des Personalleiters seines Arbeitgebers als unzutreffend erwiesen hat. Demnach ist davon auszugehen, dass er während des Zeitraums, den er in Polen verbracht haben will, weiterhin für seinen Arbeitgeber im Inland tätig war. Aufgrund dieser Tatsache ist es nicht nachvollziehbar, warum er in dieser Zeit neben seinem Wohnsitz in Deutschland einen (zweiten) Wohnsitz in Polen begründet hat und wie er dort seinen Lebensmittelpunkt gehabt haben will. Des Weiteren wurde am … August 2015 eine Durchsuchung des Zimmers des Klägers in der Wohnung in D* … durchgeführt und der Kläger am … September 2015 als Beschuldigter vernommen. Am … September 2015 ließ der Kläger ein Kraftfahrzeug unter seiner Adresse in D* … zu. Diese Daten fallen genau in die Zeit, in der der Kläger vorgibt, sich in Polen aufgehalten zu haben.
Aufgrund dieser gravierenden Zweifel an der Erfüllung der Wohnsitzvoraussetzung bei Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis hätte es dem Antragsteller oblegen, die Angaben zu seinem Aufenthalt in Polen weiter zu substantiieren. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Fahrerlaubnisinhaber substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts im Ausstellungsmitgliedstaat im Zusammenhang mit der Fahrerlaubniserteilung sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen, die im maßgeblichen Zeitraum zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden, machen muss, wenn er trotz der das Gegenteil ausweisenden Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat und der inländischen Umstände darauf beharrt, das Wohnsitzerfordernis eingehalten zu haben (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2015 – 3 B 48.14 – juris Rn. 6; B.v. 22.10.2014 – 3 B 21.14 – DAR 2015, 30 Rn. 3). Substantiierte und glaubhafte Angaben hierzu hat der Kläger jedoch weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren gemacht.
Nach alledem erweist sich die vom Landratsamt getroffene Feststellung, dass der Kläger nicht berechtigt ist, von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, als rechtmäßig. Hieraus folgt die Verpflichtung, der Fahrerlaubnisbehörde den Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen (§ 47 Abs. 2 FeV).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.


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