Arbeitsrecht

Erstattung von Ausbildungskosten bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit wegen Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer

Aktenzeichen  M 21 K 16.4521

Datum:
18.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 4 Abs. 3
SG SG § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 7, § 56 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, S. 3

 

Leitsatz

1. Die Erstattungsverpflichtung, der sich ein wegen seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer entlassener Soldat gegenübersieht, begründet eine besondere Härte im Sinne des § 56 Abs. 4 S. 3 SG, die den Dienstherrn nach dieser Vorschrift zu Ermessenerwägungen über den vollständigen oder teilweisen Verzicht auf einen Ausgleich der Ausbildungskosten zwingt. (redaktioneller Leitsatz)
2. § 56 Abs. 4 S. 3 GG ist im Lichte des Art. 4 Abs. 3 GG dahingehend auszulegen, dass der anerkannte Kriegsdienstverweigerer die Kosten seiner Ausbildung nur im Umfang des geldwerten Vorteils erstatten muss, der ihm aus der genossenen Fachausbildung für sein weiteres Berufsleben real und nachprüfbar verblieben ist. (redaktioneller Leitsatz)
3. Der erlangte Vorteil besteht dabei in Höhe derjenigen Aufwendungen, die der Soldat dadurch erspart hat, dass er das Studium oder die Fachausbildung nicht auf eigene Kosten hat absolvieren müssen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO analog.
Die Klage ist im Übrigen zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
Der angefochtene Leistungsbescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage des Bescheides ist § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 3 SG. Nach dieser Vorschrift muss ein Soldat auf Zeit, dessen militärische Ausbildung mit einem Studium oder einer Fachausbildung verbunden war, die entstandenen Kosten des Studiums oder der Fachausbildung erstatten, wenn er auf seinen Antrag entlassen worden ist oder als auf eigenen Antrag entlassen gilt. Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 Halbsatz 2 SG gilt eine Entlassung, die – wie vorliegend im Falle des Klägers – auf einer Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer beruht, als Entlassung auf eigenen Antrag.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Damit besteht jedenfalls dem Grunde nach die Verpflichtung des Klägers zur Erstattung der entstandenen Ausbildungskosten Nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG kann auf die Erstattung ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn sie für den Soldaten eine besondere Härte bedeuten würde. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass die Erstattungsverpflichtung, der sich – wie im vorliegenden Fall – ein wegen seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer entlassener Soldat gegenübersieht, eine besondere Härte im Sinne des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG begründet, die den Dienstherrn nach dieser Vorschrift zu Ermessenerwägungen über den vollständigen oder teilweisen Verzicht auf einen Ausgleich der Ausbildungskosten zwingt. Einem Soldaten, der – wie der Kläger – eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst getroffen hat, kann wegen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Rechtes der Kriegsdienstverweigerung in Art. 4 Abs. 3 GG nicht zugemutet werden, auf den für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erforderlichen Antrag allein deshalb zu verzichten sowie weiterhin im Wehrverhältnis zu verbleiben und dabei seinem Gewissen zuwiderzuhandeln, um der andernfalls drohenden Erstattungsverpflichtung zu entgehen (vgl. statt vieler BVerwG, U. v. 30.3.2006 – 2 C 18.05 – Buchholz 449 § 56 SG Nr. 3). Durch die Anerkennung des Klägers als Kriegsdienstverweigerer sind die Voraussetzungen für die Annahme eines Härtefalls entstanden.
Bei der Entscheidung über die Frage, inwieweit auf den Erstattungsbetrag von maximal 46.514,70 € ganz oder teilweise zu verzichten ist, hat die Beklagte mit den von ihr angestellten Erwägungen bezüglich des zurückgeforderten Betrages von 33.674,67 Euro auch ermessensfehlerfrei gehandelt.
§ 56 Abs. 4 Satz 3 GG ist im Lichte des Art. 4 Abs. 3 GG dahingehend auszulegen, dass der anerkannte Kriegsdienstverweigerer die Kosten seiner Ausbildung nur im Umfang des geldwerten Vorteils erstatten muss, der ihm aus der genossenen Fachausbildung für sein weiteres Berufsleben real und nachprüfbar verblieben ist. Diese Reduzierung führt zu dem Betrag, den der Soldat dadurch erspart hat, dass die Be-klagte den Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten finanziert hat, die ihm im weiteren Berufsleben von Nutzen sind. Der Soldat muss also Ausbildungskosten (nur) in Höhe der durch das Studium oder die Fachausbildung erlangten Vorteile erstatten. Diese Beschränkung der zu erstattenden Kosten auf den erlangten Vorteil stellt sicher, dass die Erstattung nicht zu einer Maßnahme wird, die den Betroffenen von der Stellung eines Antrags auf Kriegsdienstverweigerung abschreckt. Die Abschöpfung lediglich des durch das Studium oder die Fachausbildung erworbenen Vorteils führt nämlich zu keiner Einbuße an Vermögensgütern, über die der ehemalige Soldat unabhängig von dem Wehrdienstverhältnis verfügt. Der Vorteilsausgleich stellt nur die Situation wieder her, die in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht bestand, bevor der Soldat das Studium oder die Fachausbildung absolviert hat. Mehr soll und darf bei verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes nicht abgeschöpft werden. Der erlangte Vorteil besteht dabei in Höhe derjenigen Aufwendungen, die der Soldat dadurch erspart hat, dass er das Studium oder die Fachausbildung nicht auf eigene Kosten hat absolvieren müssen. Erspart sind zunächst die unmittelbaren Ausbildungskosten (Ausbildungsgebühren, Aufwendungen für Ausbildungsmittel) und ferner die mittelbaren Kosten der Ausbildung (Reisekosten, Trennungsgeld, ersparte Lebenshaltungskosten, Kosten für die Krankenversicherung) (vgl. zu alldem BVerwG, ebenda).
Diesen Grundsätzen hat die Beklagte in ihrem Leistungsbescheid Rechnung getragen. Sie hat ihrer Forderung nicht die tatsächlich entstandenen Ausbildungskosten zu Grunde gelegt, sondern den Erstattungsbetrag in Ausübung des insoweit gebundenen Ermessens im Rahmen des Vorteilsausgleichs pauschalierend unter Anwendung der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks „Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland“ (20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, durchgeführt durch das HIS-Institut für Hochschulforschung, 2013, S. 254, abrufbar unter: http://www.studentenwerke.de/sites/default/files/01_20-SE-Hauptbericht.pdf) ermittelt. Rechtliche Bedenken gegen diese generalisierende und pauschalierende Ermittlung der ersparten Aufwendungen bestehen keine (vgl. hierzu BVerwG, a.a.O).
Überdies erweist sich die pauschalierende Annahme derartiger monatliche Aufwendungen für Lebensunterhalt, Studiengebühren und Lernmittel nicht als offenkundig auf fehlerhafter Tatsachengrundlage beruhend. So ermittelt die aktuell vorliegende Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks einen durchschnittlichen Bedarf studentischer Lebenshaltung in Höhe von 739,00 € (nicht 738,00 €, wie die Beklagte fehlerhaft, aber zu Gunsten des Klägers annimmt) für das Jahr 2006, 757,00 € für das Jahr 2009 sowie 794,00 € für das Jahr 2012. Dass diese Zahlen nicht sämtliche individuelle Lebenslagen der Studenten in der Bundesrepublik wiederspiegeln, versteht sich dabei von selbst. Insbesondere die Ausgaben für Miete dürften regional stark voneinander abweichen. Darauf kommt es angesichts der im Rahmen der Ermessensausübung zulässigen generalisierenden und pauschalierenden Betrachtung jedoch nicht an.
Der Einwand des Klägers, er hätte bei einem „zivilen Studium“ Anspruch auf Kindergeldleistungen gehabt, die von den ersparten Aufwendungen in Abzug zu bringen seien, verfängt nicht. Zum einen sind die Eltern des Klägers, nicht er selbst, Inhaber des Anspruchs auf Kindergeld. Ob und in welcher Höhe die Eltern des Klägers diesen unter Einsatz des Kindergeldes tatsächlich von den Kosten eines zivilen Studiums freigestellt hätten, lässt sich rückblickend nicht mit der erforderlichen Sicherheit klären. Zum anderen hat nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen der Ermittlung der ersparten Ausbildungskosten eine generalisierende und pauschalierende, an den durchschnittlichen Kosten einer gleichwertigen Ausbildung an einer privaten Einrichtung orientierte Vorteilsermittlung zu erfolgen, der solche hypothetischen Ersatzüberlegungen grundsätzlich fremd sind. Schließlich hat sich der Kläger damals ausdrücklich gegen ein „ziviles“ Studium in eigener Finanzierungsverantwortung mit entsprechenden Unwägbarkeiten und für eine „militärische“, durch den Dienstherrn finanzierte Ausbildung entschieden (vgl. BayVGH, B. v. 19.5.2015 – 6 ZB 14.1841 – juris Rn. 15).
Schließlich begegnet auch die Rückforderung der dem Kläger tatsächlich gewährten persönlichen Kosten in Gestalt der Umzugskostenvergütung keinen rechtlichen Bedenken. Diese mittelbaren Kosten sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, ebenda) erstattungsfähig. Sie wurden dem Kläger auch anlässlich seiner Versetzung von Walldürn nach Neubiberg zur Aufnahme des Studiums (vgl. die Versetzungsverfügung vom 14. Juli 2008, B. 37 A III der Peronalakte) tatsächlich gewährt und stehen somit in unmittelbarem Zusammenhang zu den Kosten des Studiums.
Insgesamt ist die Rückforderung der Ausbildungskosten daher in der im Bescheid genannten Höhe von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des übereinstimmend für erledigten Teils der Klage auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Billigem Ermessen entspräche es, die Kosten insoweit der Beklagten aufzuerlegen, weil er Kläger bei Fortsetzung des Verfahrens insoweit voraussichtlich obsiegt hätte. Da die Beklagte angesichts des ursprünglichen Klagegegenstandes aber nur zu einem geringen Teil unterlegen wäre, beruht die Kostenentscheidung insgesamt schließlich auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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