Arbeitsrecht

Fehlen einer Entscheidung über einen Antrag auf Gewährung eines Eingliederungszuschusses

Aktenzeichen  L 10 AL 42/16

Datum:
19.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 126987
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 88
SGB III § 88, § 324 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Zum Fehlen einer Entscheidung über einen Antrag auf Gewährung eines Eingliederungszuschusses.
2. Zwar können auch Teile der Begründung eines Verwaltungsaktes als weiterer Verfügungssatz gewertet werden, der weitere Verfügungssatz muss aber im Hinblick auf das Bestimmtheitserfordernis für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennen lassen, welche Regelung damit getroffen werden soll (ebenso BSG BeckRS 2010, 67933). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 5 AL 404/13 2015-12-14 Endurteil SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.12.2015 teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, über den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Eingliederungszuschusses im Bezug auf das zum 02.04.2013 eingegangene Beschäftigungsverhältnis zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin 1/4 ihrer außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und teilweise begründet. Das SG hat zu Recht die Klage im Bezug auf die Gewährung eines Eingliederungszuschusses für das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit W. ab dem 20.03.2013 abgewiesen. Insoweit ist der Bescheid vom 19.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.08.2015 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Soweit sich die Klage auf die Gewährung eines EGZ für die Arbeitsaufnahme der W. ab dem 02.04.2013 bezieht, ist die Berufung dahingehend begründet, dass die Beklagte zur Entscheidung über den am 27.03.2013 gestellten Antrag zu verurteilen ist.
Streitgegenstand ist zum einen die Gewährung eines am 20.03.2013 beantragten EGZ für die Einstellung von W., über die die Beklagte mit Bescheid vom 19.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.08.2015 entschieden hat. Darüber hinaus ist auch der Antrag vom 27.03.2013 im Hinblick auf die Gewährung eines EGZ für die Einstellung der W. ab 02.04.2013 streitgegenständlich. Hierüber hat die Beklagte bislang nicht entschieden.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung eines EGZ für die Einstellung der W. im Bezug auf das Arbeitsverhältnis vom 18.03.2013 bis 25.03.2013. Nach § 88 SGB III können Arbeitgeber zur Eingliederung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, deren Vermittlung wegen in ihrer Person liegender Gründe erschwert ist, einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt zum Ausgleich einer Minderleistung erhalten (Eingliederungszuschuss). Ob diese Voraussetzungen im Hinblick auf die Einstellung von W. ab dem 18.03.2013 vorliegen, kann dahinstehen, weil der Antrag verspätet gestellt worden ist.
Leistungen der Arbeitsförderung, zu denen nach § 3 Abs. 1 SGB III auch der EGZ zählt, werden nur erbracht, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses beantragt worden sind (§ 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Leistungsbegründendes Ereignis für die Gewährung eines EGZ ist der Beginn des Arbeitsverhältnisses und der Beschäftigung (vgl. BSG Urteil vom 06.05.2008 – B 7/7a AL 16/07 R – SozR 4-4300 § 217 Nr. 2). Wie die Klägerin im Widerspruchsverfahren selbst ausgeführt hat und wie dies auch von W. bereits am 15.03.2013 telefonisch der Beklagten mitgeteilt worden ist, erfolgte die Einstellung der W. nach einer zweitägigen Probearbeit am 18.03.2013. Nachdem die Klägerin erstmalig am 20.03.2013 mündlich die Gewährung eines EGZ für W. beantragte, wobei eine Antragstellung auch in mündlicher Form ausreichend ist (vgl. BSG aaO), erfolgte dies erst nach Beginn des Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisses. Eine rechtzeitige Antragstellung im Sinne von § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III liegt damit nicht vor.
Die verspätete Antragstellung war vorliegend auch nicht ausnahmsweise zuzulassen. Nach § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III kann die Agentur für Arbeit zur Vermeidung unbilliger Härten eine verspätete Antragstellung zulassen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn den Antragsteller ein geringes Verschulden trifft und die Folgen erheblich sind (vgl. dazu Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, Stand 11/2015, § 88 Rn. 41; Winkler in Gagel, SGB II/SGB III, Stand 06/2016, § 88 SGB III Rn. 34; BayLSG, Urteil vom 27.11.2001 – L 9 AL 53/01). Das SG hat in seiner Entscheidung insofern zutreffend ausgeführt, dass die Beklagte die verspätete Antragstellung zu Recht nicht zugelassen und ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Der Senat folgt insofern den dortigen Ausführungen und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass im Übrigen vorliegend nicht erkennbar ist, dass die Klägerin durch die Zurückweisung der verspäteten Antragstellung erhebliche Folgen treffen würden. So hat die Klägerin der W. zum 25.03.2013 bereits wieder gekündigt. Diese Ausführungen der Klägerin decken sich auch mit den Angaben von W. im Rahmen ihrer persönlichen Vorsprache bei der Beklagten am 26.03.2013. Das Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis wurde damit zum 25.03.2013 beendet. Auch wenn sich die Klägerin insofern in keinster Weise an die entsprechenden Kündigungsfristen nach § 622 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gehalten hat und mangels Nachweises, dass vorliegend die Ablehnung der Gewährung eines EGZ als auflösende Bedingung des Arbeitsvertrages formwirksam schriftlich (vgl. § 21 TzBfG iVm § 14 Abs. 4 TzBfG) vereinbart worden, hat W. diese Kündigung offensichtlich widerspruchslos hingenommen und insbesondere auch keine Kündigungsschutzklage erhoben. Vielmehr hat sie sich bei der Beklagten am 26.03.2013 erneut arbeitslos gemeldet. Damit bestand aber das Arbeitsverhältnis, für das überhaupt eine am 20.03.2013 beantragte Gewährung eines EGZ in Betracht gekommen wäre, nur für die Zeit vom 18.03.2013 bis 25.03.2013. Allenfalls für diesen Zeitraum hätte überhaupt ein EGZ bei rechtzeitiger Antragstellung geleistet werden können, der ggf. teilweise sogar nach § 92 Abs. 2 SGB III hätte zurückgezahlt werden müssen. Die Nichtzulassung der verspäteten Antragstellung hätte damit mangels nennenswerter Förderleistungen, die damit hätten erzielt werden können, nicht zu erheblichen Folgen geführt.
Auch für die Zeit ab 02.04.2013 ist die Beklagte nicht zur Zahlung eines EGZ für die erneute Einstellung der W. bei der Klägerin zu verurteilen. Zur Überzeugung des Senats hat die Beklagte bislang über den entsprechenden Antrag der Klägerin vom 27.03.2013 nicht entschieden. Ausweislich des Aktenvermerks vom 28.03.2013 der Beklagten ging am 27.03.2013 erneut ein Fragebogen auf EGZ für W. ein. Als Einstellungsdatum war der 02.04.2013 angegeben. Da – wie oben bereits ausgeführt – das am 18.03.2013 eingegangene Arbeitsverhältnis mit W. zum 25.03.2013 wieder beendet worden war, handelte es sich – auch im Hinblick auf einen erneuten Abschluss eines weiteren Arbeitsvertrages – um ein neues Arbeitsverhältnis ab 02.04.2013. Konsequenterweise hat die Klägerin einen neuen Antrag auf EGZ gestellt. Für das neue Arbeitsverhältnis sind die Voraussetzungen des § 88 SGB III erneut zu prüfen. Dies folgt daraus, dass das Arbeitsverhältnis Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung eines EGZ ist (vgl. dazu Kuhnke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 1. Aufl. 2014, § 88 Rn. 35). Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 19.04.2013 jedoch alleine über den Antrag vom 20.03.2013 entschieden. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus dem Verfügungssatz in diesem Bescheid. Die Ablehnung der Gewährung eines EGZ wurde zudem mit der verspäteten Antragstellung begründet. Zwar wurde der Eingang eines weiteren EGZ-Fragebogens zur Einstellung ab 02.04.2013 in der Begründung des Bescheides erwähnt, jedoch insofern wiederum darauf verwiesen, der Tatbestand der verspäteten Antragstellung bleibe bestehen. Dies stellt aber keine Verfügung im Sinne des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dar. Zwar können auch Teile der Begründung eines Verwaltungsaktes als weiterer Verfügungssatz gewertet werden, der weitere Verfügungssatz muss aber im Hinblick auf das Bestimmtheitserfordernis für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennen lassen, welche Regelung damit getroffen werden soll (vgl. dazu BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 30/09 R; Urteil vom 30.08.2001 – B 4 RA 114/00 R). Unter verständiger Würdigung der Ausführungen in dem Bescheid vom 19.04.2013 kann aus den entsprechenden Sätzen der Begründung nicht geschlossen werden, die Beklagte habe damit ausdrücklich auch den neuen Antrag vom 27.03.2013 ablehnen wollen. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der Ausführung, dass der Tatbestand der verspäteten Antragstellung bestehen bleibe, der Bescheid dahingehend zu verstehen, dass die Beklagte davon ausgegangen ist, der Eingang des weiteren EGZ-Fragebogens am 27.03.2013 sei für die Leistungsablehnung in Bezug auf den Antrag vom 20.03.2013 ohne Auswirkung. Eine konkrete Regelung im Bezug auf den Antrag vom 27.03.2013 kann damit nicht gesehen werden. Auch im Widerspruchsbescheid vom 24.10.2013 kann ausweislich des dortigen Verfügungssatzes – dort wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen – keine Ablehnungsentscheidung bezüglich des Antrags vom 27.03.2013 gesehen werden. Zwar wird in der Sachverhaltsschilderung der Begründung der weitere Antrag vom 27.03.2013 erwähnt und behauptet, auch dieser wäre mit Bescheid vom 19.04.2013 abgelehnt worden, dies trifft aber nach obigen Ausführungen gerade nicht zu. Insofern ist die Beklagte hier von falschen Voraussetzungen in der Sachverhaltsdarstellung ausgegangen. Im Weiteren wird wiederum darauf abgestellt, dass der Tatbestand der verspäteten Antragstellung bestehen bleibe. Schließlich wird im Bescheid vom 21.08.2015 im Betreff nur der Antrag vom 20.03.2013 aufgeführt. Dies erscheint insofern auch konsequent, als dass der Antrag vom 27.03.2013 im Bezug auf die Einstellung zum 02.04.2013 gerade offensichtlich rechtzeitig im Sinne von § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III gewesen ist und sich der Bescheid vom 21.08.2015 alleine mit der Frage einer Zulassung der verspäteten Antragstellung vom 20.03.2013 beschäftigt.
Auch im Rahmen des Berufungsverfahrens hat die Beklagte darauf verwiesen, es sei mit Bescheid vom 19.04.2013 abschließend nur über den Antrag vom 20.03.2013 entschieden worden. Sofern ausgeführt wird, ein weiterer Antrag vom 27.03.2013 sei nicht zur Entscheidung vorgelegt worden, ist dies nicht nachvollziehbar. Sowohl im Aktenvermerk der Beklagten vom 28.03.2013 als auch vom 11.04.2013 ist unmissverständlich festgehalten worden, dass die Klägerin einen zweiten EGZ-Fragebogen am 27.03.2013 eingesandt habe, der im Unterschied zum früheren Fragebogen vom 20.03.2013 nunmehr ein Einstellungsdatum 02.04.2013 enthalte. Dies ist als erneute Antragstellung zu werten, da der Antrag auf Zahlung eines EGZ nicht formgebunden ist und die sachgerechte Auslegung zu einer entsprechenden Antragstellung führt. So hat die Beklagte dies im Übrigen auch im Sachverhalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2013 selbst dargestellt. Der in den Aktenvermerken vermerkte zweite EGZ-Fragebogen vom 27.03.2013 wurde von der Klägerin als Anlage K 5 im Klageverfahren vor dem SG vorgelegt. In den Akten der Beklagten befindet er sich nicht, vielmehr nur der erste EGZ-Fragebogen vom 20.03.2013. Im Hinblick auf die Vermerke vom 28.03.2013 und 11.04.2013 wurde offensichtlich der erneute Fragebogen nicht zur Akte genommen. Sofern die Beklagte auf den Formblattantrag vom 02.04.2013 der Klägerin als Tag der Antragstellung den 20.03.2013 vermerkt hat, war dies nach alledem unzutreffend, vielmehr handelte es sich um den durch Übersendung des zweiten EGZ-Fragebogens gestellten Antrag vom 27.03.2013. Entschieden wurde letztlich nur über den mündlichen Antrag vom 20.03.2013.
Die Beklagte war daher zu verurteilen, über den Antrag der Klägerin vom 27.03.2013 bezüglich der Gewährung eines EGZ bezüglich des Arbeitsverhältnisses mit W. ab 02.04.2013 zu entscheiden. Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist eine Untätigkeitsklage nach Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig (§ 88 Abs. 1 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat die Gewährung des EGZ bereits am 27.03.2013 beantragt. Wie oben ausgeführt hat die Beklagte bis heute nicht hierüber entschieden. Ein zureichender Grund dafür, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen worden ist, ist nicht erkennbar (§ 88 Abs. 1 Satz 2 SGG). Da in dem Leistungsantrag der Klägerin auf Gewährung des EGZ gleichzeitig als Minus eine Untätigkeitsklage enthalten ist, war die Beklagte insofern – nach entsprechender Auslegung der ursprünglich erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklage in eine Untätigkeitsklage – zur Entscheidung über den Antrag zu verurteilen.
Somit war die Beklagte zur Entscheidung über den beantragten EGZ für das mit W. ab 02.04.2013 begründete Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis zu verurteilen. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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