Arbeitsrecht

Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis bei Klage gegen Schiedsspruch nach Abschluss einer Vergütungsvereinbarung

Aktenzeichen  L 4 P 8/20 KL

Datum:
3.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 7830
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB XI § 84 Abs. 2, § 85

 

Leitsatz

Durch eine nach dem Schiedsspruch ergangene, wirksame Vergütungsvereinbarung nach § 85 SGB XI wird der Schiedsspruch gegenstandslos. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Schiedsspruch und die Vergütungsvereinbarung einen nicht vollständig identischen Pflegesatz in den Pflegegraden und keinen Vorbehalt oder keine Regelung zur Vorläufigkeit enthalten. (Rn. 28 – 33)

Tenor

I. Die Klage gegen den Schiedsspruch der Beklagten vom 10. Oktober 2019 wird verworfen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Entscheidung ergeht gemäß § 124 Abs. 2 SGG im schriftlichen Verfahren. Die Beteiligten haben im Erörterungstermin vom 29.11.2021 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG zugestimmt.
Die Klage ist bereits nicht zulässig. Zuständig für die Klage ist das Bayer. Landessozialgericht. Zwar wurde die statthafte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Form der Verbescheidungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1, 131 Abs. 3 SGG gegen den Schiedsspruch als Verwaltungsakt im Sinne des § 31 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) (vgl. dazu BSG, Urteil vom 14.12.2000, B 3 P 19/00 R – juris Rn. 18) fristgemäß gemäß § 87 SGG erhoben. Insbesondere findet nach § 85 Abs. 5 Satz 4 SGB XI i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG, § 85 Abs. 5 Satz 4 SGB XI kein Vorverfahren statt.
Der Kläger ist als Vertragspartei auch klagebefugt gemäß § 85 Abs. 2 Satz 1 SGB XI. Es fehlt jedoch an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die Klage.
Dies scheitert allerdings nicht daran, dass in den Folgejahren weiterhin ein Wagniszuschlag (mit unterschiedlicher Höhe) vereinbart wurde. Das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses ist weit zu fassen und bezieht sich hier auf den abgeschlossenen Zeitraum vom 01.07.2019 bis 30.06.2020.
Der Kläger hat am 04.12.2019 mit den Beigeladenen zu 1 – 4 eine Vergütungsvereinbarung nach § 85 SGB XI geschlossen, die den streitgegenständlichen Schiedsspruch gegenstandslos macht. Da der Schiedsspruch nur die fehlende Einigung der Parteien ersetzt, kann er von ihnen jederzeit durch eine Einigung ersetzt werden (Wahl, in: jurisPK-SGB XI, 2. Aufl., § 76 Rn. 37). Die Vergütungsvereinbarung enthält keinen Vorbehalt oder Regelung zur Vorläufigkeit bis zum Vorliegen der damals noch ausstehenden Begründung des Schiedsspruchs. Auch aus dem E-Mail-Verkehr durch die Vertreterin der BARMER Pflegekasse vom 18. und 25.10.2019 ergibt sich, dass „ganz normal“ eine Vergütungsvereinbarung geschlossen werden sollte.
Soweit der Kläger und die Beigeladenen zu 2 – 4 im Erörterungstermin vorgetragen haben, sie seien davon ausgegangen, dass damit lediglich der Schiedsspruch umgesetzt werden sollte, hat dies in dem Vereinbarungstext jedenfalls keinen Niederschlag gefunden. Es ist auch nicht zutreffend, dass die Vergütungsvereinbarung und der Tenor des Schiedsspruchs übereinstimmen. Dies trifft zwar für die Vergütung und Entgelte in den Pflegegraden 2 bis 5 zu, nicht jedoch im Pflegegrad 1. Dort ist der Ansatz mit 51,90 EUR in der Vergütungsvereinbarung höher als im Tenor des Schiedsspruchs mit 47,90 EUR.
Eine Nebenabrede, sofern eine solche getroffen worden sei, ist jedenfalls nicht schriftlich festgehalten; mündliche Nebenabreden würden dem Schriftformgebot (§ 85 Abs. 4 Satz 2 SGB XI) widersprechen.
Der Abschluss einer vertraglichen Vergütungsvereinbarung nach § 85 Abs. 1 Satz 1 SGB XI geht einem Schiedsspruch vor. Dies gilt nicht nur für die Zeit vor dem Schiedsspruch – hier war vor dem 10.10.2019 keine Pflegesatzvereinbarung zustande gekommen. Auch eine Pflegesatzvereinbarung nach dem Beschluss vom 10.10.2019 – wie hier am 04.12.2019 – geht der Schiedsstellenentscheidung vor. Generell hindert nämlich die Entscheidung der Schiedsstelle die von ihr betroffenen Parteien nicht, jederzeit eine davon abweichende vertragliche Vereinbarung zu treffen (vgl. auch: BeckOK SozR/Wilcken, SGB XI, § 85 Rn. 6).
Es ist nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass die Vergütungsvereinbarung rechtlich unwirksam bzw. angefochten ist.
Der Kläger muss sich damit an der rechtswirksamen, vorrangigen Vergütungsvereinbarung vom 04.12.2019 festhalten lassen. Dies bedingt, dass ihm in einem Klageverfahren gegen den Schiedsspruch das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
Die Klage war daher als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit §§ 154 ff VwGO. Gemäß § 154 Abs. 2 VwGO trägt derjenige die Kosten, der ein Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat. Der Beigeladene zu 1 hat wie die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beigeladenen zu 2 bis 4 haben keinen eigenen Antrag gestellt und sind damit bei der Kostenpflicht nicht zu beteiligen.
Gründe, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Die Streitwertfestsetzung (§ 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 1 Abs. 2 Nr. 3, 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG) ergeht durch gesonderten Beschluss.


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