Arbeitsrecht

gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstandes – Corona

Aktenzeichen  8 TaBV 25/21

Datum:
11.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 15550
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BetrVG § 17 Abs. 3, 4

 

Leitsatz

Verfahrensgang

4 BV 3/21 2021-08-18 Bes ARBGBAMBERG ArbG Bamberg

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin und Beteiligten zu 5) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bamberg vom 18.08.2021, Az. 4 BV 3/21, abgeändert und der Antrag abgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstandes zur Durchführung einer Betriebsrats-Wahl im Betrieb der Arbeitgeberin in L. Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 5) ist ein Unternehmen mit Sitz in B. und spezialisiert auf die Herstellung von Medizinprodukten an verschiedenen Standorten. Bei der Beteiligten zu 5) ist weder ein Gesamtbetriebsrat noch ein Konzernbetriebsrat gebildet. Im Betrieb am Standort L., in dem regelmäßig ca. 369 Arbeitnehmer beschäftigt sind, besteht kein Betriebsrat.
Drei zum damaligen Zeitpunkt wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebes L. luden zum Zweck der Einleitung einer Betriebsratswahl mit Schreiben vom 09.03.2020 zu einer Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes am 18.03.2020 in die H.-Halle ein. Das Einladungsschreiben wurde an verschiedenen Stellen im Betrieb, insbesondere den schwarzen Brettern, aufgehängt und an alle abwesenden Arbeitnehmer versandt. Die Beteiligte zu 5) bestätigte mit E-Mail vom 12.03.2020 die Kosten für die Anmietung der H.-Halle zu übernehmen.
Mit E-Mail vom 12.03.2020 teilte der Chief Human Resources Officer der N. Inc., einer Muttergesellschaft der Arbeitgeberin, allen Arbeitnehmern mit, dass aufgrund der Verbreitung des Corona-Virus größere Zusammenkünfte (mehr als 25 Arbeitnehmer) zu vermeiden und Besprechungen in Konferenzräumen auf bis zu zehn Arbeitnehmer zu beschränken seien. Am 13.03.2020 fand eine Besprechung mit den zu der Betriebsversammlung einladenden Arbeitnehmern statt, in der diese seitens der Arbeitgeberin auf die Covid-Situation und die daraus bestehenden Gefahren für die Belegschaft hingewiesen wurden.
Am 13.03.2020 übersandten die drei zu der Betriebsversammlung einladenden Arbeitnehmer an die Belegschaft eine E-Mail, in der diese mitteilten, dass sie sich aufgrund der neuesten Entwicklungen zum Corona-Virus, unter anderem dem Veranstaltungsverbot, entschlossen haben, die Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes am 18.03.2020 auf unbestimmte Zeit zu verschieben und ein neuer Termin verkündet werde, sobald sich die Lage verbessert habe.
Die Bayerische Staatsregierung rief am 16.03.2020 den Katastrophenfall aus und gab weitgehende Versammlungsbeschränkungen ab dem 17.03.2020 bekannt.
Die Antragstellerinnen sind der Ansicht, dass das Arbeitsgericht den Wahlvorstand nach § 17 Abs. 4 BetrVG zu bestellen habe. Die Durchführung einer Betriebsversammlung mit ca. 390 Arbeitnehmern sei aufgrund der Corona-Pandemie weder zum Zeitpunkt der Absage noch bei Einleitung des Beschlussverfahrens auf absehbare Zeit möglich gewesen. Ein Verzicht auf das Erfordernis der vorherigen Einladung zu einer Betriebsversammlung sei dann zu rechtfertigen, wenn einer solchen Einladung Hindernisse entgegenstünden, deren Beseitigung den die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstandes Betreibenden nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Dies könne nicht dazu führen, dass angesichts der Absage der Betriebsversammlung, zu der zunächst eingeladen worden sei, gegenwärtig und bis auf weiteres aufgrund der bestehenden pandemiebedingten Beschränkungen die Wahl eines Betriebsrates überhaupt nicht betrieben werden könne. Eine Betriebsversammlung sei bis auf weiteres durch die 12. Infektionsschutzmaßnahmenverordnung untersagt. Ein weiteres Zuwarten sei nicht zumutbar. Es fehle bereits auch nicht an einer vorherigen Einladung; diese sei vielmehr erfolgt. Eine erneute Einladung zur Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes sei nicht zumutbar, da dieser rechtliche und organisatorische Hindernisse entgegenstünden.
§ 129 BetrVG sei für Betriebsversammlungen zur Wahl eines Wahlvorstandes nicht einschlägig.
Zwischenzeitlich stünden auch keine männlichen Arbeitnehmer zur Verfügung, die dem Wahlvorstand angehören möchten.
Die Antragstellerinnen beantragten erstinstanzlich zuletzt:
Im Betrieb der Antragsgegnerin wird ein Wahlvorstand bestellt, bestehend aus
1. K. als Vorsitzender, sowie
2. D. und
3. C. als Beisitzer sowie
4. A. als Ersatzmitglied.
Die Beteiligte zu 5) und Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag zurückzuweisen.
Zunächst bestritt die Arbeitgeberin, dass männliche Arbeitnehmer nicht gewillt seien, sich als Wahlvorstandsmitglieder zu engagieren.
Die derzeit geltenden massiven Kontaktbeschränkungen würden im Extremfall einige Monate andauern. Im Anschluss würden Betriebsversammlungen unter Einhaltung eines Hygienekonzepts wieder möglich sein. Die Voraussetzungen zur gerichtlichen Bestellung eines Wahlvorstandes lägen nicht vor. Eine ordnungsgemäße Einladung im Sinne des § 17 Abs. 3 BetrVG zu einer Betriebsversammlung sei nicht erfolgt, da diese von den zunächst einladenden Arbeitnehmern fünf Tage vor der Durchführung aufgrund der Corona-Pandemie von sich aus wieder abgesagt worden sei. Die ursprünglich ordnungsgemäße Einladung sei somit beseitigt worden. Daher habe die Betriebsversammlung nicht trotz einer Einladung nicht stattgefunden.
Die gerichtliche Bestellung sei subsidiärer Notbehelf, auf welchen nur in Ausnahmefällen zurückgegriffen werden dürfe. Die Belegschaft müsse die Möglichkeit haben, einen demokratisch legitimierten Wahlvorstand zu wählen. Ein Verstoß hiergegen könne dazu führen, dass die Arbeitnehmer/innen die Legitimation der Wahl insgesamt nicht anerkennen und die Anfechtung der Betriebsratswahl betreiben könnten. Nur für den Fall, dass trotz Einladung die Betriebsversammlung nicht stattfinde oder ergebnislos bleibe, sei die gerichtliche Ersetzung möglich. Es läge auch kein Ausnahmefall vor, bei dem ein Verzicht auf die Einladung und eine Ersetzung des Wahlvorstandes durch das Gericht gerechtfertigt sei. Das Bundesarbeitsgericht habe einen derartigen Ausnahmefall anerkannt, wenn das Hindernis, das der Einladung der Betriebsversammlung entgegengestanden habe, aus der Sphäre des Arbeitgebers stammte, da die Einladung der Belegschaft mangels Kooperation des Arbeitgebers nicht bekannt gemacht habe werden können. Im vorliegenden Fall stünde aber nicht der Einladung, sondern der Durchführbarkeit der Betriebsversammlung ein Hindernis entgegen. Ein Aufweichen der gesetzlichen Anforderungen des § 17 Abs. 4 BetrVG sei nicht tragbar.
Die Undurchführbarkeit einer Betriebsversammlung sei hinzunehmen und die Wahl des Wahlvorstandes nicht möglich. Die Grundprinzipien einer demokratischen Wahl seien auch bei der Wahl des Wahlvorstandes einzuhalten. Dies folge auch aus der Regelung des § 129 BetrVG, der die Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 2 BetrVG gerade nicht erfasse. Die Wahl des Wahlvorstandes sei abhängig von einem präsenten Zusammenwirken der Wahlberechtigten. Auch die Wahl eines Betriebsrates sei in der derzeitigen Situation nicht durchführbar.
Das Arbeitsgericht Bamberg – Kammer Coburg – hat mit Beschluss vom 18.08.2021 dem Antrag der Antragstellerinnen stattgegeben. Zur Begründung führt es insbesondere aus, dass die Voraussetzungen des § 17 Abs. 4 BetrVG erfüllt seien. So läge eine ordnungsgemäße Einladung zur Wahl eines Wahlvorstandes in einer Betriebsversammlung vor. Diese Einladung sei durch die Absage der Betriebsversammlung auch nicht gegenstandslos geworden. § 17 Abs. 4 BetrVG sähe als Fallkonstellation der gerichtlichen Bestellung des Wahlvorstandes ausdrücklich vor, dass eine Betriebsversammlung trotz Einladung nicht stattfinde. Aus welchem Grund diese Betriebsversammlung nicht stattfinde, sei unbeachtlich. Die in § 1 BetrVG zum Ausdruck kommende Konzeption des Gesetzes, möglichst in jedem betriebsratsfähigen Betrieb einen Betriebsrat zu errichten, gebiete es, die Bestellung des Wahlvorstandes dann auf andere Weise sicherzustellen. Die gerichtliche Bestellung sei nicht auf die Fälle beschränkt, in denen der Arbeitgeber die Einladung, die Betriebsversammlung oder die Wahl in der Betriebsversammlung behindere. Aus welchen Gründen die Wahl eines Wahlvorstandes auf der Betriebsversammlung unterblieben sei, sei ebenfalls unerheblich. Dies gelte grundsätzlich auch für die Fälle, in denen die einladenden Arbeitnehmer die Betriebsversammlung selbst wieder abgesagt hätten. Nur bei einer Einladung zum bloßen Schein läge keine Einladung im Sinne des § 17 Abs. 3 BetrVG vor. Eine derartige Einladung zum Schein läge hier nicht vor. Die Absage der Betriebsversammlung sei offensichtlich unter dem Eindruck der fortschreitenden Beschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie zum Schutz der Belegschaft und der Allgemeinheit vor Infektionsgefahren erfolgt.
Die Argumentation der Arbeitgeberseite, durch die Absage der Betriebsversammlung sei die ursprünglich ordnungsgemäße Einladung beseitigt worden, vermag nicht zu überzeugen. Eine gerichtliche Bestellung sei auch in den Fällen vorgesehen, bei denen mangels Durchführung einer Betriebsversammlung keine Partizipationsmöglichkeit der Arbeitnehmer bestanden habe. Es bliebe der Belegschaft unbenommen, bis zur gerichtlichen Bestellung in einer neu einberufenen Betriebsversammlung doch noch selbst einen Wahlvorstand zu wählen.
Das Argument, die Bestellung des Wahlvorstandes sei nicht zielführend, da eine Betriebsratswahl nicht durchgeführt werden könne, überzeuge nicht. Bei der Betriebsratswahl handele es sich um eine Urnenwahl, eine Zusammenkunft der gesamten Belegschaft an einem Ort sei, anders als bei der Wahl des Wahlvorstandes, nicht erforderlich.
Auch aus § 129 BetrVG ergäbe sich nichts Anderes. Es erscheine vielmehr naheliegend, dass der Gesetzgeber aufgrund der Regelung in § 17 Abs. 4 BetrVG kein Bedürfnis gesehen habe, die Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes mittels audiovisueller Einrichtungen durchzuführen. Das BAG habe in seiner Entscheidung vom 26.02.1992 (7 ABR 37/91) angedeutet, dass auf das Erfordernis einer Einladung zu einer Betriebsversammlung gänzlich verzichtet werden könne, wenn einer solchen Einladung Hindernisse entgegenstünden, deren Beseitigung den die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstandes Betreibenden nicht möglich oder doch wenigstens nicht zumutbar sei. So werde in der Literatur und Instanzenrechtsprechung zu Recht vertreten, dass die gerichtliche Bestellung von Wahlvorständen in Zeiten der Pandemie selbst ohne Einladung möglich sein könne.
Die Zusammensetzung des Wahlvorstandes ohne männliche Mitglieder sei möglich. Bei § 16 Abs. 1 Satz 5, Abs. 2 BetrVG handele es sich um eine Sollvorschrift, der allenfalls nachzukommen sei, wenn die Bereitschaft zur Amtsübernahme bei Arbeitnehmern beider Geschlechter vorläge. Es habe bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung dem Gericht keine Mitteilung vorgelegen, dass auch nur ein männlicher Arbeitnehmer des Betriebes, einer Amtsübernahme zustimmen würde.
Der Beschluss des Arbeitsgerichtes Bamberg vom 18.08.2021 ist der Beteiligten zu 5) und Beschwerdeführerin am 20.08.2021 zugestellt worden. Die Beschwerdeschrift vom 17.09.2021 ist beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 18.09.2021 eingegangen. Die Beschwerdebegründung vom 22.11.2021 ist beim Landesarbeitsgericht Nürnberg innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am selben Tag eingegangen.
Die Beschwerdeführerin begründet ihre Beschwerde, dass entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts eine Einladung nicht vorläge. Die Absage der Betriebsversammlung führe dazu, dass die zuvor erstellte Einladung zurückgenommen worden sei. Die Antragstellerinnen hätten eine erneute Einladung in Aussicht gestellt, der sie bislang nicht nachgekommen seien. Eine ordnungsgemäße Einladung setze voraus, dass die Belegschaft rechtzeitig vom Termin und Ort unterrichtet werde. Dies gelte auch dann, wenn eine Einladung zurückgenommen und die Betriebsversammlung verlegt worden sei. Mit der Absage der Betriebsversammlung sei die Einladung vom 09.03.2020 nicht mehr existent. Zudem hätten die einladenden Arbeitnehmer verdeutlicht, dass eine erneute Einladung erfolgen werde, in dem sie in der Rücknahme der Einladung erklärten, dass ein neuer Termin verkündet werde, sobald sich die Lage verbessert habe. Auf diese zweite Einladung hätte die Belegschaft vertrauen dürfen.
Auf die Einladung könne auch nicht verzichtet werden. Selbst dann nicht, wenn der Arbeitgeber seine notwendige Mitwirkung verweigert habe. In einem solchen Fall sei die Mitwirkung des Arbeitgebers gegebenenfalls gerichtlich durchzusetzen. Vorliegend komme das Hindernis bereits nicht aus der Sphäre des Arbeitgebers. Ein von keiner Partei zu vertretender Umstand könne kein Absehen vom Erfordernis der Einladung rechtfertigen. Auch der Gesetzgeber habe sich dahingehend positioniert, dass eine Zusammenkunft der Arbeitnehmer im Rahmen einer Betriebsversammlung für die Wahl des Wahlvorstandes unerlässlich sei. Im Rahmen des Erlasses des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes hätte die Möglichkeit bestanden, Erleichterungen für die Einsetzung des Wahlvorstandes aufzunehmen. Immerhin sei während der Corona-Pandemie eine Betriebsversammlung nach § 42 gemäß § 129 virtuell möglich gewesen. Eine Ausdehnung der Möglichkeit, einen Wahlvorstand durch das Arbeitsgericht zu bestellen, sei gerade nicht erfolgt. Der Gesetzgeber habe in § 129 für § 17 BetrVG eine Absage erteilt.
Die gerichtliche Bestellung des Wahlvorstandes sei ein Notbehelf und folge dem strikten Subsidiaritätsprinzip. Die Antragstellerinnen würden mit der Anrufung des Gerichts die Beteiligung der Belegschaft umgehen. Es bestünde die Gefahr einer Anfechtbarkeit der Wahl des Betriebsrates, da ein nicht demokratisch legitimierter Wahlvorstand ins Amt käme.
Jedenfalls sei zwischenzeitlich die Durchführung einer Betriebsversammlung möglich. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 der derzeit geltenden Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung sei seit dem 01.09.2021 die Durchführung von Großveranstaltungen bis zu 25.000 Personen und Großveranstaltungen in Gebäuden mit bis zu 5.000 Personen wieder zulässig.
Zudem verstoße die Zusammensetzung des Wahlvorstandes gegen §§ 15 Abs. 1, 16 Abs. 1 Satz 5 BetrVG, da der Betrieb vom Wahlvorstand in Bezug auf seine Organisationsbereiche nur einseitig repräsentiert werde und keine gleichmäßige Verteilung der Geschlechter im Wahlvorstand bestehe.
Die Beschwerdeführerin beantragte daher:
Den Beschluss des Arbeitsgerichts Bamberg vom 18. August 2021, Az. 4 BV 3/21 abzuändern und den Antrag in vollem Umfang zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerinnen beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Aufgrund des deutlichen Hinweises der Beschwerdeführerin in einer E-Mail vom 12.03.2020, dass aufgrund der Verbreitung des Corona-Virus und der daraus resultierenden Gefahren für die Gesundheit der Beschäftigten größere Zusammenkünfte (mehr als 25 Arbeitnehmer) zu vermeiden und Besprechungen in Konferenzräumen auf bis zu 10 Arbeitnehmer zu beschränken seien, sei die Betriebsversammlung abgesagt worden.
Die Einladung vom 09.03.2020 sei auch nicht gegenstandslos geworden. Es sei ausschließlich maßgebend, dass die Betriebsversammlung zu dem in der Einladung vorgesehenen Zeitpunkt nicht zustande gekommen sei. Nachdem die Betriebsversammlung zu dem in der Einladung vorgesehenen Zeitpunkt nicht habe stattfinden können, habe das Erstgericht zu Recht mit Verweis auf die im Betriebsverfassungsgesetz zum Ausdruck kommende Konzeption, möglichst in jedem betriebsratsfähigen Betrieb einen Betriebsrat zu bilden, den Wahlvorstand gerichtlich bestellt.
Nach der Ansicht der Beschwerdeführerin wäre der Weg nach § 17 Abs. 4 so lange versperrt, solange pandemiebedingt keine Betriebsversammlung in Präsenz zur Wahl eines Wahlvorstandes möglich sei. Dem von der Beschwerdeführerin beschworenen Demokratieprinzip wäre dadurch Rechnung getragen, dass es der Belegschaft unbenommen bliebe, bis zur gerichtlichen Bestellung des Wahlvorstandes in einer neu einberufenen Betriebsversammlung doch noch einen Wahlvorstand selbst zu wählen.
Die Zusammensetzung des Wahlvorstandes verstoße nicht gegen §§ 15, 16 Abs. 1 Satz 5 BetrVG. § 15 BetrVG regele allein die Zusammensetzung des Betriebsrates und bei § 16 Abs. 1 Satz 5 BetrVG handele es sich um eine reine Sollvorschrift. Es habe sich zuletzt kein männlicher Arbeitnehmer mehr gefunden, der als Wahlvorstand hätte tätig werden wollen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung des Sachverhaltes in den Gründen der arbeitsgerichtlichen Entscheidung und auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichtes unbegründet.
1. Die erhobene Beschwerde des Beteiligten zu 5) ist statthaft und form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 87 Abs. 1 und 2, 89 Abs. 1 und 2, 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG, 519, 520 Abs. 3 ZPO).
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen für die gerichtliche Bestellung des Wahlvorstandes liegen jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht (mehr) vor.
a. Nach § 17 Abs. 4 BetrVG ist Voraussetzung für die Bestellung des Wahlvorstandes, dass trotz Einladung keine Betriebsversammlung stattgefunden hat oder die Betriebsversammlung keinen Wahlvorstand gewählt hat. Das Merkmal „trotz Einladung“ in § 17 Abs. 4 BetrVG dient dem Schutz der Interessen der Gesamtbelegschaft gegenüber den Initiatoren einer Betriebsratswahl in einem betriebsratslosen Betrieb. Dies wird durch einen Vergleich mit der Rechtslage deutlich, die vor der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 1972 bestanden hat. § 16 Satz 2 BetrVG 1952 setzte für die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstandes lediglich voraus, dass – aus welchen Gründen auch immer – keine Betriebsversammlung stattgefunden hatte oder in einer Betriebsversammlung kein Wahlvorstand gewählt worden war. Das Bundesarbeitsgericht hatte diese Vorschrift dahingehend ausgelegt, dass nicht einmal ein vergeblicher Versuch der Einberufung vorausgegangen sein müsse. Dadurch hatten die Initiatoren eines erstmals zu wählenden Betriebsrats die Möglichkeit, unter Übergehung der Belegschaft des Betriebs diejenigen Personen zu Mitgliedern des Wahlvorstandes bestellen zu lassen, die ihren Vorstellungen entsprachen. Wenn der Gesetzgeber bei der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 1972 in die den § 16 Satz 2 BetrVG 1952 entsprechende Vorschrift des § 17 Abs. 4 BetrVG 1972 das Tatbestandsmerkmal „trotz Einladung“ aufgenommen hat, so kann dies nur bedeuten, dass damit allen betroffenen Arbeitnehmern wenigstens die Möglichkeit eröffnet werden sollte, ihre eigenen kollektiven Interessen durch eine Beteiligung an der Initiative zur Bildung eines Betriebsrates selbst wahrzunehmen, bevor es zur gerichtlichen Bestellung eines Wahlvorstandes kommt. Die Arbeitnehmer des Betriebs können zwar nach der gesetzlichen Regelung die Initiatoren rechtlich nicht hindern, die Wahl eines Betriebsrats zu betreiben; denn eine gerichtliche Bestellung des Wahlvorstandes ist auch möglich, wenn die Betriebsversammlung zwar stattfindet, auf ihr jedoch kein Wahlvorstand gewählt wird. Durch das Erfordernis der ordnungsgemäßen Einladung wird jedoch der Vorrang der Belegschaft des Betriebes gesichert, selbst einen Wahlvorstand nach ihren Vorstellungen einzusetzen (BAG Beschluss vom 26.02.1992 – 7 ABR 37/91 – in juris recherchiert). Die gerichtliche Bestellung des Wahlvorstandes nach § 17 Abs. 4 BetrVG 1972 ist mithin ein Notbehelf, auf den nur dann zurückgegriffen werden kann, wenn die Initiatoren einer Betriebsratswahl allen Arbeitnehmern wenigstens die Chance eingeräumt haben, einen demokratisch legitimierten Wahlvorstand zu wählen, und wenn dies gleichwohl nicht erfolgt ist (BAG Beschluss vom 19.03.1974 – 1 ABR 87/73 – in juris recherchiert).
Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Fall, in dem der Arbeitgeber eine ihm obliegende, für die Übermittlung der Einladung notwendige Mitwirkungshandlung verweigert hat, entschieden, dass selbst dies das Erfordernis der Einladung zu einer Betriebsversammlung nicht entfallen lässt.
Das Beschwerdegericht folgt insoweit der Auffassung der Beteiligten zu 5), dass die Betriebsversammlung nicht trotz Einladung nicht stattgefunden hat. Vielmehr wurde diese ursprüngliche Einladung durch die Initiatoren zurückgezogen. Diese haben nicht nur über eine Undurchführbarkeit der Betriebsversammlung informiert, sondern vielmehr die Belegschaft ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese über den neuen Termin einer Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes benachrichtigt werden würden. Die Arbeitnehmer konnten somit darauf vertrauen, dass es eine Einladung zu einer neu angesetzten Betriebsversammlung geben werde. Die Voraussetzungen des § 17 Abs. 4 in Gestalt der ersten Alternative liegt somit nicht vor. Es gibt gerade keine Einladung mehr, diese ist tatsächlich zurückgenommen worden und nicht mehr existent.
b. Ein Verzicht auf das Erfordernis der vorherigen Einladung zu einer Betriebsversammlung kann aber dann gerechtfertigt sein, wenn einer solchen Einladung Hindernisse entgegenstehen, deren Beseitigung dem die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstandes Betreibenden nicht möglich oder doch wenigstens nicht zumutbar sind (BAG Beschluss vom 26.02.1992, a. a. O.). Dies ergibt sich aus dem gesetzgeberischen Ziel, dass mit der Regelung des § 17 Abs. 4 BetrVG erreicht werden soll, dass möglichst in jedem betriebsratsfähigen Betrieb ein Betriebsrat gewählt wird (BAG, Beschluss vom 26.02.1992, a. a. O.)
Ein solcher Fall liegt jedoch nach Ansicht des Beschwerdegerichtes auch dann vor, wenn eine Betriebsversammlung aufgrund coronabedingten Schutzvorschriften nicht abgehalten werden darf. Eine Einladung zu einer von vorneherein rechtlich nicht erlaubten Betriebsversammlung bedarf es nicht. Eine vorherige, von Anfang an ins Leere gehende Einladung zu einer nicht durchführbaren Betriebsvereinbarung ist den die Wahl eines Wahlvorstandes betreibenden Arbeitnehmern nicht zumutbar. Es erscheint widersinnig, von den Antragsgegnern eine Einladung zur Betriebsversammlung zu verlangen, wenn sie gleichzeitig darauf hinweisen müssten, dass die Betriebsversammlung unter den Bedingungen der Pandemie nicht stattfinden könne.
Ist durch infektionsschutzrechtliche Regelungen die Durchführung einer Betriebsversammlung unmöglich oder unzumutbar, ist das Abhalten einer vorherigen Wahlversammlung entbehrlich und der Weg zu den Arbeitsgerichten eröffnet. Es entspricht nach Auffassung des Beschwerdegerichts erkennbar nicht dem gesetzgeberischen Willen, wenn man annehme, in einem solchen Fall könne die Wahl eines Betriebsrates nicht eingeleitet werden (so auch Arbeitsgericht Lingen, Beschluss vom 19.03.2021 – 1 BV 1/21 – in juris recherchiert).
aa. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts liegt insoweit eine Gesetzeslücke vor, das heißt, eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes. Ob eine solche vorliegt, ist vom Standpunkt des Gesetzes selbst, der ihm zugrundeliegenden Regelungsabsicht, der mit ihm verfolgten Zwecke, also des gesetzgeberischen „Plans“ im Wege der historischen und theologischen Auslegung zu beurteilen (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, Seite 373 mit weiteren Hinweisen). Der Gesetzgeber hat offensichtlich die Fallkonstellation, dass eine Betriebsversammlung aufgrund einer Pandemie nicht stattfinden kann, nicht gesehen.
Der gesetzgeberische „Plan“, das heißt die Intention des Gesetzgebers ist es, dass möglichst in jedem betriebsratslosen Betrieb ein Betriebsrat errichtet werden soll. Die Wahl eines Wahlvorstandes durch die Beschäftigte kommt dabei nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht annähernd die gleiche Bedeutung zu wie der Wahl des Betriebsrates. Dies zeigt sich schon daran, dass nach den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes die Wahl des Wahlvorstandes durch die Belegschaft eher die Ausnahme als die Regel darstellt. Die Wahl des Wahlvorstandes durch die Belegschaft oder zumindest einen Teil der Belegschaft, nämlich durch die Beschäftigten, die der Einladung zu einer Wahlversammlung nach § 17 Abs. 3 BetrVG gefolgt sind, ist nach § 17 Abs. 2 BetrVG nur dann vorgesehen, wenn kein betriebsverfassungsrechtliches Gremium existiert, das den Wahlvorstand bestellen könnte. Auch beschränkt sich die Funktion eines Wahlvorstandes allein auf die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl des Betriebsrates als dem nach dem Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen betrieblichen Repräsentationsorgan der Belegschaft. Die Aufgabe des Wahlvorstandes besteht darin, sicherzustellen, dass die Wahl des Betriebsrates entsprechend der Wahlordnung durchgeführt wird und ist damit eher formaler Natur. Sein Entscheidungsspielraum ist aufgrund der eng begrenzten Kompetenzen eines Wahlvorstandes zur Durchführung einer Betriebsratswahl nach §§ 18, 18a BetrVG und der durch das Betriebsverfassungsgesetz und die Wahlordnung genau umrissenen Pflichten eher gering (so auch LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.11.2021 – 13 TaBVGa 10332/21, in juris recherchiert).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 129 BetrVG. Diese Vorschrift galt seit 01.03.2020 zunächst befristet bis 30.12.2020 und wurde bis 30.06.2021 verlängert. Seit dem 12.12.2021 gilt der neue § 129 BetrVG aktuell wieder bis 19.03.2022. Betriebsversammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 BetrVG konnten in dieser Zeit mittels audiovisueller Technik durchgeführt werden. Dies galt somit nicht für die Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 4 BetrVG. Hieraus ist – insoweit schließt sich das Beschwerdegericht der Ansicht des Arbeitsgerichtes vollinhaltlich an – jedoch nicht zu folgern, dass hiermit der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen wollte, dass es bei Präsenzwahlen zu bleiben habe und die Entstehung neuer Betriebsräte in Pandemiezeiten zurückzustehen habe. Nach der grundlegenden Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes, möglichst in jedem betriebsratsfähigen Betrieb einen Betriebsrat zu errichten (BAG Beschluss vom 27.11.2011 – 7 ABR 61/10 – in juris recherchiert), erscheint es vielmehr naheliegend, dass der Gesetzgeber aufgrund der bestehenden Regelung in § 17 Abs. 4 BetrVG kein Bedürfnis für eine Regelung sah, die die Einleitung von Betriebsratswahlen während der Pandemie ermöglicht. Der Gesetzgeber bestätigt lediglich den Präsenzgrundsatz des § 17 Abs. 3 BetrVG, ohne eine Aussage zu den in § 17 Abs. 4 BetrVG bereits angelegten Ausnahmefällen zu treffen. Insoweit ist der Gesetzgeber nach Ansicht des Beschwerdegerichts vielmehr davon ausgegangen, dass es einer ausdrücklichen Regelung nicht bedurfte, da aufgrund pandemiebedingter Hindernisse ausnahmsweise auf das Erfordernis einer Einladung zu einer Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes verzichtet werden könne, wenn eine solche Betriebsversammlung aus rechtlichen Gründen nicht stattfinden dürfe.
bb. Einer erneuten Einladung zu einer Betriebsversammlung zur Bestellung eines Wahlvorstandes standen in Anbetracht der Größe der Belegschaft von über 369 Arbeitnehmern auch noch zur Zeit der Antragstellung im Januar 2021 Hindernisse entgegen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts und dies ist der Zeitpunkt, auf den abzustellen ist, sind Betriebsversammlungen jedoch nicht mehr verboten. Sie können unter Einhaltung der 3-G-Regel, Maskenpflicht und Einhaltung von Hygienekonzepten vielmehr wieder stattfinden (15. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, § 8 Abs. 2, seit 24.11.2021). Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts im März 2022 wurden auch seitens der Bayerischen Staatsregierung weitere Lockerungen der Coronabeschränkungen in Aussicht gestellt, das heißt von einem weiteren Verbot von Betriebsversammlungen in der nächsten Zukunft war nicht auszugehen. Einer Einladung zu einer Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 4 BetrVG stehen somit zum jetzigen entscheidenden Zeitpunkt keine Hindernisse mehr entgegen.
3. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen vor. Sie rechtfertigt sich im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung, § 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.


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