Arbeitsrecht

Gleichbehandlungsgrundsatz

Aktenzeichen  15 Ca 4827/17

Datum:
11.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 43037
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 2008/104/EG Art. 5 Abs. 3
AÜG § 3a, § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 9 Abs. 2, § 10 Abs. 4 S. 1
BGB § 307 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 1
ArbGG § 46 Abs. 2, § 61 Abs. 1, § 64 Abs. 2 lit. b
ZPO §§ 3 ff., § 91 Abs. 1 S. 1, § 495

 

Leitsatz

1 § 8 Abs. 2 S. 1 bis 3 AÜG bzw. §§ 10 Abs. 4 S. 2, 9 Ziff. 2 AÜG genügt der Vorgabe von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG, wonach Abweichungen nur „unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ erfolgen dürfen (Bestätigung LAG Nürnberg BeckRS 2015; ArbG Gießen BeckRS 2018, 1875). (Rn. 18) (red. LS Thomas Ritter)
2 Die Richtlinie 2008/104/EG lässt ein Abweichen vom Gleichbehandlungsgrundsatz durch Tarifverträge zu, macht jedoch keine Vorgaben bezüglich der Voraussetzungen für die Geltung der tarifvertraglichen Regelungen. Die Möglichkeit, Tarifverträge durch Bezugnahmeklauseln ins Arbeitsverhältnis zu übernehmen, ist in Deutschland anerkannt. Gleichzeitig geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Tarifpartner selbst auf ein angemessenes Schutzniveau der Arbeitsvertragsparteien, die in den Geltungsbereich ihrer Regelungen fallen, achten. Dieses Schutzniveau ist jedoch unabhängig davon, ob die Tarifverträge unmittelbar, kraft Fortgeltung, Nachwirkung, Allgemeinverbindlichkeitserklärung oder eben vertraglicher Bezugnahme anwendbar sind. Auch im Fall der Bezugnahme wird der Schutz durch die Ausgewogenheit der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerrechte und -pflichten, wie sie die Tarifparteien aushandeln, erreicht (Bestätigung LAG Nürnberg BeckRS 2015, 66725). (Rn. 20) (red. LS Thomas Ritter)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Der Streitwert wird auf 29.067,12 Euro festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung der Differenzvergütung zwischen seinem Arbeitsentgelt und dem vergleichbarer Beschäftigter in den Entleiherbetrieben. Ein solcher Anspruch folgt nicht aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG bzw. aus § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG a.F. (für den Zeitraum vor dem 01.04.2017). Der Gleichstellungsgrundsatz findet keine Anwendung, weil eine zulässige Abweichung durch Tarifvertrag nach § 8 Abs. 2 Satz 1 bis 3 AÜG bzw. nach §§ 10 Abs. 4 Satz 2, 9 Ziff. 2 AÜG a.F. vorliegt.
1. Durch die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die zwischen dem BAP und der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit abgeschlossenen Tarifverträge im Arbeitsvertrag vom 09.10.2014 besteht eine solche Abweichung. Zwischen den Parteien besteht kein Streit, dass es sich um einen einschlägigen Tarifvertrag handelt, der bei beiderseitiger Tarifgebundenheit auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung finden würde, ebenso wenig, dass die in der Mindestlohnverordnung für die Arbeitnehmerüberlassung auf der Grundlage von § 3a AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte eingehalten sind (zu letzterem und ebenfalls zu den Tarifverträgen BAP/DGB-Tarifgemeinschaft ausführlich ArbG Gießen v. 14.02.2018 – 7 Ca 246/17 – juris).
2. Die Bezugnahmeklausel ist nicht nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Die Inhaltskontrolle ist nur für von Rechtsvorschriften – auch von Tarifverträgen – abweichende Regelungen eröffnet (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB), was jedenfalls im Falle der vorliegenden Globalverweisung auf einen gesamten Tarifvertrag der AGB-Kontrolle entgegensteht (vgl. BAG v. 23.09.2004 – 6 AZR 442/03 – NZA 2005, 475 m.w.N.).
3. Bedenken hinsichtlich der Europarechtskonformität dieser Bestimmungen des AÜG bestehen nicht.
a) Insbesondere genügt § 8 Abs. 2 Satz 1 bis 3 AÜG bzw. §§ 10 Abs. 4 Satz 2, 9 Ziff. 2 AÜG der Vorgabe von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG, wonach Abweichungen nur „unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ erfolgen dürfen (LAG Nürnberg v. 20.05.2014 – 6 Sa 76/14 – BeckRS 2015; ArbG Gießen v. 14.02.2018, a.a.O.; a.A. Wank, BB 2018, 1909, 1915 m.w.N. zum Streitstand).
Im Gesamtkontext der Richtlinie, nämlich der Regelung in Art. 5 Abs. 4 und der Erwägungsgründe, ist davon auszugehen, dass an den „Gesamtschutz“ keine hohen Anforderungen gestellt werden sollen und bei Abweichungen ein weiter Spielraum eingeräumt wird. So deutet die in Art. 5 Abs. 4 Satz 2 explizit als genügend für ein angemessenes Schutzniveau nach Art. 5 Abs. 4 Satz 1 genannte Wartezeit für Gleichbehandlung – obwohl hier nicht unmittelbar einschlägig – auf ein Verständnis des Richtliniengebers hin, wonach ein ausreichender Gesamtschutz erst nach einer gewissen Zeit eingehalten werden muss (ArbG Gießen v. 14.02.2018, a.a.O.). Diesen weiten Anforderungen an einen Gesamtschutz ist dadurch genügt, dass § 8 Abs. 2 Satz 1 AÜG eine Lohnuntergrenze festlegt sowie dass § 8 Abs. 4 AÜG zusätzliche zeitliche Hürden für die Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz aufstellt (ArbG Gießen v. 14.02.2018, a.a.O.; s. auch ArbG Weiden v. 20.12.2013 – 3 Ca 1033/13 – BeckRS 2015, 66726).
b) Zweifel an der Europarechtskonformität ergeben sich auch nicht daraus, dass § 8 Abs. 2 Satz 3 AÜG die Abweichung kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme ermöglicht. Die Richtlinie lässt ein Abweichen vom Gleichbehandlungsgrundsatz durch Tarifverträge zu, macht jedoch keine Vorgaben bezüglich der Voraussetzungen für die Geltung der tarifvertraglichen Regelungen. Die Möglichkeit, Tarifverträge durch Bezugnahmeklauseln ins Arbeitsverhältnis zu übernehmen, ist in Deutschland anerkannt. Gleichzeitig geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Tarifpartner selbst auf ein angemessenes Schutzniveau der Arbeitsvertragsparteien, die in den Geltungsbereich ihrer Regelungen fallen, achten. Dieses Schutzniveau ist jedoch unabhängig davon, ob die Tarifverträge unmittelbar, kraft Fortgeltung, Nachwirkung, Allgemeinverbindlichkeitserklärung oder eben vertraglicher Bezugnahme anwendbar sind. Auch im Fall der Bezugnahme wird der Schutz durch die Ausgewogenheit der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerrechte und -pflichten, wie sie die Tarifparteien aushandeln, erreicht (LAG Nürnberg v. 20.05.2014, a.a.O., mit Verweis auf BAG v. 13.03.2013 – 5 AZR 242/12 – juris).
4. Auf die Anwendbarkeit der einzel- und tarifvertraglichen Ausschlussfristen kommt es damit nicht mehr an.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 495, 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
III.
Der Streitwert wurde gemäß §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ff. ZPO in Höhe des Klagebetrags festgesetzt.
IV.
Die Möglichkeit der Berufung ergibt sich aus § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG; eine gesonderte Zulassung der Berufung war darüber hinaus nicht veranlasst.


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