Arbeitsrecht

Haftungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge

Aktenzeichen  5 K 1199/17.NW

Datum:
27.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StEd – 2019, 402
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
BRAO § 12 Abs. 2, § 14 Abs. 2 Nr. 9, § 51 Abs. 4, § 59j
FGO § 100 Abs. 1 S. 1
EStG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 41a Abs. 1, § 42d

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Haftungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge für die Zeit von Januar 2011 bis Juni 2015 vom 23.04.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.08.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Der Beklagte hat den Kläger zu Recht gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 42d EStG für die auf die von ihm im Streitzeitraum für die angestellten Rechtsanwälte C, D und E gezahlten Beträge zur Berufshaftpflichtversicherung entfallende Lohnsteuer als Haftenden in Anspruch genommen.
1. Der Haftungsbescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere war der Beklagte als Betriebsstättenfinanzamt für den Lohnsteuerabzug und damit auch für den Erlass des angefochtenen Haftungsbescheids zuständig, § 41a Abs. 1 EStG.
Der Haftungsbescheid ist auch materiell rechtmäßig, da die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Klägers vorlagen und der Beklagte das ihm zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Der Kläger hatte seiner Inanspruchnahme zugestimmt.
Gemäß § 191 Abs. 1 AO kann, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Der Kläger haftet als Arbeitgeber nach § 42d EStG für die Lohnsteuerschuld der im Streitzeitraum bei ihm angestellten Rechtsanwälte C, D und E.
In Höhe der festgesetzten Haftungsschuld besteht eine Steuerschuld von Herrn C, Frau D und Frau E, für die der Kläger haftet.
2. Die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung für die angestellten Rechtsanwälte im Streitzeitraum stellt steuerpflichtigen Arbeitslohn dar.
a) Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit. Dem Tatbestandsmerkmal „für“ ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn angesehen zu werden.
Dagegen sind solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen (vgl. BFH, Urteil vom 26.07.2007 VI R 64/06, a.a.O.). Vorteile besitzen danach keinen Arbeitslohncharakter, wenn sie im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gewährt werden (vgl. BFH, Urteile vom 19.11.2015 VI R 47/14, und vom 10.03.2016 VI R 58/14, a.a.O.).
Das ist der Fall, wenn sich aus den Begleitumständen wie Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seiner besonderen Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck ergibt, dass diese Zielsetzung ganz im Vordergrund steht und ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden kann (vgl. BFH, Urteile vom 14.11.2013 VI R 36/12, BStBl. II 2014, 278 und vom 10.03.2016 VI R 58/14, a.a.O.).
Ist aber – neben dem eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers – ein nicht unerhebliches Interesse des Arbeitnehmers gegeben, so liegt die Vorteilsgewährung nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers und führt zur Lohnzuwendung (vgl. BFH, Urteile vom 11.04.2006 VI R 60/02, BStBl. II 2006, 691, vom 26.07.2007 VI R 64/06, a.a.O., vom 17.01.2008 VI R 26/06, BStBl. II 2008, 378, vom 12.02.2009 VI R 32/08, BStBl. II 2009, 462 und vom 10.03.2016 VI R 58/14, a.a.O.).
b) Im Hinblick auf diese Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, und unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Streitfalls führt die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung für die drei angestellten Rechtsanwälte durch den Kläger im Streitzeitraum zu steuerpflichtigem Arbeitslohn.
Nach § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 BRAO ist jeder Rechtsanwalt verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung zur Deckung der sich aus seiner Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden mit einer Mindestdeckungssumme von 250.000 € abzuschließen und diese während der Dauer seiner Zulassung aufrechtzuerhalten. Ein Verstoß gegen diese Pflicht wird mit der Nichtzulassung zum Beruf (§ 12 Abs. 2 Nr. 2 BRAO) oder der Entfernung aus diesem sanktioniert (§ 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO). Der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung ist damit unabdingbar für die Ausübung des Berufs eines (angestellten) Rechtsanwalts. Kommt er oder sie dieser gesetzlichen Verpflichtung nach, handelt er oder sie in typischer Weise im eigenen Interesse (vgl. BFH, Urteil vom 26.07.2007 VI R 64/06, a.a.O.).
Zwar besteht auch ein Interesse des Arbeitgebers daran, dass die Berufshaftpflichtversicherung des Arbeitnehmers für Vermögensschäden einsteht, die dieser bei Ausübung seiner anwaltlichen Tätigkeit verursacht. In erster Linie schützt sie jedoch den Versicherten selbst. Sein Eigeninteresse an der Versicherung überwiegt daher das des Arbeitgebers.
Soweit der Arbeitgeber eines angestellten Rechtsanwalts im Hinblick auf die Haftungsrisiken aller weiteren Sozien bzw. weiterer angestellter Rechtsanwälte ein Interesse an einer die Mindestdeckungssumme übersteigenden Versicherungssumme hat, hat dies nicht zur Folge, dass das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers am Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung als unerheblich zu qualifizieren wäre (vgl. BFH-Urteil vom 26.07.2007 VI R 64/06, a.a.O.).
Das gilt auch dann, wenn zur Abdeckung des Haftungsrisikos des angestellten Anwalts allein aus „seinen Streitwerten“ eine niedrigere als die vereinbarte Versicherungssumme ausreichend erschiene. Aufgrund der „Briefkopfhaftung“ hat jeder „Briefkopfanwalt“ ein eigenes Interesse an einer am Haftungsrisiko der Kanzlei ausgerichteten, ausreichend hohen Versicherungssumme. Wegen dieses erweiterten Haftungsrisikos liegt eine höhere Versicherungssumme somit im Interesse jedes einzelnen Sozius bzw. Mitarbeiters (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 04.05.2006 VI 200/2005, Juris, nachfolgend BFH-Urteil vom 26.07.2007 VI R 64/06, a.a.O., FG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.12.2008 13 K 2508/08, Juris, nachfolgend BFH-Beschluss vom 06.05.2009 VI B 4/09, BFH/NV 2009, 1431, ebenso BFH-Beschluss vom 28.03.2011 VI B 31/11, BFH/NV 2011, 1322).
Dies gilt nicht nur im Falle von Scheinsozien, sondern auch wenn im Briefkopf, Internet etc. stets auf das Angestelltenverhältnis hingewiesen wird (vgl. BFH-Beschluss vom 28.03.2011 VI B 31/11, a.a.O.). Eine Außenhaftung des angestellten Rechtsanwalts mag damit zwar weniger wahrscheinlich sein, ist aber nicht ausgeschlossen. Damit besteht kein das Interesse des Arbeitnehmers überwiegendes Interesse des Arbeitgebers.
c) Schließlich ist im Streitfall darauf hinzuweisen, dass nach dem Sachvortrag des Klägers für eine Anstellung der Rechtsanwälte in dessen Kanzlei der Abschluss einer Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung mit der Mindestdeckungssumme nicht ausreichend war, sondern nur unter der Bedingung einer Höherversicherung erfolgte. Auch hieraus ergibt sich das Eigeninteresse der Arbeitnehmer.
3. Schließlich folgt eine andere Beurteilung der Rechtslage auch nicht aus der jüngeren BFH-Rechtsprechung.
a) Dem Urteil des BFH vom 19.11.2015 (VI R 47/14, a.a.O.) lag der Sachverhalt zugrunde, dass ein Krankhaus angestellte Klinikärzte in der eigenen Betriebshaftpflichtversicherung mitversicherte. Beiträge für private, auf angestellte Ärzte persönlich lautende Berufshaftpflichtversicherungen hatte die Arbeitgeberin nicht übernommen. Bei seiner Entscheidung stellte der BFH darauf ab, dass der von der Arbeitgeberin erworbene Versicherungsschutz zur Deckung des mit dem Betrieb des Krankenhauses erwachsenden Haftungsrisikos und damit ihrem eigenen Versicherungsschutz gedient habe. Damit habe sie den Arbeitnehmern in lohnsteuerrechtlicher Hinsicht nichts zugewandt; deren Einbeziehung folgte allein aus der gesetzlichen Regelung in § 102 Abs. 1 VVG. Soweit die angestellten Ärzte keinen eigenen Haftpflichtversicherungsschutz mehr erwerben mussten, habe es sich um bloße Reflexwirkungen der originär eigenbetrieblichen Betätigung der Arbeitgeberin gehandelt.
b) Im Urteilsfall, welcher der BFH-Entscheidung vom 19.11.2015 (VI R 74/14, a.a.O.) zugrunde lag, war eine Rechtsanwaltsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH alleinige Versicherungsnehmerin der streitgegenständlichen Berufshaftpflichtversicherung. Jeder angestellte Anwalt der GmbH unterhielt zudem die nach § 51 BRAO für die Zulassung als Rechtsanwalt notwendige persönliche Berufshaftpflichtversicherung mit den Mindestversicherungssummen des § 51 Abs. 4 BRAO. Die GmbH hatte die Versicherungsbeiträge für diese persönlichen Berufshaftpflichtversicherungen übernommen und vollständig der Lohnsteuer unterworfen. Die Beiträge für ihre eigene Haftpflichtversicherung hatte die Klägerin nicht lohnversteuert. Dieses Vorgehen hielt der BFH für zutreffend, denn die Versicherung der Rechtsanwalts GmbH habe insbesondere nicht der Verpflichtung zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung der bei ihr tätigen Rechtsanwälte gemäß § 51 Abs. 1 BRAO gedient, sondern habe eine Haftpflichtversicherung nach §§ 59j, 51 Abs. 1 BRAO dargestellt.
c) In gleicher Weise sah der BFH in den Beiträgen zu einer von einer GbR in ihrem Namen und für ihre Rechnung abgeschlossenen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung, die neben den nach § 51 BRAO vorgeschriebenen Vermögenschaden-Haftpflichtversicherungen der dort angestellten Rechtsanwälte, die keine Gesellschafter waren, bestand, keinen Arbeitslohn der Angestellten (vgl. BFH, Urteil vom 10.03.2016 VI R 58/14, a.a.O.).
d) Der Streitfall unterscheidet sich von den diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalten dadurch, dass der Kläger durch die Zahlung der streitgegenständlichen Versicherungsbeiträge nicht seine eigene Berufstätigkeit versichert hatte, sondern Aufwendungen tätigte, welche ausschließlich die gesetzlich vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung von Herrn C, Frau D und Frau E betrafen, die jeweils die versicherten Personen waren. Den BFH-Entscheidungen vom 09.11.2015 (VI R 74/14, a.a.O.) und vom 10.03.2016 (VI R 58/14, a.a.O.) lagen dagegen Konstellationen zugrunde, in denen sowohl die Gesellschaft (GmbH bzw. GbR) als auch die angestellten Rechtsanwälte jeweils gesonderte Haftpflichtversicherungen zur Erlangung eigenen Versicherungsschutzes zur Deckung der sich aus ihrer Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden abgeschlossen hatten. Der BFH sah darin, dass die Gesellschaft jeweils die Beiträge zu ihrer eigenen Haftpflichtversicherung trug, keinen lohnsteuerlichen Vorteil der Anwälte.
Hieraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass der BFH auch den vorliegenden Fall, in dem der Arbeitgeber die Beiträge zu der nach § 51 BRAO gesetzlich vorgeschriebenen Berufshaftpflichtversicherung der bei ihm angestellten Rechtsanwälte trägt, in gleicher Weise entscheiden würde. Im Gegenteil hat der BFH in den am 19.11.2015 ergangenen Entscheidungen sowie dem Urteil vom 10.03.2016 jeweils ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in der Übernahme der Beiträge zu der eigenen Berufshaftpflichtversicherung eines angestellten Rechtsanwalts, zu deren Abschluss dieser nach § 51 BRAO verpflichtet ist, die Zuwendung lohnsteuerrechtlich erheblicher Vorteile des Arbeitgebers liege, die zu Arbeitslohn führe (vgl. BFH, Urteile vom 19.11.2015 VI R 47/14, a.a.O. Rz. 16, vom 19.11.2015 VI R 74/14, a.a.O. Rz. 16 und vom 10.03.2016 VI R 58/14, a.a.O. Rz. 19, ebenso FG Münster, Urteil vom 01.02.2018 1 K 2943/16 L, Juris).
4. Der Beklagte hat die vom Kläger für die angestellten Rechtsanwälte im Streitzeitraum übernommenen Beiträge zu der Berufshaftpflichtversicherung der Buchführung des Klägers entnommen. Die Beiträge wurden in der Höhe zutreffend zugrunde gelegt. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die darauf entfallende Lohnsteuer ist zutreffend berechnet.
5. Die Klage ist daher abzuweisen.
II.
Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt. Das Urteil stellt eine Einzelfallentscheidung auf der Basis der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung dar. Auch eine Divergenz zu dem Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 08.11.2017 (3 K 337/17, EFG 2018, 954, Rev. zugel. und anhängig unter VI R 12/18) liegt nicht vor, da dieses die Zahlung von Beiträgen zu einer im eigenen Namen und auf eigene Rechnung abgeschlossenen Berufshaftpflichtversicherung (Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung) einer Rechtsanwalts-GbR für deren eigene „Tätigkeit als Rechtsanwalt“ betraf und damit einen anderen Sachverhalt.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.


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