Arbeitsrecht

IV ZR 88/20

Aktenzeichen  IV ZR 88/20

Datum:
21.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:210421BIVZR88.20.0
Normen:
Art 103 Abs 1 GG
Spruchkörper:
4. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend OLG Nürnberg, 17. März 2020, Az: 8 U 1929/19vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 31. Mai 2019, Az: 11 O 3211/17

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg – 8. Zivilsenat – vom 17. März 2020 zugelassen.
Der vorbezeichnete Beschluss wird gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 99.800,88 €

Gründe

1
I. Der Kläger verlangt Leistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, die einen Anspruch auf Versicherungsleistungen bei einer Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % vorsieht.
2
Der Kläger behauptet, er habe als selbständiger Zahntechnikermeister gearbeitet. Seine Haupttätigkeit habe in der handwerklichen Herstellung von Zahnersatz bestanden. Die verbleibende Arbeitszeit habe sich insbesondere auf Bürotätigkeiten und Besprechungen verteilt. Seit 2006 habe er seine Arbeitszeit wegen orthopädischer Probleme erheblich reduziert; spätestens seit Oktober 2015 sei er bedingungsgemäß berufsunfähig.
3
II. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und dies damit begründet, die Angriffe der Berufung gegen die Feststellung des Landgerichts, der Kläger sei im Hinblick auf das Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit im Umfang von mindestens 50 % beweisfällig geblieben, hätten keinen Erfolg. Das Landgericht hat dazu ausgeführt, dass der Kläger vor seinem Bandscheibenvorfall 50 bis 60 Stunden pro Woche, verteilt meist auf sechs Arbeitstage, gearbeitet habe. Er habe etwa eine Stunde pro Tag im Büro gearbeitet und durchschnittlich einen Zahnarzttermin pro Tag, der mindestens 30 Minuten gedauert habe, wahrgenommen; den Rest der Zeit habe er selbst als Zahntechniker gearbeitet. Auf orthopädischem Gebiet liege eine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit von 37,5 % (gerundet 40 %) vor. Von der Arbeitszeit für den rein handwerklichen Part seien 50 % nicht mehr möglich. Hinsichtlich der Bürotätigkeit und der Zahnarztbesuche bestünden keine Einschränkungen. Eine mindestens 50 %-ige Berufsunfähigkeit ergebe sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass sich bei einer Reduzierung der handwerklichen Zahntechnikertätigkeit auf 50 % die weiteren Einzeltätigkeiten ebenfalls auf maximal 50 % reduzierten. Insoweit habe der Kläger schon die Darlegungslast nicht erfüllt. Er habe nur vorgetragen, dass sich, wenn seine prägende Tätigkeit als Zahntechnikermeister zu 50 % eingeschränkt sei, für die nicht prägenden Tätigkeiten wie Besprechungen beim Zahnarzt, Rechnungsstellungen usw. in verhältnismäßig gleicher Weise Einschränkungen ergeben würden; es müssten dann entsprechend auch 50 % weniger Rechnungen gestellt werden und es fielen entsprechend weniger Besprechungen beim Zahnarzt an. Damit liege kein ausreichender Vortrag vor, insbesondere sei diesem nicht zu entnehmen, worin die Bürotätigkeit im Einzelnen bestanden habe und inwieweit und warum sich diese auf maximal 50 % reduzieren solle.
4
III. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde des Klägers hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Zulassung der Revision unter gleichzeitiger Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Beschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht eine Verringerung der nicht-handwerklichen Tätigkeiten des Klägers um 50 % infolge der gesundheitlichen Einschränkung seiner handwerklichen Arbeit für nicht ausreichend dargelegt erachtet hat. Diese Auffassung beruht auf einem entscheidungserheblichen Verstoß des Berufungsgerichts gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.
5
Insoweit hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegungslast des Klägers überspannt. Eine Partei genügt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ihren Substantiierungspflichten, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als bestehend erscheinen zu lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden (Senatsbeschluss vom 19. November 2014 – IV ZR 317/13, juris Rn. 8; Senatsurteil vom 18. April 2012 – IV ZR 147/10, VersR 2012, 1110 Rn. 17; jeweils m.w.N.).
6
So ist es hier. Das Berufungsgericht hat die Feststellung des Landgerichts bestätigt, dass zum bisherigen Beruf des Klägers als selbständiger Zahntechnikermeister neben der handwerklichen Tätigkeit auch im Durchschnitt eine Stunde Bürotätigkeit und eine halbe Stunde Besuche bei Zahnärzten pro Tag gehörten. Gesundheitlich ist der Kläger nach Ansicht des Berufungsgerichts allein in der Ausübung seiner handwerklichen Tätigkeit, der Herstellung von Zahnersatz, um 50 % eingeschränkt. Wenn der Kläger dazu in den Schriftsätzen vom 30. August 2018, Seite 2 bis 3, und vom 12. Oktober 2018, Seite 2, vorträgt, dass der Umfang der erforderlichen Bürotätigkeit, z.B. Kostenvoranschläge, Rechnungsstellung und Buchhaltung, wie auch der Besuche beim Zahnarzt, wo die Form des zu erstellenden Zahnersatzes besprochen werde, von der handwerklichen Produktion des Klägers abhänge und eine Reduzierung der Zahnersatzherstellung um die Hälfte auch diese vor- und nachbereitenden Tätigkeiten im selben Ausmaß beschränke, ist das eine Tatsachenbehauptung, die geeignet wäre, die Rechtsfolge einer insgesamt 50 %-igen Berufsunfähigkeit des Klägers und damit einen Anspruch auf Versicherungsleistungen zu begründen.
7
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht – in Bestätigung des landgerichtlichen Urteils – daher weiteren Vortrag dazu vermisst, worin die Bürotätigkeit zuletzt in gesunden Tagen im Einzelnen bestanden habe und inwieweit und warum sich diese auf maximal 50 % reduzieren solle. Wie sich die Büro- und Besprechungstätigkeit des Klägers gestaltete, muss im Übrigen auch das Landgericht – nach Anhörung des Klägers – für ausreichend geklärt gehalten haben, da es zur gesundheitlichen Fähigkeit des Klägers, die verschiedenen Tätigkeiten weiter auszuüben, aus denen sich sein Beruf zusammensetzt, Sachverständigenbeweis erhoben hat.
Felsch     
        
Prof. Dr. Karczewski     
        
Dr. Brockmöller
        
Dr. Bußmann     
        
Dr. Bommel     
        


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