Arbeitsrecht

Kein “außergewöhnlicher Umstand” im Falle eines Pilotenstreiks

Aktenzeichen  14 C 4549/19

Datum:
21.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4738
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Erding
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 128 Abs. 2
VO (EG) Nr. 261/2004 Art. 5 Abs. 3, Art. 7 Abs. 1 S. 1 lit. c

 

Leitsatz

1. Auch ein Streik kann Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens sein. Folglich ist auch ein Streik eigener Mitarbeiter, zu dem von einer Gewerkschaft aufgerufen wird, nicht generell als außergewöhnlicher Umstand anzusehen. Vielmehr ist auch dann in dem jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob der Streik Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens oder von ihm tatsächlich beherrschbar ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Begriff des außergewöhnlichen Umstands eng auszulegen ist und es nicht ungewöhnlich und schon gar nicht außergewöhnlich ist, dass sich Luftfahrtunternehmen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten mit ihren Mitarbeitern oder einem Teil von ihnen gegenübersehen können. Auch ist es nicht außergewöhnlich, dass Meinungsverschiedenheiten innerhalb von Tarifverhandlungen in Streiks zur Durchsetzung von besseren Arbeitsbedingungen bzw. Lohnerhöhungen münden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils 600,00 € jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.09.2019 zu zahlen. 3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.200,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage erwies sich als vollumfänglich begründet.
1. Den Klägern steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von jeweils 600,00 € aus Art. 5 Abs. 1 lit. c) i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c) der FluggastrechteVO zu.
Der für den 26.04.2019 gebuchte Flug von Oslo nach München, welcher von der Beklagten durchgeführt werden sollte, wurde von dieser annulliert.
Die Beklagte vermochte sich nicht erfolgreich nach Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO zu exkulpieren. Selbst bei umfassender Wahrunterstellung ihres Vortrages liegt ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO nicht vor.
Als außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der FluggastrechteVO können Vorkommnisse angesehen werden, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind.
Der von der Beklagten vorgebrachte gewerkschaftlich organisierte Streik der bei der Beklagten angestellten Piloten vom 26.04.2019 bis zum 02.05.2019 stellt nach Auffassung des Gerichts keinen außergewöhnlichen Umstand in diesem Sinne dar.
Ausweislich des Urteils des EuGH vom 17.04.2018, Az. C-195/17, kommt es für die Beurteilung, ob ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt oder nicht, nicht darauf an, ob der Streik nach dem einschlägigen nationalen Recht rechtmäßig ist oder nicht, da dies andernfalls zur Folge hätte, dass der Anspruch von Fluggästen auf Ausgleichszahlung von den arbeits- und tarifrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats abhinge, was den in den Erwägungsgründen 1 und 4 der FluggastrechteVO genannten Zielen zuwiderlaufen würde, ein hohes Schutzniveau für die Fluggäste sowie harmonisierte Bedingungen für die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in der Union sicherzustellen.
Auch ein Streik kann Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens sein. Folglich ist auch ein Streik eigener Mitarbeiter, zu dem von einer Gewerkschaft aufgerufen wird, nicht generell als außergewöhnlicher Umstand anzusehen. Vielmehr ist auch dann in dem jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob der Streik Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens oder von ihm tatsächlich beherrschbar ist.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Begriff des außergewöhnlichen Umstands eng auszulegen ist und es nicht ungewöhnlich und schon gar nicht außergewöhnlich ist, dass sich Luftfahrtunternehmen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten mit ihren Mitarbeitern oder einem Teil von ihnen gegenübersehen können. Auch ist es nicht außergewöhnlich, dass Meinungsverschiedenheiten innerhalb von Tarifverhandlungen in Streiks zur Durchsetzung von besseren Arbeitsbedingungen bzw. Lohnerhöhungen münden.
Vorliegend war es nicht außergewöhnlich, dass es nach vorzeitiger Beendigung des Tarifvertrages durch die Pilotengewerkschaft im Jahr 2018 irgendwann zu einem Streik kommen würde. Auch waren die Forderungen der Gewerkschaft nach Ansicht des Gerichts nicht außergewöhnlich bzw. auf eine außergewöhnliche Weise unangemessen hoch, was sich auch dadurch zeigt, dass der neue Tarifvertrag immerhin nach eigenem Vortrag der Beklagten eine Lohnerhöhung von 10,9% bis zum Jahr 2021 vorsieht. Diese Lohnerhöhung liegt zwar um 2,1% unter der ursprünglichen Gehaltsforderung der Piloten, allerdings auch 4,4% über der von dem vorigen Tarifvertrag vorgesehen Erhöhung. Auch vor diesem Hintergrund lagen die Forderungen der Gewerkschaft nach Auffassung des Gerichts noch im Rahmen des Üblichen. Der zur Durchsetzung dieser Forderungen durchgeführte Streik kann daher auch nicht als außergewöhnlich eingestuft werden.
2.
3. Die Entscheidung betreffend die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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