Aktenzeichen M 21 K 15.3808
BBG BBG § 78, § 126 Abs. 2
BGB BGB § 839 Abs. 3
GG GG Art. 19 Abs. 4
ZPO ZPO § 283
Leitsatz
1 Ein Schadenersatzanspruch wegen Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn scheidet unabhängig davon, ob ein geduldetes Mobbing durch Vorenthaltung einer amtsangemessenen Beschäftigung einschließlich der Vorenthaltung eines angemessenen Arbeitsplatzes vorliegt bzw. nachweisbar ist, aus, wenn der Beamte gegen die geltend gemachten Rechtsverletzungen nicht im Rahmen des ihm möglichen und zumutbaren Primärrechtsschutzes vorgegangen ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Der in § 839 Abs. 3 BGB niedergelegte grundsätzliche Vorrang des primären Rechtsschutzes beansprucht auch und gerade für Ansprüche aus dem Beamtenverhältnis einschließlich des Anspruchs auf Schadenersatz nach § 78 BBG Geltung. (redaktioneller Leitsatz)
3 Für die Zumutbarkeit von Primärrechtsschutz kommt es nicht darauf an, ob für die zur Verfügung stehenden Klagemöglichkeiten überwiegende Erfolgsaussichten bestehen. Gerichtlicher Primärrechtsschutz ist bereits dann geboten, wenn ein Erfolg nicht von vornherein ausgeschlossen ist. (redaktioneller Leitsatz)
4 Der Zumutbarkeit von gerichtlichem Primärrechtsschutz im Zusammenhang mit einer amtsangemessenen Beschäftigung steht auch nicht entgegen, dass der Dienstherr hieraus unter Umständen beamtenrechtlich zulässige und damit zumutbare Konsequenzen hätte ziehen können. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die auf die Zahlung von Schmerzensgeld gerichtete Leistungsklage ist zulässig.
Der Zulässigkeit steht insbesondere nicht das Erfordernis einer erfolglosen Durchführung eines Widerspruchsverfahrens entgegen. Nach § 126 Abs. 2 BBG ist vor allen Klagen aus dem Beamtenverhältnis ein Vorverfahren nach den Vorschriften des 8. Abschnitts der Verwaltungsgerichtsordnung durchzuführen. Liegt kein Ausnahmefall vor, müssen Beamte gegen jedes Tun oder Unterlassen des Dienstherrn sowie gegen jeden von ihm zu verantwortenden Zustand, in dem sie eine Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung aus dem Beamtenverhältnis sehen, Widerspruch einlegen. Dieses Erfordernis gilt auch bei Leistungsklagen. Eines vorherigen Antragsverfahrens bedarf es jedoch nicht (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 23/13 – juris Rn. 17 ff.). Rechtsbehelfe von Beamten sind dabei ungeachtet ihrer Bezeichnung als Widerspruch zu werten, soweit dies im Wege der Auslegung vertretbar ist. Eine Ausnahme soll nur gelten, wenn der Beamte ausdrücklich einen gesonderten Antrag stellt, anstatt Widerspruch einzulegen, und auf Nachfrage daran festhält. In diesem Fall soll der Dienstherr verpflichtet sein, diesen Antrag zu bescheiden, so dass der Beamte gegen den ablehnenden Bescheid gesondert Widerspruch erheben muss (BVerwG, B.v. 28.9.2006 – 2 B 14.06 – juris Rn. 3). Diese Grundsätze gelten auch für ein Schadensersatzbegehren (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.2013 a.a.O. – juris Rn. 23 ff.).
Entsprechend diesen Maßstäben war im Hinblick auf das Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 17. September 2012 an die Beigeladene dem Erfordernis eines auf Schadensersatz gerichteten Widerspruchs Rechnung getragen. Das Schreiben ließ ausreichend die vom Kläger geltend gemachten Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit der nicht angemessenen Beschäftigung sowie ein daraus abgeleitetes Schadensersatzbegehren erkennen.
Der Einordnung des Schreibens als Widerspruch steht nicht entgegen, dass die Forderung an die Beigeladene und nicht an die Beklagte gerichtet war. Nach § 5 des Gesetzes zur Übernahme der Beamten und Arbeitnehmer der Bundesanstalt für Flugsicherung vom 23. Juli 1992 (BGBl I S. 1370) und der ergänzenden Rahmenvereinbarung zwischen der Beklagten und der Beigeladenen unterrichtet die Beigeladene die Beklagte bei Schadensersatzforderungen über den Sachverhalt und die Beklagte trifft die entsprechende Entscheidung. Die Beigeladene ist insofern zur Entgegennahme von Leistungswidersprüchen im Hinblick auf Schadensersatzforderungen berechtigt und zur Information der Beklagten verpflichtet.
Nachdem eine Entscheidung seitens der Beklagten über das Schadensersatzbegehren nicht ergangen ist, ist die Klage, die nach Ablauf von drei Monaten nach Einlegung des Widerspruchs erhoben wurde, gemäß § 75 Sätze 1 und 2 VwGO als Untätigkeitsklage zulässig.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz wegen der geltend gemachten Mobbinghandlungen.
Ein in diesem Zusammenhang im verwaltungsgerichtlichen Verfahren allein in Betracht kommender Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gemäß § 78 BBG scheidet unabhängig davon, ob ein von der Beklagten geduldetes Mobbing durch die Beigeladene vorliegt bzw. nachweisbar ist, oder lediglich eine Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und der Beigeladenen im Rahmen eines vom Beamten hinzunehmenden Konflikts im beruflichen Umfeld vorliegt, schon deswegen aus, weil der Kläger gegen die geltend gemachten Rechtsverletzungen nicht im Rahmen des ihm möglichen und zumutbaren Primärrechtsschutzes vorgegangen ist.
„Mobbing“ ist kein gesetzlich definierter Rechtsbegriff. In der Rechtsprechung wird darunter ein systematisches und dauerhaftes Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren von Beschäftigten untereinander oder durch Vorgesetzte verstanden, das über gewöhnliche, von jedermann zu bewältigende berufliche Schwierigkeiten hinausgeht und auf eine Beeinträchtigung der Persönlichkeit, der Würde oder der physischen oder psychischen Integrität abzielt. Ob ein Mobbing oder eine allgemein übliche und hinzunehmende Bewältigung von Konflikten im beruflichen Umfeld vorliegt, ist regelmäßig im Rahmen einer Einzelfallbewertung zu entscheiden.
Die vom Kläger als Mobbing bezeichneten Konflikte betreffen die – nach Auffassung des Klägers systematische und auf seine Ausgrenzung abzielende – Vorenthaltung einer amtsangemessenen Beschäftigung (sowohl durch Unterbeschäftigung als auch durch Zuweisung unangemessener Tätigkeiten) einschließlich der Vorenthaltung eines angemessenen Arbeitsplatzes. Ein Schadensersatzanspruch im Hinblick auf diese Umstände kommt nicht in Betracht, da es der Kläger schuldhaft unterlassen hat, die ihm möglichen und zumutbaren gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten zur Beendigung der behaupteten Rechtsverletzungen zu ergreifen.
Im öffentlichen Recht und insbesondere auch im Beamtenrecht beansprucht der in § 839 Abs. 3 BGB enthaltene Rechtsgedanke Geltung, wonach eine Ersatzpflicht für rechtswidriges staatliches Handeln nicht eintritt, wenn es der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels gegen das nunmehr als rechtswidrig beanstandete staatliche Verhalten abzuwenden, wenn also für den Nichtgebrauch eines Rechtsmittels kein hinreichender Grund bestand (BVerwG, U.v. 28.5.1998 – 2 C 29/97 – juris Ls. 2 und Rn. 16). Der insoweit in § 839 Abs. 3 BGB niedergelegte grundsätzliche Vorrang des primären Rechtsschutzes beansprucht auch und gerade für Ansprüche aus dem Beamtenverhältnis einschließlich des Anspruchs auf Schadensersatz nach § 78 BBG Geltung. Der zeitnah in Anspruch zu nehmende und durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete gerichtliche Primärrechtsschutz nebst vorgeschaltetem Verwaltungsverfahren ist am ehesten zur Aufklärung und Würdigung komplexer Verwaltungsentscheidungen im Rahmen des Beamtenverhältnisses geeignet (vgl. ausführlich BVerwG, U.v. 28.5.1998 a.a.O. – juris Rn. 17).
Dem Kläger stand im Zusammenhang mit seiner amtsangemessenen Beschäftigung und den damit zusammenhängenden Fragen unstreitig verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz offen.
Ihm war auch in seiner konkreten Situation zuzumuten, den eröffneten Rechtsweg zu beschreiten. Daran ändert insbesondere die Bezeichnung der geltend gemachten Rechtsverletzungen als Mobbing nichts. Der Vorrang des Primärrechtsschutzes gilt grundsätzlich auch im Zusammenhang mit Konflikten, die als Mobbing im o.a. Sinn verstanden werden können (ausführlich OVG NW, U.v. 12.12.2013 – 1 A 71/11 – juris Rn. 71 ff.; LG München I, U.v. 18.8.2016 – 10 O 15462/15 – S. 13/14).
Der Zumutbarkeit von Primärrechtsschutz steht insbesondere nicht die Art der behaupteten Rechtsverletzungen entgegen. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und der Beigeladenen stand – ungeachtet eines damit nach Auffassung des Klägers verfolgten Zwecks – stets die Frage der amtsangemessenen Beschäftigung des Klägers. Insoweit konnte der Kläger verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen.
Im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit von Primärrechtsschutz war auch nicht die Einräumung einer von der Klägerseite geltend gemachten Schriftsatzfrist gemäß § 173 VwGO, § 283 ZPO veranlasst. Der Klägerseite war es bei gebotener Vorbereitung – ungeachtet des Umstands, dass sich die Beklagte erst in der mündlichen Verhandlung zur Sache einließ und die Frage der Zumutbarkeit von Primärrechtsschutz erst dort erörtert wurde – zumutbar, ohne weitere Erkundigungen oder Überlegungen zu diesen Gesichtspunkten Stellung zu nehmen. Der Vorrang des Primärrechtsschutzes ist ein im Beamtenrecht und insbesondere auch im Zusammenhang mit Streitigkeiten um eine amtsangemessene Beschäftigung anerkannter Grundsatz. Der anwaltlich vertretene Kläger musste damit rechnen, dass dieser Gesichtspunkt einschließlich der Frage der Zumutbarkeit von Primärrechtsschutz im vorliegenden Verfahren einen entscheidungserheblichen Gesichtspunkt darstellen würde. Hinzu kommt, dass dieser Gesichtspunkt vom Landgericht München I im zivilgerichtlichen Verfahren auf Schadensersatz gegen die Beigeladene entscheidungstragend für die Abweisung der Klage herangezogen worden war und dieses Urteil in Rechtskraft erwachsen ist.
Im Übrigen wurden im Zusammenhang mit der geltend gemachten Schriftsatzfrist von der Klägerseite auch keine entscheidungserheblichen Tatsachen oder problematische rechtliche Gesichtspunkte aufgezeigt, hinsichtlich der es einer ergänzenden Stellungnahme bedurft hätte. Der Kläger gab auf entsprechende Nachfrage folgende Punkte an, die nach seiner Auffassung für die Zumutbarkeit von gerichtlichem Rechtsschutz von Bedeutung seien:
-Gerichtlicher Primärrechtsschutz auf amtsangemessene Beschäftigung sei nicht erfolgversprechend gewesen. Dies werde durch vergleichbare Fälle von bei der Beigeladenen beschäftigten Beamten belegt.
-Im Falle einer Klage hätte der Kläger damit rechnen müssen, zu einer anderen Niederlassung versetzt zu werden.
-Dem Kläger sei gerichtlicher Rechtsschutz infolge der psychischen Belastung und der nachfolgenden Erkrankung nicht möglich gewesen.
Diese Punkte können eine Unzumutbarkeit von Primärrechtsschutz nicht begründen.
Für die Zumutbarkeit von Primärrechtsschutz kommt es nicht darauf an, ob für die zur Verfügung stehenden Klagemöglichkeiten überwiegende Erfolgsaussichten bestehen. Gerichtlicher Primärrechtsschutz ist bereits dann geboten, wenn ein Erfolg nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Diese Voraussetzungen lagen vor. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und in welchen Fällen aufgrund eines Ineinanderwirkens verschiedener Handlungen als Teil eines zielgerichteten und systematischen Mobbings ein gerichtliches Vorgehen gegen einzelne Maßnahmen mangels Erfolgsaussichten nicht erfolgversprechend ist, weil die damit verbundene Verletzung der Fürsorgepflicht erst in einer Gesamtschau erkennbar wird. Denn im vorliegenden Fall war maßgeblich für den Konflikt erkennbar die amtsangemessene Beschäftigung des Klägers. Die maßgeblichen Umstände waren klar abgrenzbar und einer gerichtlichen Nachprüfung ohne weiteres zugänglich. Im Zusammenhang mit einem zeitnah angestrengten Verfahren hätten die auch für das Schadensersatzbegehren maßgeblichen Gesichtspunkte der amtsangemessenen Beschäftigung zudem deutlich zuverlässiger aufgeklärt werden können als in einem viele Jahre später angestrengte Schadensersatzprozess. Die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten in diesem Zusammenhang können auch nicht durch eine Darstellung des Verlaufs von Klageverfahren auf amtsangemessene Beschäftigung anderer Beamter bei der Beigeladenen in Frage gestellt werden. Die Erfolgsaussichten derartiger Klagen hängen regelmäßig von einer Einzelfallbeurteilung ab und dabei insbesondere – wie auch im Falle des Klägers – von der individuellen Beziehung des jeweiligen Beamten zu seinen Vorgesetzten und/oder Kollegen.
Der Zumutbarkeit von gerichtlichem Primärrechtsschutz im Zusammenhang mit einer amtsangemessenen Beschäftigung steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte hieraus unter Umständen beamtenrechtlich zulässige und damit zumutbare Konsequenzen ziehen und den Kläger beispielsweise zur Sicherstellung der amtsangemessenen Beschäftigung oder zur Beilegung des jahrelangen Konflikts versetzen hätte können. Der Kläger durfte sich auch nicht ohne nachteilige Folgen aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten für einen Verzicht auf gerichtlichen Primärrechtsschutz zugunsten von Gegenvorstellungen und sonstigen formlosen Rechtsbehelfen entscheiden – ein entsprechendes Wahlrecht besteht nicht (vgl. BVerwG, U.v. 28.5.1988 – 2 C 29/97 – juris Rn. 21).
Schließlich ist auch die psychische Belastung des Klägers durch den Konflikt im Zusammenhang mit einer amtsangemessenen Beschäftigung und die – nach Auffassung des Klägers hierdurch bedingte Erkrankung – nicht geeignet, die Zumutbarkeit einer Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes in Frage zu stellen. Die entsprechende Argumentation verkennt, dass eine Inanspruchnahme von gerichtlichem Rechtsschutz bereits zu einem frühzeitigen Zeitpunkt möglich und geboten gewesen wäre. Die Frage der amtsangemessenen Beschäftigung hätte durch frühzeitigen gerichtlichen Rechtsschutz vor der Eskalation des – entsprechend den Ausführungen der Klägerseite bereits seit 1996 bestehenden und seit dem Ende der Personalratstätigkeit 2004 weiter verschärften – Konflikts und einer daraus resultierenden gesundheitlichen Belastung des Klägers geklärt werden können. Der Kläger hat zudem durch seine in den Jahren 2006 und 2007 anhängige Klage wegen dienstlicher Beurteilungen (M 5 K 06.1349), in der im Übrigen auch Art und Umfang der Beschäftigung des Klägers bei der Beigeladenen eine Rolle gespielt hatten, erkennen lassen, dass er auch im weiteren Verlauf des Konflikts zur Wahrung seiner beamtenrechtlichen Ansprüche in der Lage war.
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Beigeladenen folgt aus § 162 Abs. 3 VwGO. Mangels Stellung eines Antrags durch die Beigeladene im vorliegenden Verfahren und dem damit verbundenen Prozesskostenrisiko (§ 154 Abs. 3 VwGO) entspricht es billigem Ermessen, dass diese ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO