Arbeitsrecht

Keine Anerkennung von Dienstunfallfolgen bei fehlender Kausalität

Aktenzeichen  AN 16 K 18.02122

Datum:
24.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 15417
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtVG § 31, § 45 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Sind die genannten Körperschäden des Klägers degenerativer Natur und besteht nur eine rein zufällige Beziehung zum Dienst des Klägers, liegt lediglich um eine Gelegenheitsursache vor, welche einen Anspruch auf Dienstunfallfürsorge nicht zu begründen vermag (Rn. 29). (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist die Kausalität zwischen Unfallereignis und entstandenem Körperschaden auf Grundlage der im Verwaltungsverfahren eingeholten schlüssigen und nicht ergänzungsbedürftigen ärztlichen Stellungnahmen zweifelsfrei zu verneinen, besteht auch kein Bedürfnis zu weiterer Sachaufklärung von Amts wegen (Rn. 31). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1. Die zulässige Klage, über die die Kammer trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auf Grund eines entsprechenden Hinweises in der ordnungsgemäßen Ladung entscheiden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), bleibt in der Sache ohne Erfolg, da der Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 5. Oktober 2018 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der bei ihm festgestellten Bandscheibenprotrusionen, Bandscheibenvorfälle im Bereich des 4. und 5. Halswirbelkörpers, Osteochondrose mit Spondylosen und Veränderungen der kleinen Wirbelkörpergelenke als weitere Folgen des bereits anerkannten Dienstunfalls vom 7. Dezember 2017.
a) Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 2 BeamtVG entscheidet die oberste Dienstbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle, ob ein Dienstunfall vorliegt und ob der Verletzte den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Diese Entscheidung ist dem Verletzten oder seinen Hinterbliebenen bekannt zu geben (§ 45 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG). Während die Beklagte das Ereignis vom 7. Dezember 2017 bereits mit Bescheid vom 16. Januar 2018 als Dienstunfall mit Unfallfolgen in Form einer Distorsion der Hals- und Lendenwirbelsäule des Klägers anerkannt hat, bildet Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren die ablehnende Entscheidung der Beklagten vom 8. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2018, weiterer Körperschäden in Form von Bandscheibenprotrusionen, Bandscheibenvorfällen im Bereich des 4. und 5. Halswirbelkörpers, Osteochondrose mit Spondylosen und Veränderungen der kleinen Wirbelkörpergelenke als weitere Folgen des Dienstunfalls des Klägers vom 7. Dezember 2017 anzuerkennen.
b) Ein Dienstunfall ist gemäß § 31 Abs. 1 BeamtVG ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung des Dienstes eingetreten ist. Das Merkmal „einen Körperschaden verursachendes Ereignis“ setzt einen mehrfachen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Dienst, dem Ereignis und dem Körperschaden voraus. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gilt bei mehreren Ursachen, die zu einem Unfall adäquat kausal geführt haben, die Theorie der wesentlich mitwirkenden Ursache (BVerwG, U.v. 12.12.2019 – 2 A 6/18 – juris Rn. 17 ff.). Die Dienstunfallfürsorge soll nicht dazu führen, dass dem Beamten jedes irgendwie denkbare, in keiner Weise aus dem Dienst ableitbare Risiko abgenommen und dem Dienstherrn aufgebürdet wird. Vielmehr soll der Dienstherr mit der Unfallfürsorge nur die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit oder die nach der Lebenserfahrung auf die Beamtentätigkeit rückführbaren, für den Schaden wesentlichen Risiken übernehmen. Der Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Körperschaden besteht dann nicht mehr, wenn für den Erfolg eine weitere Bedingung ausschlaggebende Bedeutung hatte. Mitursächlich sind nur solche für den eingetretenen Schaden kausalen Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Liegen mehrere Ursachen vor, ist jede von ihnen als wesentliche (Mit-)Ursache anzusehen, wenn sie annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Erfolgs hat. Danach ist der Dienstunfall dann als wesentliche Ursache im Rechtssinne anzuerkennen, wenn er bei natürlicher Betrachtungsweise entweder überragend zum Erfolg (Körperschaden) beigetragen hat oder zumindest annähernd gleiche Bedeutung für den Eintritt des Schadens hatte wie die anderen Umstände (BVerwG, U.v. 20.4.1967 – 2 C 118.64 – BVerwGE 26, 332 , U.v. 10.7.1968 – 6 C 65.65; U.v. 30.6.1988 – 2 C 77.86; U.v. 1.3.2007 – 2 A 9.04; B.v. 23.10.2013 – 2 B 34/12 – juris Rn. 6). Nach diesen Vorgaben ist eine sogenannte Gelegenheitsursache keine Ursache im Rechtssinne. Eine solche Gelegenheitsursache ist gegeben, wenn die Beziehung zum Dienst eine rein zufällige ist und das schädigende Ereignis nach menschlichem Ermessen bei jedem anderen nicht zu vermeidenden Anlass in naher Zukunft ebenfalls eingetreten wäre. Der Zusammenhang zum Dienst fehlt, wenn ein anlagebedingtes Leiden durch ein dienstliches Vorkommnis nur rein zufällig ausgelöst worden ist. Dies ist dann anzunehmen, wenn die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden des Beamten so leicht aktualisierbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes alltäglich vorkommendes Ereignis denselben Erfolg herbeigeführt hätte (BVerwG, U.v. 12.12.2019 – 2 A 6/18 – juris Rn. 19 m.w.N.; BayVGH, B.v. 9.10.2015 – 3 ZB 12.1708 – juris Rn. 13; VG München, U.v. 19.11. 2015 – M 12 K 14.5023 – juris Rn. 23 f.). Löst ein Unfallereignis ein bereits vorhandenes Leiden aus oder beschleunigt oder verschlimmert es dieses, so ist das Unfallereignis dann nicht wesentliche Ursache für den Körperschaden, wenn das Ereignis von untergeordneter Bedeutung gewissermaßen „der letzte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte“ bei einer Krankheit, „die ohnehin ausgebrochen wäre, wenn ihre Zeit gekommen war“. Das Unfallereignis tritt dann im Verhältnis zu der schon gegebenen Bedingung (dem vorhandenen Leiden oder der krankhaften Veranlagung) derartig zurück, dass die bereits gegebene Bedingung als allein maßgeblich anzusehen ist.
Für das Vorliegen eines Dienstunfalls, eines Körperschadens und der Ursächlichkeit des Dienstunfalls für den Körperschaden ist grundsätzlich der volle Beweis zu erbringen. Der Beamte trägt das Feststellungsrisiko bzw. die materielle Beweislast, sowohl für das Vorliegen des behaupteten Körperschadens als auch dafür, dass die Schädigungsfolge wesentlich auf den Dienstunfall und nicht etwa auf eine anlagebedingte Konstitution zurückzuführen ist. Bleibt nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen der Amtsermittlungspflicht offen, ob die anspruchsbegründenden Voraussetzungen erfüllt sind, geht dies damit zu Lasten des Beamten. Ein Anspruch ist nur dann zuzuerkennen, wenn sowohl das Vorliegen des behaupteten Körperschadens als auch der Kausalzusammenhang mit dem Dienstunfallgeschehen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sind (stRspr., vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1997 – 2 B 127/96 – juris Rn. 5; U.v. 25.2.2010 – 2 C 81.08 – NVwZ 2010, 708; B.v. 4.4.2011 – 2 B 7.10; BayVGH, B.v. 9.10.2015 – 3 ZB 12.1708 – juris Rn. 14).
c) Nach diesen Maßgaben hat die Beklagte eine Anerkennung der Körperschäden des Klägers in Form von Bandscheibenprotrusionen, Bandscheibenvorfällen im Bereich des 4. und 5. Halswirbelkörpers, Osteochondrose mit Spondylosen und Veränderungen der kleinen Wirbelkörpergelenke als weitere Folgen seines Dienstunfalls vom 7. Dezember 2017 zu Recht abgelehnt. Denn auf Grundlage der schlüssigen Ermittlungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren ergibt sich zur Überzeugung der Kammer, dass die genannten Körperschäden des Klägers degenerativer Natur sind und nur eine rein zufällige Beziehung zum Dienst des Klägers besteht. Bei dem Dienstunfall des Klägers vom 7. Dezember 2017 handelt es sich insoweit folglich lediglich um eine Gelegenheitsursache, welche einen Anspruch auf Dienstunfallfürsorge nicht zu begründen vermag.
Bei den mittels MRT-Untersuchung durch die radiologische Praxis Dr. … am 14. Februar 2018 diagnostizierten Halswirbelsäulenveränderungen in Form von Bandscheibenprotrusionen, Bandscheibenvorfällen im Bereich des 4. und 5. Halswirbelkörpers, Osteochondrose mit Spondylosen und Veränderungen der kleinen Wirbelkörpergelenke handelt es sich aus Sicht des Oberarztes Dr. med. … sowie des Assistenzarztes … (Kliniken …*) nicht um Folgen des Unfalls, sondern um Veränderungen degenerativer Natur. Der kernspintomographischen Untersuchung des Klägers am 14. Februar 2018 lässt sich neben den genannten Veränderungen weiter entnehmen, dass eine Fehlhaltung der Wirbelsäule des Klägers in Rückenlage besteht. Ein ausgedehnter pathologischer Markraumbefund im Sinne eines posttraumatischen ossären Geschehens liegt hingegen nicht vor. Ebenso ergaben bereits die am 8. Dezember 2017 vom Facharzt für Chirurgie Dr. med. … angefertigten Röntgenaufnahmen der Hals- und Lendenwirbelsäule des Klägers keine Hinweise auf knöcherne Verletzungen, jedoch degenerative Veränderungen und eine Steilstellung der Halssowie Lendenwirbelsäule. Vor dem Hintergrund dieser schlüssigen und widerspruchsfreien ärztlichen Befunde begegnet es keinerlei rechtlichen Bedenken, dass die Beklagte hinsichtlich der streitgegenständlichen Körperschäden von anlagebedingten Leiden ausgeht, die das Unfallereignis vom 7. Dezember 2017 allenfalls ausgelöst oder verschlimmert hat, nicht jedoch rechtlich wesentlich im Sinne der Dienstunfallfürsorge verursacht hat. Der Unfall des Klägers ist in diesem Zusammenhang allenfalls als ein Ereignis von untergeordneter Bedeutung zu qualifizieren, das gewissermaßen „der letzte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte“ bei einer Krankheit, „die ohnehin ausgebrochen wäre, wenn ihre Zeit gekommen war“.
Da die Kausalität zwischen Unfallereignis und entstandenem Körperschaden auf Grundlage der im Verwaltungsverfahren eingeholten schlüssigen und nicht ergänzungsbedürftigen ärztlichen Stellungnahmen zweifelsfrei zu verneinen ist, bestand auch kein Bedürfnis zu weiterer Sachaufklärung von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO), etwa entsprechend der Anregung der Klägerseite durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens.
Eine andere rechtliche Beurteilung der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen den hier streitgegenständlichen Körperschäden und dem Unfallereignis am 7. Dezember 2017 ergibt sich zur Überzeugung der Kammer schließlich auch nicht unter Berücksichtigung früherer Dienstunfälle des Klägers am 10. Juni 1990, 12. Juli 2001 und 4. Mai 2005, die im Übrigen wohl bereits nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung der Beklagten und mithin des vorliegenden Klageverfahrens bilden. Da sämtliche anerkannte Unfallfolgen früherer Dienstunfälle nach den Ausführungen der Beklagten in ihrem Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2018, denen der Kläger zu keinem Zeitpunkt substantiiert entgegengetreten ist, folgenlos ausgeheilt sind, kommt eine vom Kläger vermutete kumulative Verursachung der hier streitigen Körperschäden durch wiederholt erlittene Dienstunfälle bereits aus diesem Grund nicht in Betracht.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten des Verfahrens trifft die Kammer nicht, weil sie davon ausgeht, dass die Beklagte vor Rechtskraft der Entscheidung nicht vollstreckt.


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