Arbeitsrecht

Keine Anwendung der Vermutungsregel des Art. 21 Abs. 5 der Whistleblower-RL vor Ablauf der Umsetzungsfrist

Aktenzeichen  3 Sa 331/20

Datum:
24.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 13407
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
KSchG § 1
BGB § 134, § 612a
Whistleblower-RL Art. 21 Abs. 5, Art. 26

 

Leitsatz

Vor Ablauf der Umsetzungsfrist des Art. 26 der RL (EU) 2019/1937 ist es weder veranlasst noch zulässig – auch nicht im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts -, im Hinblick auf die Vermutungsregel des Art. 21 Abs. 5 dieser RL eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers anzunehmen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

14 Ca 5982/19 2020-06-30 Endurteil ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 30.06.2020, Az.: 14 Ca 5982/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Absatz 2 c) ArbGG statthaft, und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG, 66 Absatz 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520 Absatz 3 ZPO.
II.
Die Berufung ist aber unbegründet. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg schließt sich nach eigener Prüfung den zutreffenden und ausführlich begründeten Erwägungen des Arbeitsgerichts Nürnberg in vollem Umfang an und sieht von einer bloß wiederholenden Darstellung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ab.
Insbesondere auf die Ausführungen zu der Nichtanwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes und der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung wird verwiesen. Der Kläger hat insoweit das Ersturteil auch nicht gerügt.
Zu Recht hat das Erstgericht die Nichtigkeit der Kündigung wegen §§ 612a, 134 BGB verneint.
Lediglich im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sind folgende Anmerkungen erforderlich:
Nach der gesetzlichen Konzeption des § 1 Absatz 1 KSchG entsteht der Schutz gegenüber ordentlichen Kündigungen durch den Arbeitgeber erst, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat. Eine Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate bedarf also individualrechtlich keinerlei Begründung. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Darlegung der Kündigungsgründe durch das Gericht würde damit der gesetzlichen Regelung widersprechen. Dementsprechend kann dem Arbeitgeber nach derzeitiger Rechtslage auch nicht im Rahmen der Prüfung des § 612a BGB eine originäre Darlegungslast auferlegt werden. Deshalb trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Maßregelung im Sinne des § 612a BGB.
Eine Abstufung und Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, wie sie § 611a Absatz 1 und 3 a.F. vorsah, ist nicht auf § 612a übertragbar. Dies gilt auch für § 22 AGG. In Betracht kommt jedoch für den Arbeitnehmer eine Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis, wenn ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und der Rechtsausübung besteht (ErfK/Preis 21. Auflage 2021, BGB § 612a Rn. 22 m.w.N.).
Auch die erkennende Kammer des Berufungsgerichts folgt dieser in den gesetzlichen Regelungen in § 1 Absatz 1 KSchG und § 612a BGB angelegten Rechtsansicht. Es ist weder veranlasst noch zulässig, im Hinblick auf Artikel 21 Absatz 5 Richtlinie (EU) 2019/1937 eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers vor Ablauf der Umsetzungsfrist des Artikels 26 der Richtlinie anzunehmen. Dies würde unmittelbar zu einer Begründungspflicht des Arbeitgebers auch für eine Kündigung in der Wartezeit führen, wenn der Arbeitnehmer geltend macht, eine Benachteiligung infolge seiner Meldung erlitten zu haben. Zu Recht weist das Erstgericht darauf hin, dass die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1937 den Mitgliedsstaaten unter Einräumung eines Ermessensspielraums obliegt.
Artikel 23 „Sanktionen“ bestimmt: „Die Mitgliedsstaaten legen wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für Hinweisgeber fest“. Dabei erscheint durchaus möglich, dass der nationale Gesetzgeber als entsprechende Sanktion die Unwirksamkeit einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung festlegen wird. Es obliegt aber der Legislative, bei der Umsetzung der Richtlinie das Verhältnis von wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen zu anderen nationalen gesetzlichen Regelungen auszugestalten. Derzeit jedenfalls besteht keine Verpflichtung der Gerichte, bei der Beurteilung einer behaupteten Maßregelung durch Ausspruch einer Kündigung bereits jetzt im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung im Hinblick auf Artikel 21 Absatz 5 Richtlinie (EU) 2019/1937 eine Beweislastumkehr vorzunehmen und damit für Fälle wie dem vorliegenden faktisch eine Begründungspflicht in der Wartezeit gegen die gesetzliche Regelung zu postulieren.
Dafür besteht auch im vorliegenden Fall kein Anlass, da die derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen (§ 1 KSchG, § 612a BGB) zusammen mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung eine sachgerechte Entscheidung ohne Weiteres ermöglichen.
Nach der unstreitigen Sachlage kann ein Zusammenhang zwischen der Meldung des Datenschutzverstoßes und der Probezeitkündigung nicht angenommen werden, geschweige denn ein „offensichtlicher Zusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und der Rechtsausübung“ (Erfurter Kommentar a.a.O. m.w.N.).
Schon der zeitliche Ablauf spricht klar gegen einen solchen Zusammenhang: Wie der Kläger selbst vorträgt, ist die Meldung des Datenschutzverstoßes zu Beginn des Arbeitsverhältnisses erfolgt. Auch das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass jedenfalls mit der Mitteilung der Aufsichtsbehörde vom 13.08.2019 der datenschutzrechtliche Vorgang abgeschlossen war. Die Probezeitkündigung ist 2,5 Monate später ausgesprochen worden. Zwar hat der Kläger vorgetragen, dass sich im Folgenden die Arbeitsbedingungen aufgrund von Handlungen von Mitarbeitern der Beklagten verschlechtert hätten. Dem ist die Beklagte jedoch mit Hinweis auf ein „dominantes und belehrendes Auftreten“ des Klägers entgegengetreten, und hat dies untermauert mit Vorlage einer E-Mail des Klägers vom 08.10.2019 (Anlage B4, Bl. 44 d.A.), in der sich der Kläger selbst bei Herrn W… für ein Verhalten im Review Board entschuldigt und angekündigt hat, sich in Zukunft mit solchen Anmerkungen stark zurückzuhalten.
Auch die weiteren schriftlichen Stellungnahmen des Klägers widerlegen ihn selbst: So gibt die Buchung einer Besprechung vom 02.09.2019 (Anlage B5, Bl. 45 d.A.) gerade nicht wider, dass sich der Kläger im Arbeitsverhältnis unwohl fühlt. Vielmehr weist er darauf hin, dass er „immer, momentan aber irgendwie noch mehr als sonst unter Trommelfeuer sowohl von Headhuntern als auch von Projektanbietern [ist], deren teils krasse Angebote [er] gerne pauschal ablehnen würde.“ Er regt dann an, zu besprechen, ob im beiderseitigen Interesse hinsichtlich seines Gehaltes und Ende der Probezeit nochmal Änderungen vorzunehmen seien. Er gibt damit klar zu verstehen, bei der Beklagten weiter arbeiten zu wollen, jeglicher Hinweis auf verschlechterte Arbeitsbedingungen fehlt. Auch aus dem E-Mail-Wechsel, beginnend mit dem E-Mail des Klägers vom 06.09.2019 (Anlage B6, Bl. 46 d.A.), lassen sich keinerlei Beeinträchtigungen des Klägers aus der Meldung eines lange zurückliegenden Datenschutzverstoßes und folgend verschlechterten Arbeitsbedingungen ersehen. Vielmehr bittet der Kläger um eine Kündigung der Beklagten, weil er zwar weitreichende Verantwortung für die Datenarchitektur der Beklagten tragen solle, jedoch über keinerlei Befugnisse verfüge, die ein kraftvolles Durchsetzen der notwendigen Schritte gegenüber der IT und den Fachbereichen ermöglichen würden. Er sei für diese Situation nicht der richtige Mann: „Wir werden daher in jedem Einzelfall sowie jetzt bei perobs, sofort zu Kompetenzstreitigkeiten, Eskalationen und unangenehmen Situationen kommen.“ Damit geht die Initiative zur Beendigung des Probearbeitsverhältnisses allein vom Kläger aus.
Anhaltspunkte für eine Benachteiligung durch die Beklagte fehlen völlig, vielmehr führt der Kläger aus: „Es tut mir sehr leid, denn ich habe sicherlich mein Bestes gegeben und über weite Strecken auch große Freude an den Aufgaben und besonders auch an der Zusammenarbeit mit Euch gehabt.“ Diese zeitnahen schriftlichen Äußerungen des Klägers stehen in eklatantem Widerspruch zu den nunmehr behaupteten Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen.
Damit ist jedenfalls ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und der Meldung des Datenschutzverstoßes nicht gegeben.
Darüber hinaus ist die Kammer aber auch der Ansicht, dass aufgrund der vorgelegten E-Mails des Klägers die Beklagte nachgewiesen hätte, dass die Kündigung „auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte“ (Artikel 21 Absatz 5 Satz 2 Richtlinie (EU) 2019/1937).
Ein Arbeitgeber, dem ein Arbeitnehmer zunächst eine Verkürzung der Probezeit und Erhöhung des Gehalts wegen „teils krasser Angebote“ von anderen Arbeitgebern anträgt, kurz darauf aber, „weil er nicht der richtige Mann“ für die Situation sei, vorschlägt, durch eine Arbeitgeberkündigung seine „soziale Sicherheit“ zu erhöhen, hat hinreichend gerechtfertigte Gründe, das Arbeitsverhältnis eines herausgehobenen Mitarbeiters in der Probezeit zu beenden.
Damit ist die Berufung auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens unbegründet. Die hilfsweise beantragte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union war angesichts der Regelungen des Artikels 288 Absatz 3 AEUV und der hierzu ergangenen Rechtsprechung nicht erforderlich.
III.
1. Die Klagepartei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen,
§ 97 Absatz 1 ZPO.
2. Für die Zulassung der Revision bestand kein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Absatz 1 und 2 ArbGG.


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