Arbeitsrecht

Keine Duldung zur Weiterführung einer nicht rechtmäßig aufgenommenen Ausbildung

Aktenzeichen  19 CE 17.619

Datum:
24.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4
VwGO VwGO § 146 Abs. 4 S. 6

 

Leitsatz

1 Eine Ausbildung, die aufgenommen wird, obwohl bereits konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung eingeleitet wurden, erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine Ausbildungsduldung. (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Ausbildungsduldung setzt die Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren voraus. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 4 E 17.116 2017-03-09 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten der Beschwerdeverfahren.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind kosovarische Staatsangehörige albanischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit. Nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am … 2015 stellten die Antragsteller zu 1, 2 und 4 am … 2015 Asylanträge; die Antragstellerin zu 3 wurde am … 2016 im Bundesgebiet geboren. Ihre zwischenzeitlich abgeschlossenen Asylverfahren bzw. Asylfolgeverfahren blieben ebenso erfolglos wie eine gegen ihre Abschiebung gerichtete Petition beim … Landtag.
Mit Bescheiden vom 18. März 2016 wurden die Antragsteller verpflichtet, in der Aufnahmeeinrichtung O. in B. Wohnsitz zu nehmen. Trotz erfolgloser Klagen hiergegen (rechtskräftiges klageabweisendes Urteil v. 3.5.2016) wurde den Antragstellern zu 1 und 2 vom Antragsgegner zur Erlangung von bevorstehenden Schulabschlüssen bis zum 31. Juli 2016 ein weiterer Aufenthalt in G. zugestanden; das Zugeständnis galt auch für die minderjährigen Antragsteller zu 3 und 4.
Die Antragsteller verblieben – ohne behördliche Zustimmung – über den 31. Juli 2016 hinaus in G.; der Antragsteller zu 1 setzte seine am 15. September 2015 an der Altenpflegeakademie B.W. begonnene zweijährige Ausbildung zum staatlich geprüften Sozialbetreuer fort (vorauss. Ausbildungsende am 31.7.2017). Die Ausbildung umfasst theoretischen Unterricht, Deutschunterricht und in die schulische Ausbildung integrierte Praktika in sozialen Einrichtungen, die unentgeltlich absolviert werden. Die Antragstellerin zu 2 beendete zum 13. Juni 2016 den gemeinsam mit ihrem Ehemann begonnenen Ausbildungsgang zur staatlich geprüften Sozialbetreuerin und begann ab dem 13. September 2016 eine Teilzeitausbildung zur staatlich geprüften Altenpflegefachhelferin (vorauss. Ende am 31.7.2018).
Unter Hinweis auf die laufenden Ausbildungen zu Sozialbetreuern beantragten die Antragsteller zu 1 und 2 mit Schreiben vom 28. März 2016 bei der Ausländerbehörde des Landratsamtes die Erteilung von Duldungen. Nach einem Zuständigkeitswechsel wiederholten sie die Antragstellung am 21. November 2016 gegenüber der Regierung von O.. Die Ausländerbehörde leitete am 28. November 2016 ein Verfahren zur Beschaffung von Passersatzpapieren ein.
Nach einem (wegen zufälliger Ortsabwesenheit der Antragsteller) erfolglosen Abschiebungsversuch suchten die Antragsteller beim Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nach und beriefen sich zur Begründung auf das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ausbildungsduldung.
Das Verwaltungsgericht lehnte den vorläufigen Rechtsschutzantrag durch Beschluss vom 9. März 2017 mit der Begründung ab, ein Anspruch auf Ausbildungsduldung sei ausgeschlossen, weil im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorgestanden hätten.
Mit ihrer Beschwerde machen die Antragsteller geltend, es sei nicht auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, sondern auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen. Anträge auf Duldung seien am 26. März 2016 beim Landratsamt und am 21. November 2016 bei der Regierung gestellt worden. Das Verfahren zur Beschaffung von Passersatzpapieren sei erst am 28. November 2016 eingeleitet worden; das Petitionsverfahren und das Asylverfahren der Antragstellerin zu 4 seien erst am 7. Dezember 2016 abgeschlossen worden.
Die Antragsteller beantragen,
unter Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung den Antragstellern vorläufig eine Duldung zu erteilen, und hilfsweise, von Abschiebemaßnahmen Abstand zu nehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Aus seiner Sicht können die Antragsteller zu 1 und 2 eine Ausbildungsduldung nicht beanspruchen, weil bei Antragstellung bereits konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorgestanden haben. Der Antrag sei erst am 4. Dezember 2016 und damit nach Einleitung der Beschaffung von Passersatzpapieren bei der Regierung eingegangen.
II.
Die zulässigen Beschwerden haben keinen Erfolg.
Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses, mit dem das Verwaltungsgericht eine Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Erteilung einer Duldung oder zum vorläufigen Absehen von einer Abschiebung abgelehnt hat.
Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht zu der Einschätzung gelangt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung von Ausbildungsduldungen nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht vorliegen.
Nach der Vorschrift ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach Absatz 6 dieser Vorschrift nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen.
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstehen und hat bei der Beurteilung dieser Frage auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung abgestellt. Es hat – für diesen Zeitpunkt – zutreffend festgestellt, dass die zuständige Ausländerbehörde bereits am 28. November 2016 das Verfahren zur Beschaffung von Passersatzpapieren als konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung eingeleitet hat. Die Einleitung eines solchen Verfahrens genügt für den Anspruchsausschluss wegen des Bevorstehens konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2016 – 19 CE 16.2025 – juris). Der ausschließlich erhobene Einwand der Antragsteller, es müsse für die Ausbildungsduldung auf den Zeitpunkt der Antragstellung abgestellt werden, greift dem gegenüber nicht durch.
1. Der Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung kann für den Antragsteller zu 1 frühestens mit Inkrafttreten der Neufassung des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG am 6. August 2016 (vgl. Art. 5 Nr. 8 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016, BGBl I S. 1939) entstanden sein, denn nach der Vorgängerfassung aufgrund des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 1. August 2015 (BGBl I S. 1386) ist die Ausbildungsduldung nur vor der Vollendung des 21. Lebensjahres möglich gewesen (der Antragsteller zu 1 war jedoch bereits bei der Einreise 39 Jahre alt). Zu diesem Zeitpunkt hatte der Antragsteller zu 1 seine Ausbildung bereits aufgenommen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Ausbildung an der Altenpflegeakademie keiner Genehmigung durch die Ausländerbehörde bedurfte (vgl. BA S. 8, Nr. II.1.b). Allein die erfolgte Aufnahme einer Ausbildung auf der Grundlage eines Ausbildungsvertrages genügt jedoch nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass die Ausbildung nach Maßgabe der zu beachtenden aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen rechtmäßig erfolgt (vgl. NdsOVG, B.v. 9.12.2016 – 8 ME 184/16 – juris Rn. 6 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.
Die Weiterführung der Ausbildung über den 31. Juli 2016 hinaus (bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Regierung einem weiteren Verbleib der Antragsteller in G. zugestimmt) erfolgte nicht rechtmäßig, sondern unter vorsätzlicher Missachtung des ausländerrechtlichen Bescheides der Regierung von O. vom 18. März 2016 und des diesen bestätigenden Urteils des Verwaltungsgerichts R. vom 22. Juni 2016 (Az. RN 4 K 16.30685).
Das Verwaltungsgericht hat sich in seinem die Klage gegen den Umverteilungsbescheid abweisenden Urteil ausdrücklich mit dem Vorbringen beschäftigt, dass die Antragsteller die Altenpflegeausbildungen absolvieren wollen, und dieses Argument als einer Umverteilung nicht entgegenstehend beurteilt; mit diesem Inhalt ist das Urteil rechtskräftig geworden. Allein der Umstand, dass die Ausländerbehörde den bestandskräftigen Bescheid anschließend nicht – wie im Bescheid angedroht – durch unmittelbaren Zwang vollstreckt hat, macht die Ausbildung ausländerrechtlich nicht rechtmäßig. Durch die behördliche Hinnahme des Aufenthalts in G. nur bis zum 31. Juli 2016 hat der Antragsgegner erkennen lassen, dass er danach auf einer Aufenthaltsbeendigung bestehen wird.
Nach den Gesetzesmaterialien zielt die Neuregelung in § 60a Abs. 2 Satz 4 ff. AufenthG nur darauf ab, für die Dauer einer – im Einklang mit den geltenden gesetzlichen Bestimmungen aufgenommenen – Berufsausbildung mehr Rechtssicherheit für Geduldete und Ausbildungsbetriebe zu schaffen (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Integrationsgesetzes, BT-Drs. 18/8615, S. 26). Ein eigenmächtiges und damit rechtswidriges Verhalten sollte durch diese Regelung nicht begünstigt werden.
2. Bei der Antragstellerin zu 2 liegt nach dem Abbruch der Ausbildung zur Sozialbetreuerin zum 13. Juni 2016 und der Aufnahme einer Teilzeitausbildung zur staatlich geprüften Altenpflegefachhelferin ab dem 13. September 2016 bereits keine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf vor, denn eine solche setzt nach § 6 Abs. 1 Satz 2 der Beschäftigungsverordnung eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren voraus (vgl. hierzu VGH BW, B.v. 20.12.2016 – 11 S 2516/16 – m.w.N.). Nach § 3 Abs. 3 der Schulordnung für die Fachschulen für Altenpflege, für Altenpflegehilfe und für Familienpflege vom 7. November 1985 (GVBl S. 595) in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Schulordnung für die Fachschulen für Alten- und Familienpflege vom 12. August 1991 (GVBl S. 310) dauert die Ausbildung in der Altenpflegehilfe in Bayern lediglich 12 Monate.
Dass die Antragstellerin zu 2 ihre Ausbildung in Form der Teilzeit über einen Zeitraum von 2 Jahren absolviert, genügt zur Erfüllung der Voraussetzungen für eine Ausbildungsduldung nicht. Im Übrigen erfolgt auch die Ausbildung der Antragstellerin zu 2 ausländerrechtlich unrechtmäßig, weil sie zur Wohnsitznahme in B. verpflichtet ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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