Arbeitsrecht

Kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit: Einsicht in Entwürfe von Sitzungsniederschriften vor deren Genehmigung durch Mitglieder der Gemeinschaftsversammlung einer Verwaltungsgemeinschaft

Aktenzeichen  B 9 K 19.33

Datum:
15.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 33034
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43
GO Art. 54 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger verpflichtet ist, ihm, soweit nicht Gründe der Geheimhaltung dem entgegenstehen, nach vorheriger Terminvereinbarung Einsicht in die nach der Tagesordnung zur Beschlussfassung in der nächsten Sitzung der Gemeinschaftsversammlung anstehenden Entwürfe einer Sitzungsniederschrift zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
2. Die Klage ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
a) Die Klage ist in der Form der Feststellungsklage zulässig.
aa) Die Feststellungsklage ist statthaft. Der Kläger kann sein Begehren mit der Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO verfolgen. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen des kommunalverfassungsrechtlichen Organstreits können Streitigkeiten aus dem kommunalen Organisationsrecht Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sein. Davon sind auch Streitigkeiten über die Mitwirkungsbefugnisse einzelner Mitglieder an der Beschlussfassung des Gesamtorgans umfasst, dem sie angehören. (vgl. Pietzcker/Marsch in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, 37. EL Juli 2019, Vorbem. § 42 Abs. 1, Rn. 17 f. m.w.N.)
bb) Auch die Subsidiarität der Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO hindert nicht deren Statthaftigkeit im vorliegenden Fall. Anstelle einer Leistungsklage ist in Konstellationen, wie der im vorliegenden Fall gegen eine Verwaltungsgemeinschaft gerichteten Innenrechtsstreitigkeit auch eine Feststellungsklage jedenfalls dann möglich, wenn – wie hier – auch eine Klagebefugnis besteht (siehe unter dd). Da die Zulässigkeitsvoraussetzungen dann nicht hinter denen der allgemeinen Leistungsklage zurückbleiben, ist im Wege der teleologischen Reduktion des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch eine Feststellungsklage statthaft. Denn zum Einen kann damit gerechnet werden, dass sich Behörden rechtstreu verhalten und sich auch ohne vollstreckbaren Leistungstitel an das Feststellungsurteil halten. Zum Anderen besteht auch nicht die Gefahr, dass weitere besondere Sachurteilsvoraussetzungen unterlaufen werden, wenn eine Feststellungsklage an die Stelle einer allgemeinen Leistungsklage tritt, weil bei letzterer – anders als etwa bei der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage – weitere besondere Sachurteilsvoraussetzungen nicht bestehen (vgl. Möstl in: BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand: 1.4.2019, § 43 Rn. 15; Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 43; jeweils m.w.N.).
cc) Der Kläger hat ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO. Ein solches Interesse ist berechtigt, wenn es rechtlicher oder schutzwürdiger tatsächlicher, insbesondere wirtschaftlicher oder ideeller Art ist; ein solches berechtigtes Interesse liegt insbesondere bei einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr vor (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2017 – 6 B 14.17 – juris Rn. 13 m.w.N.). Die Frage des – von Beklagtenseite bestrittenen – Rechts zur Einsichtnahme in die Entwürfe der Sitzungsniederschriften kann sich im Sinne einer solchen Wiederholungsgefahr immer wieder stellen, wenn eine Niederschrift einer vorausgegangenen Sitzung zur Genehmigung in der Gemeinschaftsversammlung ansteht.
dd) Die für eine kommunalverfassungsrechtliche Feststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.1990 – 7 B 71.90 – juris Rn. 4 m.w.N.) liegt vor. Der Kläger kann die Möglichkeit einer Verletzung in seinen mitgliedschaftlichen Rechten als Mitglied der Gemeinschaftsversammlung der Beklagten in Bezug auf das Recht zur Einsichtnahme in Entwürfe von zur Genehmigung anstehenden Sitzungsniederschriften geltend machen.
b) Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger, soweit Gründe der Geheimhaltung dem nicht entgegenstehen, Einsicht in die Entwürfe der Sitzungsniederschriften zu gewähren, die zur Genehmigung in der Sitzung der Gemeinschaftsversammlung anstehen.
aa) Ein solches Einsichtsrecht folgt allerdings nicht schon aus Art. 10 Abs. 2 VGemO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 KommZG, Art. 30 Abs. 3 GO. Zwar ergibt sich aus der Pflicht der Gemeinschaftsversammlung zur Überwachung der Verwaltung der Verwaltungsgemeinschaft auch ein Informationsrecht, dieses steht jedoch der Gemeinschaftsversammlung als Kollektivorgan und nicht dem einzelnen Mitglied zu. Das einzelne Mitglied der Gemeinschaftsversammlung hat grundsätzlich kein – uneingeschränktes – subjektiv-öffentliches Recht auf Erhalt von Informationen (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2000 – 4 ZE 00.3321 – juris).
bb) Es kann außerdem dahinstehen, ob sich der geltend gemachte Anspruch auf Einsicht in Entwürfe von Niederschriften bereits aus Art. 10 Abs. 2 VGemO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 KommZG, Art. 54 Abs. 3 Satz 1 GO bzw. dem im Wesentlichen gleichlautenden § 27 Abs. 2 Satz 1 GeschO ergibt (so etwa Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung mit Landkreisordnung und Bezirksordnung, Stand: September 2019, Art. 54 GO, Erl. 4.1 m.w.N.; a.A. Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Stand: Juni 2019, Art. 54, Rn. 8 m.w.N.).
cc) Denn das grundsätzliche Recht des Klägers, auch die Entwürfe der Sitzungsniederschriften einzusehen, ergibt sich jedenfalls aus § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO.
(1) Nach Art. 10 Abs. 2 VGemO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 KommZG, Art. 45 Abs. 1 GO gibt sich die Gemeinschaftsversammlung der Verwaltungsgemeinschaft eine Geschäftsordnung. In der Geschäftsordnung kann die Gemeinschaftsversammlung neben dem gesetzlichen Mindestinhalt insbesondere auch über die Art. 46 bis 54 GO, die ebenfalls über Art. 10 Abs. 2 VGemO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 KommZG Anwendung finden, hinausgehende Regelungen treffen (vgl. M. Wolff in: BeckOK Kommunalrecht Bayern, Dietlein/Suerbaum, Stand: 1.3.2020, Art. 45 GO, Rn. 2). Hiervon hat die Beklagte Gebrauch gemacht und neben dem – auch in Art. 54 Abs. 3 Satz 1 GO verankerten – Recht auf Einsicht in Sitzungsniederschriften (vgl. insoweit bereits unter bb) ein Recht auf Einsicht in die „entscheidungserheblichen Unterlagen“ begründet. Demnach räumt die Geschäftsordnung dem einzelnen Mitglied der Gemeinschaftsversammlung ein individuelles Akteneinsichtsrecht in Bezug auf die Vorbereitung zur nächsten Sitzung der Gemeinschaftsversammlung ein. Dieses geht über die in der Gemeindeordnung gesetzlich geregelten Akteneinsichtsrechte hinaus und verschafft dem Gemeinschaftsversammlungsmitglied einen individuellen, auch gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die entsprechende Akteneinsicht (vgl. VG München, U.v. 12.12.2018 – M 7 K 18.452 – juris Rn. 21).
(2) Bei den Entwürfen der Sitzungsniederschriften handelt es sich, soweit in der nächsten Sitzung der Gemeinschaftsversammlung ihre Genehmigung ansteht, auch um „entscheidungserhebliche Unterlagen“ i.S.d. § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO.
(a) Die Niederschrift über die Sitzungen der Gemeinschaftsversammlung, die nach Art. 10 Abs. 2 VGemO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 KommZG, Art. 54 Abs. 1 Satz 1 GO zu führen ist, ist nach Art. 10 Abs. 2 VGemO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 KommZG, Art. 54 Abs. 2 GO von der Gemeinschaftsversammlung zu genehmigen. Das Gesetz schreibt hierzu keinen bestimmten Verfahrensgang vor; es obliegt daher der Gemeinschaftsversammlung, in der Geschäftsordnung für einen solchen Verfahrensgang die notwendigen Regelungen zu treffen (vgl. Wachsmuth in: Praxis des Kommunalrechts Bayern – Gemeindeordnung, Stand: Juli 2019, Art. 54, Erl. 5). Die Geschäftsordnung der Beklagten trifft zwar keine spezifischen Regelungen zum Verfahren der Genehmigung der Sitzungsniederschrift; insbesondere lässt sie offen, ob hierzu ein ausdrücklicher Mehrheitsbeschluss erforderlich ist (vgl. zu den insoweit vertretenen unterschiedlichen Auffassungen Jung in: BeckOK Kommunalrecht Bayern, Dietlein/Suerbaum, Stand: 1.3.2020, Art. 54, Rn. 13 m.w.N.). § 26 Abs. 4 GeschO wiederholt lediglich den Wortlaut von Art. 54 Abs. 2 GO. Gleichwohl ist unzweifelhaft eine Entscheidung der Gemeinschaftsversammlung über die Genehmigung der Sitzungsniederschrift erforderlich. Dies setzt aber denknotwendig voraus, dass die Gemeinschaftsversammlungsmitglieder den Inhalt der Niederschrift zur Kenntnis nehmen können (ebenso Jung in: BeckOK Kommunalrecht Bayern, Dietlein/Suerbaum, Stand: 1.3.2020, Art. 54, Rn. 12.1). Hierzu kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht (vgl. etwa Glaser in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, 29. EL Mai 2018, Art. 54 Rn. 11). §§ 26 und 27 GeschO enthalten hierzu jedoch keine ausdrückliche Regelung. Aus den Ausführungen der Beklagtenseite ergibt sich lediglich, dass den Mitgliedern der Gemeinschaftsversammlung während der Sitzung Gelegenheit gegeben wird, den Entwurf der Sitzungsniederschrift zur Kenntnis zu nehmen.
(b) Dennoch ist insoweit auch § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO anwendbar. Weder aus dem Wortlaut noch aus der Regelungssystematik ergibt sich etwas dafür, dass die Regelung in § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO durch § 27 Abs. 2 Satz 1 GeschO bzw. Art. 10 Abs. 2 VGemO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 KommZG, Art. 54 Abs. 3 Satz 1 GO verdrängt werden würde. Während § 3 GeschO im Rahmen der Regelungen über die Gemeinschaftsversammlung allgemein die Rechtsstellung ihrer Mitglieder und deren Befugnisse regelt, betrifft § 27 GeschO die Einsichtnahme in Sitzungsniederschriften für Mitglieder der Gemeinschaftsversammlung und Bürger der Mitgliedsgemeinden sowie die Erteilung von Abschriften von Sitzungsniederschriften. Es ist nicht ersichtlich, dass hierdurch die Befugnisse der Mitglieder der Gemeinschaftsversammlung, wie sie sich aus § 3 GeschO ergeben, wieder eingeschränkt werden sollten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass beide Regelungen selbständig nebeneinander stehen.
(c) Dem Wortlaut von § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO nach sollen „entscheidungserhebliche Unterlagen“ erfasst sein, d.h. also Unterlagen, die bei der Verwaltungsgemeinschaft vorhanden sind und deren Inhalt für eine zu einem Tagesordnungspunkt der nächsten Sitzung der Gemeinschaftsversammlung zu treffende Entscheidung von Bedeutung sein kann. Dabei kann es dahinstehen, aus wessen Sicht die Entscheidungserheblichkeit im Einzelfall zu beurteilen ist. Denn hinsichtlich der Genehmigung der Sitzungsniederschrift einer vorangegangenen Sitzung der Gemeinschaftsversammlung kann kein Zweifel daran bestehen, dass der entsprechende Entwurf für die in der Sitzung zu treffende Entscheidung erheblich ist. Dass der Entwurf der Niederschrift gleichzeitig der Beschlussgegenstand ist, ändert daran nichts. Zweck der Regelung in § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO ist es, es den Mitgliedern der Gemeinschaftsversammlung zu ermöglichen, sich umfassend auf die Sitzung vorzubereiten und bereits im Vorfeld Kenntnis von den maßgeblichen Unterlagen zu haben, um auf dieser Grundlage eine fundierte Entscheidung treffen zu können. Diesem Zweck entspricht es auch, den Mitgliedern der Gemeinschaftsversammlung Einsicht in die Entwürfe der Sitzungsniederschriften zu gewähren, wenn diese zur Genehmigung anstehen. Die Genehmigung der Niederschrift mag zwar im Vergleich zu Sachentscheidungen, die die Gemeinschaftsversammlungen zu treffen hat, als Formalie erscheinen und eine geringe(re) Bedeutung haben. Weder der Wortlaut noch der Zweck der Regelung in § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO lassen aber eine Abstufung des Einsichtsrechts der Gemeinschaftsversammlungsmitglieder nach „wichtigeren“ und „weniger wichtigen“ Beschlussgegenständen zu, die im Übrigen angesichts der zu erwartenden Abgrenzungsschwierigkeiten schon gar nicht praktikabel wäre. Auch wenn es in der bisherigen Praxis der Beklagten, wie von ihrem Bevollmächtigten ausgeführt, bislang nicht „üblich“ war, den Mitgliedern der Gemeinschaftsversammlung Einsicht in die Entwürfe der Sitzungsniederschriften zu gewähren, ändert dies nicht an deren nach § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO bestehenden Anspruch hierauf. Gleiches gilt für den Umstand, dass den Gemeinschaftsversammlungsmitgliedern in der Sitzung die Durchsicht der zu genehmigenden Sitzungsniederschrift ermöglicht wird. Auch wenn offenbar die überwiegende Zahl der Mitglieder der Gemeinschaftsversammlung dieses Procedere als ausreichend ansieht, um auf dieser Grundlage über die Genehmigung der Sitzungsniederschrift zu entscheiden, ändert dies nichts an dem nach der Geschäftsordnung bestehenden Anspruch auf vorherige Einsichtnahme.
dd) Das Einsichtsrecht nach § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO ist beschränkt auf die Tagesordnungspunkte der nächsten Sitzung der Gemeinschaftsversammlung, setzt eine vorherige Terminvereinbarung voraus und kann im Einzelfall aus Gründen der Geheimhaltung entfallen. Der Antrag des Klägers geht jedoch über diese Einschränkungen nicht hinaus.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 709 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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