Arbeitsrecht

Krankenhausvergütung: Voraussetzungen der Fallzusammenführung

Aktenzeichen  S 2 KR 385/21

Datum:
17.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44223
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 109 Abs. 4 S. 3
KHG § 17b Abs. 2
KHEntG § 8 Abs. 5 S. 3
FPV § 1 Abs. 7 S. 5, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 3

 

Leitsatz

Die vertraglichen und gesetzlichen Regelungen zur Fallzusammenführung sind als abschließende Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots zu verstehen.  (Rn. 27 und 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.378,98 € nebst Zinsen i.H. von vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 6. Juli 2021 zu bezahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.378,98 € festgesetzt.

Gründe

Der Rechtsstreit konnte ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entschieden werden, weil beide Beteiligten ihr Einverständnis damit erklärten.
Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung in dem von ihr beantragten Umfang.
Die Klage ist zulässig, es handelt sich um eine allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG.
Die Klage ist auch in vollem Umfang begründet.
Rechtsgrundlage hierfür ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V. Die Forderung in Höhe von 2.378,98 € ist nicht durch Aufrechnung erloschen, da der Beklagten kein Rückforderungsanspruch zustand.
Vorliegend durfte keine Fallzusammenführung vorgenommen werden.
Die von der Klägerin zu beanspruchende Krankenhausvergütung bemisst sich nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Rechtsgrundlage ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V in Verbindung mit §§ 7 Abs. 1, 9 Abs. 1 KHEntgG und § 17 b Krankenhausfinanzierungsgesetz sowie die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für das Jahr 2020.
Die Anwendung der normenvertraglichen Abrechnungsbestimmungen ist nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen.
Vergütungsregelungen für die routinemäßige Abwicklung in zahlreichen Behandlungsfällen sind streng nach ihrem Wortlaut und den dazu vereinbarten Anwendungsregeln zu handhaben; dabei gibt es grundsätzlich keinen Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen (z.B. BSG, Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 25/13 R). Ergeben sich bei der Abrechnung Wertungswidersprüche und sonstige Ungereimtheiten, haben es die zuständigen Stellen durch Änderung des Fallpauschalenkatalogs in der Hand, für die Zukunft Abhilfe zu schaffen. Eine systematische Interpretation der Vorschriften kann lediglich im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden Bestimmungen des Regelungswerks erfolgen, um mit ihrer Hilfe den Wortlaut der Leistungslegende klarzustellen (BSG, Urteil vom 18.07.2013 – B 3 KR 7/12 R).
Vorliegend war unter Berücksichtigung von § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG eine getrennte Abrechnung der beiden stationären Aufenthalte vorzunehmen. Eine Fallzusammenführung, wie von der Beklagten geltend gemacht, durfte nicht vorgenommen werden.
Es handelt sich um Behandlungen aus dem Jahr 2020, so dass § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG anwendbar ist.
Soweit sich die Beklagte auf die BSG-Entscheidung vom 27.10.2020 (B 1 KR 9/20 R) beruft, ergibt sich keine andere Beurteilung. Diese betraf eine Behandlung aus dem Jahr 2012, insoweit konnte § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG noch keine Anwendung finden.
Die BSG-Entscheidung vom 27.10.2020 (B 1 KR 9/20 R) ist mit dem hier vorliegenden Sachverhalt daher nicht vergleichbar.
Vorliegend scheidet eine Fallzusammenführung aufgrund von § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG aus.
Dort ist Folgendes geregelt:
„In anderen als den vertraglich oder gesetzlich bestimmten Fällen ist eine Fallzusammenführung insbesondere aus Gründen des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht zulässig.“
Vorliegend sind die Fallzusammenführungstatbestände nach § 2 Abs. 1 bis 3 und § 3 Abs. 3 FPV unstreitig nicht erfüllt.
§ 1 Abs. 7 Satz 5 FPV ist nach Auffassung des Gerichts kein Fallzusammenführungstatbestand.
In § 1 Abs. 7 Satz 5 FPV ist Folgendes geregelt:
„Eine Beurlaubung liegt vor, wenn ein Patient mit Zustimmung des behandelnden Krankenhausarztes die Krankenhausbehandlung zeitlich befristet unterbricht, die stationäre Behandlung jedoch noch nicht abgeschlossen ist“.
Wie sich aus der Entscheidung des BSG vom 27.10.2020 (B 1 KR 9/20 R) ergibt, sieht auch das BSG § 1 Abs. 7 Satz 5 FPV nicht als Fallzusammenführungstatbestand an, sondern zieht diese Regelung zur Prüfung des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens heran. Wie aus der Gesetzesbegründung zu § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG (BT-Dr. 19/5593 S. 125) jedoch gerade hervorgeht, sollte diese Regelung klarstellen, dass die in der FPV getroffenen Abrechnungsbestimmungen zur Fallzusammenführung als abschließende Konkretisierung der Zulässigkeit der Fallzusammenführung aus Gründen des Wirtschaftlichkeitsgebots zu verstehen sind und eine von den Regelungen der FPV abweichende oder darüber hinausgehende Argumentation zur Notwendigkeit einer Fallzusammenführung, die sich auf das Wirtschaftlichkeitsgebot stützt, nicht zulässig ist.
Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung zu § 17 b Abs. 2 Satz 2 KHG (BT-Dr. 19/5593 S. 110). Dort heißt es, dass die Änderung von § 17 b Abs. 2 Satz 2 KHG den Verhandlungsauftrag für die Vertragsparteien auf Bundesebene präzisiert, sie stehe in Zusammenhang mit der gesetzlichen Vorgabe von § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG, wonach die Regelungen zur Fallzusammenführung als abschließende Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots zu verstehen sind.
Wie bereits ausgeführt, sind Vergütungsregelungen für die routinemäßige Abwicklung in zahlreichen Behandlungsfällen streng nach ihrem Wortlaut und den dazu vereinbarten Anwendungsregeln zu handhaben. Die Anwendung der normenvertraglichen Abrechnungsbestimmungen unterliegt zwar grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestands innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird, Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht, dies gilt auch für die in der FPV enthaltenen Abrechnungsbestimmungen (BSG 19.06.2018, B 1 KR 16/17 B).
Bei § 1 Abs. 7 Satz 5 SGB V handelt es sich daher nach Auffassung des Gerichts nicht um einen Fallzusammenführungstatbestand.
Insoweit kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, dass § 1 Abs. 7 Satz 5 FPV einen Fallzusammenführungstatbestand darstellt, der nicht von § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG erfasst werde.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass selbst dann, wenn man die Möglichkeit einer Fallzusammenführung entgegen § 8 Abs. 5 S. 3 KHEntgG bejahen würde im vorliegenden Fall, diese letztlich daran scheitern würde, dass nach der BSG-Rechtsprechung eine Beurlaubung nur möglich ist, wenn die Behandlung für „wenige Tage“ unterbrochen wird (BSG 19.11.2019, B 1 KR 6/19 R).
Im vorliegenden Fall dauerte die Unterbrechung jedoch 19 Tage und überschreitet damit nach Auffassung des Gerichts den vom BSG genannten Rahmen von „wenigen Tagen“.
Auch aus diesem Grund käme eine Fallzusammenführung, selbst wenn man sie entgegen § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG für zulässig halten würde, nicht in Betracht.
Nach alledem war die Klage in vollem Umfang begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197 a SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.


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