Arbeitsrecht

Krankenversicherung: Krankenhausvergütung einer Komplexbehandlung multiresistenter Erreger

Aktenzeichen  L 4 KR 136/18

Datum:
18.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30682
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BayMedHygV § 2, § 3, § 14
IfsG § 23
KHEntgG § 7 Abs. 1 Nr. 1
SGB V § 39 Abs. 1, § 109 Abs. 4 S. 3

 

Leitsatz

1. Dem Dokumentationserfordernis im Rahmen der Kodierung der OPS 8-987.- genügt eine Dokumentation nach drei Modulen, darunter eines Basisblocks mit einem Zeitumfang von 100 Minuten. (Rn. 34 – 35)
2. Eine minutengenaue Einzeldokumentation der im Basisblock enthaltenen standardisierten Maßnahmen, bei denen es sich um zentrale Maßnahmen zur Vermeidung der Übertragung von MRE handelt, ist im Klinikalltag nicht praktikabel und nicht zu fordern. (Rn. 35)
3. Die Dokumentation im Rahmen der OPS 8-987.- hat den Zweck, den entstandenen zeitlichen Mehraufwand zu belegen. Sie dient nicht der Sicherstellung der Einhaltung der Maßgaben der Hygiene im Krankenhaus. (Rn. 41)
4. Die Krankenhäuser unterliegen der infektionshygienischen Überwachung durch die Gesundheitsämter. (Rn. 41)

Verfahrensgang

S 8 KR 571/17 2018-02-27 Urt SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 27. Februar 2018 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 3.805,39 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Berufung ist aber nicht begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf die geltend gemachte Zahlung von 3.805,39 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz. Das SG hat zu Recht der Klage stattgegeben. Auf die ausführliche Urteilsbegründung des angefochtenen Urteils wird verwiesen, § 153 Abs. 2 SGG.
Ergänzend wird auch zum Vorbringen im Berufungsverfahren Folgendes ausgeführt:
Voraussetzung für die Abrechnung des OPS-Kodes 8-987.11 ist unter anderem das Entstehen eines dokumentierten durchschnittlichen Mehraufwandes von mindestens 2 Stunden täglich während der Behandlungstage mit strikter Isolierung.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass der Mindestmehraufwand von 2 Stunden nicht ausreichend dokumentiert sei. Es sei eine individuelle und jeweils mit einem Handzeichen versehene Dokumentation der einzelnen Verrichtungen notwendig. Dies steht im Widerspruch zu der gemeinsamen Empfehlung der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Spitzenverbände der GKV zur Dokumentation bei den OPS-Kodes 8-987.- Komplexbehandlung bei Besiedlung oder Infektion mit multiresistenten Erregern (MRE).
Die Beklagte weist zwar zu Recht darauf hin, dass die gemeinsame Empfehlung lediglich eine unverbindliche Empfehlung ist. In der Empfehlung wird insofern darauf hingewiesen, dass auf lokaler und regionaler Ebene weiterhin von dieser Empfehlung abweichende Regelungen zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern möglich sind.
Dennoch ist der Senat – wie das SG – der Ansicht, dass bei Anwendung der Empfehlung nicht von einem Dokumentationsmangel ausgegangen werden kann. Aus dem Wortlaut des OPS-Kodes ergibt sich gerade nicht die Erforderlichkeit einer Auflistung jeder vom jeweiligen Durchführenden einzeln aufzuführenden, von ihm getätigten Verrichtung, die jeweils mit einem Handzeichen des Durchführenden zu versehen ist. Vielmehr genügt die in der gemeinsamen Empfehlung vorgeschlagene Dokumentation nach drei Modulen mit unterschiedlichem Dokumentationserfordernis dem Erfordernis des Nachweises eines dokumentierten durchschnittlichen Mehraufwandes von mindestens zwei Stunden täglich.
Insbesondere ist die Begründung für die einmal täglich zu dokumentierende Erbringung eines Basisblocks mit einem Zeitumfang von 100 Minuten plausibel. Das Modul beinhaltet regelhaft anfallende, nicht direkt patientenbezogene Maßnahmen. Eine minutengenaue Einzeldokumentation dieser oft vielfach täglich anfallenden Leistungen ist im klinischen Alltag nach den Ausführungen in der Empfehlung der DKG und der Spitzenverbände der GKV nicht praktikabel und soll vermieden werden. Bestandteile des Blocks sind die Schutzmaßnahmen beim Betreten und Verlassen des Zimmers, der Dokumentationsaufwand, die Fußbodendesinfektion und die Desinfektion patientennaher Flächen. Es handelt sich damit um standardisierte Maßnahmen, die in dem streitgegenständlichen OPS-Kode aufgelistet sind und sich an den Empfehlungen der nach § 23 Abs. 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Robert Koch Institut (RKI) eingerichteten Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention zur Prävention und Kontrolle von MRSA in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen (Bundesgesundheitsblatt 2014, S.696 ff.) orientieren. Danach werden für Krankenhäuser zusätzlich zu den Festlegungen der räumlichen Unterbringung (Isolierung) insbesondere Barrieremaßnahmen und Maßnahmen zur Desinfektion empfohlen. So soll vor ärztlichen, therapeutischen, physiotherapeutischen, pflegerischen und sonstigen medizinischen Maßnahmen und Reinigungsmaßnahmen ein Schutzkittel und ein Mund-Nasen-Schutz angelegt werden, der nur in diesem räumlichen Trennungsbereich eingesetzt wird. Vor Verlassen des räumlichen Trennungsbereiches ist die persönliche Schutzausrüstung abzulegen und eine Händedesinfektion durchzuführen. Zur Desinfektion wird die Durchführung einer mindestens täglichen Flächendesinfektion (Wischdesinfektion) für die patientennahen Bereiche (Bettgestell, Nachttisch, Nassbereich, Türgriffe u.Ä.) empfohlen, wobei diese bei Bedarf auf weitere kontaminationsgefährdete Flächen auszudehnen ist.
Die Krankenhausleitungen haben sicherzustellen, dass die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um nosokomiale Infektionen zu verhüten und die Weiterverbreitung von Krankheitserregern, insbesondere solcher mit Resistenzen, zu vermeiden (§ 23 Abs. 3 IfSG; § 2 Verordnung zur Hygiene und Infektionsprävention in medizinischen Einrichtungen – Bayerische Medizinhygieneverordnung – MedHygV). Sie sind unter anderem zur Erstellung von Hygieneplänen verpflichtet, die Regelungen u.a. zur Festlegung standardisierter Handlungsabläufe enthalten (§ 23 Abs. 5 IfSG, § 3 MedHygV). Die Einhaltung des Standes der medizinischen Wissenschaft wird vermutet, wenn die Empfehlungen der Kommission beachtet worden sind (§ 23 Abs. 3 S.2 IfSG, § 2 MedHygV).
Der Ansatz von insgesamt 100 Minuten für die täglich durchzuführende Desinfektion patientennaher Flächen und die Fußboden- und Flächendesinfektion durch Reinigungskräfte und die entsprechenden Barrieremaßnahmen mit An- und Ausziehen von Schutzkitteln und Mund-Nasenschutz sowie Händedesinfektion bei jedem Betreten/ Verlassen des Isolierzimmers durch Ärzte (Visite, Diagnostik, Therapie), Pflegepersonen (Betten und pflegerische Maßnahmen, Essen bringen und Abtragen) und Reinigungskräfte und weiterer eingebundener Personen ist nicht zu beanstanden. Es handelt sich um Maßnahmen, die bei jedem Patienten nach Nachweis von MRSA täglich regelhaft anfallen und einen bestimmten Zeitrahmen erfordern, der von den Experten auf Bundesebene mit 100 Minuten angesetzt worden ist. Im Übrigen handelt es sich bei diesen Maßnahmen nach der Unterbringung im Einzelzimmer um zentrale Maßnahmen zur Vermeidung der Übertragung von MRSA (vgl. Empfehlungen zur Prävention und Kontrolle von MRSA in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen, a.a.O.). Dies spiegelt sich dann auch in der Tatsache wider, dass mit der Erbringung des Basisblocks bereits ein Großteil des zu dokumentierenden Mehraufwandes von zwei Stunden erfüllt werden kann. Ein Handzeichen einer/eines jeden Ärztin/Arztes, Krankenschwester/Krankenpflegers, Reinigungskraft, Physiotherapeutin/Physiotherapeuten oder Sonstigen bezüglich jeder einzelnen Verrichtung ist zur Überzeugung des Senats überflüssig. Vielmehr zeigt das tägliche Abzeichnen durch eine Person, dass an diesem Tag die standardisierten Einzelmaßnahmen im Bereich Barrieremaßnahmen und Desinfektion ausgeführt worden sind.
Im Gegensatz hierzu sind in einem Modul „Patientenabhängiger Block“ Maßnahmen gelistet, die in Abhängigkeit vom Krankheitsbild und Zustand des Patienten mit unterschiedlicher Häufigkeit erbracht werden. Diese sind teilweise bei Erforderlichkeit mehrfach pro Tag dokumentierbar. Hierzu gehören der Wechsel von Bettwäsche und Bekleidung sowie die antiseptische Behandlung der betroffenen Areale. In einem dritten Modul sind Leistungen aufgeführt, für deren Erbringung aufgrund einer großen zeitlichen Streuung keine Werte angegeben werden können. Da der Aufwand sehr unterschiedlich ausfallen kann, sind nach der gemeinsamen Empfehlung hierfür im modularen Verfahren nachvollziehbar höhere Anforderungen an die Dokumentation gestellt worden. Darunter fällt beispielsweise der Mehraufwand für diagnostische und therapeutische Maßnahmen im Patientenzimmer oder in Funktionsbereichen, der, wenn er anfällt, einen erheblichen Zeitbedarf bedeuten kann, der aber nicht regelhaft täglich, sondern ggf. auch gar nicht anfällt.
Die von dem Kläger im vorliegenden Fall benutzten Dokumentationsbögen enthalten daher eine nachvollziehbare, differenzierte und ausreichende Dokumentation der Leistungen des Krankenhauses während der strikten Isolierung des Versicherten.
Die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung zum Einen geforderte Unterzeichnung jeder einzelnen Verrichtung oder Tätigkeit aus dem Basisblock mit der Folge, dass mindestens 20 Unterschriften erforderlich sind, ist im Rahmen der Erfüllung der Dokumentationsverpflichtung ebenso wenig erforderlich wie die Nutzung des von der Beklagten zum Anderen in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Dokumentationsbogens des MDK. Nach diesem Dokumentationsbogen muss bezüglich jeder einzelnen Verrichtung eine Strichliste geführt werden, die durch jeweils ein Handzeichen jeder Schicht, das heißt Früh-, Spät- und Nachtdienst, insgesamt zu bestätigen ist. Auch wenn dieser Dokumentationsbogen nicht ein von der Beklagten zunächst gefordertes persönliches Unterzeichnen jeder Tätigkeit umfasst, könnte – soweit sich die Beteiligten darauf verständigen – auch dieser Bogen einer Dokumentation im Rahmen der streitgegenständlichen OPS-Kodes zugrunde gelegt werden. Wie dargestellt, ist die gemeinsame Empfehlung der DKV und der Spitzenverbände der GKV nicht bindend und es sind auch abweichende regionale oder lokale Regelungen möglich.
Soweit die Beklagte die Auffassung vertreten hat, die Dokumentation diene der Sicherstellung der Einhaltung der Maßgaben der Hygiene im Krankenhaus, verkennt sie, dass die Dokumentation im Rahmen des streitgegenständlichen OPS-Kodes lediglich den Zweck hat, den entstandenen zeitlichen Mehraufwand zu belegen. Die Sicherstellung der Durchführung der Hygienemaßnahmen und Einhaltung der Hygienevorschriften im Krankenhaus, für die vorliegend auch keinerlei Beanstandungen vorgetragen worden sind, ist – wie oben dargestellt – Aufgabe der Krankenhäuser. Sie unterliegen der infektionshygienischen Überwachung durch die Gesundheitsämter (§ 23 Abs. 6 IfSG, § 14 MedHygV).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 1, 2 SGG.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a SGG i.v.m. § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).


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