Arbeitsrecht

Kündigung einer Pflegetagegeldversicherung durch Betreuer des Versicherungsnehmers

Aktenzeichen  8 O 6345/20

Datum:
30.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21889
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 192 Abs. 6
BGB § 1812 Abs. 1, Abs. 1, § 1813 Abs. 1 Nr. 2, § 1831, § 1902, § 1908i Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Kündigung einer Pflegetagegeldversicherung durch den Betreuer eines unter Betreuung stehenden Versicherungsnehmers bedarf für ihre Wirksamkeit der Genehmigung durch das Betreuungsgericht, wenn der jährlich versicherte Betrag mehr als 3.000 EUR beträgt (im Anschluss an OLG Nürnberg BeckRS 2016, 9467 zur Lebensversicherung). (Rn. 23 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Frage nach der Wirksamkeit der Kündigung kommt es auch nicht darauf an, ob dem Betreuer bei Ausspruch der Kündigung die Höhe der Versicherungsleistung durchaus bekannt gewesen sein musste, oder dieser fälschlicherweise von einer anderen Art der Versicherung ausgegangen ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2020 bis 30.09.2020 Pflegetagegeld in Höhe von 7.525,53 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31.12.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger jeweils zum Ende eines jeden Monats, erstmals ab dem 01.10.2020 aus dem Versicherungsvertrag mit der Nummer … ein monatliches Pflegetagegeld in Höhe des jeweiligen Pflegegrades für die vollstationäre Pflege, aktuell 33,00 € pro Tag zu 90 % für den Pflegegrad 4, längstens bis zum Versterben des Klägers zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 45.467,28 €, für Ziffer I der Anträge in Höhe von 7.525,53 € und für Ziffer II der Anträge in Höhe von 37.941,75 € (3,5 facher Jahresbetrag) festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
Die Kündigung des Versicherungsvertrages durch die Betreuerin mit Schreiben vom 08.07.2019 hat den Vertrag nicht beendet, da die Kündigung nach §§ 1908 i Abs. 1, 1812 Abs. 1, Abs. 3, 1831 BGB unwirksam ist, wie auch das OLG Nürnberg für den Fall der Kündigung einer Lebensversicherung entschieden hat (OLG Nürnberg, Teilurt. v. 24.3.2016 – 8 U 1092/15). Nichts anderes kann für den hier vorliegenden Fall der Kündigung einer Pflegetagegeldversicherung durch die Betreuerin ohne Genehmigung des Betreuungsgerichts gelten.
1. Nach § 1902 BGB vertritt der Betreuer in seinem Aufgabenkreis den Betreuten gerichtlich und außergerichtlich. Diese umfassende Vertretungsmacht wird dadurch eingeschränkt, dass nach § 1908 i BGB verschiedene Vorschriften des Vormundschaftsrechts auf die Betreuung sinngemäß anzuwenden sind. Nach dem insoweit gemäß § 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB entsprechend anwendbaren § 1812 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Betreuer über eine Forderung oder über ein anderes Recht, kraft dessen der Betreute eine Leistung verlangen kann, nur mit Genehmigung des Gegenbetreuers verfügen. Ist ein Gegenbetreuer – wie hier – nicht vorhanden, so tritt an die Stelle seiner Zustimmung die des Betreuungsgerichts, sofern nicht die Betreuung von mehreren Betreuern gemeinschaftlich geführt wird (§§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1812 Abs. 3 BGB; OLG Nürnberg, Teilurt. v. 24.3.2016 – 8 U 1092/15).
Unter einer Verfügung versteht man ein Rechtsgeschäft, durch das der Verfügende auf ein Recht unmittelbar einwirkt, es also entweder auf einen Dritten überträgt oder mit einem Recht belastet oder das Recht aufhebt oder es sonst in seinem Inhalt ändert (BGH, Urt. v. 5.11.2009 – III ZR 6/09 -, juris, Rn. 13, 15; OLG Nürnberg, Teilurt. v. 24.3.2016 – 8 U 1092/15).
Bei der Kündigung einer Pflegetagegeldversicherung wird durch ihre Gestaltungswirkung ein auf Leistung gerichtetes Recht aufgehoben. Die Kündigung ist eine Verfügung im Sinne des § 1812 Abs. 1 BGB.
2. Die Ausnahmevorschrift des § 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB greift im vorliegenden Fall nicht ein, da der jährlich versicherte Betrag bei mehr als 10.000,00 € liegt.
3. Der Einwand des Beklagtenvertreters, dass sich das Urteil nicht auf den vorliegenden Fall übertragen lasse, da der Betreuerin des Klägers die Höhe der Versicherungsleistung genau bekannt war, so dass diese durch die Kündigung keine Änderung erfuhr, greift hier nicht.
Der Entscheidung des OLG Nürnbergs liegt zwar die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrages zugrunde, weshalb die Kündigung in dem dortigen Verfahren eine Verfügung dargestellt hat, durch deren Gestaltungswirkung ein Recht inhaltlich verändert wurde. Der ursprünglich, wenn auch aufschiebend und auflösend bedingte, auf Zahlung gerichtete Anspruch ist durch eine Kündigung in einen minimalen Auszahlungsanspruch auf den Rückkaufswert konvertiert worden.
In dem hiesigen Verfahren stellt die Kündigung der Pflegetagegeldversicherung auch eine Verfügung im Sinne des § 1812 Abs. 1 BGB dar, da das Recht nicht nur inhaltlich verändert wurde, sondern gänzlich aufgehoben wurde. Nach dem Beendigungszeitpunkt am 31.12.2019 hätte der Kläger somit bei ordnungsgemäßer Kündigung keinen Anspruch mehr auf die Leistungen aus der Pflegetagegeldversicherung.
4. Es kann bei der Frage nach der Wirksamkeit der Kündigung auch nicht darauf ankommen, dass der Betreuerin die Höhe der Versicherungsleistung durchaus bekannt gewesen sein musste, oder dass diese fälschlicherweise von einer anderen Art der Versicherung ausgegangen ist. Eine andere Auslegung würde dem Schutzzweck des § 1812 BGB widersprechen, einen umfassenden Schutz des Mündelvermögens – hier des Vermögens des Betreuten – zu gewährleisten (vgl. zum Schutzzweck: BGH, a.a.O., Rn. 23). Denn ansonsten könnte die Betreuerin in voller Kenntnis Vermögen des Betreuten veruntreuen. Dies soll durch das Erfordernis der Genehmigung durch das Betreuungsgericht verhindert werden.
5. Die Beklagte kann sich auch nicht im Nachhinein darauf berufen, den Vertrag mit dem Kläger ohnehin gekündigt haben zu wollen. Eine Kündigung von Seiten der Beklagten wurde nicht erklärt.
6. Es ist ebenfalls unerheblich, ob der fehlende Betrag von ca. 900,00 € zwischenzeitlich von dem Bezirk Mittelfranken gedeckt wurde oder nicht.
Mit Schreiben vom 21.11.2019 teilte der … der Betreuerin des Klägers mit, dass aufgrund der Kündigung dem Betreuten ein monatlicher Betrag von ca. 900,00 € fehlt, der ab dem 01.01.2020 nicht mehr zur Bestreitung der Heimkosten zur Verfügung steht (vgl. Anlage B4). Unstreitig ist somit, dass dieser Betrag von 900,00 € monatlich zur Bestreitung der Heimkosten fehlt. Auch wenn dieser Betrag aufgrund der Kündigung vorübergehend vom Bezirk Mittelfranken übernommen wurde, führt dieser Umstand nicht zur Leistungsfreiheit der Beklagten als Versicherung des Klägers.
7. Die Betreuerin des Klägers hat die Kündigung ohne die erforderliche Genehmigung vorgenommen, sie hat außerhalb ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht gehandelt. Das Geschäft, hier die Kündigung ist unwirksam; es gelten §§ 1828-1831, § 1832 BGB (vgl. MüKoBGB/Kroll-Ludwigs, 8. Aufl. 2020, BGB § 1812 Rn. 44).
8. Da der Versicherungsvertrag mit der Beklagten unverändert fortbesteht und nicht durch die Kündigung zum 31.12.2019 beendet worden ist, hat der Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2020 bis zum 30.09.2020 einen Anspruch gegen die Beklagte in Höhe von 7.525,53 €.
9. Für den Zeitraum ab dem 01.10.2020 steht dem Kläger ein monatliches Pflegetagegeld in Höhe des jeweiligen Pflegegrades für die vollstationäre Pflege, aktuell 33,00 € pro Tag zu 90 % für den Pflegegrad 4, längstens bis zum Versterben des Klägers zu. Gemäß § 7 Absatz 4 der AVB/GEPV-VT wird das Pflegemonats- oder Pflegetagegeld ohne Kostennachweis jeweils zum Ende eines jeden Monats gezahlt, in dem Pflegebedürftigkeit nach § 14 SGB XI besteht, soweit der Tarif mit Tarifbedingungen nichts Abweichendes regelt. Im vorliegenden Fall wurde hierzu nichts Abweichendes vorgetragen, so dass davon ausgegangen wird, dass das Pflegetagegeld zum Ende eines jeden Monats gezahlt wird.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
III.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1, Satz 2 BGB.


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