Arbeitsrecht

Kürzung der Dienstbezüge – Verletzung der beamtenrechtliche Treuepflicht

Aktenzeichen  M 19L DB 17.4303

Datum:
29.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 54045
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 3, Art. 8, Art. 9, Art. 14 Abs. 1, Art. 58 Abs. 2
RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Disziplinarverfügung der Landesanwaltschaft Bayern vom 14. August 2017 wird aufgehoben, soweit gegen die Klägerin eine Kürzung der Dienstbezüge um 1/10 für die Dauer von 12 Monaten festgesetzt wird. Der Klägerin wird als Disziplinarmaßnahme eine Geldbuße in Höhe von 1.500 € aufgelegt.
II. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 3/5, der Beklagte 2/5.

Gründe

Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Disziplinarverfügung der Landesanwaltschaft Bayern vom 14. August 2017 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (Art. 3 BayDG i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO), als sie eine Gehaltskürzung um 1/10 für die Dauer eines Jahres festsetzt. Als angemessene Disziplinarmaßnahme ist lediglich eine Geldbuße in Höhe von 1.500 € auszusprechen (Art. 8 BayDG).
Nach Art. 58 Abs. 2 BayDG prüft das Gericht bei einer Klage gegen eine Disziplinarverfügung neben der Rechtmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Das Gericht ist demnach nicht auf die Prüfung beschränkt, ob der der Klägerin mit der Disziplinarverfügung zum Vorwurf gemachte Lebenssachverhalt tatsächlich vorliegt und disziplinarrechtlich als Dienstvergehen zu würdigen ist, sondern hat – bejahendenfalls – unter Beachtung des Verschlechterungsverbots auch darüber zu entscheiden, welches die angemessene Disziplinarmaßnahme ist. Anders als sonst bei einer Anfechtungsklage ist das Gericht nicht nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO darauf beschränkt, eine rechtswidrige Verfügung aufzuheben; es trifft vielmehr in Anwendung der in Art. 14 Abs. 1 BayDG niedergelegten Grundsätze innerhalb der durch die Verfügung vorgegebenen Disziplinarmaßnahmenobergrenze eine eigene Ermessensentscheidung (BVerwG, U.v. 15.12.2005 – 2 A 4.04 – juris Ls. 2 und Rn. 23).
1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf.
2. Das Gericht teilt die von der Disziplinarbehörde vertretene Auffassung zur Dienstpflichtverletzung der Klägerin und zu dem eröffneten Orientierungsrahmen (vgl. Disziplinarverfügung S. 3 bis 9, III., IV. und V.1. und 2.).
2.1. Der Klägerin ist vorzuwerfen, dass sie für die Zeit vom 1. April 2014 bis 30. Juni 2015 (also insgesamt 15 Monate) Vollzeitbezüge erhielt, obwohl ihr lediglich Teilzeitbezüge in Höhe von 70% zu standen, und sie es unterlassen hat, das Landesamt für Finanzen über die Überzahlung zu informieren, obwohl sie diese angesichts der Höhe der monatlichen Zahlungen hätte erkennen müssen. Die monatliche Überzahlung betrug dabei rund 1.000 € netto. Insgesamt entstand eine Überzahlung von rund 20.000 €. Die im Rückforderungsbescheid vom 3. Juni 2015 genannte Summe von 28.817,32 € ist zu hoch angesetzt und berücksichtigt die monatliche Besteuerung nicht. Dementsprechend enthielt die Bezügemitteilung vom Dezember 2015 den Hinweis, dass ein Betrag von rund 8.000 € zuviel zurückgezahlt wurde.
2.2. Aufgrund dieses Sachverhalts hat die Klägerin ihre beamtenrechtliche Treuepflicht durch innerdienstliches Fehlverhalten in grob fahrlässiger Weise verletzt.
Aus der allgemeinen beamtenrechtlichen Treuepflicht folgt, dass der Beamte verpflichtet ist, die erhaltenen Bezügemitteilungen nachzuprüfen und die Bezügestelle bei festgestellten oder vermuteten Unstimmigkeiten zu unterrichten (BayVGH, B.v. 10.6.2013 – 16a DZ 12.433 – juris Rn. 4).
Der Verstoß gegen diese beamtenrechtliche Treuepflicht ist im vorliegenden Fall disziplinarrechtlich relevant. Die Relevanz ist hier zu bejahen, obwohl die Überzahlung aufgrund eines Fehlers des Landesamts für Finanzen entstanden ist. Hier ist der Fehler so offensichtlich, dass die Klägerin ihn hätte erkennen müssen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (B.v. 10.6.2013 – 16a DZ 12.433 – juris Rn. 6) bejaht eine Offensichtlichkeit, wenn die Überzahlungen in auffälliger Höhe stattfinden und über eine gewisse Dauer fortgeführt werden. Eine auffällige Höhe ist nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bei einer Überzahlung in Höhe von 20% des zustehenden Nettogehalts über einen Zeitraum von jedenfalls acht Monaten gegeben. Diese Vorgaben werden durch die hier vorliegende Überzahlung in Höhe von 28% über einen Zeitraum von 15 Monaten erfüllt. Die Klägerin hätte die Überzahlung auch erkennen müssen. Diese ist ihr allein deshalb nicht aufgefallen, weil sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maß außer Acht gelassen hat (vgl. BayVGH, B.v. 10.6.2013 – 16a DZ 12.433 – juris Rn. 5). Hier musste ihr als Beamtin der 4. Qualifikationsebene, die den unmittelbaren Vergleich zwischen Dienstbezügen in Höhe von 70% und 100% hatte und infolge der Umstellung der Zeitanteile und damit der Bezügehöhe sensibilisiert sein musste, auffallen, dass die erhaltenen Beträge nicht richtig sein konnten. Hätte sie die Bezügemitteilungen ordnungsgemäß und eingehend überprüft, hätte sich die Überzahlung klar erkennen lassen.
2.3. Wie die Landesanwaltschaft Bayern in der Disziplinarverfügung zutreffend ausführt, ist die Variationsbreite in den Überzahlungsfällen so groß, dass eine Regeleinstufung nicht vorgenommen werden kann. Als Orientierungsrahmen kommt eine Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge bis in den oberen Bereich in Betracht.
3. Im Rahmen der konkreten Maßnahmebemessung und der Einzelfallbetrachtung gewichtet das Gericht die Umstände, die zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen sind und die auch die Landesanwaltschaft Bayern überwiegend in ihre Überlegungen eingestellt hat (Disziplinarverfügung S. 9 bis 11, V.3.), so schwer, dass nicht mehr die ausgesprochene Bezügekürzung, sondern nur noch eine Geldbuße in Höhe von 1.500 € angemessen erscheint.
Zwar lässt der Vergleich des vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Falles mit dem hier vorliegenden Sachverhalt die von der Landesanwaltschaft Bayern getroffene Wertung auf den ersten Blick nachvollziehbar erscheinen. Im dortigen Fall lag eine Überzahlung in Höhe von 4.504 € für die Dauer von acht Monaten vor, wohingegen die Überzahlung hier 15 Monate andauerte und rund 20.000 € betrug. Die Landesanwaltschaft Bayern ging in der Disziplinarverfügung noch von einer Überzahlung in Höhe von 28.817,32 € aus, dieser Betrag ist aber nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu mindern. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hielt in dem dort entschiedenen Fall eine Geldbuße für tat- und schuldangemessen (BayVGH, B.v. 10.6.2013 – 16a DZ 12.433 – juris Rn. 8).
Aufgrund der vielen für die Klägerin sprechenden Umstände hält das Gericht hier lediglich eine Geldbuße in der ausgesprochenen Höhe für angemessen, aber auch erforderlich. Die anerkannten Milderungsgründe, die die Rechtsprechung ursprünglich zu den Zugriffsdelikten entwickelt hat, stellen keinen abschließenden Kanon der bei Dienstvergehen berücksichtigungsfähigen Entlastungsgründe dar. Zur Prognosebasis gehören vielmehr alle für die Entscheidung bedeutsamen belastenden und entlastenden Ermessensgesichtspunkte, die in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen sind. Selbst wenn keiner der vorrangig zu prüfenden anerkannten Milderungsgründe vorliegt, können entlastende Umstände gegeben sein, deren Gewicht in ihrer Gesamtheit dem Gewicht anerkannter Milderungsgründe vergleichbar ist. Entlastungsmomente können sich dabei aus allen denkbaren Umständen ergeben (vgl. BayVGH, U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 44 f.).
3.1. Die Klägerin ist straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet.
3.2. Sie zeigt seit vielen Jahren sehr anerkennenswerte dienstliche Leistungen und hohes dienstliches Engagement. In den Beurteilungen der Jahre 2005, 2008, 2011 und 2014 erzielte sie jeweils 11 Punkte. In der aktuellen Beurteilung aus dem Jahr 2017 erreichte sie 12 Punkte. Die über Jahre hinweg gezeigten guten dienstlichen Leistungen und der Umstand, dass es trotz des vorliegenden Disziplinarverfahrens nicht zu einem Leistungsabfall, sondern zu einer Leistungssteigerung kam, sprechen maßgeblich für die Klägerin. Der neue Direktor der … und ihr unmittelbarer Vorgesetzter heben zudem die dienstlichen Leistungen der Klägerin in Stellungnahmen vom 21. September bzw. 7. Oktober 2015 hervor und betonen ihr Engagement und ihre gewissenhafte Aufgabenerfüllung.
3.3. Die Klägerin hatte zudem alles ihr Mögliche getan, um zur Aufarbeitung ihrer Tat beizutragen. Sie hat gegenüber Vorgesetzten und Behörden kontinuierlich an der Aufklärung des Geschehens mitgewirkt. Außerdem zeigt sie sich reuig und einsichtig.
3.4. Zudem hat sie den dem Dienstherrn entstandenen Schaden zeitnah und in voller Höhe wieder gut gemacht. Durch ihre hohen Einmalzahlungen in Höhe von 15.000 € und 8.000 € hat sie sich zudem des Steuervorteils begeben, den sie bei einer ratenweisen Rückzahlung in Anspruch nehmen hätte können.
3.5. Die erfolgte Überzahlung beruhte zudem auf einem Versagen der Behörden. Zudem hätte sie bereits im September/Oktober 2014 erkannt werden können, als die Klägerin einen Antrag auf Fortsetzung des ihr gewährten Teilzeitanteils gestellt hat.
3.6. Zu ihren Gunsten spricht weiter, dass die erfolgte Irrtumserregung durch schuldhaftes Unterlassen, nicht durch aktive Täuschung erfolgt ist.
3.7. Zu ihren Gunsten ist zudem die rund 3-jährige Gesamtdauer des Verfahrens und ihre Belastung durch dieses Verfahren wie auch durch das parallel laufende Strafverfahren zu berücksichtigen.
3.8. Für die Klägerin spricht auch, dass die fünf Bezügemitteilungen, aus denen die Überzahlung ohne Weiteres erkennbar gewesen wäre, in Zeiten einer besonderen persönlichen oder dienstlichen Belastung fielen oder Sonderzahlungen enthielten. Die Klägerin hat glaubhaft vorgetragen, dass mit der Einführung des neuen Direktors der … im April 2014 eine besondere berufliche und mit dem Tod des Geschäftspartners ihres Lebensgefährten im Dezember 2014 eine besondere persönliche Belastungssituation für sie bestand. Die Bezügemitteilungen für April und Mai 2014 fielen in den Zeitraum der hohen beruflichen Belastung. Außerdem beinhaltete die Bezügemitteilung für April 2014 zudem die Nachzahlung der Bezüge für März 2014. Die Bezügemitteilung vom Dezember 2014 wies zusätzlich das Weihnachtsgeld aus. Der Tod des Geschäftspartners ihres Lebensgefährten betrifft die Bezügemitteilung für Januar 2015. Die Bezügemitteilung für Juni 2015 erfolgte erst nach positiver Kenntnis der Überzahlung. Insgesamt lagen damit bei Erhalt aller Bezügemitteilungen besondere Umstände vor.
Angesichts dieser Milderungsgründe stellt sich die verhängte Bezügekürzung für das Fehlverhalten der Klägerin als zu einschneidende Disziplinarmaßnahme dar. Zur Pflichtenmahnung erscheint eine Geldbuße in Höhe von 1.500 € ausreichend, aber auch erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt das jeweilige Obsiegen und Unterliegen der Parteien.


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