Aktenzeichen M 5 K 15.1311
Leitsatz
Die gesundheitliche Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit fehlt, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass der Beamte wegen schädlichen Gebrauchs von Alkohol vor Erreichen der Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt sowie bis zur Pensionierung über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen wird. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Entlassungsbescheid des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom … August 2014 in der Form des Widerspruchsbescheides vom … März 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO.
1. Der Entlassungsverfügung haftet kein formaler Mangel an. Art. 56 des Bayerischen Beamtengesetzes/BayBG wurde beachtet, insbesondere die Entlassungsfrist nach Art. 56 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 BayBG.
Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Anhörung des Klägers vor Ergehen der streitgegenständlichen Verfügung rechtmäßig und ausreichend im Sinne von Art. 28 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes/BayVwVfG war, obwohl das amtsärztliche Gutachten zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorlag. Nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 2 BayVwVfG kann die erforderliche Anhörung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit heilender Wirkung nachgeholt werden. Der Kläger hat sich sowohl im Rahmen des Widerspruchs- als auch des Klageverfahrens äußern und zu den zwischenzeitlich vorliegenden Gutachten Stellung nehmen können. Durch die Auseinandersetzung des Beklagten mit den gegen die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe vorgebrachten Argumenten im Rahmen des Widerspruchs- und Klageverfahrens wurde das in der Anhörungspflicht enthaltene Gebot gewahrt, ein etwaiges Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und – im Hinblick auf eine etwaige Abänderung der getroffenen Verfügung – in Erwägung zu ziehen.
2. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern – Beamtenstatusgesetz/BeamtStG i. V. m. Art. 12 Abs. 5 des Gesetzes über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen – Leistungslaufbahngesetz/LlbG kann ein Beamter auf Probe entlassen werden, wenn er sich in der Probezeit nicht bewährt hat oder nicht geeignet ist. Obwohl der Wortlaut des § 23 Abs. 3 BeamtStG davon spricht, dass ein Beamter auf Probe entlassen werden „kann“, ist der Behörde hinsichtlich der Entlassung eines Probebeamten, der sich in der Probezeit nicht bewährt hat, kein Ermessen eröffnet. Nach Art. 12 Abs. 5 LlbG werden Beamtinnen und Beamte, die sich nicht bewährt haben, entlassen. Das Wort „kann“ trägt lediglich dem Gesichtspunkt Rechnung, dass die Probezeit, wie hier geschehen, zu verlängern ist, wenn die Bewährung oder Nichtbewährung des Beamten noch nicht endgültig festgestellt worden ist (BVerwG, U. v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – BVerwGE 148, 204 – juris Rn. 11).
Auch die fehlende gesundheitliche Eignung stellt einen Entlassungsgrund dar. Dies folgt zudem aus Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland/GG, dessen Kriterien § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG übernimmt. Geeignet ist nach Art. 33 Abs. 2 GG nur derjenige, der dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist (BVerfG, B. v. 21.2.1995 – 1 BvR 1397/93 – BVerfGE 92, 140 – juris Rn. 44; BVerwG, U. v. 25.7.2013 – 2 C 12.11 – BVerwGE 147, 244 – juris Rn. 10). Bei der von Art. 33 Abs. 2 GG geforderten Eignungsbeurteilung hat der Dienstherr daher immer auch eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Bewerber den Anforderungen des jeweiligen Amtes in gesundheitlicher Hinsicht entspricht (BVerwG, U. v. 25.7.2013 a.a.O – juris Rn. 10).
Es obliegt dem Dienstherrn, die körperlichen Anforderungen der jeweiligen Laufbahn zu bestimmen. Hierbei steht ihm ein weiter Einschätzungsspielraum zu, bei dessen Wahrnehmung er sich am typischen Aufgabenbereich der Ämter der Laufbahn zu orientieren hat. Diese Vorgaben bilden den Maßstab, an dem die individuelle körperliche Leistungsfähigkeit der Bewerber zu messen ist (BVerwG, U. v. 21.6.2007 – BVerwG 2 A 6.06 – juris Rn. 22). Auf dieser Grundlage muss festgestellt werden, ob ein Bewerber den Anforderungen gewachsen ist, die die Ämter einer Laufbahn für die Dienstausübung stellen. Dem Dienstherrn steht bei der Entscheidung über die gesundheitliche Eignung eines Beamten kein Beurteilungsspielraum zu. Entsprechend haben die Verwaltungsgerichte letztverantwortlich über die gesundheitliche Eignung von Beamtenbewerbern zu entscheiden, ohne an tatsächliche oder rechtliche Wertungen des Dienstherrn gebunden zu sein (BVerwG, U. v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – BVerwGE 148, 204 – juris Rn. 19; BVerwG, U. v. 25.7.2013 – 2 C 2/11 – BVerwGE 147, 244 – juris Rn. 24; U. v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – BVerwGE 148, 204 – juris Rn. 19).
Zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung müssen die körperlichen und psychischen Veranlagungen des Bewerbers festgestellt und deren Auswirkungen auf sein Leistungsvermögen bestimmt werden. Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkunde, über die nur ein Arzt verfügt. Dieser muss, wie hier geschehen, gegebenenfalls einen Facharzt hinzuziehen. Der Mediziner muss eine fundierte medizinische Tatsachenbasis für die Prognose auf der Grundlage allgemeiner medizinischer Erkenntnisse und der gesundheitlichen Verfassung des Bewerbers erstellen. Er muss das Ausmaß der Einschränkungen feststellen und deren voraussichtliche Bedeutung für die Leistungsfähigkeit und für die Erfüllung der beruflichen Anforderungen medizinisch fundiert einschätzen (vgl. zum Ganzen auch Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: November 2015, § 23 BeamtStG Rn. 138).
Der Dienstherr kann einem Bewerber die gesundheitliche Eignung für die angestrebte Laufbahn nur dann absprechen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, er werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt oder er werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bis zur Pensionierung über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen. Lassen sich vorzeitige dauernde Dienstunfähigkeit oder krankheitsbedingte erhebliche und regelmäßige Ausfallzeiten nach Ausschöpfen der zugänglichen Beweisquellen weder feststellen noch ausschließen, so geht dies zulasten des Dienstherrn. Darüber hinaus sind bloße Zweifel des Dienstherrn an der gesundheitlichen Eignung des Bewerbers, die den genannten Anforderungen nicht genügen, unerheblich (BVerwG, U. v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – BVerwGE 148, 204 – juris Rn. 26 ff.).
3. Nach diesen Grundsätzen steht die gesundheitliche Nichteignung des Klägers für die Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zur Überzeugung des Gerichts fest. Die als sachverständige Zeugin vernommene Amtsärztin Dr. B. wie auch der ebenfalls als sachverständiger Zeuge vernommene Gutachter Dr. O. haben die Gesundheitszeugnisse und die diesen zugrunde liegenden Gutachten nachvollziehbar und widerspruchsfrei erläutert. Die Schlussfolgerungen sind plausibel und überzeugen. Da die Amtsärztin zu der besonderen Problematik keine eingehendere Fachkenntnisse hat, war es geboten, hierfür ein ergänzendes Gutachten bei Dr. O. einzuholen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere durch Einvernahme des sachverständigen Zeugen Dr. O., ist beim Kläger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass er vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt wird wie auch bis zur Pensionierung über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen wird.
Der als sachverständiger Zeuge in der mündlichen Verhandlung vernommene Dr. O, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit Zusatzqualifikationen Suchtmedizin und Verkehrsmedizin, hat erläutert, dass beim Kläger eine gesundheitliche Störung vorliegt, die zu den benannten Folgen führt.
a) Der sachverständige Zeuge Dr. O. hat nachvollziehbar ausgeführt, dass beim Kläger wohl zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedenfalls aber ein schädlicher Gebrauch von Alkohol vorliegt (F 10.1 der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems/ICD-10).
Der Alkoholgebrauch beim Kläger sei verantwortlich für soziale Auffälligkeit sowie körperliche Schäden. Dies habe sich in wiederholten Notarzteinsätzen gezeigt, im Treppensturz des Klägers mit Bruch des Dornfortsatzes eines Wirbelkörpers im Jahr 2010 sowie in dem Vorfall 2013, als der Kläger bewusstlos, erheblich alkoholisiert und nur mit einer Unterhose bekleidet in der Schule durch das dortige Personal aufgefunden wurde.
Die Art der Schädigung habe durch Dr. O. klar festgestellt und bezeichnet werden können.
Durch die mehrmalige Auffälligkeit und den aktenkundigen Vorlauf von erheblichen Trinkepisoden in der Vergangenheit sei auch belegt, dass das Gebrauchsmuster seit mindestens einem Monat vor der Verfügung des Beklagten bestand.
Andere Erklärungen als die Alkoholintoxikation für die festgestellten Schäden seien schließlich nicht ersichtlich.
b) Beim Kläger sei sowohl von einem Auftreten erheblicher Fehlzeiten auszugehen, die in der Summe auf das gesamte Erwerbsleben betrachtet über einem Jahr liegen, als auch von einer vorzeitigen Ruhestandsversetzung. Dies ergebe sich aus einer wissenschaftlichen Studie sowie aus eigenen Erfahrungen und Beobachtungen im Bereich alkoholabhängiger Patienten in der Klinik des Dr. O. Die Wahrscheinlichkeit von Gesundheitsschädigungen, erheblichen krankheitsbedingten Fehltagen und das Nichterreichen des regulären Ruhestandsalters ordnete der sachverständige Zeuge Dr. O. bei etwa 75% ein.
Dr. O. schilderte weiter, dass die bekannt gewordenen erheblichen Alkoholisierungen einen problematischen Alkoholkonsum belegen. Denn die jeweils festgestellten Alkoholkonzentrationen bewegten sich in einem Niveau, das eine längere Alkoholgewöhnung bedinge und weit über dem sozial üblichen Alkoholkonsum liege. Hinzu komme, dass der Kläger ein pathologisches Trinken in Form des „Wirkungstrinkens“ praktiziere. Auch eine adäquate Behandlung sei nicht erfolgt, der Kläger zeige kein Problembewusstsein.
Vor diesem Hintergrund ist auch die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Ansicht plausibel und nachvollziehbar, dass zu besorgen sei, der Kläger werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die gesetzliche Altersgrenze nicht erreichen und erhebliche Zeit zuvor in den Ruhestand versetzt. Bei einer wissenschaftlich erwiesenen deutlichen geringeren Lebenserwartung von Menschen, die in erheblichem Maß Alkohol zu sich nehmen, komme es zuvor zu erheblichen und schweren Erkrankungen, die sowohl zu ganz erheblichen krankheitsbedingten Ausfallzeiten führen wie auch zu gesundheitsbedingten vorzeitigen Ruhestandsversetzungen.
4. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.