Arbeitsrecht

Mehrflugdienststundenvergütung – Ungleichbehandlung eines Teilzeitbeschäftigten genüber Vollzeitbeschäftigten

Aktenzeichen  12 Ca 13601/18

Datum:
29.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 39684
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
TzBfG § 4 Abs. 1
BGB § 612 Abs. 1
VTV § 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 12.115,65 brutto nebst Zinsen hie raus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 10.01.2019 zu bezahlen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu 21%, der Kläger zu 79%.
IV. Der Streitwert wird auf € 13.735,65 festgesetzt.
V. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
I.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG eröffnet, denn die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Arbeitsvertrag.
Der Gerichtsstand in A-Stadt folgt gemäß §§ 12, 17 ZPO aus dem Sitz der Beklagten.
II.
Der Antrag Ziffer 1. ist begründet, so dass der Hilfsantrag Ziffer 2. nicht zur Entscheidung anfiel. Die Anträge Ziffern 3. bis 5. sind unbegründet.
1. Der Antrag Ziffer 1. ist begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte An spruch auf Mehrflugdienststundenvergütung in rechnerisch unstreitiger Höhe aus § 4 Abs. 1 TzBfG i.V.m. § 612 Abs. 1 BGB zu. Die tariflichen Regelungen § 4 VTV Nr. 6 und III Ziffer 6 des Eckpunktepapiers „Jump“ sind nach § 22 Abs. 1 TzBfG unwirksam, soweit sie für teilzeitbeschäftigte Flugzeugführer keine proportionale Absenkung der Mehrflugdienststundenauslösegrenzen entsprechend ihrer individuellen Arbeitszeit vorsehen, denn dies stellt eine nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten dar.
a) Nach § 4 Abs. 1 TzBfG darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer we gen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, sachliche Gründe rechtfertigen eine unterschiedliche Behandlung. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung nach § 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. § 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG konkretisiert das allgemeine Diskriminierungsverbot des § § 4 Abs. 1 S. 1TzBfG für den Bereich des Entgelts oder einer anderen teilbaren geldwerten Leistung. Auch tarifliche Regelungen müssen mit § 4 TzBfG vereinbar sein. Die in dieser Vorschrift geregelten Diskriminierungsverbote stehen nach § 22 TzBfG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien.
§ 4 Abs. 1 TzBfG setzt § 4 Nr. 1 und 2 der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der RL 97/81/EG des Rates vom 15.12.1997 um. Methodisch ist der Vergleich von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten für jeden einzelnen Entgeltbestandteil vorzunehmen. Eine Gesamtbewertung der geleisteten Vergütungsbestandteile scheidet aus. Entgelte für die Regelarbeitszeit und Mehr- oder Überarbeitsvergütungen sind gesondert zu vergleichen (BAG, vom 23.03.2017 – 6 AZR 161/16, Rz. 44f., m.N. unter anderem auf Rechtsprechung des EuGH).
Damit ergibt sich im vorliegenden Fall eine Ungleichbehandlung, denn der Kläger muss – anders als eine vollzeitbeschäftigte Kollegin – Mehrflugdienststunden ohne Zuschlag leisten bis er die Auslösegrenze erreicht hat.
b) Die Ungleichbehandlung kann unter zwei Voraussetzungen durch sachliche Gründe im Sinne von § 4 Abs. 1 TzBfG gerechtfertigt sein. Zum einen muss die tarifliche Mehrflugdienststundenvergütung den Zweck haben, besondere Belastungen auszugleichen, die entstehen, wenn die Beschäftigten über die von den Tarifvertragsparteien vorgegebene Arbeitszeit hinaus tätig werden. Zum zweiten muss die Tarifnorm das Ziel haben, den Arbeitgeber von einer solchen übermäßigen Inanspruchnahme abzuhalten (BAG vom 23.03.2017, 6 AZR 161/16, Rz. 53 und 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, Rz. 35 und 37ff.).
Die Tarifvertragsparteien sind grundsätzlich frei darin, in Ausübung ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten autonomen Regelungsmacht den Zweck einer tariflichen Leistung zu bestimmen. Der Zweck ist der von den Tarifvertragsparteien vorgenommenen ausdrücklichen Zweckbestimmung der Leistung zu entnehmen oder durch Auslegung der Tarifnorm – anhand von Anspruchsvoraussetzungen, Ausschließungsund Kürzungsregelungen – zu ermitteln. Es kommt nicht auf die denkbaren Zwecke an, die mit der Leistung verfolgt werden können, sondern auf diejenigen, um die es den Tarifvertragsparteien bei der Leistung nach ihrem im Tarifvertrag selbst zum Ausdruck gekommenen, durch die Tarifautonomie geschützten Willen geht (BAG vom 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, Rz. 34 m.N.).
Eine Auslegung der fraglichen Tarifverträge nach diesen Kriterien ergibt, dass beide Voraussetzungen nicht gegeben sind.
aa) In § 4 VTV ist der Zweck der Mehrflugdienststundenvergütung nicht ausdrücklich genannt, demgegenüber haben die Tarifvertragsparteien in Ziffer III. 6 des Eckpunktepapiers „Jump“ ausdrücklich niedergelegt, dass sie mit dem vereinbarten „Mehrflugstundendienstsystem […] gemeinsame Erwartungen an den wirtschaftlichen Rahmen“ verknüpfen, deren Eintritt sie zeitnah überprüfen und erforderlichenfalls nachverhandeln wollen. Hieraus folgt eindeutig, dass für den Mehrflugstundenausgleich wirtschaftliche Erwägungen maßgeblich sein sollten. Diese hat der Kläger anschaulich dahin beschrieben, dass Langstreckenkapitäne finanziell nicht schlechter stehen sollten als Kurzstreckenkapitäne. Ein Belastungsausgleich spielte hingegen keine Rolle.
bb) Die Tarifverträge enthalten auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass Mehrflugdienststunden vermieden werden sollen. Vielmehr ist in § 8 Abs. 5 MTV wie vom Kläger zutreffend unter Verwendung einer Formulierung des BAG (19.12.2018 – 10 AZR 231/18, Rz. 40 m.N.) anmerkt, die Zulässigkeit von (ganz erheblich) über den Auslösegrenzen liegenden Mehrflugdienststunden angelegt. Auch aus Ziffer III. 6 des Eckpunktepapiers „Jump“ wird klar, dass es nicht um die Vermeidung von Mehrflugdienststunden geht, sondern um die Vergütung der Langstreckenpiloten.
c) Etwas anderes folgt auch nicht aus dem von der Beklagten und der 13. Kammer des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main (Bl. 97ff. d.A.) herangezogenen Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 05.11.2003 (5 AZR 8/03, NZA 2005, 222). Dieses Urteil betraf zwar einen vergleichbaren Tarifvertrag, ist aber überholt:
Soweit dieses Urteil davon ausging, es bestehe keine Ungleichbehandlung nach § 4 Abs. 1 S.1 TzBfG, wenn Teilzeitbeschäftigte für die gleiche Anzahl geleisteter Arbeitsstunden die gleiche Gesamtvergütung wie Vollzeitbeschäftigte erhalten, wurde dies vom BAG unter Verweis auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache E.-L. ausdrücklich aufgegeben (vgl. insbesondere BAG 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, Rz. 58 und BAG vom 23.03.2017 – 6 AZR 161/16, Rz. 45; vgl. auch oben unter a).
Weiterhin ist das BAG am 05.11.2003 noch davon ausgegangen, tarifvertragliche Mehrarbeitszuschläge dienten jedenfalls regelmäßig dem finanziellen Ausgleich der Arbeitnehmer für Mehrbelastungen. Demgegenüber könne ohne Anhaltspunkte im Tarifvertrag nicht davon ausgegangen werden, dass es den Tarifvertragsparteien darum gehe, durch Verteuerung der über die individuell geschuldete Arbeitsleistung hinausgehenden Arbeitszeiten den individuellen Freiheitsbereich zu schützen. Dieses für die Auslegung entsprechender Tarifverträge grundlegende Regel-Ausnahme-Verhältnis hat das BAG in seinen jüngeren Entscheidungen zwar nicht ausdrücklich aufgegeben, es aber auch nicht mehr angewandt (vgl. insbesondere BAG vom 23.03.2017, 6 AZR 161/16, Rz. 53 und 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, Rz. 35 und 37ff.).
d) Der Ausspruch zur Verzinsung folgt aus §§ 291, 288 BGB.
2. Die Anträge Ziffern 3. bis 5. sind unbegründet.
Nach der Rechtsprechung kann sogar in einer einseitigen Versorgungszusage des Arbeitgebers die für die Berechnung einer Betriebsrente maßgebliche versorgungsfähige Vergütung auf einzelne Bestandteile des Tarifentgelts beschränkt werden (BAG vom 19.07.2016 – 3 AZR 141/15, Rz. 25). Insbesondere ist es zulässig, wenn nur das jeweilige Grundentgelt, nicht aber zeitpunktabhängige, variable oder potentiell schwankende andere Entgeltbestandteile wie insbesondere auch Überstundenentgelte die Basis für die Ermittlung der Rentenbausteine bildet (vgl. BAG vom 13.11.2012 – 3 AZR 557/10). Für einen Tarifvertrag gilt dies erst recht.
Wenn der Kläger sich darauf beruft, er habe in den streitigen Bemessungszeiträumen jeweils mehr als seine gemäß § 1 des Teilzeitarbeitsvertrags vom 10.11.2009 vereinbarte reduzierte Arbeitszeit erbracht, beruft er sich dem Grunde nach auf Überstundenentgelt, das nach § 5 Tarifvertrag Betriebliche Altersversorgung aber nicht rentenfähig ist.
§ 4 TzBfG ist nicht berührt.
III.
Die Kostenquote ergibt sich aus § 92 ZPO, wobei nach § 269 Abs. 2 S. 2 ZPO entsprechend die Teilklagerücknahmen zu berücksichtigen waren. Hierbei und bei der Streitgegenstandsfestsetzung nach § 61 ArbGG wurde hinsichtlich der Anträge 3. bis 5. pro Jahr ein – geschätzter – Betrag von (€ 5,00 mal 36 =) € 180,00 zum Ansatz gebracht. Die Berufung war nach § 64 Abs. 3 Nr. 2b) ArbGG zuzulassen.
Gegen dieses Urteil können beide Parteien nach der Maßgabe der folgenden RechtsmittelbelehrungBerufung zum Landesarbeitsgericht München einlegen.

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