Arbeitsrecht

Prozesskostenhilfe, Kündigungsschutzverfahren, Unterbrechung des Hauptsacheverfahrens, Insolvenz des Arbeitgebers

Aktenzeichen  3 Ta 165/20

Datum:
8.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 46229
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
ZPO: § 114 Abs. 1, § 117 Abs. 1, 2 und 4, § 240 Abs. 1 S. 2, § 249 Abs. 2, § 250
InsO: § 24 Abs. 2, § 87 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Kündigungsschutzverfahrens steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber nach Erhebung der Kündigungsschutzklage involvent und das Hauptsachverfahren gem. § 240 ZPO unterbrochen geworden ist.

Verfahrensgang

10 Ca 88/20 2020-05-12 Bes ARBGAUGSBURG ArbG Augsburg

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Augsburg vom 12.05.2020 – 10 Ca 88/20 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:
Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für die I. Instanz mit Wirkung ab 09.03.2020 unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt Y in Bezug auf die Anträge aus der Klageschrift zu 1, 2 und 3 bewilligt.
Es werden monatliche Raten in Höhe von 189,00 € festgesetzt.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Im Ausgangsverfahren hat sich der Kläger gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses gewandt und Weiterbeschäftigung sowie Zahlung der zukünftigen Vergütung begehrt. Mit Klageschrift vom 15.01.2020 beantragte er Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten und kündigte an, die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachzureichen.
Durch Beschluss vom 05.02.2020 ordnete das AG B-Stadt zum Az. IN /20 die vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen der Beklagten an; zudem sollten Verfügungen der Beklagten nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sein.
Durch Beschluss vom 28.02.2020 stellte das Arbeitsgericht Augsburg fest, dass das Verfahren gem. § 240 (S.2) ZPO unterbrochen sei.
Am 09.03.2020 übersandte der Kläger die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.
Durch Beschluss vom 12.05.2020 hat das Arbeitsgericht Augsburg den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Sei ein Rechtsstreit wegen Insolvenz unterbrochen, habe ein Rechtsstreit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Prozesskostenhilfe bei unterbrochenen Verfahren könne nur noch bewilligt werden, wenn der PKH-Antrag nebst vollständig ausgefüllter Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorläge, sog. steckengebliebenes PKH-Gesuch (im Anschluss an LAG Hamm, Beschluss vom 30.01.2006 – 4 Ta 830/05 -). Der Beschluss ging dem Klägervertreter am 20.05.2020 zu. Hiergegen hat der Kläger am 22.05.2020 sofortige Beschwerde eingelegt. Zwar liege ein sog. steckengebliebenes Prozesskostenhilfegesuch dann vor, wenn das Gesuch bei Insolvenz des beklagten Arbeitgebers im Zeitpunkt der Unterbrechung des Hauptsacheverfahrens entscheidungsreif gewesen sei. Das Arbeitsgericht hätte den Kläger auf die Mängel des am 15.01.2020 eingereichten Prozesskostenhilfegesuches hinweisen müssen.
Mit Beschluss vom 28.05.2020 hat das Arbeitsgericht Augsburg der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Eine Hinweispflicht habe weder gem. § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO noch gem. § 139 ZPO bestanden. Der Kläger hätte bei Verfahrensbeendigung die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch nicht eingereicht. Teile der anwaltlich vertretene Kläger mit Antragstellung mit, er wolle die Erklärung nachreichen, so mache er deutlich, dass er die Mängel seines Prozesskostenhilfegesuchs kenne.
Mit Schriftsatz vom 15.06.2020 hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass es für die Beurteilung der Bewilligungsfähigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung ankomme, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Prozesskostenhilfebitte gem. § 114 ZPO keine Aussicht auf Erfolg habe.
II.
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Augsburg vom 12.05.2020 ist zulässig und jedenfalls teilweise begründet.
1. Die sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, 567 Abs. 1 und 2, 569 Abs. 1 und 2 ZPO) und damit zulässig.
2. Sie ist auch teilweise begründet. Das Arbeitsgericht Augsburg hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht insgesamt zurückgewiesen.
a) Nach § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Prozesskostenhilfe kann deshalb nicht rückwirkend, sondern nur bis zur Beendigung der Instanz bewilligt werden. Eine rückwirkende Erstreckung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt nur bis zu dem Zeitpunkt in Betracht, in dem der Antragsteller durch einen formgerechten Bewilligungsantrag von seiner Seite aus alles für die Bewilligung Erforderliche oder Zumutbare getan hat (so BAG, Beschluss v. 31.07.2017 – 9 AZR 32/17 – Rn. 5; v. 16.02.2012 – 3 AZB 34/11 – Rn. 13). Gem. § 117 Abs. 2 S. 1 ZPO sind dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die entsprechenden Belege beizufügen. Dabei sind gem. § 117 Abs. 4 ZPO die amtlichen Formulare zu benutzen (vgl. BAG, Beschluss v. 31.07.2017 – 9 AZR 32/17 – Rn. 5).
b) Die Unterbrechung des Kündigungsschutzverfahrens gem. § 240 ZPO wegen Insolvenz des Arbeitgebers führt nicht notwendig zu einer der Verfahrensbeendigung vergleichbaren Situation. Insolvenzverwalter und Arbeitnehmer können grundsätzlich das unterbrochene Kündigungsschutzverfahren gem. § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO wiederaufnehmen. Entsprechendes gilt nach § 24 Abs. 2 InsO bei der hier vorliegenden vorläufigen Insolvenz. Denn Kündigungsschutzprozesse betreffen die Masse, wenn der Bestand des Arbeitsverhältnisses über den Eröffnungszeitpunkt hinaus geltend gemacht wird. In diesem Fall kommen als Folgeansprüche Masseansprüche auf Gehaltszahlung, Urlaubsvergütung, Provisionsansprüche usw. in Betracht (vgl. BAG, Urteil vom 22.01.2004 unter B II. der Gründe; LAG Hamm, Beschluss vom 30.01.2006 – 4 Ta 830/05 – unter II. 1.2.2. der Gründe m. w. Nachw.; Zwanziger, Das Arbeitsrecht in der Insolvenz, 3. Aufl. 2010, § 185 Rn. 67; Meyer, Der vorläufige (halbstarke) Insolvenzverwalter als Beklagter im Kündigungsschutzprozess, NZA 2014, S. 642, 647; vgl. Henn-Anschütz in Nerlich/Kreplin, Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, 3. Aufl. 2019, § 34 Rn. 282 f.). Gerade Kündigungsschutzprozesse in Insolvenznähe bergen wegen §§ 4, 7 KSchG gesteigerte Risiken (hierzu im Einzelnen Meyer, a.a.O.), weshalb der rechtsunkundige Arbeitnehmer der Hilfe bei der Prozessführung bedarf. Zur Rechtsverfolgung i. S. d. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO gehört auch der Antrag auf Aufnahme des Kündigungsschutzverfahrens nach § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO in der Form des § 250 ZPO.
Im vorliegenden Fall hat der Kläger konkludent im Rahmen des Kündigungsschutzantrags und ausdrücklich im allgemeinen Feststellungsantrag begehrt, dass das Beschäftigungsverhältnis über den 15.01.2020 und damit über den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.03.2020 hinaus fortbesteht. Damit ist jedenfalls mittelbar die Insolvenzmasse betroffen.
c) Darüber hinaus führt die Unterbrechung des Hauptverfahrens gem. § 240 ZPO nicht zur Unterbrechung des Prozesskostenhilfeverfahrens (vgl. BAG, Beschluss vom 24.08.2010 – 3 AZB 13/10 – Rn. 11; zum Prozesskostenhilfeantrag der insolvent gewordenen Partei BGH, Beschluss vom 04.05.2006 – IX ZA 26/04 und BAG, Beschluss vom 03.08.2011 – 3 AZB 8/11 -; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27.04.2016 – 7 Ta 53/16 – unter II. 1 der Gründe; ErfK/Koch, 20. Aufl. 2020, § 11a ArbGG, Rn. 34; a.A. noch LAG Hamm, Beschluss vom 30.01.2006 – 4 Ta 830/05 – unter II. 1.2. der Gründe; siehe auch die Nachw. bei Mock in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 85 Rn. 63). Der Prozesskostenhilfeantrag betrifft nicht die Insolvenzmasse. Außerdem hat die Unterbrechung nach § 240 ZPO nur die Wirkungslosigkeit der von einer Partei in Ansehung der Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen gegenüber der anderen Partei, nicht jedoch gegenüber dem Gericht zur Folge, 249 Abs. 2 ZPO (vgl. BAG, Beschluss vom 24.08.2010 – 3 AZB 13/10 – Rn. 11).
d) Danach war dem Kläger grundsätzlich Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten mit Wirkung zum 09.03.2020, dem Tag des Eingangs der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, zu bewilligen. Im Einzelnen ergibt sich für angekündigten Anträge Folgendes:
Sowohl der zu 1 angekündigte Kündigungsschutzantrag als auch der zu 2 angekündigte allgemeine Feststellungsantrag haben Aussicht auf Erfolg.
Für den zu 3 angekündigten Weiterbeschäftigungsantrag gilt dies nach Auslegung als unechter Hilfsantrag, wie er in aller Regel zu verstehen ist. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Anwalt seine anwaltlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt und nicht ohne Grund Anträge stellt, mit denen er seine Partei einem unnötigen Kostenrisiko aussetzt. Etwas anderes gilt nur, wenn der Wille, einen unbedingten Antrag stellen zu wollen, ausdrücklich erklärt wurde (vgl. BAG, Beschluss vom 30.08.2011 – 2 AZR 668/10 (A) – Rn. 3; LAG Niedersachsen, Beschluss vom 24.01.2020 – 8 Ta 13/20 -). Hiervon ist nicht auszugehen, weil sich in der Klageschrift keine Ausführungen zum Weiterbeschäftigungsantrag finden.
Demgegenüber hat der zu 4. angekündigte Antrag, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger auch über den 15.01.2020 hinaus eine Vergütung in Höhe von monatlich 1.850,00 € (brutto?) zu zahlen, ohne Aussicht auf Erfolg. Dieser Antrag ist unzulässig, § 259 ZPO. § 259 ZPO ermöglicht nicht die Verfolgung künftig entstehender Vergütungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Der Abschluss des Arbeitsvertrags reicht für die Anspruchsentstehung nicht aus. Erforderlich ist die Erbringung der Arbeitsleistung oder die Erfüllung der Voraussetzungen, unter denen aus sonstigem Rechtsgrund Arbeitsentgelt ohne Arbeitsleistung beansprucht werden kann (vgl. BAG, Urteil vom 22.10.2014 – 5 AZR 731/12 – siehe auch Antragstellung und Tenorierung im Kündigungsschutzprozess, NZA 2019, 65, 72).
e) Damit ergibt sich folgende Berechnung:
Durchschnittliches Nettoeinkommen aus 2/20 und 3/20
1.342,84 €
abzgl. Grundfreibetrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2a ZPO
501,00 €
abzgl. Freibetrag für Erwerbstätige nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1b ZPO
228,00 €
abzgl. Arbeitsmittelpauschale gem. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1a ZPO i.V.m.
DVO
5,20 €
abzgl. Mietkosten
230,00 €
einzusetzendes Einkommen
378,64 €
Monatsraten gem. § 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO
189,32 €
Abrundung auf volle Euro
189,00 €
Es sind monatliche Raten von 189,00 € zu zahlen.
III.
Eine Kostenentscheidung ist gemäß § 127 Abs. 4 ZPO nicht veranlasst.
Anlass für die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht gem. § 78 Satz 1 und Satz 2 i. V. m. § 72 Abs. 1 Ziff. 1 oder Ziff. 2 ArbGG, § 574 Abs. 1 Ziff. 1 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 ZPO bestand nicht.


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