Arbeitsrecht

Risikoverteilung bei Wirtschaftsklauseln

Aktenzeichen  4 HK O 22341/13

Datum:
14.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 47677
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 134, § 139, § 245, § 249, § 305, § 307, § 313
PreisKlG § 1

 

Leitsatz

1. Wirtschaftsklauseln knüpfen an die vertraglich vereinbarte Risikoverteilung an, so dass keine Anpassung erfolgt, wenn sich Risiken realisieren, die in ausschließliche Risikosphäre nur einer der Parteien fallen. (Rn. 67) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sind die Parteien eine Preisvereinbarung zu Erzeugungskosten eines fiktiven Kraftwerks eingegangen, gehören Schwankungen des tatsächlichen Marktpreises zum unternehmerischen Risiko der davon benachteiligten Partei. (Rn. 70) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Wirtschaftsklausel berechtigt nur zur Vertragsanpassung, wenn sich die wirtschaftlichen, technischen oder rechtlichen Grundlagen dieses Vertrages ändern, nicht aber, wenn sich außerhalb des Vertrages liegende Umstände ändern. (Rn. 82) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Grundlagen des Vertrages kann nicht – isoliert betrachtet und unabhängig von der Entwicklung des Marktpreises für Strom – mit den fundamentalen Umwälzungen auf dem Energiemarkt durch den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien angenommen werden. Denn dieser Strukturwandel führte gerade zu den sinkenden Strom-Großhandelspreisen. (Rn. 83) (redaktioneller Leitsatz)
5. Eine Preisklausel ist wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 1 PreisKlG unzulässig, wenn sie die Höhe der Geldschuld an einen mit der vereinbarten Lieferung von Strom nicht vergleichbarem Maßstab bindet, beispielsweise an den Index für tarifliche Stundenlöhne, den Importkohlepreis, den Durchschnittswert an Einheiten US-Dollar je Euro und den Durchschnittspreis für EU-Emissionsberechtigungen. (Rn. 142) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die in Ziffer … des am … zwischen der Klägerin und der … geschlossenen Stromlieferungsvertrages enthaltene Preisanpassungsklausel unwirksam ist.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat lediglich im hilfsweise gestellten Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Preisklausel gemäß Ziffer. … des Stromliefervertrages wegen Verstoßes gegen das Preisklauselverbot des § 1 Abs. 1 PreisKlG Erfolg (Klageantrag Ziff. …). Die Klägerin hat hingegen keinen Anspruch auf Anpassung des Stromliefervertrages. Auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Stromliefervertrages ist unbegründet.
Da dem Hilfsantrag Ziffer … stattgegeben wurde, war auch über die Hilfswiderklage gemäß Ziffer … der Hilfswiderklageanträge zu entscheiden. Diese ist jedoch unzulässig.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anpassung des Vertrages aus Ziffer … des Stromliefervertrages vom …. Die hierauf gestützten Klageanträge … und … waren deshalb abzuweisen:
Nach der für die Kammer maßgeblichen Rechtsprechung des OLG München liegen die Voraussetzungen für eine Vertragsanpassung nach Ziffer … des Vertrages nicht vor. Insoweit gilt nichts anderes als das, was der Kartellsenat bereits im … Urteil entschieden hat:
Nach der vertraglichen Vereinbarung der Parteien hat die Klägerin das Risiko, dass der Marktpreis für Strom unter den Vertragspreis fällt, zu tragen mit der Folge, dass eine Vertragsanpassung nach der Wirtschaftsklausel nicht in Betracht kommt.
a) Wirtschaftsklauseln knüpfen an die vertraglich vereinbarte Risikoverteilung an, so dass keine Anpassung erfolgt, wenn sich Risiken realisieren, die in ausschließliche Risikosphäre nur einer der Parteien fallen.
Ein Anspruch auf Vertragsanpassung besteht nur dann, wenn einem Vertragspartner infolge grundlegender Veränderungen die Beibehaltung der Vertragsbestimmungen nicht mehr zugemutet werden kann, weil die auf einen gerechten Ausgleich der beiderseitigen wirtschaftlichen Interessen abzielenden Absichten der Vertragspartner nicht mehr erfüllt werden. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn eine Partei nach der vertraglichen Vereinbarung das Risiko von Veränderungen in einem bestimmten Bereich zu tragen hat (vgl. BGH NJW 2013, 2745).
Aus der Reichweite einer Preisvereinbarung ergibt sich, welcher Anwendungsbereich für eine allgemeine Wirtschaftsklausel noch verbleibt. Je nach dem von den Parteien gewählten Preismodell kann sich der Anwendungsbereich einer Wirtschaftsklausel ändern (vgl. OLG München, Urteil vom 27.4.2017, Az. U 3922/15 m.w.N.). Maßgeblich sind darüber hinaus die Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Interessenlage der Parteien und die sonstigen Begleitumstände des Vertragsschlusses (vgl. BGH NJW 2013, 2745).
b) Aufgrund der hier getroffenen, von dem Strom-Großhandelspreisen unabhängigen, auf – fiktiven – Erzeugungskosten eines Steinkohlekraftwerks basierenden Preisvereinbarung haben beide Parteien das Risiko von Veränderungen des Marktpreises übernommen. Es ist ihnen deshalb zuzumuten, an der Preisvereinbarung auch dann festgehalten zu werden, wenn sich der Marktpreis während der Vertragslaufzeit abweichend vom vereinbarten Preis entwickelt und sich der vereinbarte Preis damit für die eine oder andere Partei im Nachhinein als unvorteilhaft erweist. Derartige Preisschwankungen gehören zum unternehmerischen Risiko der davon benachteiligten Partei, das diese mit der Preisvereinbarung zu Erzeugungskosten eines Steinkohlekraftwerks bewusst eingegangen ist.
Die Klägerin hat nach ihrem eigenen Vortrag für den Zeitpunkt nach Beendigung des zum Ende des Jahres … auslaufenden Stromliefervertrages aus dem Jahr … mehrere Beschaffungsvarianten geprüft.
Diese reichten von einer Beschaffung der erforderlichen Mengen über den Großhandelsmarkt, über den Abschluss langfristiger Bezugsverträge bis zu hin zu dem Bau bzw. der Beteiligung an Erzeugungskapazitäten.
Konkret kam nach dem eigenen Vortrag der Klägerin als mögliche Alternativen die Errichtung von zwei weiteren KWK-Anlagen an den Standorten … und … der Abschluss eines neuen Stromliefervertrages mit der Beklagten sowie eine physische Kraftwerksbeteiligung an einem weiteren Steinkohleblock am Standort Mehrung in Betracht.
In dem sodann mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten abgeschlossenen Vertrag wurde unter Ziffer … der den Gegenstand des Vertrages bestimmt, aufgenommen, dass die Klägerin im Rahmen des Vertrages ähnlich gestellt wird wie bei dem ursprünglich geplanten Bau eines eigenen Kraftwerks.
Die Klägerin wollte daher durch die Beteiligung an einem virtuellen Kraftwerk, das das ursprünglich geplante eigene Kraftwerk ersetzen sollte, gerade keinen Strom zum Marktpreis beziehen, sondern hat bei Vertragsschluss und bei der im Jahre … erfolgten Verlängerung des Vertrages auf eigenen Wunsch bis zum Jahre … die Entscheidung getroffen, den Strom von der Beklagten gerade nicht zum Marktpreis zu beziehen sondern eigene Erzeugungskapazitäten aufzubauen bzw. durch virtuelle Kraftwerksbeteiligungen zu ersetzen.
Der Klägerin war bei Abschluss des langfristigen Stromliefervertrages mit der Beklagten bewusst, dass der vereinbarte Vertragspreis gemäß Ziffer … gegenüber dem Bezug zum Strom-Großhandelsmarktpreis einen abweichenden und von diesem unabhängigen Preisberechnungsmechanismus enthielt. Sie wollte gerade langfristig Strom zur Erzeugungskosten und nicht zu Spot-Marktpreisen beziehen.
Sofern die Klägerin vorgetragen hat, im Rahmen der Verhandlungen über den Vertragspreis hätten die Parteien ein gemeinsames Verständnis dahingehend gehabt, dass der SLV unter der Prämisse geschlossen werde, dass die Beklagte die Klägerin im Rahmen der Lieferbeziehung über die Dauer des SLV zu einem Vertragspreis beliefere, der sich unterhalb des Marktpreisniveaus für Strom befinde, und dies durch den Zeugen … und Beweis gestellt hat, ist dem entgegenzuhalten, dass dies kein dem Beweis zugänglicher, konkreter Tatsachenvortrag ist (etwa dahingehend, dass und gegebenenfalls wann und wo die Parteien über diesen Aspekt gesprochen hätten) sondern einen Vortrag zur Schlussfolgerung, die die Klägerin bzw. der Zeugen … aus seiner Sicht aus den Vertragsverhandlungen geschlossen hat. Dem Beweis zugänglich wären lediglich konkrete Tatsachenbehauptungen dahingehend gewesen, wann und wo die Parteien ausdrücklich vereinbart haben, dass die Beklagte die Klägerin im Rahmen der Lieferbeziehung stets zu einem Vertragspreis beliefern werde, der sich unterhalb des Marktpreisniveaus für Strom befindet. Einen solchen konkreten Tatsachenvortrag hat die Klägerin jedoch gerade nicht gebracht.
Wie die Klägerin auf Seite … der Klageschrift selbst vorgetragen hat, gingen sowohl die Klägerin als auch die Konzernmutter der Beklagten im Jahre … für die Zukunft zwar von einem gleichbleibend hohen Strompreisniveau aus, weshalb der Klägerin daran gelegen war, eigene Erzeugungskapazitäten aufzubauen. Gerade deshalb bedeutete für die Rechtsvorgängerin der Beklagten aber der mit der Preisvereinbarung verbundene Verzicht auf Preisanpassung an die Marktentwicklung während der Laufzeit des Vertrages, dass sie im Fall weiter steigender Marktpreise Gewinneinbußen hinzunehmen hatte. Sie übernahm dadurch das Risiko, den Strom bei steigenden Marktpreisen möglicherweise unter dem jeweiligen Marktpreis liefern zu müssen.
Dieses Risiko bzw. die mit der gewählten Vertragsgestaltung einhergehenden Gewinnchancen der Klägerin hat sich zunächst sogar in beschränktem Maße realisiert. So hat der damalige Vorstandsvorsitzende der Klägerin in dem als Anlage … vorgelegten Bericht an den Finanzausschuss der … bestätigt, dass die Klägerin den von der Beklagten bezogenen Strom bis … mit satten Gewinnen weiterveräußern konnte.
Die Klägerin konnte billigerweise nicht erwarten, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten zwar auch eine Erhöhung des vereinbarten Preises bei steigenden Marktpreisen verzichtet, umgekehrt aber der Klägerin eine Preissenkung bei fallenden Marktpreisen zugute kommen lässt. Vielmehr durfte die Rechtsvorgängerin der Beklagten davon ausgehen, dass die Klägerin als erfahrenes Energieversorgungsunternehmen aufgrund der getroffenen Preisvereinbarung auf der Basis von Erzeugungskosten das Risiko sinkender Marktpreise in gleichem Umfang zu tragen hat, wie sie selbst das Risiko steigender Marktpreise.
c) Eine Vertragsanpassung aufgrund der Wirtschaftsklausel in Ziffer … des Vertrages kommt auch nicht aufgrund geänderter rechtlicher Grundlagen des Vertrages in Betracht, weil die Klägerin ein reales Kraftwerk stilllegen könnte.
Die Klägerin hat sich nämlich gerade nicht für physische Eigenerzeugung und den eigenständigen Aufbau eines realen Steinkohlekraftwerks entschieden, sondern für einen langfristigen Stromliefervertrag zu Erzeugungskosten eines virtuellen Steinkohlekraftwerks. Anders als beim Aufbau einer physischen Erzeugungskapazität ist sie u.a. keinem Errichtungs-, Kraftwerksausfall- und Betriebsrisiko ausgesetzt. Daher kann sie sich auch nicht auf hypothetische Chancen und rechtliche Möglichkeiten einer realen Kraftwerksbetreiberin berufen. Die Wirtschaftsklausel berechtigt nur zur Vertragsanpassung, wenn sich die wirtschaftlichen, technischen oder rechtlichen Grundlagen dieses Vertrages ändern, nicht aber, wenn sich außerhalb des Vertrages liegende Umstände ändern.
d) Eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Grundlagen des Vertrages kann nach der Rechtsprechung des OLG München auch nicht – isoliert betrachtet und unabhängig von der Entwicklung des Marktpreises für Strom – mit den behaupteten fundamentalen Umwälzungen epochalen Ausmaßes auf dem Energiemarkt durch den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien angenommen werden. Denn dieser Strukturwandel führte gerade zu den sinkenden Strom-Großhandelspreisen. Dieses Risiko hatte nach den oben dargestellten Kriterien aber alleine die Klägerin zu tragen (vgl. OLG München, a.a.O., S. 30).
2. Klageantrag … kann auch nicht auf einen kartellrechtlichen Beseitigungsanspruch nach § 33 Abs. 1 GWB oder auf einen Schadenersatzanspruch nach § 33 Abs. 3 GWB gestützt werden.
Die Klägerin hat zwar nach Zurückweisung des Rechtsstreits durch das OLG München den Klageantrag … auch auf diesen Aspekt gestützt. Dies ist jedoch deshalb unbeachtlich, weil kartellrechtliche Ansprüche auf Schadensersatz oder Beseitigung des Missbrauchs nicht bestehen:
a) Nach der Rechtsprechung des OLG München kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine marktbeherrschende Stellung hatte und Normadressaten der nach § 19 GWB verbotenen Verhaltensweisen war.
aa) Nach der für das LG München I maßgeblichen Rechtsprechung des OLG München im …-Urteil ist der nach § 18 Abs. 1 GWB sachlich relevante Markt ist im Streitfall nicht der Erstabsatzmarkt für Strom, sondern der Markt für physische und virtuelle Kraftwerksbeteiligungen.
Auszugehen ist bei der sachlichen Marktabgrenzung von dem Bedarfsmarktkonzept. Danach sind dem relevanten (Angebots-)markt alle Produkte zuzurechnen, die aus ser Sicht der Nachfrage nach Eigenschaft, Verwendungszweck und Preislage zur Deckung eines bestimmten Bedarfs austauschbar sind (vgl. BGH NJW – RR 2009, 264).
Zwar ist bei der Lieferung von Strom durch stromerzeugende Unternehmen an Weiterverteilungsunternehmen wie die Klägerin grundsätzlich auf den Erstabsatzmarkt für Strom abzustellen.
Im Streitfall besteht jedoch die Besonderheit, dass sich die Klägerin von den Strom-Großhandelspreisen gerade unabhängig machen und deshalb ihre Erzeugungskapazitäten ausbauen wollte. Ihr Bedarf bestand gerade nicht nur darin, Strom zu beziehen, um ihn an die Endkunden weiterzuleiten.
Ihr Bedarf ging vielmehr dahin, eigene Stromerzeugungskapazitäten entweder durch physische Beteiligungen an realen Kraftwerken oder durch den Erwerb von virtuellen Kraftwerksscheiben aufzubauen und dadurch in die Erzeugerposition zu gelangen. Das Merkmal des Bezugs von Strom auf Eigenerzeugerbasis durch entsprechende Kraftwerksbeteiligen war deshalb so charakteristisch, dass es nicht mit einem Strombezug auf der Stromhandelsbörse austauschbar war (vgl. BGH NJW – RR 2010, 392 – Reisestellenkarte).
bb) Die Klägerin hat jedoch nicht dargetan, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten eine marktbeherrschende Stellung als Anbieter auf dem Markt für physische und virtuelle Kraftwerksbeteiligung hatte. Sie hat lediglich pauschal behauptet und durch Sachverständigengutachten unter Beweis gestellt, dass die Beklagte auch auf den vom OLG München deifinierten Märkten marktbeherrschend war (vgl. Blatt … d.A., … des Schriftsatzes vom …).
Demgegenüber hat die Beklagte auf Bl. … ihres Schriftsatzes vom … – insoweit von der Klägerin unwidersprochen – vorgetragen, dass in den Jahren seit … zahlreiche Stadtwerke von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, entweder eigene Kraftwerke zu bauen oder sich an virtuellen Kraftwerken zu beteiligen. So habe … seit spätestens … virtuelle Kraftwerkscheiben angeboten; daneben auch … und … Gleiches gelte seit … für Startkraft; weitere Anbieter seien … sowie … und die … gewesen.
Angesichts dieses konkreten Sachvortrags, dem die Klägerin nicht substantiiert widersprochen hat, kommt die Einholung eines Sachverständigengutachtens aufgrund des pauschalen Vortrags der Klägerin nicht in Betracht.
b) Hinzu kommt, dass die Kammer auch keinen Missbrauch oder Behinderungswettbewerb erkennen kann.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Missbrauchsbegriff des Artikel 102 AEUV bzw. § 19 GWB immer unter Berücksichtigung des funktionalen Zusammenhangs mit dem Begriff der marktbeherrschenden Stellung zu sehen ist (vgl. Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, 3. Aufl., Rdz. 27 zu Art. 102 AEUV). Da die marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt werden muss, besteht auch ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der marktbeherrschenden Stellung und der Handlung, die den Schadenersatz- oder Beseitigungsanspruch i.S.d. § 33 GWB auslösen soll. Ein solcher zeitlicher Zusammenhang wurde jedoch von der Klägerin nicht dargetan:
aa) Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahr … hat die Beklagte dadurch, dass sie der Klägerin eine Beteiligung an einer virtuellen Kraftwerkscheibe angeboten hat, ihre (möglicherweise damals auf dem Erstabsatzmarkt für Strom bestehende) marktbeherrschende Stellung nicht missbräuchlich ausgenutzt, da der Vertrag zu diesem Zeitpunkt für die Klägerin nach ihrem eigenen Vorbringen vorteilhaft war. Nach dem Vortrag der Klägerin hatten die Parteien sogar ein gemeinsames Vertragsverständnis dahingehend, dass der Stromvertrag unter der Prämisse geschlossen werde, dass die Beklagte die Klägerin im Rahmen der Lieferbeziehung über die Dauer des Stromliefervertrages zu einem Vertragspreis beliefere, der sich unterhalb des Marktpreisniveaus für Strom befinde. Dass die Beklagte hierdurch im Verhältnis zur Klägerin nicht ihre marktbeherrschende Stellung ausgenutzt hat, sondern ihr entgegengekommen ist, indem sie ihr den Bezug zum Strom zu einem Preis unterhalb des Marktpreises angeboten hat, was jedenfalls zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses tatsächlich auch so war, und hierdurch der Klägerin entgegengekommen ist, liegt auf der Hand.
bb) Gleiches gilt für den Vorwurf, die Klägerin habe bei Abschluss des Vertrages als marktbeherrschendes Unternehmen gegen § 29 GWB verstoßen. Die Regelung des § 29 GWB dient ausweislich seiner Gesetzesbegründung dazu, die Energiepreise mit der Entwicklung der Primärenergiekosten in Einklang zu bringen. Im vorliegenden Fall haben die Parteien im Jahr … aber gerade solche Kostenpreise vereinbart, die unmittelbar an die Kosten für die Stromerzeugung in einem Steinkohlekraftwerk anknüpften und die auch noch unterhalb des aktuellen Marktpreises lagen.
cc) Was den Vorwurf der Klägerin angeht, die sie diskriminiere und behindere die Klägerin dadurch, dass sie mit … Anpassungsverhandlungen geführt habe und mit ihr nicht, begründet dies bereits schon deshalb keinen kartellrechtlichen Schadensersatz- oder Beseitigungsanspruch, weil die Klägerin in keiner Weise dargetan hat, dass die Beklagte auch zum Zeitpunkt der Anpassungsverhandlungen mit … noch eine marktbeherrschende Stellung innehatte.
Hinzu kommt, dass es nicht Aufgabe und Sinn und Zweck des Kartellrechts ist, Vergleichsverhandlungen mit Vertragsparteien zu verhindern, die zeitlich lange nach Vertragsabschluss stattfinden. Die Vergleichsverhandlungen beruhen in diesem Fall nämlich nicht darauf, dass die Beklagte ihre marktbeherrschende Stellung ausnutzt oder bestimmte Energieunternehmen diskriminiert, sondern darauf, dass sie von verschiedenen Vertragspartnern aufgrund von Verträgen, die vor Jahren mit diesen abgeschlossen wurden und damals für die Vertragspartner auch vorteilhaft waren, in Anspruch genommen wird und hierauf reagieren muss.
dd) Sofern die Klägerin darauf hinweist, dass die Beklagte kurze Zeit nach Abschluss des SSL mit der Klägerin ihre Vertragspraxis grundlegend geändert habe, weil sie der … Anfang Oktober … mitgeteilt habe, dass der mit ihr abgeschlossene langfristige Stromlieferungsvertrag auf der Grundlage einer virtuellen Kraftwerkscheibe auf absehbare Zeit letztmals in dieser Konstellation abgeschlossen werde und dass die Beklagte künftig nur noch Verträge auf Marktpreisniveau vereinbaren werde, lässt sich auch hierin kein Behinderungs- oder Missbrauchstatbestand erkennen. Die Beklagte hat dies nicht getan, weil sie künftigen Vertragspartner besser stellen wollte als die, mit denen sie bereits Verträge abgeschlossen hatte, sondern weil ihr aufgrund der steigenden Marktpreise das Risiko von weiteren Preiserhöhungen zu hoch war und sie deshalb nur noch Verträge auf Marktpreisniveau abschließen wollte. Dass hierdurch die Klägerin, die einen zum damaligen Zeitpunkt für sie günstigen Vertrag abgeschlossen wurde, diskriminiert oder behindert wurde, kann die Kammer nicht erkennen.
3. Die Klageanträge … und … waren abzuweisen, da Ziffer … des Stromlieferungsvertrages im vorliegenden Fall nicht eingreift.
a. Nach Ziffer 15 Abs. 2 SLV ermäßigen sich die von der Klägerin zu zahlenden Strompreise, wenn sich aufgrund von geänderten Rechtsvorschriften, behördlichen Maßnahmen, umweltrechtlichen Bestimmungen oder Maßnahmen des Netzbetreibers für die Beklagte der Bezug oder die Lieferung elektrischer Energie unmittelbar oder mittelbar verbilligt. Hierbei handelt es sich – im Gegensatz zu den Rechtsfolgen der Ziffer 14 des Stromlieferungsvertrages – nicht um eine Möglichkeit der Klägerin, Vertragsanpassung zu verlangen, sondern um eine automatische Reduzierung des Strompreises durch geänderte Rechtsvorschriften.
Folge hiervon ist, dass Ziffer 15 SLV nur eingreifen kann, wenn die konkret geänderte Rechtsvorschrift unmittelbar oder mittelbar zu einer konkreten, genau festgelegten Verteuerung oder Verbilligung des Bezugspreises der Beklagten führt.
Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die Klägerin hat lediglich vorgetragen und durch Vorlage eines Parteigutachtens substantiiert, dass das EEG im Ergebnis dazu geführt hat, dass sich die Strompreise auf dem Markt dergestalt verbilligt haben, dass der von der Klägerin zu zahlende Strompreis gut … niedriger sein dürfte als der tatsächlich bezahlte. Dies ist jedoch keine unmittelbare oder mittelbare Verbilligung des Bezugspreises durch eine konkret geänderte Rechtsvorschrift sondern das Ergebnis einer generellen Veränderung des Marktes aufgrund des Zusammenspiels mehrerer Faktoren.
In einem solchen Fall kann Ziffer 15 Abs. 2 SLV schon deshalb nicht eingreifen, weil – wie man nicht zuletzt auch daran sieht, dass die Klägerin zunächst einen Betrag von über … eingeklagt hatte, nicht konkret dargelegt und ermittelt werden kann, welche geänderte Rechtsvorschrift zu welcher Verbilligung des Bezugspreises geführt hat.
b. Hinzu kommt, dass Ziffer 15 Abs. 2 SLV nach seinem eindeutigen Wortlaut nur dann eingreift, wenn sich der Bezug oder die Lieferung elektrischer Energie für die Beklagte konkret unmittelbar oder mittelbar verbilligt, nicht jedoch, wenn sich der Börsenpreis für Strom verbilligt.
Die Klägerin hat aber in keiner Weise substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass die Beklagte den an die Klägerin aufgrund des SLV zu liefernden Stroms aufgrund von geänderten Rechtsvorschriften, behördlichen Maßen oder umweltrechtlichen Bestimmungen bzw. Maßnahmen des Netzbetreibers billiger bezieht.
Vielmehr hat die Beklagte dargelegt, dass sie die zu liefernden Strommengen von der … beziehe, die der Beklagten hierfür einen Preis errechne, der sich an dem von der Klägerin Verlangten orientiere, abzüglich einer Marge.
Die Voraussetzungen der Ziffer 15 SLV wurden daher von der Klägerin nicht substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt.
4. Klageantrag … war abzuweisen, da der zwischen den Parteien abgeschlossene Stromlieferungsvertrag nicht gem. § 134 BGB nichtig ist. Wie sich aus Seite … des Schriftsatzes vom … (Bl. … d.A.) ergibt, wird Klageantrag … allein darauf gestützt, dass der Stromlieferungsvertrag nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen kartellrechtliche Vorschriften nichtig sei.
a) Dass die Kammer einen Verstoß gegen kartellrechtliche Vorschriften nicht erkennen kann, wurde zunächst bereits unter Ziffer … der Entscheidungsgründe dargelegt. Diesbezüglich kann daher hierauf verwiesen werden.
b) Ein Verstoß gegen § 1 GWB und Art. 101 AEUV liegt nicht vor. Die Klägerin hat nicht substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass der zwischen den Parteien abgelschlossene Vertrag, der zum damamligen Zeitpunkt für die Klägerin vorteilhaft war, zu einer spürbaren Wettbewerbsbeeinträchtigung (z.B. durch einen Beitrag zur Marktabschottung infolge der langfristigen Bezugsverpflichtung) führt noch dass eine solche Wettbewerbsbeeinträchtigung durch ihn bezweckt wurde. Die Tatsache, dass die Klägerin über diesen Vertrag mehr als … ihres Frendberdarfs an Strom deckt, reicht hierzu nicht aus.
5. Der auf einen Verstoß gegen § 307 BGB gestützte Hilfsantrag zu … war abzuweisen, weil nach der diesbezüglich maßgeblichen Rechtsprechung des OLG München ein Verstoß gegen § 307 BGB nicht vorliegt. Dies hat zur Folge, dass der unter Klageantrag 8. b) gestellte Zahlungsantrag, der eine rückwirkende Unwirksamkeit der vereinbarten Preisklausel ab dem … Oktober … voraussetzen würde, abzuweisen war.
a) Zwar handelt es sich hierbei um eine Allgemeine Geschäftsbedingung i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Es liegt eine für eine Vielzahl von gleichartigen Stromlieferverträgen vorformulierte Vertragsbedingung vor, deren Einbeziehung in den Vertrag der Rechtsvorgängerin der Beklagten verlangt hat. Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, es liege gleichwohl keine Allgemeine Geschäftsbedingung vor, weil die Klausel ausgehandelt worden sei.
Die Zahlung eines lieferunabhängigen Jahresleistungspreises war nämlich Bedingung der Rechtsvorgängerin der Beklagten und stand dem Grund nach zu keiner zur Disposition.
Die Klausel wurde auch nicht deshalb nach § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB ausgehandelt, weil der als Festpreiskomponente ausgestaltete Leistungspreises LP 1 während der Vertragsverhandlungen mehrmals variierte. Ein Aushandeln erfordert gemäß § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB nämlich mehr als ein Verhandeln. Von einem Aushandeln in diesem Sinn kann nur dann gesprochen werden, wenn der Verwender zunächst den in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt, also die dem wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen, inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen (vgl. BGH NJW 2013, 856). Ein Aushandeln liegt nicht vor, wenn die für den Vertragspartner des Verwenders nachteilige Wirkung der Klausel im Zuge von Verhandlungen zwar abgeschwächt, der gesetzesfremde Kerngehalt der Klausel vom Verwender jedoch nicht ernsthaft zur Disposition gestellt wird (vgl. BGH MDR 2016, 10).
So lag es im vorliegenden Fall. Soweit im Stromliefervertrag über den Leistungspreis LP … verhandelt wurde, hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten den Kerngehalt dieser Klausel nicht ernsthaft zur Disposition gestellt, sondern lediglich über die Höhe des Jahresleistungspreises und den relevanten Kohleparameter verhandelt.
b) Die Preisklausel gemäß Ziffer … des Stromliefervertrages ist jedoch nicht mangels Transparenz gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 BGB unwirksam.
Das Transparenzgebot verpflichtet den Verwender allgemeiner Geschäftsbedingungen, Rechte und Pflichten seinen Vertragspartnern möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Abzustellen ist bei der Bewertung der Transparenz einer Vertragsklausel auf die Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (vgl. BGH NJW 2016, 1575).
Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Klausel. Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ein auf dem Energiemarkt erfahrener regionaler Energieversorger ist und sich die Rechtsvorgängerin der Beklagten nur an derartige Vertragspartner wandte.
c. Der im Streitfall vereinbarte Jahresleistungspreis in Ziffer … des Stromliefervertrages unterliegt nicht der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB, soweit die Leistungspreiskomponente LP … und LP … betrifft.
Mit diesem von der bezogenen Energiemenge unabhängigen Jahresleistungspreis sollte die Bereitstellung der vertraglich zugesicherten Liefermenge abgegolten werden. Bei dieser Bereitstellungsverpflichtung handelt es sich um eine Hauptleistungspflicht der Beklagten.
Die Beklagte ist gemäß Ziffer … des langfristigen Stromliefervertrages zu einer gesicherten Lieferung von bis zu … Megawatt verpflichtet. Der Vertrag beinhaltet für die Klägerin zwar keine Mindestabnahmemenge; die Beklagte ist jedoch verpflichtet, für die Klägerin eine abrufbare Leistung von … Megawatt bereit zu halten.
Der lieferunabhängige Jahresleistungspreis als Teil der Gesamtvergütung entspricht im Streitfall einem bei Dauerschuldverhältnissen typischen Grundpreis, der unabhängig von der konkret in Anspruch genommenen Leistung als Gegenleistung für die Abrufbarkeit und Bereitstellung von Basisleistungen anfällt und erweist sich deshalb als im vertraglichen Synallagma stehende Hauptleistungspflicht der Beklagten. Auch in der Entscheidung vom … Mai … (Az. VIII ZR 114/13) hat der Bundesgerichtshof bei einem Erdgasliefervertrag die Vereinbarung eines festen Jahresgrundpreises AGB-rechtlich nicht beanstandet; insoweit ist er von einer der Inhaltskontrolle entzogenen Hauptleistungspflicht des Energieversorgers ausgegangen (vgl. BGH NJW 2014, 2708).
d. Die Preisbestimmung gemäß Ziffer … des Stromliefervertrages unterliegt jedoch insoweit der Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 ff. BGB, als sie künftige Preisänderungen regelt. Sie halten jedoch der Inhaltskontrolle stand, weil sie die Klägerin nicht unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB benachteiligen.
Als unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wird eine Klausel angesehen, in der der Verwender missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne die Interessen des Vertragspartners hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH NJW 2013, 856).
Bei der Frage, ob eine Klausel die Grenzen eines angemessenen Interessenausgleichs i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB überschreitet, ist jedoch die konkrete Art des Vertrages, die typischen Interessen der vertragsschließenden und die die jeweilige Klausel begleitenden Regelungen zu berücksichtigen (vgl. BGH NJW 2014, 2708).
Die Abwägung der beiderseitigen Interessen führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass die Bestimmungen der von der Rechtsvorgängerin der Beklagten verwendeten Preisregelung im unternehmerischen Geschäftsverkehr nicht zu beanstanden ist.
Da der Vertragspreis vom Marktpreis bewusst abgekoppelt wurde, und sich an den Erzeugungskosten eines fiktiven Steinkohlekraftwerks orientieren sollte, war die Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht verpflichtet, etwaige tatsächliche Kostensenkungen aufgrund der Beschaffung von Strom zu günstigeren Preisen entweder aus dem konzerneigenen Portfolio oder am Strommarkt und damit verbundene Einsparungen hinsichtlich Vorhalte- und Personalkosten über die Preisanpassungsklausel auszugleichen.
Von einem regionalen Energieversorger wie der Klägerin ist zu erwarten, dass er seine Gestehungskosten sorgfältig kalkuliert und deshalb verwendeten Preisanpassungsklauseln besondere Aufmerksamkeit schenkt. Die Kostenkalkulation gehört zum Kernbereich kaufmännischer Tätigkeit. Es ist deshalb in einer marktwirtschaftlichen Ordnung Aufgabe des Unternehmers, selbstverantwortlich zu prüfen und zu entscheiden, ob ein langfristiger Stromliefervertrag, der sich an den Erzeugungskosten eines fiktiven Steinkohlekraftwerks orientiert und eine Bindung des Vertragspreises u.a. an den Importkohlepreis und die durchschnittlichen tariflichen Stundenlöhne vorsieht, für ihn als Weiterverteilungsunternehmen akzeptabel ist. Es ist dagegen nicht Aufgabe der Gerichte, die unternehmerische Entscheidung für eine Bindung an die fiktiven Erzeugungskosten eines virtuellen Steinkohlekraftwerks dahin zu überprüfen, ob sie fachgerecht ist, und sie gegebenenfalls zugunsten des einen Unternehmers sowie zulasten des anderen zu korrigieren (vgl. BGH NJW 2014, 2708).
Selbst bei Annahme ihrer Kontrollfähigkeit würden die lieferunabhängigen Preiskomponenten LP … und LP … die Klägerin unter Berücksichtigung des ursprünglich festgelegten Äquivalenzverhältnisses und des von beiden Parteien bewusst eingegangenen Risikos steigender bzw. fallender Strom-Großhandelspreise nicht unangemessen benachteiligen.
Die Klägerin ging zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses von tendenziell weiter steigenden Strom-Großhandelspreisen aus und wollte sich von diesem u.a. durch den Abschluss des streitgegenständlichen Stromliefervertrages, dessen Preisbildung sich an den Investitions- und Betriebskosten eines Steinkohlekraftwerks orientiert und vom Großhandelspreis an den Strombörsen abgekoppelt ist, weitgehend unabhängig machen. Ihr Interesse lag darin, langfristig Strom zu kalkulierbaren – fiktiven – Erzeugungskosten zu beziehen.
Die Beklagte auf der anderen Seite ist zur Bereitstellung der vertraglich zugesicherten Liefermenge verpflichtet und muss insofern entweder aus den bestehenden konzerneigenen Steinkohlekraftwerken oder über den Zukauf am Strommarkt entsprechende Stromkapazitäten vorhalten.
Durch die Abkoppelung des Vertragspreises vom Strom-Großhandelspreis ist es der Beklagten verwehrt, in den Fällen steigender Strom-Großhandelspreise der Klägerin entsprechende Zusatzkosten in Rechnung zu stellen. Zugleich ist es bei hohen Strom-Großhandelspreisen der Beklagten aufgrund der Bereitstellungsverpflichtung nicht möglich, die von der Klägerin abgerufene, in den konzerneigenen Steinkohlekraftwerken erzeugte Strommenge zu höheren Strom-Großhandelspreisen am Markt anzubieten.
Soweit der Vertragspreis jedoch über dem Marktpreis liegt und die Klägerin deshalb ihr vertraglich zugesichertes Bezugskontingent aus dem streitgegenständlichen Vertrag nicht ausschöpft, sondern ihren Strombedarf stattdessen teilweise durch Zukauf über den Großhandelsmarkt deckt, kann sie sich ihrerseits nicht darauf berufen, dass die Beklagte auf den vertraglich vereinbarten lieferunabhängigen Leistungspreis verzichtet.
Da lediglich die Leistungspreise, nicht jedoch Arbeits- und Startpreise lieferunabhängig ausgestaltet sind und der Vertragspreis entsprechend der Interessenlage der Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vom Marktpreis unabhängig und von diesem abgekoppelt sein sollte, benachteiligt der lieferunabhängige Jahresleistungspreis die Klägerin unter Berücksichtigung der Risikoverteilung bei Vertragsschluss nicht unangemessen.
6. Die Klage ist jedoch begründet, soweit die Klägerin im Klageantrag Ziffer … hilfsweise die Feststellung der Unwirksamkeit der Preisklausel gemäß Ziffer … des langfristigen Stromliefervertrages aufgrund eines Verstoßes gegen das Preisklauselverbot des § 1 Abs. 1 PreisKlG geltend macht.
a) Das Preisklauselgesetz in der Fassung vom … September … ist gemäß § 9 Abs. 2 PreisKlG anwendbar. Danach sind lediglich auf Preisklauseln, die bis zum … vereinbart worden sind und deren Genehmigung bis dahin beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle beantragt worden ist, die bislang geltenden Vorschriften weiter anzuwenden. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hat eine entsprechende Genehmigung jedoch nicht beantragt.
b) Die Preisklausel gemäß Ziffer … des langfristigen Stromliefervertrages verstoßt nach der für das Landgericht Mpünchen I massgeblichen Rechtsprechung des OLG München im …-Urteil gegen § 1 Abs. 1 PreisKlG.
Diese Vorschrift enthält ein Verbot für Klauseln, die die Höhe einer Geldschuld an einem mit den vereinbarten Gütern oder Leistungen nicht vergleichbaren Maßstab binden und bei Änderung der Bezugsgröße eine unmittelbare und selbständige Anpassung vorsehen. Erfasst werden damit automatisch wirkende Gleitklauseln bzw. Indexklauseln.
Bei der Preisklausel in Ziffer … des Vertrages handelt es sich um eine solche Indexklausel. Sie bindet die Höhe der Geldschuld an einen mit der vereinbarten Lieferung von Strom nicht vergleichbarem Maßstab, nämlich an den Index für tarifliche Stundenlöhne, den Importkohlepreis, den Durchschnittswert an Einheiten US-Dollar je Euro und den Durchschnittspreis für EU-Emissionsberechtigungen.
Zwar schuldet die Beklagte gemäß Ziffer … des Vertrages die Lieferung von elektrischen Energie, angelehnt an die Betriebsweise eines Steinkohlekraftwerks, einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden erforderlichen Handlungen; die Lieferung orientiert sich gemäß Ziffer … des Vertrages an den technischen Rahmenbedingungen eines Steinkohlekraftwerks.
Allerdings ist die Beklagte, die selbst kein Steinkohlekraftwerk betreibt, nach dem Vertrag nicht verpflichtet, den zu liefernden Strom aus einem bestimmten realen Steinkohlekraftwerk zu liefern. Sie ist auch nicht verpflichtet, ein Steinkohlekraftwerk zu errichten und dieses während der Vertragszeit zu betreiben. Da die Beklagte der Klägerin auch über den Strom-Großhandelsmarkt bezogenen Strom liefern könnte, bindet die Indexklausel in Ziffer … des Vertrages die Höhe der Geldschuld an einen mit der vereinbarten Leistung (Lieferung von Strom) nicht vergleichbarem Maßstab, nämlich an den Index für tarifliche Stundenlöhne, den Importkohlepreis, den Durchschnittswert an Einheiten US-Dollar je Euro und den Durchschnittspreis für EU-Emissionsberechtigungen.
c. Die Preisklausel ist nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 PreisKlG zulässig.
Danach gilt das Preisklauselverbot nach § 1 Abs. 1 PreisKlG nicht für Klauseln, bei denen die in ein Verhältnis zueinander gesetzten Güter oder Leistungen im Wesentlichen gleichartig oder zumindest vergleichbar sind (Spannungsklauseln) oder nach denen der geschuldete Betrag insoweit von der Entwicklung der Preise oder Werte für Güter oder Leistungen abhängig gemacht wird, als diese die Selbstkosten des Gläubigers bei der Erbringung der Gegenleistung unmittelbar beeinflussen (Kostenelementeklauseln).
aa) Bei der streitgegenständlichen Preisanpassungsklausel handelt es sich nicht um eine Spannungsklausel i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 2 PreisKlG. Der Index der tariflichen Stundenlöhne in der gewerblichen Wirtschaft stellt keinen Bezug zur vereinbarten Stromlieferung her. Auch der Importkohlepreis, der Durchschnittswert an Einheit US-Dollar je Euro und der Durchschnittspreis für EU-Emissionsberechtigungen sind mit der vertraglich vereinbarten Stromlieferung nicht vergleichbar.
bb). Eine Kostenelementklausel nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 PreisKlG nicht ebenfalls nicht vor. Da die Beklagte selbst kein eigenes Steinkohlekraftwerk betreibt und vertraglich nicht verpflichtet ist, den zu liefernden Strom aus einem (bestimmten) realen Steinkohlekraftwerk zu liefern, wird der geschuldete Betrag nach Ziffer 5.1 nicht von der Entwicklung der Preise oder Wert für Güter oder Leistungen abhängig gemacht, die die Selbstkosten der Beklagten bei der Erbringung der Gegenleistung unmittelbar beeinflussen.
Dass die Beklagte ihrerseits mit der Gesellschaft aus dem …, die ihr den Strom liefert, eine entsprechende Preisvereinbarung getroffen hat, ändert hieran schon deshalb nichts, weil z.B. der tarifliche Stundenlohn in der gewerblichen Wirtschaft keinen unmittelbaren sondern allenfalls einen mittelbaren Einfluss bei den Selbstkosten der Beklagten bei der Erbringung der Gegenleistung hat.
cc. Gemäß § 8 Abs. 1 PreisKlG tritt die Unwirksamkeit der Preisklausel erst zum Zeitpunkt des rechtskräftig festgestellten Verstoßes ein. Die Rechtswirkungen der Preisklausel bleiben bis zum Zeitpunkt der Unwirksamkeit unberührt; diese tritt mit Rechtskraft ex nunc ein (vgl. § 8 Satz 2 PreisKlG).
Die Unwirksamkeit betrifft darüber hinaus nur die Preisklausel nach Ziffer … des Vertrages, nicht aber den Gesamtvertrag (vgl. Grüneberg in Palandt, BGB, 77. Aufl. 2017, Anh. zu § 245 BGB, § 8 PreisKlG Rdn. 1).
Die Vorschrift des § 139 BGB, wonach die Nichtigkeit eines Teils eines Rechtsgeschäftes im Zweifel zur Gesamtnichtigkeit führt, ist unanwendbar, wenn sich aus der ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung oder dem Gesetzeszweck eine abweichende Regelung ergibt. Wird gegen ein Gesetz verstoßen, das eine Vertragspartei von bestimmten nachteiligen Klauseln schützen soll, so beschränkt sich die Nichtigkeit nach dem Zweck der Verbotsnorm auf die verbotene Klausel, das Geschäft im Übrigen bleibt wirksam.
So liegt es auch beim vorliegenden Verstoß gegen § 1 Abs. 1 PreisKlG, der insofern eine vorrangig abweichende Regelung i.S.d. § 139 BGB darstellt. Die Parteien sind gemäß §§ 313, 242 BGB verpflichtet, die unwirksam werdende Klausel durch eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Regelung zu ersetzen (vgl. Grüneberg in Palandt, a.a.O., Anh. zu § 245 BGB, § 8 PreisKlG Rdn. 1).
7. Da dem Hilfsantrag … stattgegeben wurde, war auch über den Hilfsantrag Ziffer … zu entscheiden.
Dieser war jedoch als unzulässig abzuweisen, da er keinen konkreten, hinreichend feststellbaren und deswegen vollstreckungsfähigen Inhalt besitzt. Er beinhaltet lediglich die Feststellung, dass die Klägerin verpflichtet ist, mit der Beklagten Verhandlungen über eine Anpassung des streitgegenständlichen Vertrages mit dem Ziel aufzunehmen, die unwirksam werdende Klausel durch eine (oder mehrere) den gesetzlichen Anforderungen genügende Regelungen zu ersetzen, die dem mit dem Vertragsschluss verbundenen Ziel der Parteien Rechnung trägt, der Klägerin eine flexible Lieferung von elektrischer Energie, angelehnt an die Betriebsweise eines Steinkohlekraftwerks, einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden erforderlichen Handlungen bereitzustellen.
Welche (und ob eine oder mehrere) Regelungen dies sein sollen, bleibt völlig offen, mit der Folge, dass die begehrte Feststellung keinen konkreten Inhalt hat, der Gegenstand eines vollstreckungsfähigen gerichtlichen Urteils sein könnte.
Der Schriftsatz vom …. November …, den die Beklagte nach Schluss der mündlichen Verhandlung mit einem neu formulierten Hilfswiderklageantrag eingereicht hat, war kein zwingender Grund zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Zwar wurde den Parteien in der Sitzung vom … Schriftsatzfristen zu den Hinweisen der Kammer und zu den letzten Schriftsätzen des jeweiligen Gegners gegeben. Diese Schriftsatzfristen waren jedoch ausdrücklich nicht dazu erteilt worden, die Anträge mit der Folge umzuformulieren, dass nochmals verhandelt hätte werden müssen. So wurde in der Sitzung von der Vorsitzenden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein nach der mündlichen Verhandlung angesiedeltes schriftliches Verfahren nicht erfolgen soll, um den Rechtsstreit nicht weiter zu verzögern.
8. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 ZPO.
Verkündet am 14.05.2018


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