Arbeitsrecht

Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages

Aktenzeichen  2 O 5504/17

Datum:
6.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
r+s – 2018, 649
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG a.F. § 5a
BGB § 134, § 812 Abs. 1 Satz 1
BetrAVG § 2 Abs. 2 Satz 4, § 5

 

Leitsatz

Der Widerspruch nach § 5a VVG a.F. („ewiges Widerspruchsrecht“) eines durch Umwandlung von Bruttoarbeitseinkommen im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge zunächst als Gruppenversicherungsvertrag geschlossenen Versicherungsvertrages, den die versicherte Arbeitnehmerin nach ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis als Versicherungsnehmerin übernommen hat, scheitert an der analogen Anwendbarkeit der § 2 Abs. 2 S. 4, 5 Hs. 1 BetrAVG.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 10.512,00 € festgesetzt.

Gründe

A.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen die begehrten Ansprüche aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB oder sonstigem Rechtsgrund nicht zu.
Die Klägerin kann dem streitgegenständlichen Vertrag nicht nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG (in der Fassung vom 01.08.2001, im Folgenden a.F.) widersprechen, auch wenn die Beklagte unstreitig weder der damaligen Arbeitgeberin der Klägerin, der S… AG, noch der Klägerin selbst eine den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Widerrufsbelehrung erteilt hat.
Der Widerspruch der Klägerin, mit der diese die Rückabwicklung des Versicherungsvertrages erreichen will, scheitert jedenfalls an § 2 Abs. 2 S. 4, 5 Hs. 1 BetrAVG analog.
I.
Zwischen den Parteien ist nicht im Streit, dass es sich beim streitgegenständlichen Versicherungsvertrag um ein Instrument der betrieblichen Altersversorgung (Entgeltumwandlung) handelt, wobei die Klägerin, die den Versicherungsvertrag nach § 2 Abs. 2 S. 1, 2 BetrAVG fortführt, bereits eine unverfallbare Anwartschaft erworben hat (§ 1 Abs. 2 Nr. 3, § 1a, § 1b Abs. 5, § 2 Abs. 5 BetrAVG).
§ 2 Abs. 2 S. 4, 5 Hs. 1 BetrAVG lautet sowohl in der aktuellen als auch der im Zeitpunkt des Vertragsschlusses 2004 geltenden Fassung in den wesentlichen Passagen wie folgt:
„Der ausgeschiedene Arbeitnehmer darf die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in Höhe des durch Beitragszahlungen des Arbeitgebers gebildeten geschäftsplanmäßigen Deckungskapitals oder, soweit die Berechnung des Deckungskapitals nicht zum Geschäftsplan gehört, des … berechneten [Zeit-]Werts weder abtreten noch beleihen. In dieser Höhe darf der Rückkaufswert auf Grund einer Kündigung des Versicherungsvertrags nicht in Anspruch genommen werden; “
Die sozialpolitische Funktion der betrieblichen Altersversorgung erfasst das staatliche Interesse, dass ein Arbeitnehmer im Alter nicht der Allgemeinheit zur Last fällt und dient auch der notwendigen Ergänzung der durch die Sozialversicherung gewährten Sicherung der Arbeitnehmer im Alter (BAG Urt. v. 26.4.2018 – 3 AZR 586/16, NJW 2018, 2346 unter Hinweis auf BT-Drs. 7/1281 S. 19). Mit ihrer Hilfe soll der Lebensstandard des Arbeitnehmers oder gegebenenfalls seiner Hinterbliebenen nach Ausscheiden aus dem Berufs- bzw. Erwerbsleben zumindest teilweise gesichert werden, da das beständig sinkende Rentenniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung zu Versorgungslücken führt. Insoweit liegt es auch im Interesse des einzelnen Arbeitnehmers, seine betriebliche Altersversorgung aufrecht zu erhalten (BAG Urt. v. 26.4.2018 – 3 AZR 586/16, NJW 2018, 2346). Dem Betriebsrentengesetz liegt dabei die Intention zugrunde, Betriebsrentenanwartschaften angesichts ihrer zunehmenden Bedeutung für die spätere Alterssicherung der Arbeitnehmer möglichst lückenlos bis zum Eintritt des Versorgungsfalls zu sichern und zu erhalten (BAG aaO, vgl. auch BT-Drs. 15/2150 S. 52; BT-Drs. 7/1281 S. 26). Es soll verhindert werden, dass unverfallbare Anwartschaften – wie die der Klägerin – vor Eintritt des Versorgungsfalls ausgezahlt und für die Vermögensbildung, den Ausgleich von Schulden oder den Konsum statt für die vorgesehene Versorgung verwendet werden (BAG Urt. v. 26.4.2018 – 3 AZR 586/16, NJW 2018, 2346).“
Deshalb widerspräche z.B. eine Berechtigung des Arbeitnehmers, die Beendigung des Direktversicherungsvertrags durch den Arbeitgeber vorzeitig zu erzwingen und das angesparte Kapital zur Tilgung von Schulden zu verwerten, grundsätzlich dem Versorgungszweck der betrieblichen Altersversorgung (BAG aaO).
Auch durch die Verfügungsbeschränkungen des § 2 BetrAVG soll im Rahmen des rechtlich Möglichen die bestehende Anwartschaft für den Versorgungszweck erhalten bleiben (BGH, Urteil vom 08. Juni 2016 – IV ZR 346/15, r+s 2016, 416 Rn. 28 unter Hinweis auf BT-Drucks. 7/1281 S. 26). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen durch § 2 Abs. 2 Satz 5 BetrAVG in Ergänzung von § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG gerade dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer Verfügungen, die den Versorgungszweck gefährden könnten, verboten sein (BGH aaO m.w.N.). Der Versorgungszweck der Anwartschaften soll also möglichst lückenlos gesichert werden (BGH, Beschluss vom 05. Dezember 2013 – IX ZR 165/13, r+s 2014, 189). § 2 Abs. 2 S. 4, 5 BetrAVG stellen deshalb gesetzliche Verbote i.S.d. § 134 BGB dar (Schipp in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 8. Aufl., § 2 BetrAVG Rn. 40; Hübner in Uckermann/Fuhrmanns/Ostermayer/Doetsch, Das Recht der betrieblichen Altersversorgung § 2 Rn. 82).
II.
Nach seinem Wortlaut ist die Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 4, 5 1. Hs BetrAVG auf den hier streitgegenständlichen Fall eines Widerspruchs nach § 5 VVG a.F. nicht anwendbar. Vom Wortlaut werden lediglich Abtretung, Beleihung und Kündigung des Versicherungsvertrages erfasst.
Die Kammer ist allerdings der Ansicht, dass die hier im Raum stehende Konstellation eine analoge, d.h. entsprechende Anwendung der § 2 Abs. 2 Satz 4, 5 1. Hs BetrAVG erfordert und zulässt. Voraussetzung der entsprechenden Anwendung einer Vorschrift sind eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes und eine vergleichbare Interessenlage (st. Rspr. z.B. BGH, Urteil vom 13. März 2018 – II ZR 158/16, NJW-RR 2018, 738).
1. Ob eine derartige Lücke im Gesetz vorhanden ist, die im Wege der Analogie ausgefüllt werden kann, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht zu beurteilen. Das Gesetz muss also, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht, unvollständig sein (BGH, Urteil vom 13. März 2018 – II ZR 158/16, NJW-RR 2018, 738). Lücken im Gesetz können auch nachträglich dadurch entstehen, dass infolge der technischen oder der wirtschaftlichen Entwicklung neue Fragen auftauchen, die im Rahmen des Regelungszwecks nunmehr der Regelung bedürfen, die aber der Gesetzgeber noch nicht gesehen hat (BGH aaO).
Ausgehend von der Regelungsabsicht des § 2 Abs. 2 Satz 4, 5 1. Hs BetrAVG, wonach die bestehende Anwartschaft für den Versorgungszweck erhalten werden soll, ist ohne weiteres zu konstatieren, dass die Verfügungsbeschränkungen, die sich auf Abtretung, Beleihung und Kündigung beschränken, hinsichtlich des Widerspruchs nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. eine Lücke enthalten. Zwar mag sein, dass der Gesetzgeber die Einbeziehung des Widerspruchs in den „Katalog“ der Verfügungsbeschränkungen bewusst unterlassen hat. Dann läge eine bewusste Lücke vor, die eine Analogie nicht rechtfertigen würde. Ein „normaler“ Widerspruch nach § 5a VVG a.F. wäre aber nach der bis zum Urteil des BGH vom 07.05.2014 (IV ZR 76/11 –, BGHZ 201, 101 = r+s 204, 340) geltenden Rechtswirklichkeit in seinen Wirkungen allenfalls auf einen Zeitraum von einem Jahr beschränkt gewesen (§ 5a Absatz 2 Satz 4 VVG a.F.). Während dieses Prämienzahlungszeitraums hätte es aber schon nicht zu einer unverfallbaren Anwartschaft kommen können, da diese einen längeren Mindestbestandszeitraum erforderte (je nach Geltungszeitraum 3 oder gar 5 Jahre: § 1b Abs. 1 S. 1 BetrAVG).
Es ist hingegen auszuschließen, dass der Gesetzgeber bei seinen Erwägungen die Konstellation eines gutgläubigen, nicht treuwidrig handelnden Arbeitnehmers bzw. Versicherten/Versicherungsnehmers vor Augen hatte, der den Bestand des der betrieblichen Altersversorgung zu Grunde liegenden Versicherungsvertrages buchstäblich noch Jahrzehnte nach Abschluss desselben durch ein „ewiges Widerspruchsrecht“ zu Fall bringen kann.
2. Die Beendigung des Versicherungsvertrages durch Widerspruch und die damit nach der einschlägigen BGH-Rechtsprechung einhergehende weitgehende Rückabwicklung ist in seinen Wirkungen mit dem normierten Tatbestand der Kündigung vergleichbar.
In beiden Fällen stehen die angesparten Prämien nicht mehr für die Erfüllung des Leistungsversprechens des Versicherers zugunsten des versicherten Arbeitnehmers zur Verfügung. Sie werden vielmehr – mehr oder weniger vollständig – an den Versicherungsnehmer ausgekehrt, so dass dieser uneingeschränkt über sie verfügen kann. Der Versicherungsnehmer kann die Anwartschaft liquidieren und für andere Zwecke als den ursprünglich intendierten Versorgungszweck verwenden. Sowohl bei uneingeschränkter Kündigung als auch bei Rückabwicklung nach Widerspruch könnte die Anwartschaft nicht möglichst lückenlos bis zum Eintritt des Versorgungsfalls gesichert und erhalten werden. Kündigung und „ewiges Widerspruchsrecht“ sind deshalb lediglich formal unterschiedliche Ausprägungen einer Konstellation, die der Gesetzgeber durch § 2 Abs. 2 Satz 4, 5 1. Hs BetrAVG gerade vermeiden wollte. Damit ist nach Ansicht der Kammer auch die für eine analoge Anwendung der Norm erforderliche vergleichbare Interessenlage zu bejahen.
Der von der Klägerin erklärte Widerspruch ist deshalb nichtig (§ 134 BGB).
III.
Nach dem Vorstehenden kommt es auf die Beantwortung der Fragen,
– ob der Klägerin als im Rahmen des „ersten Vertragsschlusses“ lediglich Versicherter überhaupt ein ursprüngliches Widerspruchsrecht zustand, sondern nur der S… AG als Versicherungsnehmerin,
– ob die S… AG als ursprüngliche Vertragspartnerin als Nicht-Verbraucherin überhaupt Subjekt eines „ewigen Widerspruchsrechts“ im Sinne der Rechtsprechung des BGH zu § 5a Absatz 2 S. 4 VVG a.F. sein kann, da die hierfür maßgeblichen Gründe des Verbraucherschutzes insoweit nicht greifen,
– ob der Klägerin im Zusammenhang des Übergangs des Versicherungsvertrages auf sie erneut hätte über ein Widerspruchsrecht belehrt werden müssen (letztlich offen gelassen von BGH, Beschluss vom 23. März 2017 – IV ZR 365/13, BeckRS 2016, 118153),
– ob ein etwaiges Widerrufsrecht der Klägerin verwirkt wäre, da jedenfalls ein über alle Vertragsmodalitäten voll informierter Versicherungsnehmer, der deutlich macht, dass er den Vertrag unbedingt fortsetzen will, rechtsmissbräuchlich handeln kann, wenn er sich nach jahrelanger Prämienzahlung auf eine nicht ordnungsgemäße Belehrung über sein Widerspruchsrecht beruft (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2015 – IV ZR 117/15, BeckRS 2016, 02173), nicht mehr entscheidungserheblich an.
IV.
Dass die bereits von der Beklagten an die Klägerin ausgezahlten 6.397,00 Euro geringer sind als das in Höhe des durch Beitragszahlungen des Arbeitgebers gebildete geschäftsplanmäßige Deckungskapitals oder, soweit die Berechnung des Deckungskapitals nicht zum Geschäftsplan der Beklagten gehört, des nach § 169 Abs. 3 und 4 VVG berechneten Wertes, hat die Klägerin nicht behauptet.
Einen weitergehenden Rückzahlungsanspruch hat die Klägerin deshalb nicht. Mangels Anspruchs in der Hauptsache hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf die eingeklagten Zinsen.
B.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
Verkündet am 06.09.2018


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