Arbeitsrecht

Sozialversicherungsrechtlicher Status eines Gesellschafter-Geschäftsführers

Aktenzeichen  L 14 R 5104/16

Datum:
12.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
Stbg – 2019, 274
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 7a Abs. 1 S. 1, S. 3
GmbHG § 29
ErbStG § 13b Abs. 1 S. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

Zum Status eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer Steuerberater GmbH, der weder Mehrheitsgesellschafter ist, noch eine schuldrechtliche Poolvereinbarung mit Sperrminorität auch gesellschaftsrechtlich abgesichert hat. (Rn. 19 – 27)
Ein Gesellschafter-Geschäftsführer unterliegt grds. den Weisungen der Gesellschafterversammlung und ist damit in den Betrieb eingebunden, was ihn zum abhängig Beschäftigten macht. Ein Beschäftigungsverhältnis ist allerdings ausgeschlossen, wenn er aufgrund seiner Gesellschafterstellung einen maßgeblichen Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft hat und damit nicht genehme Weisungen an sich im Bedarfsfall jederzeit verhindern kann. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer aufgrund einer notariellen Pool-Vereinbarung mit einem weiteren Gesellschafter zwar in der Regel, nicht jedoch in jedem denkbaren Fall mindestens 50 vH der Stimmen auf sich vereinen kann. Dies gilt unabhängig davon, ob dieser Fall in der Praxis bisher nicht aufgetreten ist oder voraussichtlich nicht auftreten wird. (Redaktioneller Leitsatz) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 27 R 1042/12 2015-01-13 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.01.2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Notwendige Auslagen in beiden Instanzen sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht München daher mit Urteil vom 13.01.2015 den Bescheid aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer für die Beigeladene ab dem 01.09.2010 nicht versicherungspflichtig abhängig beschäftigt, sondern selbstständig tätig gewesen ist.
Nach § 7 a Abs. 1 Satz 1 SGB IV können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung nach § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB IV der zuständigen Beklagten beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hat im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Diese entscheidet aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände, ob eine Beschäftigung vorliegt (§ 7 Abs. 2 SGB IV). Einen entsprechenden Antrag auf Statusfeststellung hat der Kläger gestellt. Ein vorheriges Verfahren der Beklagten zur Feststellung einer Beschäftigung ist nicht ersichtlich.
Entscheidend ist demnach das Bestehen einer Beschäftigung. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, der Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitszeit oder die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend steht das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben diese den Ausschlag (BSG, Urteil vom 28.09.2011, B 12 KR 17/09 R m.w.N.). Nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen sind die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse sowie rechtlich relevante Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung in diesem Sinne vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten sowie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt.
Vorliegend ist festzuhalten, dass der Anstellungsvertrag des Klägers typische arbeitnehmerspezifische Regelungen wie Festgehalt, Urlaubsregelung und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall enthält. Ein unternehmerisches Risiko besteht insoweit nicht. Damit überwiegen die für einen Arbeitsvertrag typischen Elemente, auch wenn der Vertragsinhalt nach Angaben tatsächlich insoweit nicht gelebt wird, als der Kläger die eigenen Beiträge zur Kranken- und standesmäßigen Rentenversicherung selbst trägt. Vertraglich ist er mittels eines Angestelltenvertrages an die Beigeladene gebunden, und in die dortige Steuerberater GmbH organisatorisch eingegliedert. Die Tätigkeit als Steuerberater ist zwar dem Bild eines freien Berufs entsprechend -wie von der Klägerseite ausgeführtin der Regel in der Praxis einzelfallbezogenen Weisungen nicht unterworfen. Allerdings ist der Kläger nicht wegen seiner Tätigkeit als Steuerberater als abhängig Beschäftigter anzusehen, sondern wegen seiner Anstellung als Geschäftsführer mit Festgehalt. Diese schuldrechtliche Anbindung des Klägers an die GmbH haben die Beteiligten bewusst und zulässigerweise gewählt. Als Geschäftsführer, der auch grundsätzlich den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterworfen ist, liegt eine Einbindung in den Betrieb vor. Hiergegen treten die naturgemäß mit einer derartigen gehobenen Stellung verbundenen Freiheiten bzgl. der täglichen „Arbeitsverrichtung“ in den Hintergrund.
Auch liegen keine weiteren Umstände vor, die abweichend vom festgestellten Vertragsinhalt und Tätigkeitsfeld eine Beurteilung der Tätigkeit des Klägers als selbstständig zulassen.
Der Kläger war insbesondere auch in einem fremden Unternehmen, und nicht in seinem eigenen Unternehmen tätig.
Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, zu beurteilen, ob ein Gesellschafter einer GmbH formal oder auch tatsächlich gleichzeitig in einem Beschäftigungsverhältnis zu dieser steht, wenn er als Geschäftsführer tätig ist. Dies ist grundsätzlich neben der gesellschaftsrechtlichen Stellung möglich. Allerdings schließt ein rechtlich maßgeblicher Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft aufgrund der Gesellschafterstellung ein Beschäftigungsverhältnis in diesem Sinne aus, wenn der Gesellschafter damit Einzelanweisungen an sich im Bedarfsfall jederzeit verhindern könnte (vgl. BSG, Urteil vom 25.01.2006, Az.: B 12 KR 30/04, zitiert nach juris). Eine derartige Stellung läge regelmäßig dann vor, wenn der Geschäftsführer einen Anteil von mindestens 50% des Stammkapitals innehat. Dies ist vorliegend beim Kläger nicht der Fall. Auch wenn dies nach dem Parteivorbringen in der Praxis bislang aufgrund einvernehmlichen Stimmverhaltens der Fall war, kann der Kläger rechtlich 50% der Stimmen in einer Gesellschafterversammlung aufgrund der Regelung im Gesellschaftervertrag sowie der notariellen Poolvereinbarung als Geschäftsführer und Gesellschafter nicht in jeder Fallkonstellation (insbesondere Konfliktsituationen) auf sich vereinen.
Der Kläger verfügt selbst über 25% der Gesellschaftsanteile und sein Vater knapp 1% derselben. Aufgrund der Regelung im Gesellschaftsvertrag (vgl. § 9 Abs. 1 der Gesellschaftssatzung) erfolgt die Abstimmung in der Gesellschafterversammlung abweichend von den Nennbeträgen der übernommenen Stammeinlagen gleichberechtigt nach der Anzahl der Gesellschafter. Dies bedeutet, dass der Kläger aufgrund Gesellschaftsvertrag, Satzung und Poolvereinbarung vom 10.08.2010 50% der Gesellschafterstimmen in die Versammlung einbringen kann, wenn der Pool vorab einen Beschluss gefasst hat. Nachdem der Kläger Geschäftsführer und Vertreter dieses Verfügungs- und Stimmrechts-Pools ist, welcher in Gegenwart und mit Unterschrift der weiteren Gesellschafter mittels notarieller Beurkundung vereinbart worden ist, kann er bei Anwesenheit in diesem Fall ihm nicht genehme Beschlüsse einschließlich jeglicher Veränderungen des Gesellschaftsvertrages verhindern.
Im Rahmen des „Stimmrecht-Pools“ ist für die interne Beschlussfassung jedoch ebenfalls -entsprechend der Regelung im GmbH Vertrag bzw. Satzungeine Abstimmung nach Kopfanteilen vorgesehen. Sofern also der Kläger anderer Auffassung als sein Vater als weiteres Poolmitglied ist, kann eine Beschlussfassung im Pool nicht erfolgen, mithin darf ohne vorherige Beschlussfassung der Geschäftsführer des Pools in der Gesellschafterversammlung der GmbH die Stimmen nicht abgeben. Dies ergibt sich aus Ziffer III Nr. 2 Buchstabe c Satz 2, wonach „vor jeder Stimmabgabe in der GmbH ein Beschluss der Mitglieder dieses Pools darüber herbeizuführen“ ist, wie die Stimmrechte in der GmbH ausgeübt werden. Mithin führte eine Pattsituation im Pool nicht (nur) zu einer Enthaltung, sondern zu einer Stimmrückgabe. In diesem Fall kann der Kläger ihm nicht genehme Beschlüsse der GmbH nicht verhindern, mithin hat er alleine keine beherrschende Stellung oder eine entsprechende Sperrminorität.
Damit ist ihm eine aus dem Gesellschaftsrecht wurzelnde Rechtsmacht in Verbindung mit der Poolvereinbarung nicht zugewachsen, die ihn in die Lage versetzt, eine Einflussnahme auf seine Tätigkeit insbesondere durch ihm unter Umständen unangenehme Weisungen von Seiten der weiteren Geschäftsführer bzw. der Gesellschafterverhandlung zu verhindern.
Auf die Frage, ob aus familiären Gründen oder wegen bislang gelebten Einvernehmens eine derartige Konfliktsituation nicht aufgetreten ist und auch nicht auftreten werde, ist nicht abzustellen.
Somit ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung regelmäßig keine Selbstständigkeit anzunehmen, weil der Kläger zwar Gesellschaftsanteile an einer Kapitalgesellschaft hält, aber damit zugleich keine entsprechende Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen verbunden ist, etwa durch ein seinem Gesellschaftsanteil entsprechendem Stimmgewicht oder in Form einer Sperrminorität, und der Betroffene deshalb rechtlich über die Möglichkeit verfügt, ihm nicht genehme Weisungen hinsichtlich seiner Tätigkeit abzuwehren (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 30.04.2013, Az.: B 12 KR 19/11 R, zitiert nach juris). Eine solche Konstellation liegt hier vor, da die Stimmrechtsbindung letztlich nur eine schuldrechtliche Verpflichtung im Rahmen einer Poolvereinbarung außerhalb des Gesellschaftsvertrages darstellt. Damit ist im Hinblick auf die sozialrechtliche Wirksamkeit bei der Gestaltung des Gesellschaftsrechts bzw. der Gesellschaftsvertragsrechtslage bei Statusentscheidungen nach der vorzunehmenden Parallelwertung im sozialversicherungsrechtlichen Kontext des § 7 Abs. 1 SGB IV eine selbstständige Tätigkeit nicht anzunehmen. Denn gerade auch bei einem Konfliktfall zwischen den Gesellschaftern wäre es diesen in der oben ausgeführten Fallkonstellation möglich, Weisungen zu erteilen. Infolgedessen bestehen bei der vorliegenden Fallkonstellation auch Bedenken hinsichtlich der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände (vgl. insoweit grundsätzlich Urteil BSG vom 11.11.2015, Az.: B 12 KR 10/14 R).
Die Kostenentscheidung orientiert sich an § 193 SGG, und daran, dass die Berufung der Beklagten erfolgreich war.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil er der Rechtsache in der Frage, ob der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH aus freiberuflich Tätigen, welche nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit sind, als abhängig Beschäftigter wegen des Geschäftsführervertrages anzusehen ist, grundsätzliche Bedeutung beimisst, sowie, inwieweit außergesellschaftsvertragliche, notarielle Regelungen eine im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens zu beachtende Sperrminorität begründen können.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben