Arbeitsrecht

Sozialversicherungsrechtlicher Status eines Intensiv-Krankenpflegers

Aktenzeichen  L 7 R 5059/16

Datum:
28.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 142628
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 7a

 

Leitsatz

Zur Abgrenzung abhängiger Beschäftigung von selbständiger Tätigkeit bei Intensiv-Krankenpflegern (Rn. 23)

Verfahrensgang

S 10 R 1315/13 2016-03-10 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. März 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Beigeladenen zu 1.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143,144, 151 SGG) ist unbegründet. Der Bescheid vom 29.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.6.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zu Recht hat das Sozialgericht seiner Klage stattgegeben. Es hat seiner Entscheidung einen zutreffenden Prüfungsmaßstab unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugrunde gelegt.
Der Senat macht sich die vom Sozialgericht getroffenen und in die Gesamtabwägung eingestellten Tatsachenfeststellungen zu eigen und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Die im Berufungsverfahren vorgetragenen Argumente der Beklagten rechtfertigen nach Überzeugung des Senats keine hiervon abweichende Entscheidung. Die im Rahmenvertrag vom 16.6.2008 und vom 20.12.2012 getroffenen Vereinbarungen entsprechen den tatsächlichen Verhältnissen. Weitere schriftliche oder mündliche Vereinbarungen bestehen nicht. Der Kläger war nicht in die Organisationsstruktur der Beigeladenen zu 1 eingebunden. Sie erteilte keinerlei Weisungen in Bezug auf die Art und Weise der pflegerischen Leistungserbringung. Das Weisungsrecht war vorliegend nicht zur dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert. Die Vorgaben aus dem ärztlichen Behandlungsplan setzte er eigenverantwortlich um. Abweichungen hiervon stimmte er mit der Beigeladenen zu 1 nicht ab und war dazu auch nicht verpflichtet. Er entschied in eigener Verantwortung, wann ein Arzt zu kontaktieren war. Der Kläger agierte insoweit außerhalb der Betriebs- und Organisationsstruktur der Beigeladenen zu 1. Dies wurde auch nach außen entsprechend dokumentiert. Gegenüber den Angehörigen des Pflegebedürftigen trat er nicht als Mitarbeiter der Beigeladenen zu 1 auf, sondern als selbständiger Freiberufler. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung fällt vorliegend entscheidend ins Gewicht, dass der Kläger eine unternehmerische Struktur aufbaute und dementsprechend ein unternehmerisches Risiko trug. Er schloss eine Berufshaftpflichtversicherung mit einer Schadensdeckungssumme von 2 Millionen Euro ab und verpflichtete sich zu einer Vertragsstrafe von 5.000 € bei Verletzung der Verschwiegenheitspflicht sowie zu Schadensersatz bei vorzeitiger Kündigung von Aufträgen in Höhe von 480 € bzw. von 600 € bei nicht rechtzeitiger Absage von übernommenen Diensten. Der Kläger war seit 2004 stets für mehrere Auftraggeber, wie z.B. für die H. GmbH, M. Intensivpflegedienst GmbH und P.-Intensivpflege tätig. In Erfüllung der von diesen Auftraggebern übernommenen Aufträge bediente er sich eigener Arbeitnehmer, die für ihn Pflegedienste übernahmen. Die Beklagte erkannte in Bezug auf diese Auftragsverhältnisse im Rechtsstreit vor dem Sozialgericht an, dass der Kläger selbständig tätig ist. Dass sie dies im streitigen Auftragsverhältnis nicht macht, überzeugt nicht. Denn es kann nicht allein formal darauf abgestellt werden, ob im jeweiligen Auftragsverhältnis er selbst oder dessen Arbeitnehmer zum Einsatz kommen. Es ist vielmehr als Ausdruck seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit anzusehen, ob und wen er bei einem Auftraggeber einsetzt. Hinzu kommt schließlich, dass er eine haftungsbeschränkte Gesellschaft gegründet hat, mit der er die Rechtsbeziehungen zum Beigeladenen zu 1 fortgesetzt hat. Damit tritt er erkennbar am Markt unternehmerisch auf. Der fehlenden direkten Abrechnungsmöglichkeit mit den Pflegekassen kommt vorliegend kein entscheidendes Gewicht zu. Wie das BSG in seiner Entscheidung vom 24.3.2016, B 12 KR 20/14 R, Rn 28 zum Leistungserbringungsrecht des SGB V ausgeführt hat, betrifft dieses allein das gesetzlich vorgegebene und nach diesen Vorgaben vertraglich konkretisierte Verhältnis zwischen Krankenkasse und dem zugelassenen Leistungserbringer. Dem Leistungserbringungsrecht fehlt demgegenüber eine über das Leistungs- und Leistungserbringungsrecht des SGB V hinausgehende übergeordnete Wirkung auch bezogen auf die sozialversicherungs- und beitragsrechtliche Rechtslage in Bezug auf die konkret tätig werdenden Personen. Diesem System könne keine determinierende Wirkung auf die Frage, ob eine Beschäftigung i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV vorliegt, entnommen werden. Vielmehr kommt es jeweils auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Anhaltspunkte, dass das Leistungsrecht in das Vertragsverhältnis konkret übernommen werden sollten, gibt es nicht. Die Vergütung hing nicht von den tatsächlichen Abrechnungsmöglichkeiten der Beigeladenen zu 1 ab. Vereinbart war eine davon unabhängige pauschale Vergütung von 21 € pro Stunde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG. Die Auferlegung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 entspricht der Billigkeit. Sie hat einen Klageantrag gestellt, diesen entsprechend begründet und sich durch die Antragstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.


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