Aktenzeichen 24 W 725/18
ZPO § 9 S. 1
Leitsatz
Begehrt der Kläger bis zur Vollendung des 75. Lebensjahr eine Rente als Ersatz für den Haushaltsführungsschaden, ist der materielle Vorbehalt für die Zeit ab Vollendung des 75. Lebensjahres nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen. (Rn. 1) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
62 O 203/18 Hei 2018-03-27 Bes LGKEMPTEN LG Kempten
Tenor
1. Auf die Streitwertbeschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 27.03.2018 (Bl. 18/20 d. A.) dahingehend abgeändert, dass der Streitwert auf 147.110,00 € festgesetzt wird.
2. Im Übrigen wird die Streitwertbeschwerde zurückgewiesen.
Gründe
1. Was den Haushaltsführungsschaden angeht, tritt der Senat der Auffassung des Landgerichts bei, dass ein diesbezüglicher materieller Vorbehalt für die Zeit ab Vollendung des 75. Lebensjahres des Klägers nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen ist. Gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG sind die bei der Einreichung der Klage fälligen Beträge dem Streitwert hinzuzurechnen. Der vom Kläger geltend gemachte bereits aufgelaufene Haushaltsführungsschaden (bis 28.02.2018) wurde streitwertmäßig in der Bewertung des Klageantrags II. berücksichtigt, während die nach Auffassung des Klägers ab dem 01.03.2018 wegen eines erlittenen Haushaltsführungsschadens zu zahlende Rente (bis zur Vollendung des 75. Lebensjahres) in der Bewertung des Klageantrags III. berücksichtigt ist. Beide Bewertungen greifen die Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht an; sie vertreten jedoch die Auffassung, da eine Rente als Ersatz für den erlittenen Haushaltsführungsschaden nur für die Zeit bis zur Vollendung des 75. Lebensjahres einklagbar sei, müsse der für die Zeit ab dem 75. Lebensjahr insoweit einzuklagende materielle Vorbehalt darüber hinaus streitwertmäßig gesondert erfasst werden (Seite 5 der Streitwertbeschwerde, Bl. 27 d. A.). Dem tritt der Senat nicht bei. Der materielle Vorbehalt tritt nämlich funktional an die Stelle des (nach Auffassung des Klägers) bis zur Vollendung des 75. Lebensjahres zu ersetzenden Haushaltsführungsschadens. Wäre die Rente zum Ersatz des Haushaltsführungsschadens über die Vollendung des 75. Lebensjahres hinaus zu gewähren, so hätte sich an der gemäß § 9 Satz 1 ZPO erfolgten Bewertung dieses Streitgegenstandes (dreieinhalbfacher Jahresbetrag) nichts geändert. Dann kann aber ein materieller Vorbehalt, der lediglich an die Stelle der Haushaltsführungsrente tritt, nicht streitwerterhöhend wirken.
2. Die Bewertung des immateriellen Vorbehalts wie auch die Bewertung eines künftigen Pflegemehrbedarfs betreffen jeweils einen Feststellungsantrag für den Fall eines künftigen Schadens, dessen Eintritt noch ungewiss ist. Maßgeblich sind insoweit die Kriterien, die der Bundesgerichtshof in seinem sowohl vom Landgericht als auch von den Beschwerdeführern zitierten Beschluss vom 28.11.1990 (VIII ZB 27/90 – juris Rn. 10 bis 12) aufgestellt hat. Danach ist der Wert eines Feststellungsantrags nach § 3 ZPO zu bestimmen, wobei sich wegen der fehlenden Vollstreckbarkeit ein Abschlag von 20%, verglichen mit einem entsprechenden Leistungsantrag, allgemein durchgesetzt hat. Bei diesem Abschlag handelt es sich jedoch nur um einen Anhalt für den Regelfall, da bei jeder nach § 3 ZPO vorzunehmenden Bewertung vor allem auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen ist, soweit sie für das wirtschaftliche Interesse des Klägers an der Erreichung des prozessualen Ziels von Bedeutung sind. Geht es um die Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftigen Schadens, bemisst sich das wirtschaftliche Interesse der Parteien nicht allein nach der Höhe des drohenden Schadens, sondern auch danach, wie hoch oder wie gering das Risiko eines Schadenseintritts und einer tatsächlichen Inanspruchnahme durch den Feststellungskläger ist, denn die Bedeutung eines solchen Feststellungsausspruches ist zwangsläufig größer, wenn der Schaden in absehbarer Zeit erkennbar droht als dann, wenn es sich nur um eine entfernt liegende, mehr theoretische, aber nicht völlig auszuschließende Möglichkeit handelt.
Für die vorzunehmende Schätzung ist nach dem Grundsatz des § 40 GKG und des § 4 Abs. 1 ZPO von den Erkenntnismöglichkeiten auszugehen, die bereits im Zeitpunkt der Einreichung der Klage vorhanden waren (vgl. Noethen/Schneider in Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 14. Aufl. 2016, Rn. 3476).
a) Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass im Beschwerdeverfahren nachgereichte Erklärungen über die Höhe des abgeschlossenen Vergleichs von vornherein außer Betracht bleiben müssen. Im Übrigen gelangt der Senat in Anwendung der dargelegten Grundsätze zu folgenden Bewertungen: 1) Was den immateriellen Vorbehalt angeht, ergeben sich bereits aus der Klageschrift (Seite 9) Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den befürchteten späteren Widrigkeiten nicht lediglich um eine abstrakte Möglichkeit handelt. Insbesondere wurde ausgeführt, dass postoperativ bereits Verwachsungen aufgetreten sind, die operativ gelöst werden mussten. Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Senat ausreichend, zusätzlich zu einem Abschlag von 20% wegen der fehlenden Vollstreckbarkeit (vgl. BGH, Urteil vom 28.11.1990 – VIII ZB 27/90 – juris Rn. 11) mit Blick auf die Ungewissheit eines späteren Eintritts von Komplikationen lediglich einen Abschlag von weiteren 20% vorzunehmen, so dass insoweit ein Streitwert in Höhe von (60% von 25.000,00 € =) 15.000,00 € anzusetzen ist. Der diesbezüglich vom Landgericht vorgenommene Ansatz von 4.000,00 € ist also um 11.000,00 € zu erhöhen.
2) Was die Möglichkeit eines etwaigen künftigen Pflegemehrbedarfs angeht, sind aus der Klageschrift hingegen keine Gesichtspunkte erkennbar, die darauf hinwiesen, dass es sich um mehr als eine allgemeine Möglichkeit handelt (vgl. Seite 13 der Klageschrift). In Anbetracht dessen ist es aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden, dass das Landgericht einen Abschlag in Höhe von insgesamt 80% vorgenommen hat.
3. Eine Kostenentscheidung ist schon deshalb nicht veranlasst, weil die Klage nicht rechtshängig geworden ist; im Übrigen wäre sie auch mit Blick auf § 68 Abs. 3 GKG nicht veranlasst gewesen.