Arbeitsrecht

Tätigkeit einer Schulbegleitung behinderter Kinder und Jugendlicher

Aktenzeichen  2 Sa 379/19

Datum:
8.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28370
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 101 Abs. 1
ArbGG § 46 Abs. 2, § 64 Abs. 6 S. 1, § 66 Abs. 1, § 69 Abs. 2, § 72a
ZPO § 128 Abs. 2 S. 1
BGB § 305c Abs. 1

 

Leitsatz

Die Tätigkeit einer Schulbegleitung behinderter Kinder und Jugendlicher erfüllt nicht die Voraussetzungen der Kinderpflegerzulage nach der Anmerkung 21 der Anlage 2 der AVR Diakonisches Werk Bayern. (Rn. 42 – 45)

Verfahrensgang

1 Ca 462/19, 1 Ca 398/19, 1 Ca 415/19 2019-10-30 Urt ARBGBAYREUTH ArbG Bayreuth

Tenor

1. Die Berufungen der Klägerinnen gegen die Endurteile des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 30.10.2019 (Az. 1 Ca 462/19, 1 Ca 398/19 und 1 Ca 415/19) werden zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin zu 1) 60%, die Klägerin zu 2) 13% und die Klägerin zu 3) 27% zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.
Die erkennende Kammer ist für die Entscheidung über die ursprünglich drei Berufungsverfahren zuständig. Eine spruchkörperübergreifende Prozessverbindung nach § 147 ZPO ist unter Wahrung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) möglich, wenn der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts hierzu die erforderlichen Regelungen enthält. Hierzu müssen allgemeine Regelungen darüber bestehen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welcher Richter zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind (BAG 21.09.2016 – 10 AZN 67/16 – Rn. 22, 23, juris). Nach Ziffer 3.15 des Richterlichen Geschäftsverteilungsplans des Landesarbeitsgerichts Nürnberg für das Jahr 2020 ist für die spruchkörperübergreifende Verbindung nach § 147 ZPO die Kammer zuständig, bei der ausweislich des erstmals vergebenen Aktenzeichens das älteste zu verbindende Verfahren anhängig ist. Dies ist im vorliegenden Fall das Verfahren 2 Sa 379/19. Die Kammer 2 war daher für die Verbindung zuständig.
Einer Begründung des Verbindungsbeschlusses bedurfte es ausnahmsweise nicht, da die Parteien der jeweiligen Verfahren die spruchkörperübergreifende Verbindung angeregt bzw. damit einverstanden waren (BAG, a.a.O. Rn. 26). Im Übrigen stehen die drei Verfahren in rechtlichem Zusammenhang. Die drei Klägerinnen sind Kolleginnen beim selben Beklagten und machen jeweils dieselbe Zulage für dieselbe Tätigkeit geltend.
B.
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen. Während im erstinstanzlichen Urteilsverfahren die Anwendung des § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 2 ArbGG), ist im Berufungsverfahren eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG statthaft. Denn im Verweisungskatalog des § 64 Abs. 7 ArbGG fehlt die Bestimmung des § 46 Abs. 2 ArbGG.
Die Voraussetzungen für die Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO sind erfüllt. Alle Parteien haben schriftsätzlich durch ihre anwaltlichen Prozessvertreter ihr Einverständnis erklärt (§ 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Das Gericht hat Schriftsatzfrist nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO bestimmt. Die Drei-Monats-Frist des § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO ist eingehalten. Da im vorliegenden Verfahren die Tätigkeit der Klägerinnen unstreitig ist und somit nur Rechtsfragen zu entscheiden waren, konnte im Rahmen des dem Gericht nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingeräumten Ermessens auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werden.
C.
Die Berufungen der Klägerinnen sind zulässig.
Sie sind statthaft, § 64 Abs. 1, 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.
D.
Die Berufungen sind jedoch nicht begründet.
Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass den Klägerinnen die Zulage nach Anmerkung 21 zur Anlage 2 der AVR-D Bayern nicht zustehen. Die AVR-D Bayern sind Vertragsbestandteil geworden. Die Anmerkung 21 ist wirksam. Die Tätigkeiten der Klägerinnen sind unstreitig. Sie erbringen Assistenzleistungen für behinderte Schüler und Schülerinnen, um die Teilhabe der Kinder am schulischen Leben zu erleichtern. Diese Tätigkeiten entsprechen aber nicht dem Berufsbild einer Kinderpflegerin. Die Voraussetzungen für den Anspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz liegen nicht vor. Das Berufungsgericht verweist zunächst auf die zutreffenden und ausführlichen Ausführungen in den Urteilen des Arbeitsgerichts und macht sich diese zu eigen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Im Hinblick auf den Vortrag der Parteien im Berufungsverfahren sind nur noch folgende Ausführungen veranlasst:
I.
Die AVR-D Bayern sind über die Bezugnahmeklausel in den jeweiligen Arbeitsverträgen Bestandteil des Arbeitsvertrages geworden. Die dynamischen Bezugnahmeklauseln in § 2 des Arbeitsvertrages der Klägerin zu 1) (Bl. 7 d.A.), § 4 des Arbeitsvertrages der Klägerin zu 2) (Bl. 7 der Akten 3 Sa 380/19) und § 4 des Arbeitsvertrages der Klägerin zu 3) (Bl. 8 der Akten 4 Sa 381/19) halten der Einbeziehungskontrolle stand. Die jeweils gleichlautenden Klauseln genügen dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und stehen nicht im Widerspruch zu anderen im Dienstvertrag getroffenen Vereinbarungen. Es handelt sich nicht um eine überraschende Klausel im Sinne von § 305 c Abs. 1 BGB. Ein Arbeitnehmer, der einen Arbeitsvertrag mit einem kirchlichen Arbeitgeber schließt, hat davon auszugehen, dass sein Arbeitgeber das spezifisch kirchliche Vertragsrecht in seiner jeweiligen Fassung zum Gegenstand des Arbeitsverhältnisses machen will und damit in der Regel kirchenrechtlichen Geboten genügen will (vgl. BAG 28.06.2012 – 6 AZR 217/11 – Rn. 38-40, juris).
II.
Die seit 01.07.2016 geltende Anmerkung 21 zum Anhang 2 der AVR-D Bayern enthält eine wirksame Regelung. Sie verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
1. Die AVR-D Bayern unterliegen als allgemeine Geschäftsbedingung der Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB. Bei dieser Kontrolle ist als im Arbeitsrecht geltende Besonderheit (§ 310 Abs. 4 Satz BGB) jedoch angemessen zu berücksichtigen, dass das Verfahren des Dritten Wegs mit paritätischer Besetzung der arbeitsrechtlichen Kommission und Weisungsgebundenheit ihren Mitgliedern gewährleistet, dass die Arbeitgeberseite nicht einseitig ihre Interessen durchsetzen kann. Die Berücksichtigung dieser Besonderheit bewirkt, dass so zustande gekommene kirchliche Arbeitsrechtsregelungen grundsätzlich wie Tarifverträge nur daraufhin zu untersuchen sind, ob sie gegen die Verfassung, gegen anderes höherrangiges zwingendes Recht oder die guten Sitten verstoßen (ständige Rechtsprechung zuletzt BAG 30.10.2019 – 6 AZR 465/18 – Rn. 33; speziell für die AVR-D BAG 04.08.2016 – 6 AZR 129/15 – Rn. 26 m.w.N.). Nach diesen Grundsätzen sind vollständig in Bezug genommene kirchliche Arbeitsrechtsregelungen auch nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB auf Transparenz hin zu überprüfen. Sie müssen jedoch wie Tarifverträge dem Gebot der Normenklarheit genügen. Mit diesem Gleichlauf der Kontrolldichte wird eine nicht zu rechtfertigende Besserstellung kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen im Verhältnis zu Tarifverträgen vermieden. Auch die typische inhaltliche Verzahnung zwischen dem kirchlichen Arbeitsrecht und den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes spricht für die Anlegung gleicher Kontrollmaßstäbe. Anderenfalls entstünden unauflösbare Wertungswidersprüche (BAG 30.10.2019 – 6 AZR 465/18 – Rn. 34 m.w.N.).
Dieses Prinzip verlangt vom Normgeber, die von ihm erlassenen Regelungen so bestimmt zu fassen, dass die Rechtsunterworfenen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen. Dies gilt grundsätzlich auch für tarifvertragliche Regelungen und dementsprechend auch für auf dem Dritten Weg zustande gekommenen Regelungen. Allerdings haben die Tarifvertragsparteien und damit auch die kirchlichen arbeitsrechtlichen Kommissionen bei der technischen Umsetzung der von ihnen verfolgten Zwecke regelmäßig einen weiten Gestaltungsspielraum. Daher ist ihnen insbesondere auch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht verwehrt. Gerichte dürfen diese nicht etwa wegen mangelnder Justiziabilität unangewendet lassen. Vielmehr ist es ihre Aufgabe, erforderlichenfalls unbestimmte Rechtsbegriffe im Wege der Auslegung zu konkretisieren. Lediglich in ganz besonderen Ausnahmefällen dürfen Gerichte tarifliche Regelungen wegen mangelnder Bestimmtheit und des darauf beruhenden Verstoßes gegen rechtsstaatliche Grundsätze für unwirksam erachten (BAG 25.09.2018 – 3 AZR 402/17 Rn. 30 m.w.N.).
2. Nach diesen Grundsätzen ist die Bestimmung in der Anmerkung 21 der AVR-D Bayern „in der Tätigkeit eines Kinderpflegers bzw. einer Kinderpflegerin“ wirksam. Sofern man in dem Begriff „Tätigkeit eines Kinderpflegers bzw. einer Kinderpflegerin“ überhaupt einen unbestimmten Rechtsbegriff sehen möchte, so lässt sich dessen Inhalt relativ leicht anhand der Verkehrsanschauung der beteiligten Kreise ermitteln. Wo Zweifel bleiben, sind im Einzelfall – wie hier – gerichtliche Entscheidungen notwendig. Dies führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Regelung selbst. Sie entspricht dem Grundsatz der Normenklarheit.
III.
Auch das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die Klägerinnen nicht „in der Tätigkeit einer Kinderpflegerin“ tätig sind. Insoweit kann auf die ausführliche Begründung in der Ziffer 1 der jeweiligen Urteile des Arbeitsgerichts Bezug genommen werden (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Das Arbeitsgericht hat hier ausführlich anhand der so genannten Steckbriefe der Bundesagentur für Arbeit (Berufenet) herausgearbeitet, dass sich Kinderpfleger/innen vor allem um Säuglinge und Kleinkinder kümmern und die Eltern in die Tätigkeit mit einbeziehen. Demgegenüber ist nach dem diesbezüglichen Steckbrief der Bundesagentur für Arbeit für das Berufsbild der Heilerziehungspflegehelferin ausdrücklich das Begleiten zur Schule und die Arbeit mit Menschen mit Behinderung erwähnt. Deshalb ist die von den Klägerinnen näher dargelegte Tätigkeit, nämlich die Assistenzleistungen (insbesondere die Begleitung) für behinderte Schüler und Schülerinnen, um die Teilhabe der Kinder am schulischen Leben zu erleichtern, dem Berufsbild der Heilerziehungspflegehelferin zuzuordnen. Aufgrund des unstrittigen Tätigkeitsbereichs der Klägerinnen kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass ihre Tätigkeiten dem Berufsbild einer Kinderpflegerin entsprechen.
Angesichts des eindeutigen Wortlauts wird die Zulage jedoch nur an Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer in der Tätigkeit eines Kinderpflegers bzw. einer Kinderpflegerin gezahlt. Es mag zwar sein, dass auch die Klägerinnen unter ähnlich schwierigen Anforderungen wie die Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger zu arbeiten haben. Angesichts des eindeutigen Wortlauts sollen Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer, die nicht in der Tätigkeit eines Kinderpflegers oder einer Kinderpflegerin tätig sind, die Zulage jedoch nicht erhalten. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob der Dienstnehmer oder die Dienstnehmerin als Kinderpflegerin ausgebildet ist. Allein die Tätigkeit ist entscheidend. Dass die arbeitsrechtliche Kommission ihren weiten Gestaltungsspielraum überschritten hätte, ist nicht ersichtlich.
IV.
Auch die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zahlung der Zulage nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz liegen nicht vor. Auch insoweit kann auf die ausführlichen Ausführungen unter Ziffer 2 der Gründe der Urteile des Arbeitsgerichts Bezug genommen werden (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist ein Gebot der Verteilungsgerechtigkeit, das verlngt, Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend seiner Eigenart ungleich zu behandeln. Wegen seines Schutzcharakters gegenüber der Gestaltungsmacht des Arbeitgebers greift der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nur dort ein, wo der Arbeitgeber durch gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk bzw. eine eigene Ordnung schafft, nicht hingegen bei bloßem- auch vermeintlichem – Normenvollzug (ständige Rechtsprechung des BAG z.B. 14.03.2019 – 6 AZR 171/18 – Rn. 45 m.w.N.). Im bloßen Normvollzug liegt keine verteilende Entscheidung des Arbeitgebers, eine solche Entscheidung träfe der Arbeitgeber erst dann, wenn er in Kenntnis einer fehlenden Rechtsgrundlage Leistungen weiterhin erbrächte (z.B. BAG 16.05.2013 – 6 AZR 619/11 – m.w.N.). Dies haben die Klägerinnen auch im Berufungsverfahren jedenfalls für den streitgegenständlichen Zeitraum bis Ende Juni 2019 nicht nachzuweisen vermocht. Die Beklagte hat im Einzelnen begründet, dass sie ausschließlich die AVR-D Bayern anwenden wollte und sich hierbei auf den zu Anmerkung 21 verfassten Kommentar gestützt. Es ist zwar richtig, dass der Kommentar für die richtige Anwendung der Vorschrift nicht entscheidend ist, sondern lediglich Anregungen und Hilfen geben kann. Gerade das Stützen auf diesen Kommentar zeigt aber, dass die Beklagte eben kein eigenes Regelwerk schaffen, sondern nur die AVR-D Bayern anwenden wollte. Auch mit einer unbewusst falschen Anwendung trifft der Arbeitgeber noch keine eigene verteilende Entscheidung. Aus der Zahlung der Kinderpflegerzulage an die Kolleginnen der Klägerinnen können sie daher keinen Anspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ableiten, so lange die Zahlungen erfolgen, um deren zu Recht oder zu Unrecht bestehende Ansprüche auf die Zulage nach den AVR-D Bayern zu erfüllen.
V.
Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich. Die Berufungen waren daher zurückzuweisen.
E.
Die Klägerinnen haben die Kosten des Berufungsverfahrens entsprechend ihrem Anteil zu tragen, § 97 ZPO.
Gesetzliche Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht (vgl. § 72 Abs. 2 ArbGG).


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